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E-Book

Sprachen des Glaubens

Philosophische und theologische Perspektiven

VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl196 Seiten
ISBN9783170264236
FormatePUB/PDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis30,99 EUR
Die Sprachlichkeit des Glaubens ist von Anfang an zentrales Thema protestantischer Theologie. Der Glaube, als Vertrauen auf das biblisch bezeugte und lebendig gepredigte Evangelium, lebt in der Sprache, weil er aus dem Hören kommt: Er vollzieht sich im Modus des Verstehens. Seit jeher sind daher theologische Hermeneutik und Homiletik Orte, an denen die Sprachlichkeit des Glaubens reflektiert wird. Diese Reflexion setzen die Beiträge des vorliegenden Bandes in je unterschiedlicher Fächerperspektive fort.

Dr. Martin Fritz ist Wissenschaftlicher Assistent an der Augustana-Hochschule Neuendettelsau. Dr. Regina Fritz ist Pfarrerin in Nürnberg.

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Leseprobe

Markus Mülke

Lobreden auf einen Gott


Platons Symposiasten preisen Eros

1. Einleitung


Wer die Religion, vielleicht gar die Theologie Platons kennenzulernen bestrebt ist, kann unterschiedliche Wege des Zugangs wählen. Unumgänglich ist die eingehende Beschäftigung mit dem, was als Ideenlehre in die Geistesgeschichte eingegangen ist und bis heute den zentralen Kern platonischen Denkens und seiner Wirkung darstellt. Möglich wäre aber beispielsweise auch der Zugang über die sogenannten „Mythen“ Platons: Obgleich der Philosoph bekanntlich an unterschiedlichen Stellen seines Œuvres den auf ihn gekommenen griechischen Mythos kritisiert, der sich ihm nicht nur in der bildenden Kunst, sondern vor allem in den maßgeblichen Texten der archaischen und frühklassischen Literatur, besonders der Poesie, darbot, platziert er dennoch in gleich mehreren Werken, meist an prominenter Stelle, eigene mythische Entwürfe, um wichtige Inhalte seiner Lehre in anderer sprachlicher Fassung zu vermitteln.

Eben diese beiden Möglichkeiten der Annäherung spiegeln sich nicht zufällig auch in den Schwerpunkten der neueren Forschung. Diese widmet sich dann, wenn sie dem Religiösen bei Platon nachgeht, insbesondere Werken wie der Politeia, in der die Ideenlehre am ausführlichsten ausgebreitet wird, oder dem Timaios, dem in der späteren Antike wohl wirkungsmächtigsten Dialog, der in einer deutlich mythisch geprägten Sprache die Erschaffung der Welt durch den einen Demiurgen zum Thema hat. Allerdings: So verständlich diese Schwerpunktsetzung sein mag, es erscheint lohnenswert, Religion und Theologie, Gott, Göttern und menschlichem Glauben auch in solchen platonischen Schriften nachzugehen, die auf dieses Thema hin bislang weniger befragt worden sind – wie etwa im Symposion, das im folgenden einmal näher in Augenschein genommen werden soll.

Das Symposion, schon in der Antike eines der beliebtesten und meistzitierten Werke Platons, dann auch seit der Renaissance vielgelesen und bis in die Gegenwart in Literatur, bildender Kunst und Film ausgiebig rezipiert, spielt in den neueren religionsphilosophischen Studien der Platonforschung kaum eine Rolle – in Michael Bordts neuem Buch Platons Theologie etwa begegnet es nur in wenigen Fußnoten. Zwei Gründe mögen neben anderen zu dieser Vernachlässigung beigetragen haben: Zum einen findet man als Thema der Reden, mit denen sich auf dem Symposion im Haus des vornehmen, jungen Dichters Agathon eines Abends eine Gruppe ganz unterschiedlicher, aber allesamt hochgebildeter athenischer Männer unterhält, meist angegeben: ‚Eros‘ oder auf deutsch ‚Liebe‘1; auch Titel von Untersuchungen, die sich dieser Schrift widmen, wie z.B. Platonische Liebe, La théorie platonicienne de l’amour oder Eros und Unsterblichkeit weisen in dieselbe Richtung. Dabei wird jedoch gemeinhin, wenn nicht unterschlagen, dann doch kaum angemessen berücksichtigt, dass es bei diesem Symposion nicht um ein bloß menschliches Empfinden oder einen daraus abgeleiteten Begriff, sondern um den Gott Eros geht (s.u.).

