Im folgenden praktischen Teil sollen die Kleinen Spiele auf verschiedenen Ebenen untersucht werden: zum einen soll herausgearbeitet werden, inwiefern die Spielidee an sich aggressive Züge beinhaltet, zum anderen, welche Faktoren des Spiels die Spielenden in ihrer Spielweise bezüglich ihrer Aggressivität beeinflussen. Dazu ist es zunächst notwendig, geeignete Kriterien zu finden, anhand derer die Spiele unter dem Gesichtspunkt „Aggression“ betrachtet und systematisiert werden können. So soll eine Neuordnung der Kleinen Spiele entstehen, die den aggressiven Gehalt der Spiele berücksichtigt und somit ein gezieltes Auswählen unter diesem Aspekt ermöglicht.
Nach dieser Auflistung soll eine Anordnung der Spiele folgen, die im Hinblick auf die Erziehung zum Umgang mit Aggressionen besonders wertvoll sind. Dabei wird unterschieden zwischen Spielen, die das „Miteinander“, die Kooperation der Schüler fördern und solchen, die aus dem „Gegeneinander“, dem Zweikampf ein kontrolliertes und faires „Miteinander“ machen sollen. Es werden also zum einen Spiele aufgeführt, die den Kindern zeigen, daß durch Zusammenarbeit ein positives Ergebnis möglich ist und daß gegenseitige Rücksichtnahme und das Aufeinander-Eingehen dazu notwendig sind (Schulung der übergeordneten Lernziele Kooperation und Empathie). Zum anderen sollen die Schüler dazu angehalten werden, in der Auseinandersetzung mit dem Anderen fair und emotional kontrolliert zu bleiben, d.h. es wird darauf Wert gelegt, daß Aggressionen, die nicht zu vermeiden sind und auch als ein Mittel der Kommunikation angesehen werden müssen, nicht unkontrolliert nach außen dringen und so zerstörerisch wirken können.
DÖBLER (1996, S.15): „Als Kleines Spiel bezeichnen wir demnach eine von einem bestimmten Spielgedanken beziehungsweise einer Aufgabe ausgehenden Folge von freudvollen Handlungen, die durch motorische Leistung und soziale Aktivität bestimmt werden. Kleine Spiele tragen meist Wettbewerbscharakter; sie werden andererseits aber auch nur aus Freude am Miteinander gespielt, ohne die Ermittlung von Siegern.“
Obwohl der Begriff „Kleine Spiele“ die verschiedensten Spielformen unter einen Hut zu bringen versucht und deshalb ziemlich unscharf ist, hat er sich dennoch in der Spielpraxis durchgesetzt. Diese Form der Bewegungsspiele grenzt sich ab von den „Großen Sportspielen“ und den „Volkstümlichen Spielen“. Erika und Hugo DÖBLER teilen die Kleinen Spiele wie folgt ein (S.17ff):
Singspiele - das Singen, Tanzen und Darstellen
Laufspiele - das Laufen und Haschen
Ballspiele - das Fangen, Werfen und Schlagen eines Balles
Kraft- und Gewandtheitsspiele - das Ringen und Raufen
Spiele zur Übung der Sinne - das genaue Beobachten, schnelle Reagieren und sichere Orientieren
Kleine Spiele im Wasser - das Spielen in Verbindung mit Planschen, Schwimmen und Tauchen
Kleine Spiele bei Schnee und Eis - das Tummeln im Schnee und Spielen mit dem Schnee, das Schlittenfahren, das Schlittschuh- und Skilaufen
Geländespiele - das Anschleichen, Sich-Verstecken, Suchen und Verfolgen; außerdem:
Sportliche Freizeitspiele - Ballspiele zur typischen Freizeitbeschäftigung
Heim- und Partyspiele - Partyspiele mit ausgesprochenem Bewegungscharakter
Im Gegensatz zu den Großen Sportspielen, bei denen überall auf der Welt nach den gleichen Regeln gespielt wird, sind die Kleinen Spiele sehr flexibel. Es sind unzählige Variationen und Regeländerungen möglich, die von den Spielenden spontan an ihre Anforderungen angepaßt oder vom Lehrer nach pädagogischen Gesichtspunkten modifiziert werden können. Auch von der Mannschaftsstärke läßt sich keine Einheitlichkeit feststellen: zum Teil spielen zwei zahlenmäßig gleich starke Mannschaften gegeneinander, zum Teil alle gegen einen, jeder gegen jeden oder einer gegen einen. Charakteristisch für allen Kleinen Spiele ist, daß sie ohne große Vorerklärungen schnell und flüssig spielbar sind, weshalb sie sich auch besonders für den zeitlich begrenzten Schulsport eignen. Manchmal weisen die Kleinen Spiele Ähnlichkeit mit Vor- oder Übungsformen der Großen Sportspiele auf, sollten aber dennoch von diesen abgegrenzt werden. Selbstverständlich werden auch hier Fähigkeiten und Fertigkeiten, die für die Großen Spiele wichtig sind, indirekt mittrainiert (z.B. Ballgefühl, Antizipationsfähigkeit u.a.), dies soll jedoch nicht die vordergründige Absicht sein. Die Übergänge sind hier natürlich fließend. Spiele mit Trainingsabsicht sollten aber eher als „spielerische Übungsformen“ bezeichnet werden. Sukzessive nähern kann man sich den Großen Sportspielen über die „Kleinen Sportspiele“ (Mannschaftskampfspiele, die bereits den Großen Sportspielen in der Spielidee und Handlungsschwerpunkten ähneln) und die „Mini-Sportspiele“, bei denen reduzierte Maße des Spielfelds, der Spielgeräte und der Spielerzahl sowie vereinfachte Regeln (es werden allerdings international verbindliche Regeln bereits gefordert) gelten (DÖBLER 1996, S. 15ff).
