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E-Book

Steiermark

Vom Ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart

AutorStefan Karner
VerlagHaymon
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl232 Seiten
ISBN9783709974278
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
DIE ZEITGESCHICHTE DER STEIERMARK kompakt, informativ und anschaulich. Übersichtlich und reich bebildert präsentiert Stefan Karner ein Stück der Landesgeschichte des 'grünen Herzens Österreichs'. Von der Grazer 'Volkserhebung' 1938 über die Umbrüche in der Kunst nach dem Krieg bis hin zur 'Reformpartnerschaft' Voves-Schützenhöfer 2012 - dieses Buch vereinigt anschaulich die wichtigsten Daten und Fakten aus Politik, Kunst, Kultur, Wirtschaft, Gesellschaft und Wissenschaft. AUS DEM INHALT Der Erste Weltkrieg: Die 'Urkatastrophe' des Jahrhunderts Das Bundesland Steiermark 'Grenzgau': Die Aufwertung der steirischen Provinz 1945: Zusammenbruch und Neuanfang unter Besatzung Land am 'Eisernen Vorhang' 1889/91: Die Grenzen fallen - die Steiermark im integrierten Europa

Stefan Karner, Univ.-Prof. Dr., geboren 1952, stv. Vorstand des Instituts für Wirtschafts-, Sozial- und Unternehmensgeschichte der Universität Graz und Leiter des Ludwig-Boltzmann- Instituts für Kriegsfolgen- Forschung Graz-Wien-Klagenfurt. Herausgeber und Autor zahlreicher Bücher zur Zeitgeschichte Österreichs und Europas.

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Leseprobe

Der Erste Weltkrieg: Die „Ur­katastrophe“ des Jahrhunderts


Politik

Am Anfang des „kurzen“ 20. Jahrhunderts stand seine „Urkatastrophe“, der Erste Weltkrieg. Als dieser am 28. Juli 1914 begann, spielte sich das Hauptgeschehen des Krieges für die Steirer an der russischen und ab 1915 auch an der italienischen Isonzofront ab. Jeder vierte Steirer stand im Kriegseinsatz: als Soldat an der Front oder bei der Versorgung der Truppe im Hinterland, als Rot-Kreuz-Schwester, als Arzt, Sanitäter oder Kriegsreporter. Die Folgen wirkten lange nach: Tausende Soldaten kehrten nie mehr heim, Frauen blieben allein mit ihren Kindern, hatten Männerrollen zu übernehmen, den Betrieb zu führen und allein für das Fortkommen der Familie zu sorgen. Kinder wuchsen ohne Väter auf. Verwundete, Kriegsinvalide, Kriegsblinde, Menschen mit verstümmelten Gliedmaßen prägten die Nachkriegsjahre. Kriegsgefangene, die erst nach vielen Jahren wieder zurück kehrten, vielfach aus den Weiten Sibiriens. Niemand kennt das Ausmaß an militärischen und zivilen Opfern dieses Krieges, niemand seine menschlichen Folgen und Traumata. Die einigermaßen gesicherten Zahlen sind dürr und können das Ausmaß des Schreckens nur unzureichend wiedergeben: 43.200 Kriegstote, drei Prozent der Bevölkerung.

Unter diesen extremen Bedingungen arbeitete man im Herzogtum Steiermark nach dem Kriegsleistungs­gesetz von 1912. In die kriegswichtigen Betriebe zogen Offiziere als Verwalter ein. Sie kontrollierten die Be­schaffung und den Absatz der Produktion. Das Kriegsministerium konnte Fabriken übernehmen, Arbeiter von anderen Betrieben abziehen und überstellen. Mit dem Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetz wurde 1917 schließlich nahezu die gesamte private Wirtschaft dem Kommando des Staates unterstellt.

Die Steiermark war mit ihren Betrieben in der Mur-Mürz-Furche und im Großraum Graz eine entscheidende Waffenschmiede der Monarchie, überflügelt nur von Westböhmen und Mähren-Schlesien. Dabei war die steirische Kriegswirtschaft 1914 zunächst eher konfus und hatte deutliche Produktionseinbrüche. Erst 1915/16 erfing sie sich und produzierte auf vollen Touren, ehe ab 1917 der Mangel an Arbeitskräften, Rohstoffen, Energie und im Transportwesen die Produktion drastisch senkte. 1918 stand die steirische Wirtschaft vor dem Kollaps. Die Braunkohlenförderung, besonders in den Revieren Fohnsdorf und Trifail/Trbovlje, war schon 1917 wegen der „Spanischen Grippe“ zusammengebrochen. Mit enormen Folgen für die Stahlwerke, die Industrie und die Haushalte. Die Veitscher Magnesitwerke produzierten gegen Kriegsende nur mehr ein Viertel von 1914.

