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E-Book

Spuren der DDR-Vergangenheit

AutorManuela Polaszczyk
VerlagTwilight-Line Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl164 Seiten
ISBN9783941122352
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis4,99 EUR
Dies ist die biografische Geschichte von Manuela Polaszczyk, die ihre persönlichen Erlebnisse nach der Abschiebung aus der DDR schildert. Die Geschichte einer Frau, die in der DDR stetige Probleme mit dem Regime hatte, deswegen im Gefängnis saß und schließlich von der Bundesrepublik Deutschland freigekauft wurde. Mit ihren eigenen Worten schildert sie die Gefühle und Erlebnisse, die mit der Einreise in die Bundesrepublik beginnen, über die Probleme der Einbürgerung als Neuanfang mit Nichts, über die Öffnung der Grenze und das Ende der DDR, bis hin zum Jahr 2009. Mit Auszügen aus ihrer Stasi-Akte beschreibt sie eindrucksvoll ihren Kampf, um mit den schrecklichen Erlebnissen ihrer Kindheit und Jugend, sowie ihrer unmenschlichen Haft im Frauengefängnis Hoheneck der DDR klarzukommen. Denn die Geister der Vergangenheit lassen sie selbst heute nicht ruhen...

Manuela Polaszczyk ist 1964 in Sindelfingen geboren, aber schon nach wenigen Monaten mit ihren Eltern in die DDR gezogen. 1984 will die junge Frau in die Bundesrepublik fliehen, wird aber verraten, festgenommen und bleibt 14 Monate in Haft auf Burg Hoheneck im Erzgebirge, dem geheimen Frauengefängnis der DDR.

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Leseprobe

Ich sitze im Bus. Es ist still. Wir haben Angst. Keiner weiß, wo es hingeht. Oder doch? Wir wissen, wir fahren in den Westen. Über die Grenze, über die wir schon so lange wollen. Viele Gedanken gehen mir durch den Kopf. Wie lange habe ich gebraucht diesen Weg zu gehen? Was musste ich alles auf mich nehmen, um so weit zu kommen? Ich habe Dinge erlebt, die ich niemanden wünsche. Dinge, die die Unmenschlichkeit des DDR Systems klarmachen. Dinge die zeigen, dass die DDR Angst hatte. Die sie dazu treibt, grausam ihren eigenen Bewohnern zu begegnen. Nur um ihre Schwäche nicht zu zeigen.

Ich sitze in dem Bus, der aus dem Gefängnis in die BRD, also in die Freiheit, in den Westen, fährt. Bis zur Grenze fahren die Staatsorgane der DDR mit. Im Bus selbst und mit einem Auto dahinter. Wir wissen nicht, ob er wieder umdreht. Wir wissen nichts. Die Fahrt dauert nun schon etwa drei Stunden. Wir sehen die Grenze. Bald, bald sind wir frei. Dann kann jeder so leben wie er es will. Dann kann auch ich selbst über mein Leben entscheiden. Ohne Angst zu haben etwas Falsches zu sagen und ohne Angst zu haben die politische Meinung der Regierung nicht zu vertreten.

Der Schlagbaum ist in Sicht. Wir sind ganz still. Man ist mir schlecht. Müssen wir jetzt raus? Nein. Der Bus hält kurz vor dem Schlagbaum. Nur die von der Stasi steigen aus. Die Tür schließt sich wieder. Jetzt! Jetzt können wir durchatmen.

Der Busfahrer fährt weiter. Er spricht durch ein Mikrophon zu uns. Er sagt, jetzt können wir wie wir wollen. Jetzt sind wir im Westen. Wir überqueren gerade die Markierung zur Bundessrepublik Deutschland. Jetzt, ja jetzt sind wir frei und im Westen.

Hinter dem Schlagbaum hält der Bus wieder. Ein Mann steigt ein. Er begrüßt uns. Es kommt noch jemand. Er reicht jedem von uns eine Tüte. Sie nennen es Fresspaket.

Ein Beutel mit Brötchen. Ich weiß gar nicht wie lange ich keine mehr gegessen habe. Es ist auch eine Schachtel Zigaretten darin. Wir dürfen im Bus rauchen. Einen Apfel und eine Orange, ebenso ein Saft sind dabei. Das ist ja wie Weihnachten.

Ich komme aus der DDR. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal eine Orange in der Hand hatte. Mir ist schlecht. Ich habe Kopfweh, unerträgliches Kopfweh. Aber ich bin im Westen.

