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Starke Frauen für den Frieden

Die Nobelpreisträgerinnen Ellen Johnson Sirleaf, Leymah Gbowee und Tawakkul Karman

AutorMarc Engelhardt
VerlagVerlag Herder GmbH
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783451339127
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Demokratie und dauerhaften Frieden wird es auf der Welt nur dann geben, wenn auch Frauen die Möglichkeit haben, die Entwicklungen in Politik und Gesellschaft zu beeinflussen: So hat das Nobelpreiskomitee 2011 seine bisher beispiellose Entscheidung begründet, gleich drei Frauen mit dem Friedensnobelpreis auszuzeichnen. Doch wer sind Ellen Johnson-Sirleaf, Leymah Gbowee und Tawakkul Karman? Marc Engelhardt stellt die drei Preisträgerinnen vor.

Marc Engelhardt, geb. 1971, arbeitete für den NDR und mehrere Jahre für die ARD Tagesschau. Er berichtete von 2004 bis 2010 als freier Afrika-Korrespondent aus Nairobi für mehrere Tageszeitungen und den ARD-Hörfunk. Seit 2011 lebt er mit seiner Familie in Genf und beobachtet das Geschehen bei den UN.

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2. »Dieses Kind wird führen«


Ellen Johnson Sirleafs Aufstieg in Liberia

Wenn die Regenzeit mit ihren heftigen Niederschlägen über Liberia hereinbricht, leuchtet das Laub des Dschungels so grün, dass einem die Augen schmerzen. Liberia, die Heimat von Leymah Gbowee und Ellen Johnson Sirleaf, ist ein fruchtbares Land. Die Regenwälder, die weite Teile des Landes bedecken, gehören zu den global wichtigsten Hotspots der Artenvielfalt. Dort, wo der Regenwald abgeholzt worden ist, wuchern riesige Kautschukplantagen. Die größte von ihnen beginnt gleich hinter dem Flughafen Roberts Field außerhalb von Monrovia. Stünden die Kautschukbäume, die sich über Kilometer und Kilometer nach Westen erstrecken, nicht so ordentlich in Reih und Glied, könnte man meinen, es handle sich bei den vom US-Reifenhersteller Firestone angelegten Plantagen um einen Märchenwald. Doch der Schein trügt, wie so mancher Schein in Liberia.

 

Liberia, so heißt es in der Wikipedia, ist Afrikas älteste Republik, einer der ältesten unabhängigen Staaten des Kontinents – und ist, formal, nie eine Kolonie gewesen. Doch die wirkliche Geschichte sieht anders aus. Sie ist, wie in den »offiziellen« Kolonien, gezeichnet von Habgier und Gewalt. Dabei begann alles mit guten Absichten. 1816 wurde in den USA die American Colonization Society (Amerikanische Kolonisierungsgesellschaft) gegründet. Ihr Ziel: die Rückführung der seit dem kurz zuvor erlassenen Sklavereiverbot befreiten Schwarzen zu organisieren. »Nach Afrika« sollten sie zurückkehren – Männer und Frauen, von denen etliche in den USA geboren worden waren und die noch nie ein anderes Land erblickt hatten. Vier Jahre später landete die erste Gruppe von Ex-Sklaven nicht weit von Liberias heutiger Hauptstadt Monrovia entfernt.

Die meisten Siedler der ersten Stunde überlebten nicht lange: Tropische Krankheiten, vor allem Malaria, rafften Tausende dahin. Außerdem stellten die »Rückkehrer« fest, dass die Küste bereits besiedelt war: Die Kru, ein Volk renommierter Schiffbauer und Fischer, hatten kein Interesse, ihr Land – wie von der Society vorgesehen – an die Neuankömmlinge zu verkaufen. So nahmen die Siedler sich das Land mit Gewalt. Mit Kanonen und Gewehren und immer neuen Schiffen voller Siedler – nach Schätzungen von Historikern trat nur ein Drittel von ihnen freiwillig die Reise an – war den Amerikoliberianern der Sieg sicher. Zu den Siedlern stießen zudem Afrikaner aus anderen Staaten, die in die Sklaverei verkauft worden waren, auf hoher See aber von britischen und amerikanischen Booten aufgebracht und nun ebenfalls an der ehemaligen »Pfefferküste« abgesetzt wurden. Gemeinsam übernahmen die Siedler die Herrschaft im von vermeintlichen »Wilden« bevölkerten Land.