Die Alpine Montan lieferte jede dritte Tonne österreichischen Stahls und versorgte die Rüstungsindustrie. Selbst erzeugte sie im Konzern Geschütze, Munition, U-Boot- und Flugzeugbestandteile. Der Abbau auf dem Erzberg erzielte 1916 den Rekord von gut fünf Millionen Tonnen. 4.000 Kriegsgefangene sollten diesen Wert halten. Doch auch am Erzberg sackte die Produktion im folgenden Winter dramatisch ab und betrug 1918 nur noch 2,9 Millionen Tonnen. Das Heer beanspruchte 90 Prozent des österreichischen Eisens, für den zivilen Bedarf blieb da praktisch nichts mehr übrig.

Ein bedeutender Teil der österreichisch-ungarischen Waffen wurde in der Steiermark produziert. So erzeugten im Grazer Raum die Andritzer Schrapnellköpfe, „Humanic“ Schuhwerk, Puch Fahrzeuge, die Weitzer Waggonfabrik Geschoßteile, Minenwerfer und Motoren, etwa für U-Boote, Lapp-Finze in Kalsdorf Granatteile, Trofaiach Munition und das Gussstahlwerk Judenburg Teile von Motoren, Fahrzeugen, Flugzeugen und großkalibriger Artilleriemunition. Das Feinblechwalzwerk Krieglach lieferte Rohmaterial für Stahlhelme und 10-cm-Granaten, Bleckmann in Mürzzuschlag Rohlinge für Feldhaubitzen und Teile für Schiffe und U-Boote. Böhler in Kapfenberg, groß­zügig erweitert, erzeugte anfangs Gewehrläufe, Munition und 30,5-cm-Granaten für die riesigen Motormörser. Später Feldkanonen und Feldhaubitzen, von denen bis Kriegsende etwa 3.000 Stück an die Truppe ausgeliefert wurden. Neben den Haubitzen produzierte die Waffenschmiede etwa fünf Millionen Artilleriegranaten, hunderte Minenwerfer, Millionen von Gewehrläufen sowie hunderttausende Stahlhelme und Schutzschilde. Damit stammte jedes vierte Geschütz der Monarchie aus Kapfenberg.

Die Finanzierung des Krieges bewerkstelligte die Monarchie über die Geldschöpfung, Werbeaktionen zur Ablieferung von Goldringen und Schmuck („Gold gab ich für Eisen“), das Einschmelzen von Kirchenglocken und über Kriegsanleihen, von denen bis 1918 insgesamt acht zur Zeichnung aufgelegt wurden. Nach dem Krieg waren die Anleihen völlig wertlos geworden. Man tapezierte damit Wände.

Während des Krieges war die Steiermark Aufnahmeland für rund 40.000 Kriegsgefangene geworden, zwei Drittel von ihnen „Russen“. Sie kamen, je nach Frontlage, in Schüben und wurden in die militärisch bewachten Lager wie Feldbach-Mühldorf, Lebring, Knittelfeld, Graz-Thalerhof, Trofaiach, Marburg/Ma­ri­­bor und Sternthal/Strnišče gebracht, ehe man sie, so­weit arbeitsfähig, zur Arbeit in der Landwirtschaft, Industrie oder im Bergbau einsetzte. Als Arbeitskräfte waren die Gefangenen bald unentbehrlich geworden.

Neben den Kriegsgefangenen kamen tausende Flüchtlinge ins Land. Für sie waren schnellstens Barackenlager zu errichten. Wagna für 17.000 Insassen (v.a. Küstenländer und Friulaner) wurde eines der größten der Monarchie. Den Hauptteil der Flüchtlinge im Lande stellten Italiener aus dem Küstenland, aus Triest und aus dem Kanaltal, die man schon vor dem Krieg verdächtigte, Spione zu sein und den Einheimischen die Arbeit wegzunehmen. Entsprechend gespannt war das Verhältnis mit den Einheimischen. Flüchtlinge arbeiteten generell in der Industrie und Landwirtschaft. Die Betreuung der Flüchtlingskinder und Jugendlichen wurde meist privat, oft von adeligen Familien und Stiftungen, organisiert.

