Sie sind hier
E-Book

Staatliche Reaktionen auf Jugendkriminalität in Deutschland und Frankreich

Der Täter-Opfer-Ausgleich und la réparation als ein und dasselbe Paar Schuhe

AutorSimon Finus
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2004
Seitenanzahl95 Seiten
ISBN9783638249911
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis24,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2003 im Fachbereich Soziale Arbeit / Sozialarbeit, Note: 1,3, Katholische Hochschule Freiburg, ehem. Katholische Fachhochschule Freiburg im Breisgau (Fachbereich Sozialpädagogik), 65 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Der Täter-Opfer-Ausgleich als im Strafrecht festgelegte Methode soll helfen, die dem Jugendlichen Straftäter auferlegten Strafe sinnvoll zu gestalten. Dabei geht es nicht darum, stumpfsinnig eine Strafe abzusitzen, sondern aktiv eine Wiedergutmachung zu erreichen. Dadurch sollen Reflexionsprozesse über die eigene Tat, deren negative Wirkung auf das Opfer und den entstandenen Schaden in Gang gesetzt werden. Darüberhinaus bietet der TOA die Möglichkeit für den Täter, sein Gewissen zu entlasten. Im vorliegenden Band geht es um einen Vergleich der Handhabung des Täter-Opfer-Ausgleichs in Frankreich und Deutschland. Als Grundlage wird dabei zunächst auf das Phänomen der Jugendkriminalität in beiden Ländern eingegangen. Anschließend findet ein quantitativer und qualitativer Vergleich der Methode des TOA diesseits und jenseits des Rheins statt. Die aus wissenschaftlichen Arbeiten zusammengetragenen Fakten werden ergänzt durch aus Experteninterviews gewonnenen Erkenntnisse.

Kaufen Sie hier:

Horizontale Tabs

Leseprobe

B. Theorie und Praxis der réparation pénale des mineurs in Frankreich und des Täter – Opfer – Ausgleich bei Jugendlichen in Deutschland


 

I. Die beiden Maßnahmen in der Literatur und Statistik des jeweiligen Landes


 

1.) Warum und wie wurden diese Maßnahmen entwickelt?


 

Beide Maßnahmen haben in ihrer Entstehungsgeschichte Ähnlichkeiten, so wurden sie beide fast zur selben Zeit entwickelt. Für die Idee beider Maßnahmen waren sicherlich die Erfahrungen, welche in der USA mit Mediation im Strafrecht gemacht wurden, Nährboden.[67]

 

So zum Beispiel das „Community Board“ in San Francisco (seit 1977), das „Community Dispute Resolution Program“ in Philadelphia (seit 1969) oder das „Bronx Neighbourhood Youth Diversion Program“ in New York (seit 1971).[68] Homogenisiert wurde die Entwicklung der beiden Maßnahmen, sowie ähnlicher Maßnahmen in vielen Staaten Europas, durch die sogenannten Beijing – Rules aus dem Jahr 1985, welche Mindeststandards in Bezug auf Behandlung von Jugendkriminalität zum Inhalt haben, und die Empfehlungen R 87/20 des Europarates aus dem Jahr 1987, welche die Entwicklung alternativer Verfahren bei Minderjährigen befürworten.[69] Dies sind jedoch nur Empfehlungen ohne bindenden Charakter, und um die Maßnahmen entstehen zu lassen, bedurfte es noch weiterer Voraussetzungen, auf welche im folgenden für beide Länder getrennt eingegangen wird.

 

a.) Frankreich

 

In Frankreich waren es hauptsächlich drei Strömungen, welche sich für mediative Ansätze im Strafrecht einsetzten. Einmal waren es die Kritiker des traditionellen Strafrechts, welche dem bisherigen strafrechtlichen Vorgehen vorwarfen, dass dieses die Straftäter stigmatisiere, wie es der Labeling Approach und die Stigmatisierungstheorien behaupten. Sie pochten somit auf den schädlichen Einfluss, den das Strafsystem auf den Lebensweg der Täter habe, und sahen in der Mediation eine Möglichkeit, positiv anstatt negativ auf den Täter einzuwirken. Eine zweite Gruppierung ideeller Art war jene, welche glaubte, durch mediative Ansätze den Bedeutungsverlust der traditionellen Institutionen, wie bspw. Familie, und damit verbundene Schäden wiedergutmachen zu können.[70] Als dritte Gruppierung gab es die Opferschutzorganisationen, unter denen sich besonders das Institut National d`Aide aux Victimes et de la Mediation (INAVEM) und die Associations Socio-Educatives de Contrôle Judiciaire (CLCJ) hervor taten. Diese waren beide stark an der Entwicklung der Mediation Penale im Erwachsenenstrafbereich beteiligt.[71]

