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E-Book

Steinbrück

Biographie

AutorEckart Lohse, Markus Wehner
VerlagVerlagsgruppe Droemer Knaur
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl368 Seiten
ISBN9783426416662
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis4,99 EUR
Peer Steinbrück ist der beliebteste Oppositionspolitiker. Sein Freund Helmut Schmidt hat ihn bereits zum Kanzlerkandidaten ausgerufen. Unvergessen ist sein Auftritt beim Ausbruch der Finanzkrise. Steinbrück, damals Finanzminister, und Kanzlerin Merkel retteten die Banken, steuerten Deutschland auf einem Kurs, der die Arbeitsplätze sicherte, die Wirtschaft am Leben erhielt. Doch der Hamburger mit der unverblümten Sprache hat noch keine Wahl für die SPD gewonnen. Im Gegenteil. Als Ministerpräsident verlor Steinbrück das traditionell rote Nordrhein-Westfalen an die CDU. Was kann er wirklich? Was hat der studierte Volkswirt, dessen Vorfahren die Deutsche Bank mitgegründet haben, in seinen Lehrjahren unter Kanzler Helmut Schmidt und später bei Johannes Rau gelernt? Wird er der neue Kanzler? Eckart Lohse und Markus Wehner haben ihn genau angeschaut und erzählen seine Lebensgeschichte, beschreiben seine Stärken und seine Schwächen.

Eckart Lohse wurde am 10. März 1963 in Göttingen als jüngstes von drei Kindern geboren. Er hatte keine Chance, seinen Geburtsort zu seiner Heimatstadt zu machen, da die Eltern schon bald nach Frankfurt übersiedelten, von da nach Dortmund und weiter nach Bonn. Dort machte der Protestant sein Abitur an einem katholischen altsprachlich-humanistischen Gymnasium. Der Wehrdienst führte in den Harz, anschließend an den Bodensee und schließlich nach Andernach am Rhein. Studium von Politikwissenschaft, Neuerer Geschichte und Romanischer Philologie in Bonn. In Paris und München schrieb er eine Dissertation über Frankreich und die deutsche Teilung in den fünfziger Jahren. Neben dem Studium erfuhr er als Lokalberichterstatter bei verschiedenen Zeitungen viel über das Wesen der Politik. Auf einen Abstecher zum Deutschlandfunk folgte das Volontariat bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Danach vom Januar 1994 bis zum April 1996 in der politischen Nachrichtenredaktion. Wechsel ins Bonner Büro der F.A.Z., wo er bis zum Umzug der Bundesregierung vor allem über die Grünen, die SPD, die Außen- und die Bildungspolitik schrieb. Im Sommer 1999 nach Berlin, seit Dezember 2003 Leiter des Büros der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Verheiratet, zwei Kinder.

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Leseprobe

Kapitel 1


Herkunft, Jugend, Familie

Ein Nachkriegskind


Es ist der Hungerwinter 1946/47, einer der kältesten Winter in Deutschland seit langem. Schon im November sinken die Temperaturen auf null Grad, Kälterekorde gibt es im Dezember und im Januar. Die Städte Deutschlands sind zerstört, Millionen Flüchtlinge und Vertriebene aus dem Osten suchen eine Bleibe. Es fehlt an Unterkünften, an Kohle, oft gibt es keinen Strom, die Versorgungslage ist katastrophal. Das, was es auf Lebensmittelkarten gibt, reicht kaum zum Überleben. Die Tage sind davon bestimmt, das Allernotwendigste zu besorgen. In den Großstädten ist die Lage besonders schlimm. Zehntausende werden diesen Winter nicht überleben.

An einem dieser Wintertage, es ist der 10. Januar 1947, wird Peer Steinbrück in Hamburg geboren. Das Thermometer steigt nicht über minus acht Grad, die Stadt erlebt eine Kältewelle, die von November bis Mitte März andauert. 85 Menschen fallen in Hamburg in diesen Wintermonaten dem »Schwarzen Hunger« und dem »Weißen Tod« zum Opfer. Der Krieg hat auch die Familie Steinbrück hart getroffen. Herbert Steinbrück, der Großvater des gerade geborenen Peer, kommt nicht zurück. Er ist als vermisst gemeldet. Noch im Februar oder März 1945 war er eingezogen worden, sollte sich mit hundert Mann den anrückenden Russen entgegenstellen. Später erfährt die Familie, dass er sich geweigert haben soll, diesen sinnlosen Auftrag auszuführen – deshalb sei er in einem Schnellverfahren bei Swinemünde hingerichtet worden.[2]

