Wenn es um das Thema Spielen geht, so haben die meisten Menschen eine grobe Vorstellung von dem, was Spielen ist. Denn wir alle haben mehr oder weniger Erfahrung mit dem Spiel. „Und wenn wir es auch als Erwachsene nicht mehr tun sollten, als Kind haben wir es getan, so wie alle anderen Kinder auch“[16].
Doch ist allein deshalb schon klar, was Spielen ist?
Die 1938 in dem Buch “Homo Ludens. Versuch der Bestimmung des Spielelementes der Kultur“ erschienene Definition des Niederländers Johan Huizinga (1872 - 1945) gilt, wenngleich sie von verschiedenen Seiten immer wieder kritisiert wurde, doch als die klassische Definition von Spiel schlechthin. Bereits der Untertitel Huizingas Schrift “Vom Ursprung der Kultur im Spiel“ enthält die Hauptthese des Autors, die er im Folgenden durch eine Fülle kulturgeschichtlicher und anthropologischer Belege untermauert[17]. Für eine ausführliche Betrachtung dieser Definition sei an dieser Stelle auf die entsprechende Fachliteratur verwiesen.
Wichtig erscheinen in Zusammenhang mit der vorliegenden Ausarbeitung aber dennoch folgende Aspekte der Definition. Zum einen wird Spiel als freie bzw. freiwillige Handlung verstanden, zu der der Mensch nicht gezwungen werden kann.
Des Weiteren spielt es sich immer in einer Art “als ob“-Situation ab, in der bereits das kleine Kind weiß, dass es nur so tut. Hierbei kommt die Fantasie des Kindes, des Menschen, im wohldurchdachten Spiel zum Ausdruck. Wichtig erscheint Huizinga zudem, dass mit dem Spiel keinerlei finanzielle Interessen verbunden sind.
Nicht zuletzt aus diesem Grund wird der Bereich des Erwachsenenspiels hier nur kurz angerissen. Wie von selbst versteht sich die zeitliche und räumliche Begrenztheit des Spiels. „Würde tagelang immer nur gespielt, mit Ausnahme einiger Pausen für Schlaf und Essen, dann ginge das Spiel allmählich in Arbeit über“[18].
Zusammenfassend lässt sich Huizingas Betrachtung wie folgt wiedergeben: „Spiel ist kein zusätzliches Wesensmerkmal der Kultur, sondern der Kern von Kultur, Kultur entsteht im Spiel. Spiel ist Kultur und umgekehrt“[19]. Dennoch muss an dieser Stelle kritisch hinterfragt werden, ob es zwingend notwendig oder überhaupt möglich ist, Spiel und Spielen exakt zu bestimmen. Es stellt sich die Frage, ob eine Festlegung auf eine Definition dem Wesen des Spiels gerecht würde. Vielmehr sollte das Spiel daher als „ein gegebenes und hinzunehmendes, die Struktur der gesamten Erscheinungswelt mitbestimmendes Prinzip, das sich zwar nicht definieren, wohl aber beschreiben und identifizieren ließe“[20] verstanden werden.
Allein schon ein flüchtiger Blick auf das Bedeutungsfeld des Wortes Spiel zeigt auf, „wie zahlreich und vielfältig die Phänomene sind, mit denen wir es hier zu tun haben“[21]. So verzeichnet allein das Deutsche Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm dutzende von Bedeutungsvarianten. Dem Begriff unseres heutigen Spiels liegt dabei das germanische, nicht weiter ableitbare Wort spil zugrunde.
Dieses entwickelte sich über die Entwicklungsstufen im Laufe der Jahrhunderte über speel zu unserer heutigen Form. Das etymologische Wörterbuch vermutet ferner einen engen Zusammenhang mit dem Tanz. Diese Annahme wird gestützt durch Verbindungen wie speeldeel, also Diele und Spielmann. Der „Tanz steht beispielhaft für die Fähigkeiten der Menschen, übernommene Regeln individuell schöpferisch auszugestalten sowie in erlernten Traditionen spielerisch […] neue Schritte […] zu entwickeln[22].
Doch mit all diesen Überlegungen lässt sich nur die deutsche Wortbedeutung erschließen. Huizinga widmet den „offensichtlich wesentlichen Nuancen in der Wortbedeutung von Spiel und Spielen in verschiedenen Sprachen“[23] gar ein ganzes Kapitel.
Denn im Deutschen besitzt das Wort Spiel eine solche Vielzahl von Bedeutungen, die teilweise in anderen Sprachen verschiedene Benennungen erfahren.