 

Im Gegensatz zu den sonstigen europäischen Staaten fasste in Frankreich die Mediation zunächst im Erwachsenenstrafrecht Fuß, während die Umsetzung im Jugendstrafbereich hinkte. Es waren zwar schon 1982 durch die Mission Menga und 1983 durch die Kommission Martaguet erste Überlegungen zur Mediation im Jugendstrafbereich gemacht worden, jedoch verhinderte die Jugendstrafrechtspflege mit ihrer eigenen Philosophie wohl eine Umsetzung zu dieser Zeit. Auch haben die Jugendstaatsanwälte gegenüber den Staatsanwälten im Erwachsenenrecht eine schwächere Position. Dies kann ebenso ein Faktor für die zögerliche Implantation der Maßnahme gewesen sein, da die Maßnahme meist von Staatsanwälten initiiert wird. So kam es erst Ende der achtziger Jahre zu ersten Modellprojekten in einigen wenigen Gerichtsbezirken.

 

Der augenscheinliche Erfolg dieser führte dann dazu, dass durch das Vorprojekt zur Reform der Ordonnance 1945 unter der Führung von Arpaillange eine Empfehlung an die PJJ und die Staatsanwälte erging, mit dem Inhalt, die Maßnahme zu generalisieren.[72] Schließlich wurde die Maßnahme unter dem Namen réparation pénale am 04.01.1993 in der Ordonnance 1945 als Artikel 12 – 1 verankert. Dieser gesetzlichen Regelung folgte der Circulaire vom 11.03.1993, welcher die Maßnahme und deren Durchführung genauer fasst und für die ausführenden Dienste bestimmt war. Erst nun kam es zur Verbreitung der Maßnahme durch die Dienste der PJJ, aber auch durch zugelassene private Vereine der Strafrechtspflege.

 

b.) Deutschland

 

In Deutschland war es zum einen die Viktimologie, welche den Täter – Opfer – Ausgleich auf den Weg brachte, denn diese konstatierte, dass die Opfer nur sehr wenig Spielraum im Strafprozess hätten. Daraus formte sich bei Vertretern von Opferinteressen der Vorwurf, dass das Strafrecht die Konfliktbeteiligten des Konfliktes beraube und die staatlichen Instanzen diesen an sich rissen. Die Opferschutzorganisationen sahen von daher im TOA die Möglichkeit, dem Opfer wieder mehr Spielraum und Mitbestimmung zu geben.[73] Ein weiterer Motor war die Legitimitätskrise, in welcher sich die Justiz, hervorgerufen durch kriminologische Forschungen über die Wirksamkeit des Strafrechts und daraus folgenden Zweifeln daran, befand. Mit dem TOA waren hier Hoffnungen verbunden, mit diesem Modell eine bessere Lösung zu finden.[74] Und schließlich spielte wohl die Masse, der von der Justiz zu bearbeitenden Konflikte, eine gewisse Rolle bei der Entwicklung des TOA und dessen Verortung im Strafverfahren.[75] Die Implantation der Maßnahme in Deutschland fand dann in Form eines wirklichen Bottom – Up Prozess statt, also ein Aufbau von unten nach oben. Es wurden erste Projekte gegründet, wie z.B. 1985 das Projekt „Handschlag“ in Braunschweig und Reutlingen oder das Projekt „Waage“ 1986 in Köln. Diese bewährten sich und es kam zu einem Gründungsboom.[76] Im Jahr 1990 folgte dann die gesetzliche Verankerung mit dem JGGÄndG, und der weitere Ausbau konnte voran getrieben werden. In Deutschland war es also im Jugendbereich, in welchem der TOA sich zuerst durchsetzte, was wohl mit dem Erziehungsgrundsatz im JGG in Zusammenhang steht. Im Erwachsenenbereich setzte sich das Konzept erst später durch.

 

2.) Gesetzliche Regelung, Verortung im Strafverfahren sowie Finanzierung


 

a.) Frankreich

 

Die Maßnahme der réparation ist im Artikel 12 – 1 der Ordonnance 1945 geregelt. Dieser gibt den Staatsanwälten und den Untersuchungs- sowie Jugendrichtern die Möglichkeit, den Minderjährigen eine Aktivität der Hilfe oder der Wiedergutmachung gegenüber dem Opfer oder der Allgemeinheit vorzuschlagen. Die Maßnahme kann vor der Anklage und im Vorverfahren bei gegebenem Einverständnis des Jugendlichen und der Erziehungsberechtigten stattfinden, mit dem Ziel, das Verfahren, bei günstigem Verlauf der Maßnahme, einzustellen. Im Vorverfahren bedarf es unbedingt der freiwilligen Zustimmung des Jugendlichen und seiner Erziehungsberechtigten, um einer Verletzung der Unschuldsannahme vorzubeugen. Ebenso müssen die Tatverhältnisse klar sein.[77]

