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Sprachentwicklung bei misshandelten Kindern: Eine empirische Untersuchung an vernachlässigten Kindern unter sechs Jahren

AutorTina Schmid
VerlagDiplomica Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl124 Seiten
ISBN9783842817500
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
Kindesmisshandlungen und deren massive Auswirkungen auf die gesamte kindliche Entwicklung beschäftigen die Forschung bereits seit der Antike. Jedoch wurden zunächst eher halbherzige Versuche unternommen deren Bedingungsfaktoren und -hintergründen oder deren Auswirkungen auf den Grund zu gehen. Erst sehr spät, ab den 1960er Jahren, durch erste Untersuchungen der Forschergruppe um Ray E. Helfer und C. Henry Kempe, rückte das Problemfeld allmählich wieder in den Vordergrund, man begann dieses ernster zu nehmen und systematischer zu beleuchten. Auch wenn man heute bereits einiges über die Entstehungsbedingungen von Kindesmisshandlungen und deren Einfluss auf die kindliche Entwicklung weiß, so ist dennoch einiges an Forschungsarbeit zu leisten, auf deren Basis wirksame Präventions- und Interventionsansätze in der modernen Kinderschutzarbeit erstellt und umgesetzt werden können. Insbesondere neue Erkenntnisse und Theorien unterschiedlicher Fachdisziplinen zur Bindungsforschung und Gehirnentwicklung, und damit auch der Sprachentwicklung als Teil der Kognition, stehen hier im Vordergrund. Nach wie vor existiert, insbesondere in Deutschland, ein Forschungsdefizit, das sich unter anderem in fehlenden einheitlichen Definitionen, Terminologien, Klassifikationen als auch Problemen der Abgrenzung zu gerade noch vertretbaren Erziehungspraktiken begründet.
Besonders zur Auswirkungen der Kindesmisshandlungen auf die Sprachentwicklung gibt es bisher, und dies nicht nur in Deutschland, nur wenige und kaum aktuelle Studien. Dieses Buch beschäftigt sich aus diesem Grunde mit den Auswirkungen von Kindesmisshandlungen durch primäre Bezugspersonen auf die Sprachentwicklung. Im Hinblick auf die Sprachentwicklung wird der aktuelle Forschungsstand zusammengetragen und mögliche Bedingungsfaktoren aufgedeckt, die bei misshandelten Kindern die Sprachentwicklung beeinflussen könnten. Anschließend werden einige Faktoren dieser Theorie, speziell für die Unterform der Vernachlässigung, mithilfe des standardisierten Sprachentwicklungstests für 3-5 jährige Kinder (SETK3-5) an vierzehn 3,0 bis 5,11 Jahre alten Kindern näher beleuchtet. Es soll der Frage nachgegangen werden, ob vernachlässigte Kinder, bei denen aufgrund der ungünstigen Lebensverhältnisse besonders große Defizite in kognitiven Bereichen vermutet werden, Verzögerungen bzw. Störungen der Sprachentwicklung aufweisen. Die aktuelle Forschungslücke soll auch mit Blick auf eine Erhöhung der Sensibilität für diesen Zusammenhangsbereich und damit eine bessere sprachtherapeutische Versorgung misshandelter Kinder, ein Stück weit gefüllt werden.

Tina Schmid wurde 1984 in Bad Säckingen geboren. Als Schwester eines Kindes mit Down Syndrom kam sie bereits früh in Kontakt mit dem Berufsfeld des Sprachheilpädagogen. Ihr Interesse galt seitdem der frühen Sprachentwicklung bei Kindern mit besonderem Förderbedarf. Bereits während der Schulzeit absolvierte sie ein Praktikum in einer sprachheilpädagogischen Praxis und entschied sich daraufhin 2004 ein Studium an der Universität zu Köln aufzunehmen. Dieses schloss sie im Jahre 2009 erfolgreich als Diplom-Sprachheilpädagogin ab. Derzeit arbeitet sie in einer sprachheilpädagogischen Praxis.