 

Die schwarzen Amerikaner gebärden sich wie Kolonialisten, auch wenn sie auf dem Papier keine sind. Im Binnenland schließen sie Verträge mit gierigen Häuptlingen, die in Naturalien bezahlt werden. Wer keinen Frieden schließen will, wird militärisch besiegt. So baut die kleine Elite, von den Einheimischen nach dem Herkunftsland mancher Schiffe »Kongos« genannt, in Liberia an ihrem afrikanischen Glück. Ihr Land taufen sie nach ihrer neu gewonnenen Freiheit Liberia; die Hauptstadt benennen sie nach US-Präsident Monroe: Monrovia. Zunächst ist das Land noch einem US-Gouverneur unterstellt, doch 1847 gründen die inzwischen gut 18.000 Siedler ihre eigene Republik. Am 26. Juli 1847 wird erstmals der Lone Star gehisst, eine Abwandlung des amerikanischen Sternenbanners, den im blauen Feld nur ein einzelner Stern schmückt.

Die Verfassung, die das Land sich gibt, ist nach dem Vorbild der US-Constitution ausgerichtet – mit der entscheidenden Ausnahme, dass die Bürgerrechte nur für die Siedler gelten. Die sechzehn anderen Völker, Liberias Ureinwohner, die gut 97 Prozent der Bevölkerung ausmachen, werden von Staats wegen entrechtet und faktisch zu Sklaven der Minderheit gemacht. Sie schuften auf Kaffeeplantagen, beim Abholzen des Regenwalds und später auch in den Minen im Norden Liberias und auf den Kautschukplantagen, von denen Anfang des 20. Jahrhunderts immer mehr errichtet werden. 1926 bekommt die Firestone-Company eine Konzession für den Anbau von Kautschuk und legt nicht weit von Monrovia entfernt die größte Kautschukplantage der Welt an. Sie hat mehr als 400.000 Hektar Anbaufläche, die bis heute nicht komplett genutzt werden. Das westafrikanische Liberia, Afrikas älteste Republik, ist für afrikanische Verhältnisse ein kleines Land: etwa so groß wie Portugal, ein bisschen kleiner als die ehemalige DDR. Mit seinem feuchtwarmen Klima – Liberia zählt zu den immerfeuchten Tropen – ist das Land trotz seiner oft armen Böden ideal für die Plantagenwirtschaft geeignet – auch dank der billigen Arbeitskräfte.

 

Selbst dürfen die Indigenen kein Land besitzen, solange sie nicht etwa durch den Bau eines Hauses nachweisen können, dass sie »zivilisiert« worden sind. Erst 1951 erhalten sie das Wahlrecht. Auf dem Kapitolshügel von Monrovia, auf dem nach Washingtoner Vorbild das Repräsentantenhaus und der Senat tagen, regiert die amerikoliberianische True Whig Party. Auch der Präsident, nach amerikanischem Vorbild mit weitreichenden Vollmachten ausgestattet, gehört selbstverständlich der Elite an. Mehr als 130 Jahre lang leben die Liberianer in einem faktischen Apartheidsstaat. Erst in den 80er-Jahren, mit der Machtergreifung des Militärherrschers Samuel Doe, endet die Vorherrschaft der Amerikoliberianer. In Does brutaler Regierungszeit und den darauf folgenden 14 Jahren Bürgerkrieg wird die Herkunft jedes Liberianers instrumentalisiert. Und auch heute, acht Jahre nach Ende des Kriegs, spielt die Herkunft vor allem im politischen Leben eine große Rolle.