 

Es besteht bei Gericht die Möglichkeit, die Hauptverhandlung auszusetzen und auf einen anderen Termin zu verschieben, um einer réparation den nötigen Raum zu geben.[78]

 

Erfolgt Maßnahme in Form eines richterlichen Urteils, so müssen die Vorausbedingungen bei Jugendlichem und Eltern davor überprüft worden sein. Man kann jedoch davon ausgehen, dass nur sehr wenige réparations durch Urteil angeordnet werden, da das jeweilige Gericht anschließend keine Möglichkeit der Kontrolle mehr hätte, der Täter also bei einer Nichterfüllung der réparation sein Strafmaß dennoch erfüllt hätte.[79]

 

Im Jahr 1999 waren 60,4 % aller réparations durch die Staatsanwaltschaft initiiert worden, 39,6 % wurden durch Richter veranlasst.[80] Die Durchführung kann den öffentlichen Diensten der PJJ, zugelassenen juristischen Personen oder zugelassenen physischen Personen übertragen werden.

 

Bei der Finanzierung der Maßnahme wird unterschieden, ob der ausführende Dienst dem öffentlichen Sektor zugehört oder nicht. Handelt es sich um einen öffentlichen Dienst der PJJ, so wird die Durchführung der Maßnahme vom Jahresbudget abgedeckt. Jedoch muss dieses dann eben auch angepasst werden[81]. Handelt es sich um einen zugelassenen Dienst aus dem privaten Sektor, wurde per Dekret die Finanzierung über die Direktionen der PJJ sichergestellt. Ein Pauschalbetrag je Maßnahme wurde aufgestellt. Hierzu wurden die Kosten einer Vollzeitstelle pro Jahr, sowie die zumutbare jährliche Fallzahl ermittelt. Die Jahreskosten der Vollzeitstelle werden durch die zumutbare jährliche Fallzahl geteilt und so erhält man den Pauschalbetrag, der nun von der PJJ für eine durchgeführte Maßnahme bezahlt wird.

 

Kritik wird darüber geäußert, dass die Implantation des Mediationsgedankens zu wenig an den Prinzipien der Mediation, dafür aber umso mehr an den Bedürfnissen des Strafrechtsystems orientiert sei. So sieht Jacques Faget die Umsetzung des Mediationsgedanken im Strafrecht, z.B. in Form der réparation, als kleine Flickerei, um den Problemen des Gerichtswesens wie bspw. der hohen Fallzahl Herr zu...

Blick ins Buch

Weitere E-Books zum Thema: Pädagogik - Erziehungswissenschaft

Weitere Zeitschriften

arznei-telegramm

arznei-telegramm

Das arznei-telegramm® informiert bereits im 53. Jahrgang Ärzte, Apotheker und andere Heilberufe über Nutzen und Risiken von Arzneimitteln. Das arznei-telegramm®  ist neutral und ...

Card-Forum

Card-Forum

Card-Forum ist das marktführende Magazin im Themenbereich der kartengestützten Systeme für Zahlung und Identifikation, Telekommunikation und Kundenbindung sowie der damit verwandten und ...

care konkret

care konkret

care konkret ist die Wochenzeitung für Entscheider in der Pflege. Ambulant wie stationär. Sie fasst topaktuelle Informationen und Hintergründe aus der Pflegebranche kompakt und kompetent für Sie ...

Courier

Courier

The Bayer CropScience Magazine for Modern AgriculturePflanzenschutzmagazin für den Landwirt, landwirtschaftlichen Berater, Händler und generell am Thema Interessierten, mit umfassender ...

crescendo

crescendo

Die Zeitschrift für Blas- und Spielleutemusik in NRW - Informationen aus dem Volksmusikerbund NRW - Berichte aus 23 Kreisverbänden mit über 1000 Blasorchestern, Spielmanns- und Fanfarenzügen - ...

küche + raum

küche + raum

Internationale Fachzeitschrift für Küchenforschung und Küchenplanung. Mit Fachinformationen für Küchenfachhändler, -spezialisten und -planer in Küchenstudios, Möbelfachgeschäften und den ...

VideoMarkt

VideoMarkt

VideoMarkt – besser unterhalten. VideoMarkt deckt die gesamte Videobranche ab: Videoverkauf, Videoverleih und digitale Distribution. Das komplette Serviceangebot von VideoMarkt unterstützt die ...

Evangelische Theologie

Evangelische Theologie

Über »Evangelische Theologie« In interdisziplinären Themenheften gibt die Evangelische Theologie entscheidende Impulse, die komplexe Einheit der Theologie wahrzunehmen. Neben den Themenheften ...