So langsam finden wir alle unsere Stimme wieder. Wir lachen, wir weinen. Die Gefühle sind völlig durcheinander. Endlich!

Sollte ich es wirklich endlich geschafft haben? Ich habe 20 Jahre gebraucht wieder hierher zurück zu kommen. In das Land, in dem ich geboren wurde. Eine Chance zu entscheiden, wo ich leben wollte hatte ich nicht. Das haben meine Eltern getan.

Der erste Mann ist immer noch im Bus. Der andere, der die Tüten verteilte, ist wieder ausgestiegen. Wir fahren weiter. Der verbliebende Mann begrüßt uns noch einmal. Er redet und redet. Ich bin mit meinen Gedanken soweit weg und höre gar nicht, was er sagt. Er wünscht uns hier in unserem neuen Lebensabschnitt alles Gute.

Wir fahren nach Gießen in das Notaufnahmelager. Ich wusste gar nicht, dass es so etwas gibt. Schon kurz nach der Grenze, nachdem wir unsere Gefühle wieder so ein bisschen auf die Reihe gekriegt haben, schau ich aus dem Fenster. Ich will die Freiheit sehen. Sehen wie es aussieht. Hier ist alles bunter. Selbst die Bäume sind grüner. Es ist nicht zu beschreiben. Ich komme aus dem Gefängnis. Ich habe in den 15 ½ Monaten nur graue Mauern gesehen. Selbst wenn ich aus dem Fenster geschaut hatte, war es nicht so wie hier. Hier ist es bunt. Die Häuser haben einen bunten Anstrich. Sie strahlen Freude aus.

Es ist der 11. September 1985, Spätsommer. Die Blätter an den Bäumen schimmern in allen Farben. Das Grün ist ein saftiges dunkles Grün. Das ist Leben. Hier ist Leben.

Der Bus fährt immer noch. Laut dem Busfahrer sind wir nach der Grenze noch zwei Stunden unterwegs. Dann kommen wir in Gießen an. Losgefahren sind wir vom Gefängnis in Karl-Marx-Stadt gegen 13.00 Uhr. Gegen 16.00 Uhr waren wir an der Grenze, nach zwei Stunden, also gegen 18.00 Uhr sind wir in Gießen. Dann betreten wir bundesdeutschen Boden.

Mir ist immer noch schlecht. Auf der Toilette wechseln sich die Leute im Bus ab. Kein einziger von uns hat weder den Saft noch das Obst vertragen. Manche müssen sich übergeben. Andere kriegen Durchfall. Ich bin beim letzteren dabei. Schlecht war mir ja eh schon. Meine ganze Gesundheit will nicht so wie ich. Mein Kopf zerspringt fast. Ich kann kaum noch aus den Augen schauen. So langsam beruhigt sich mein Magen. Die Aufregung, das Vitamin C. Das sind alles Dinge, die ich nicht mehr wirklich vertrage. Es war einfach zu viel in den letzten Monaten.

Wir sind von der Autobahn runter. Jetzt fahren wir durch einen Ort. Sind wir jetzt da? Sieht so aus. Der Bus hält. Eine Schranke öffnet sich. Wieder eingesperrt? Es sieht anders aus, aber Schranke und Wärterhäuschen? Ich weiß nicht.

Der Bus hält wieder. Wir steigen alle aus. Unser Gepäck wird unten aus den Luken geholt. Jeder sucht sich sein Gepäck und folgt dem Mann aus dem Bus. Bepackt gehen wir alle in ein Haus. An der Tür steht jemand. Auch ein Mann. Er begrüßt uns und bietet Kopfschmerztabletten an. Oh mein Gott...

Tränen laufen mir übers Gesicht. Er gibt mir gleich zwei Tabletten. Kopfweh habe ich seit ich eingesperrt war, aber eine Tablette habe ich fast nie erhalten. Und jetzt kriege ich gleich zwei und er fragt, ob ich Wasser dazu haben möchte. Jetzt weiß ich, ich bin in Freiheit. Das sind Gefühle, die kann ich nicht beschreiben. Man durchlebt es immer und immer wieder.

Anderen geht es ähnlich wie mir. Fast jeder lässt sich was gegen Kopfweh geben. Mit den Tabletten gehe ich weiter in den Raum, in dem wir uns sammeln. Jeder sucht sich einen Platz. Ich natürlich auch. Meine Nerven machen was sie wollen. Ich bin einfach nur fertig.