E. und H. DÖBLER
Im Folgenden soll ein grober Überblick über die Spielesammlung von E. und H. DÖBLER gegeben werden, der keineswegs die Spiele gleich den oben festgelegten Kategorien zuordnet, sondern vielmehr die verschiedenen Spieltypen in den Begriffen der Autoren vorstellt und sich allenfalls kurze vorüberlegende Gedanken über Schwierigkeiten und Möglichkeiten zu der bevorstehenden Systematisierung macht.
(1) Singspiele S. 59-99
Zu den Singspielen werden die Darstellungsspiele, die Spiellieder und die Tanzspiele gerechnet. In den Darstellungsspielen ahmen die Kinder Handlungen, die im Text des Liedes genannt werden, nach. Tiergeschichten, Märchen, Bauern- und Handwerkertätigkeiten und andere charakteristische Arbeitsbewegungen sollen von den Kindern dargestellt werden. Spiellieder sind die Singspiele, bei denen einem Text eine feste „Choreographie“ zugeordnet ist, z.B. Kreise mit Handfassung, Ketten, Brücken u.s.w. Charakteristisch für die Tanzspiele ist, daß Gesang und einfache Tanzschritte miteinander verbunden werden. Die Übergänge zu den beiden anderen Arten der Singspiele sind hier fließend, bei den Tanzspielen steht jedoch mehr der Rhythmus im Vordergrund (Vorform der Volkstänze).
Bis zu einem gewissen Alter haben die Singspiele einen hohen, aber leider selten genutzten Wert, der weniger im biologischen als vielmehr im pädagogisch-psychologischen Bereich liegt. Neben der musikalisch-rhythmischen, darstellerischen und einer gewissen ästhetischen Erziehung, soll hier vor allem die Gemeinschaftserziehung betont werden. Die Kinder ordnen sich in die Gruppe ein, passen sich einander in ihren Bewegungen an und interagieren miteinander. Sie werden spielerisch gezwungen, rücksichtsvoll auf ihre Mitspieler zu achten und partnerschaftlichen Körperkontakt zuzulassen.
(2) Laufspiele S.100-198
In den Laufspielen ist, wie es der Name schon sagt, das Laufen das charakteristische Moment. Um den verschiedenen Zielen in den Laufspielen Rechnung zu tragen, empfiehlt sich eine Vierteilung in Wettläufe, Staffeln, Platzsuchspiele und Hasche- oder Fangspiele. Da unter diesem Begriff völlig verschiedenartige Spiele, die nur das Laufen als Gemeinsamkeit besitzen, zusammengefaßt werden, ist es nicht möglich, sie alle einer Kategorie zuzuordnen. Alle vier Kriterien (Richtung der Aggression, Körperkontakt, Wettbewerbscharakter, Zusammenspiel) sind durch diese Spiele in ganz unterschiedlichem Maße vertreten.
Bei den Wett- und Staffelläufen spielen zielgerichtete Aggressionen kaum eine Rolle und Körperkontakt sollte eigentlich nicht auftreten; sie sind durch ihren Wettbewerbscharakter bestimmt. Bei den Wettläufen läuft jeder für sich, während die Staffeln in Gruppen/ Mannschaften ausgetragen werden.
Die Platzsuchspiele werden durch ihren Namen treffend beschrieben: es handelt sich hier um spielerische Wettläufe, bei denen die...