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Leseprobe
Textprobe: Kapitel 3.2, Spracherwerbstheorien: Die Tatsache, dass Kinder den Spracherwerb innerhalb weniger Jahre vollziehen, und damit bereits die grundlegenden Strukturen eines höchst komplexen Kommunikationssystems erworben haben, hat zu der Frage geführt, warum und auf welche Weise Kindern diese Aufgabe scheinbar mühelos gelingt (vgl. Grimm 1999, 14ff). Die Diskussion spielt sich inzwischen auf der Grundlage dreier Theorien ab, die sowohl die Bedeutung angeborener sprachspezifischer Mechanismen als auch den Einfluss der Umwelt unterschiedlich gewichten: Die Inside-Out-, die Outside-In-Theorie, sowie die Interaktionistische Sichtweise der radikalen Mitte. Inside-Out-Theorie: Dieser Theoriezweig vertritt die Position, dass Kinder ohne einen angeborenen, Domänen spezifischen linguistischen Sprachprozessor, der komplexen Aufgabe des Spracherwerbs nicht gewachsen wären. Kinder sind dieser Theorie nach, auf minimalen sprachlichen Input aus der Umweltsprache angewiesen, der ausschließlich eine aktivierende Funktion besitzt. Dieser Input alleine, so wird oft argumentiert, zeigt sich in seiner Oberflächenstruktur als zu beschränkt, als dass daraus linguistische Regeln abgeleitet werden könnten. Das Kind muss also im Sinne eines angeborenen Sprachmoduls, meist als 'Language Acquisition Device' bezeichnet, darauf vorbereitet sein, den linguistischen Strom zu segmentieren, Wortklassen und grammatische Kategorien zu entdecken sowie Phrasenstrukturen zu analysieren. Besonders untersucht wurde dies für den Grammatik- und den Wortschatzerwerb. Es wurde unter anderem gefunden, dass alle normal entwickelten Kinder einheitlich gewisse Vorannahmen, so genannte Constraints, zuerst beim Wort- und später beim Grammatikerwerb machen. So nehmen sie zum Beispiel, aufgrund des Ganzheitsconstraints an, dass Wörter immer für ganze Objekte und nicht seine Teile stehen oder, aufgrund des Disjunktionsconstraints, dass ein Objekt nur einen Namen haben kann. Letzteres ermöglicht dem Kind zudem die Ganzheits-Annahme zu überwinden und neue Wörter auf einzelne Objektteile zu beziehen. Ohne diese angeborenen Beschränkungen wäre es, diesem Theoriezweig zufolge, dem Kind nahezu unmöglich die Interpretation für ein Wort oder einen Satz zu finden. Kritisch anzumerken ist an der Inside-Out-Theorie allerdings, dass sie den Entwicklungsaspekt der Sprache ausklammert. Sie kann nicht erklären wann und warum genau, zu einem bestimmten Zeitpunkt bestimmte Strukturen aus dem verfügbaren Input gesucht werden können. Zudem reduziert sie die Rolle der Umwelt auf die eines bloßen Auslösers. Wie in Kapitel 3.3.1 dargestellt, weiß man mittlerweile, dass die Umwelt einen größeren Einfluss besitzt, als lange vermutet wurde. Outside- In-Theorie: Im Gegensatz zu der Inside-Out-Theorie weisen Vertreter der Outside-In-Theorie der Entwicklung, Veränderung und Kultur in der Sprachentwicklung einen hohen Stellenwert zu. Soziale und kulturelle Kategorien bilden demnach die Grundlage der Sprache, die aufgrund derselben generellen Lernmechanismen, die auch anderen Entwicklungsaufgaben unterliegen, erworben wird. Diese generellen Lernprozeduren, die es dem Kind ermöglichen Ereignisse in kognitive Kategorien zu zerlegen und die damit einhergehenden Sprachformen zu entdecken, sind dabei, entgegen der Annahme der Inside-Out-Theorien, nicht beschränkt. Das Kind selbst bringt zur eigentlichen Spracherwerbsaufgabe ein generelles reiches soziales und kognitives System mit, das grundlegende kognitive Kategorien wie z.B. Handelnder und Empfänger enthält. Sprache an sich ist am Anfang der Entwicklung nur der transparente Deckmantel sozialer und kognitiver Kategorien und wird als ein Werkzeug des sozialen und kulturellen Austausches gesehen. Gemeinsamkeiten, die in verschiedenen Sprachen gefunden werden, sind dieser Position zufolge, nicht in einem genetisch determinierten Sprachprozessor, sondern in der Ähnlichkeit menschlicher Sprachkulturen begründet. Nelson bringt zudem die menschliche Evolution als Argument gegen ein angeborenes Sprachmodul in die Diskussion mit ein, indem sie schreibt: '... it seems as likely that human minds were adapted to the structure of language via biological/genetic evolution as that human hands were genetically adapted to the shape of hammers, screwdrivers, knives, and spears'. Hirsh-Pasek et al. kritisieren an der Outside-In-Theorie, dass viel linguistisches und nicht-linguistisches Wissen vorausgesetzt, dessen Erwerb jedoch nicht ausreichend erklärt werde, obwohl in der Theorie die Annahme sprachspezifischer angeborener Mechanismen verneint wird. Weitere Kritik wird an der Verschmelzung von Sprache und Kommunikation geübt. Sprache könne nicht bloß auf kognitives und soziales Wissen reduziert werden. Zudem werde nicht zufriedenstellend erklärt, wie ein Kind es schafft von einem linguistischen System, dass sich auf soziale und kognitive Kategorien stützt, zu dem auf abstrakten Kategorien basierenden linguistischen System eines Erwachsenen zu kommen.
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