Auf den Tischen stehen Getränke und Kleinigkeiten zum Essen. Trinken ja. Essen kann ich nicht.

Vorne steht jemand und redet. Er begrüßt uns und heißt uns in unserer neuen Heimat Willkommen. Er teilt uns mit, was wir heute noch machen müssen. Man schickt uns in die Kleiderkammer. Das heißt so. Dort werden wir neu eingekleidet.

Wir erhalten neue Sachen aus dem Westen. Dann zeigen sie uns unsere Zimmer. Wir müssen ja irgendwo schlafen, bis wir weiterziehen. Die Türen stehen offen. Wir können sie selbst schließen. Man, die haben Klinken, richtige Klinken. Es gibt Bäder mit Duschen.

Wir laden unsere Sachen ab. Ich habe immer noch das Paket aus den Effekten, dass wir mitgebracht hatten, in der Hand. Die neuen Sachen und natürlich einen Riesenstapel Papiere, die wir ausfüllen müssen, bevor wir hier wieder weggehen.

Geduscht und umgezogen gehen runter in den Saal, in dem wir vorher waren. Mit den Papieren unterm Arm versuchen wir uns einen Überblick zu verschaffen.

Ich habe die Tabletten genommen, aber mein Kopf ist nicht viel besser geworden. Auf das Geschriebene kann ich mich nicht konzentrieren. Meine Augen tun weh. Ich sehe alles verschwommen. Na ja, was will man auch erwarten, wenn man jeden Tag stundenlang unterm Neonlicht sitzt. Wenn man mit Licht geblendet wurde.

Ich bin erschöpft, aber ich bin frei. Also gehe ich, wie die anderen auch, diese Papiere durch. So nach und nach begreife ich es auch. Der Mann von vorher kommt vorbei und fragt jeden, ob wir klar kommen, ob wir was brauchen und wie wir uns fühlen. Wir haben auch die Möglichkeit zu einem Anwalt zu gehen, der in einem anderen Raum sitzt. Dort sagen sie uns dann etwas über unsere Angehörigen. Ich gehe natürlich dahin. Es ist eine Frau. Sie sagt mir zu aller erst, dass meine Mittäterin schon seit einer Woche hier ist. Das kann nicht sein...

Die hat mich angeschissen. Die hat doch zurückgezogen. Nein, dass kann nicht sein. Doch. Sie sagt, sie ist da und wurde abgeholt. Von wem weiß sie nicht. Man, wenn die mir unter die Finger kommt. Die kann was erleben. Wegen der habe ich ein Jahr mehr bekommen. Schön, ich musste das nicht absitzen, aber es hätte ja sein können. Von dem Schock muss ich mich erst erholen. Sie gibt mir noch die Telefonnummer meines Vaters, auch seine Adresse und diverse Angaben, die ich brauchen werde. Ich bin ja von der Bundesregierung ausgekauft worden. Das ging damals von dem Anwalt Vogel in Berlin, über den Anwalt den mein Vater hier im Westen beauftragt hatte, über die Bundesregierung. Ohne den würde ich noch da drinnen sitzen. Da würde ich nicht mehr lebend rauskommen.

Ich geselle mich wieder zu den anderen. Meine Gedanken sind völlig durcheinander. Ich wische sie beiseite.

Der Mann sagt uns, wir bekommen jeder 150,- DM. Im Fall dass wir in den Ort gehen wollen, gleich 30,- DM und den Rest, wenn wir hier weggehen. Toll, jetzt haben wir sogar Westgeld in der Hand. Richtiges Westgeld. In der DDR haben wir 1 zu 8 getauscht. Ich komme mir vor, als wäre ich im Himmel. Die Türen sind offen. Man kann sich bewegen, wo und wie man will. Wir können Reden, wir können Essen, wir können sogar Alkohol trinken. Der würde mich jetzt bestimmt umhauen.

Ich suche ein Telefon. Die Nummer meines Vaters habe ich ja jetzt. Ich wähle sie. Nichts. Ich wähle noch mal. Nichts.

Kein Anschluss unter dieser Nummer. Was soll das? Ich versuche es noch mal. Nichts.

Ich suche mir ein anderes Telefon. Wieder versuche ich die Nummer anzurufen. Nichts...

Der Mann an der Wache ruft die Auskunft an. Die sagen der Anschluss geht nicht. Ja und jetzt? Wie soll ich jetzt meinen Vater erreichen? Der muss doch wissen, dass ich hier bin. Der muss mich doch...

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