Betrachten wir in diesem Sinne z. B. die englische Sprache, so stoßen wir hier auf gänzlich unterschiedliche, insgesamt fünf, Übersetzungsmöglichkeiten für unser Wort “Spiel“. Spiel kann hier sowohl als play, game und match und auch als sport oder gambling übersetzt werden[24].
In unserer stark auf Leistung bezogenen Zeit sind wir es häufig gewohnt, Spiel und Arbeit sowie Spiel und Ernst als Gegensätze und somit Spiel als Antipode zur Realität zu sehen[25].
Doch Spielen ist in einer ganz bestimmten Art und Weise immer auch mit Ernst verbunden. So gibt es nicht nur Ernst im Spiel, sondern auch immer etwas Spielerisches im ernsten Leben. Betrachten wir zum Beispiel die Ritterfiguren der Jungen und die Puppen der Mädchen, so beziehen beide ja gerade ihren Reiz daraus, dass mit ihnen in gewissem Maße der Ernst des Lebens nachgespielt wird[26]. So erschafft sich bereits das allerkleinste Kind im Spiel eine eigene Welt; es lernt sie kennen, untersucht sie, erobert sie, verändert sie und macht sie sich zu Eigen[27].
Auch hinsichtlich der Physiognomien ist nicht immer eindeutig zwischen ernsten und freudigen, sprich spielerischen Gesichtsausdrücken zu unterscheiden.
Zudem wird etwa ein Kind, welches mit Hilfe von Puppen die Elternrolle nachspielt, zuweilen seine Puppen-Kinder finster ansehen oder unfreundlich bzw. ernst behandeln. Auch wenn wir die Hingabe betrachten, mit der ein Kind bei der Sache ist, so bezweifeln wir nicht im Geringsten, dass ihm das Spiel ernst ist.
In diesem Zusammenhang spielen auch die Spielregeln eine wichtige Rolle.
Ganz allgemein gilt dabei zunächst, dass, wer „die Spielregeln nicht ernst, d. h. für Ernst, nimmt“[28] das Spiel beschädigt.
Kinder haben sich hier oftmals ihre eigenen Regularien geschaffen. Störer, Spielverderber, bockige Kinder, die sich nicht an die Regeln des Spiels halten, werden von den anderen Kindern vom Spiel schlicht und einfach ausgeschlossen[29]. Auch im Streit, etwa um die nicht eingehaltene Regel, verliert das Spiel schnell sein spielerisches Element. Es droht dann auch in normalen Ernst umzuschlagen.
Ein weiterer, eng mit dem Ernst verbundener Begriff ist in dem Begriff Arbeit zu sehen. Auch die Arbeit wird häufig als Gegensatz zum Spiel verstanden.
Doch oftmals reicht etwa ein flüchtiger Blick nicht aus, um zu erkennen ob jemand arbeitet oder ob jemand spielt. So kann ein und dieselbe Tätigkeit einer Person von dem einen Betrachter als Spiel, von einem anderen jedoch als Arbeit verstanden werden[30].
All diese Punkte führen zu einem sehr ambivalenten Bild des Spiels. „Insgesamt haben wir es also mit einer Vermischung der Faktoren „Spiel“ und „Ernst“ sowohl im Kindes- als auch im Erwachsenenalter zu tun; die Grenzen sind fließend, weder das eine noch das andere ist Kennzeichen einer bestimmten Lebensphase“[31].
In unserer heutigen Zeit verbinden wir ferner das “Spiel“ häufig mit dem Begriff “Kind“ und seinem spezifischen Entwicklungsstand.
So verwenden wir z. B. im alltäglichen Sprachgebrauch Wörter wie “Spielkind“ und “Spielalter“. Doch für die Epoche des Mittelalters ist die alleinige Zuordnung von “Spiel“ zur Lebensphase der Kindheit zu eng gefasst, denn nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene bedienten sich in ihrem Alltag mancherlei Spiele. „Man muß den Eindruck haben, daß man damals noch nicht so rigoros wie heute zwischen Spielen für Kinder und solchen für Erwachsene unterschied“[32]. Vielmehr waren beiden Gruppen dieselben Spiele geläufig und oftmals spielten sie sogar die gleichen Spiele. So zeigt etwa der Hortus Delicarum der Herrad von Landsberg zwei Erwachsene, die mit Marionettenfiguren eine Turnierszene nachspielen[33].
Daher ist eine sichere Trennlinie zwischen Kinderspiel und dem Spiel der Erwachsenen, zumindest anhand des archäologischen Fundgutes nicht immer zu ziehen. Es ist eher so, dass mittelalterliches Denken und Handeln allgemein vom Spiel erfüllt war[34].
Folglich verwundert es auch nicht, dass der...