Zum anderen konzentrieren sich die neueren Interpretationen meist ausschließlich auf den Inhalt der Reden, welche die verschiedenen Teilnehmer des Athener Festes vortragen. Die Zwischenpartien hingegen, welche doch von Platon offenkundig mit größter Sorgfalt gestaltet worden sind, bleiben dabei häufig ohne genauere Untersuchung – und das, obwohl gerade die Forschung der jüngeren Zeit der dramatischen Wirkung der platonischen Dialoge besonderes Augenmerk geschenkt hat: Zwischenpartien erfüllen durchaus kompositorische Zwecke, etwa die Darstellung von Sprecherwechseln oder von thematischen Übergängen. Daneben bieten sie dem Autor aber zugleich – um an dieser Stelle nur weniges zu nennen – die Möglichkeit, ausdrücklich oder auch nur implizit das Handeln und Reden der Protagonisten in ein bestimmtes Licht zu rücken, vorzubereiten oder zu kommentieren sowie die Personen außerhalb ihrer direkten Reden wie von außen charakterisieren zu können2. Gewährt also Platon dem Leser auch im Symposion gleichsam zwischen den Zeilen Einblicke darauf, wie die so unterschiedlichen Reden der Teilnehmer auf den Gott Eros, wie vielleicht die zeitgenössische religiöse Rede im Allgemeinen bewertet werden sollen?

2. Die ersten fünf Reden


a) Einleitung oder die Wahl des Themas

Die Entscheidung, bei nur mäßigem Weingenuss den Gott Eros in Reden preisen zu wollen, wird von den anwesenden Symposiasten gleich zu Beginn, auf Vorschlag des Eryximachos, unter Zustimmung aller, gemeinschaftlich getroffen (177a/b):

„Phaidros pflegt mich nämlich bei jeder Gelegenheit zu schelten: ‚Ist es nicht arg, Eryximachos‘, sagt er, ‚dass auf alle anderen Götter von Dichtern Hymnen und Paiane gedichtet worden sind; auf den Eros aber, der doch ein so mächtiger und großer Gott ist, hat noch nie unter all den vielen Dichtern auch nur einer ein Loblied gesungen. Und wenn Du sehen willst, wie es die tüchtigen Sophisten machen, so sind es Herakles und andere, deren Lob sie in Prosa abfassen, wie zum Beispiel der vorzügliche Prodikos. Und das ist ja noch nicht allzu verwunderlich; aber ich las schon das Buch eines gescheiten Mannes, in dem das Salz mit einem wunderbaren Lob bedacht war, im Hinblick auf seinen Nutzen; und noch viele andere Dinge kannst Du finden, die man gepriesen hat. Für derartiges hat man sich große Mühe gegeben; aber das Lob des Eros auf würdige Weise zu singen, das hat bis auf den heutigen Tag noch kein Mensch gewagt, und so ist ein großer Gott unbeachtet geblieben.‘ Ich glaube, Phaidros hat da ganz recht. Einerseits habe ich nun den Wunsch, ihm einen Dienst zu erweisen und eine Freude zu machen; zugleich aber glaube ich, es zieme sich in diesem Augenblick für uns Anwesende hier, den Gott zu feiern. Wenn ihr also einverstanden seid, dann könnten wir wohl in solchen Reden genügenden Stoff zur Unterhaltung finden; ich meine, es sollte ein jeder von uns, rechts herum, eine Lobrede auf den Eros halten, so schön er nur kann. Den Anfang aber soll Phaidros machen, da er auch den ersten Platz einnimmt und zugleich der Vater unseres Themas ist“3.