Die Kriegsgefangenen und Flüchtlinge mussten versorgt werden, was in den Lagern nur noch mit Mindestrationen geschah. Dennoch: die Nahrung wurde sehr knapp, wozu auch schlechte Ernten beitrugen, die die Lebensmittel weiter verteuerten. Im Juli 1918 konnte man lediglich knapp die Hälfte des rationierten Bedarfes an Brot decken. Pferde mussten mit Tannenreisig gefüttert werden, das Vieh war abgemagert. Die Lebensmittelpreise explodierten. Trotzdem reichte die Milch nicht einmal für Säuglinge und Kinder, Fleisch und Mehl waren selten geworden. Das Mehl war gestreckt und damit minderwertig und die Zuteilungsrationen sanken mit dem Preisanstieg. „Hamsterfahrten“, der Eintausch von Familiensilber gegen Essbares, Großküchen und die Verschickung von Schulkindern in südliche Kronländer wurden alltäglich.

Wegen der zunehmenden Engpässe breiteten sich ab 1916 Hungerstreiks wie ein Flächenbrand über das ganze Land aus. 1917 begann sich die Spirale der Gewalt immer schneller zu drehen. Radikale Elemente wurden durch die Februar-Revolution und den Oktober-Putsch der Bolschewiki in Russland ermutigt. Die Streiks erfassten Großbetriebe wie Bleckmann oder die Eisenbahner in Knittelfeld. Im November 1917 organisierte die sozialdemokratische Partei in der ganzen Steiermark eine Welle von Massenversammlungen mit den Forderungen nach Frieden „ohne Annexionen und Reparationen“. Am 22. Jänner 1918 streikten in der Steiermark bereits 40.000 Arbeiter, 15.000 demonstrierten in Graz. Eine Woche streikten die Kohlearbeiter der Weststeiermark.

Nach den Arbeitern meuterten die Soldaten: Im Mai 1918 in Judenburg, in Murau und in Radkersburg. Die Standgerichte fällten zahlreiche Todesurteile. Viele starben mit slowenischen und Anti-Habsburg-Parolen auf den Lippen. Der Nationalitätenkampf, die Forderungen zum Austritt aus der Monarchie und das von US-Präsident Wilson verkündete Selbstbestimmungsrecht der Völker hatten gerade slowenische Soldaten zum Meutern angespornt. 1918 vollzogen slowenische Politiker endgültig die Abkehr vom Habsburgerstaat. Anton Korošec aktivierte Anfang 1918 die „Allslowenische Volkspartei“ für die Steiermark, Kärnten, Krain und das Küstenland, die jede Kompromiss- und Etappen­lösung kategorisch ablehnte. Mitte August 1918 ver­banden sich in Laibach/Ljubljana alle Parteien zum Slowenischen Volksrat unter Korošec. Der Rahmen zur Loslösung ohne Rücksicht auf die deutschen Sprachinseln war geschaffen. Slowenische Lehrer und Geistliche beteiligten sich daran führend und brachten bald auch die Bauern auf ihre Seite. Dazu hatte auch die deutsche Seite beigetragen, wo offen über einen Anschluss der Alpenländer an das Deutsche Reich spekuliert wurde. Vor diesem Hintergrund bildeten sich in der Untersteiermark auch deutsche Volksräte, weil man einen Ausverkauf deutsch-untersteirischer Interessen im Zuge der Verhandlungen mit südslawischen Repräsentanten befürchtete.

Das Land war vor dem Staate da: Der Beitritt der Steiermark zu „Deutsch-Österreich“

Wegen der drohenden Hungersnot, den Meutereien und Streiks trafen Mitte Oktober 1918 Vertreter der Wirtschaft und der Arbeiter zu Verhandlungen zusammen, um den kaiserlichen Statthalter Manfred von Clary-Aldringen abzusetzen und die Landesverwaltung in Eigenregie zu übernehmen, was am 20. Oktober durch einen 24-köpfigen Wohlfahrtsausschuss aus Deutschnationalen, Sozialdemokraten und Christlichsozialen und mit einem 12-köpfigen Exekutiv­komitee auch gelang. Die Anti-Wien-Stimmung und der Appell zur Selbsthilfe fanden breite Zustimmung. Der Sozialdemokrat Johann Eisler und GKB-Chef Viktor Wutte (Großdeutsch) wurden zu Wirtschaftskommissaren ernannt und an die...

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