 

Als Ellen Johnson Sirleaf am 29. Oktober 1938 in Monrovia das Licht der Welt erblickt, ahnt noch niemand etwas von der blutigen Zukunft des Landes. In ihren Memoiren erinnert sich Johnson Sirleaf an die damalige Hauptstadt als »nicht wirklich eine Stadt, eher ein großes Dorf am Meer«. Es gibt keine Straßenlaternen, keine Telefone und keine öffentlichen Verkehrsmittel. Wer etwas zu besorgen hat, geht zu Fuß. Jenseits der Hauptstadt beginnt der Busch. Auch in den 30er- und 40er-Jahren reisen die, die sich überhaupt ins Landesinnere hineinwagen, auf den Flüssen in Kanus oder in Sänften, die von Einheimischen getragen werden. Der britische Autor Graham Greene, der zwei Jahre vor Johnson Sirleafs Geburt eine Reise durch Sierra Leone und Liberia unternimmt, beschreibt die Strapazen seiner Reise ausführlich in seinem Bericht Journey Without Maps. Auf der letzten Etappe, einer Seefahrt nach Monrovia, spricht ihn plötzlich ein zahnloser Mann an. »Wissen Sie«, fragt er, »dass es in Monrovia eine Karte von ganz Liberia gibt? Sie ist seit Generationen im Besitz einer einzigen Familie und ich werde sie mir ansehen gehen.« Auf den meisten Karten ist das Land nicht mehr als ein weißer Fleck. »Hic sunt Leones«, hier sind Löwen, steht auf manchen geschrieben, mehr nicht.

 

Womöglich auch der langen Reise durch die Wildnis geschuldet, beschreibt Greene das Monrovia von Ellen Johnson Sirleafs Kindheit wohlwollend. »Monrovia ist wie ein Neuanfang; gut, ein Neuanfang, der über zwei mit Gras bedeckte Hauptstraßen und ein paar Holzhäuser nicht weit hinausgekommen ist, aber immerhin.« Greene macht nur wenige Steingebäude aus: die Kirchen, die dreistöckige präsidiale Residenz, das Finanzministerium und die Staatskanzlei. Die einzige asphaltierte Straße führt den Hafen entlang. »Sie ist nur für den motorisierten Verkehr freigegeben, aber es gibt kaum Autos, weswegen sich auch hier die Fußgänger drängen.« In den Wohnvierteln macht Greene die Rohbauten einiger Steinhäuser aus, an denen nur gebaut wird, wenn der Bauherr Geld hat. »Sie sind eine Wertanlage; wer sein Geld nicht bei der Firestone-Bank parkt, legt es in solchen Häusern an.«

Greene, der mit dem für die Imperialisten dieser Zeit typischen Rassismus nicht spart, schreibt auch, es sei nicht schwer, sich über diese schwarze Hauptstadt lustig zu machen, »in der jeder Zweite ein Rechtsanwalt und ausnahmslos jeder ein Politiker ist«. Von den Indigenen bekommt Greene mit, dass 6.000 von ihnen von den Dorfchefs zur Arbeit auf die Firestone-Plantage geschickt worden sind. »Niemand ist in der Lage zu sagen, ob sie freiwillig dort arbeiten oder Zwangsarbeiter sind«, schreibt er. »Wobei fest steht: wenn jemals die ganze Fläche bewirtschaftet werden sollte, reichen die freiwilligen Arbeitskräfte dafür niemals aus.«

 

Wenn Ellen Johnson Sirleaf an ihre Kindheit denkt, erinnert sie sich an Häuser aus Zink, Straßen aus Lehm, Papaya-Bäume und Cassava-Felder. Alles war einfach und freundlich, fröhlich und verbreitete ein Gefühl von Sicherheit und Stabilität – Zuhause eben. Die Familie wohnt im Zentrum der Stadt in einem Haus an der Benson Street, einer der von Greene beschriebenen »grasbestandenen« Hauptstraßen. Ellen ist die Drittgeborene. Die Nachbarschaft ist gemischt, Lehrer, Kaufleute und Politiker leben hier. Vor allem aber erinnert sich Johnson Sirleaf an die zahlreichen Kinder, die ständig miteinander spielen. »Das hatte eher etwas von einem Dorf als von einem Stadtquartier.« Ihre Eltern gehören zum Mittelstand. Das zweistöckige Familienhaus aus...

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