Der auffällige Kunstgriff, nicht den jungen Phaidros, der sich dies seit langem gewünscht habe, selbst, sondern den älteren Eryximachos den Vorschlag vorbringen zu lassen, sei hier nicht näher untersucht; verwunderlich freilich erscheint die Begründung für dieses Vorhaben, Eros sei bislang weder von den früheren Dichtern noch von den Sophisten, also den Prosarednern, angemessen gepriesen worden. Diese Feststellung hat der neueren Forschung nicht selten großes Kopfzerbrechen bereitet, begegnet doch Eros in der frühgriechischen Dichtung, und zwar gerade in der sympotischen Literatur, allenthalben4 – sie erweist sich jedoch als völlig zutreffend, wenn die religiöse Markierung des Themas ernstgenommen wird: In der gesamten vorplatonischen Literatur findet sich kein Text, der mit eigenem Recht als ein Lobpreis, ein Hymnus auf Eros als Gottheit bezeichnet werden könnte.5 Insbesondere im Hinblick auf die griechischen Götterhymnen, die in der Sammlung der sogenannten Homerischen Hymnen zusammengefasst sind, aber auch auf die Chorlyrik, die Chorlieder des griechischen Dramas und die noch erhaltenen prosaischen Preisreden des fünften Jahrhunderts trifft die Beobachtung des jungen Phaidros zu.

Zugleich ergeben die frühgriechische Literatur und Kunst dort, wo Eros ausdrücklich als Gott besondere Aufmerksamkeit erfährt, ein heterogenes Bild: Ist er etwa für Hesiod in seiner einflussreichen Theogonie einerseits eine kosmogonische Kraft, die am Anfang der Welt steht, andererseits später, gemeinsam mit Himeros, im Gefolge der Liebesgöttin Aphrodite, so benennt ihn der Dichter Simonides als Sohn des Kriegsgottes Ares und der Göttin Aphrodite6. Die bildenden Künste hingegen stellen ihn, z.B. in der Vasenmalerei, für lange Zeit als einen geflügelten Epheben dar, bevor sich sein Bild im Ausgang des fünften Jahrhunderts zu verändern und die Gestalt als puttenhafter Junge mit Flügelchen, die in hellenistisch-römischer Zeit dann dominieren sollte, vorzudringen beginnt. Doch war auch sein unbehauener Kultstein in Thespiai7 weithin bekannt, ebenso wie ein ikonographisches Motiv, das ihn als Geburtshelfer (!) der Aphrodite zeigte8.

Warum die griechischen Autoren Eros als Gott zu besingen vermieden, lässt sich heute nicht mehr eindeutig erhellen. Die Religionsgeschichte liefert die Erklärung, die olympische Göttin Aphrodite habe durch ihren weitverbreiteten und wirkungsmächtigen Kult die eigenständige Verehrung des mit ihr assoziierten Eros gleichsam unterdrückt9 – ein nicht recht befriedigender Erklärungsversuch, steht doch gerade in der Dichtung nicht selten Eros im Mittelpunkt, weniger die große Aphrodite. Psychologisch ließe sich beobachten, dass die frühgriechischen Autoren gern der überwältigenden, marternden, unkontrollierbaren, ja zerstörerischen Macht des Eros Ausdruck verleihen, die ja eher mit dem deutschen Wort ‚Verlangen‘ als mit ‚Liebe‘ zu beschreiben ist und welcher sich der Mensch willkürlich, ohne wirksame Mittel zur Gegenwehr ausgesetzt sieht10. Allein darin ein Hindernis auszumachen, diesen Gott zu besingen, mag zwar der Umstand widersprechen, dass ähnliche Antagonismen segenshaften und verderblichen Wirkens geradezu einen Grundzug der griechischen Götter bedeuteten, doch...

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