Vater Ernst Steinbrück kommt schon im Herbst 1945 aus britischer Kriegsgefangenschaft nach Hamburg. Er ist Marineoffizier, hat den Krieg als Kommandant eines Vorpostenboots mit rund hundert Mann Besatzung erlebt. In norwegischen Gewässern ist er von der Royal Navy gefangen genommen worden. Die Briten behandeln ihn anständig, lassen ihm Boot und Mannschaft, dafür muss er Transportfahrten für sie durchführen. Ein Offizierstyp ist Ernst Steinbrück, der aus Pommern stammt, eigentlich nicht, aber seine nautischen Kenntnisse sind gut, schon als Junge war er ein begeisterter Segler.

Geboren wird Ernst Steinbrück 1914 in Danzig, er besucht in Stettin die Oberrealschule und macht dort 1933 Abitur. Zum Studium des Städtebaus geht er an die Technische Hochschule Danzig, doch wegen des Kriegs kann er es nicht abschließen. 1942 lernt er auf der Insel Usedom, wo er in Heringsdorf einen Teil seiner Kindheit verbracht hat, seine zukünftige Frau Ilse Schaper, die Tochter eines Hamburger Kaufmanns, kennen. Sie beschließen, im Sommer 1943 in Hamburg zu heiraten. Doch Ende Juli und Anfang August des Jahres wird die Hansestadt durch eine Serie von Angriffen britischer und amerikanischer Bomber im Zuge der »Operation Gomorrha« hart getroffen. Es sind die bisher schwersten Luftangriffe des Krieges. Ernst Steinbrück und seine Braut flüchten aus dem brennenden Hamburg nach Stettin. Dort findet die Hochzeit statt.

Ernst Steinbrück teilt nach dem Krieg das Schicksal von Millionen Deutschen, die Vertreibung aus dem Osten. 1944 hat er noch einmal Stettin besuchen können, sein Elternhaus findet er bereits zerbombt vor. Den Verlust der Heimat in Pommern verwindet er nur schwer, auch wenn er sich nicht in Heimatverbänden engagiert. Im Jahr 1975, er ist damals schon über 60 Jahre alt, bedankt er sich in einem Leserbrief an das »Hamburger Abendblatt« für einen Artikel mit dem Titel »Wiedersehen mit Pommern nach 33 Jahren«, in dem die Orte seiner Kindheit beschrieben sind. Sein letztes Wiedersehen mit Stettin liege nun 31 Jahre zurück, und seitdem habe er es, »obgleich die Angebote in großer Zahl vorliegen«, nicht vermocht, »diese Gefilde einer glücklichen Jugend wiederzusehen«. Deshalb bedeute ihm der Artikel »unsagbar viel«.[3] Später unternimmt er eine Reise nach Polen, zeigt sich beeindruckt von der Renovierung der Stadt Danzig.

Zurück in die Nachkriegsjahre. Die Familie Steinbrück wohnt in einem Mietshaus am Schrötteringksweg auf der Uhlenhorst an der Außenalster, einem der besseren Viertel der Stadt. Das Milieu ist liberal und bürgerlich. Viereinhalb Jahre nach der Geburt des Sohnes Peer wird sein Bruder Birger geboren. Vater Ernst Steinbrück hat in Hamburg sein Studium abgeschlossen. Er arbeitet zunächst als freier Architekt, entwirft etwa das Gebäude der Gothaer Versicherung an der Alster. Später schwenkt er darauf um, Schadensgutachten für Gebäude zu erstellen – er schätzt sich selbst als mäßig originellen Architekten ein.

Das passt zu seinem Naturell. Er ist ein dem Leben gegenüber eher defensiv eingestellter Mann, zurückhaltend, introvertiert und künstlerisch veranlagt. Eine dominante Vaterfigur ist Ernst Steinbrück für seinen Sohn Peer und dessen Bruder nicht, ja, die Jungen hätten sich manchmal einen stärkeren Vater gewünscht. Zugleich schränkt er sie in ihrer Entfaltung nicht ein. Ernst Steinbrück stirbt mit Mitte 80 im Jahre 1998.

Dominiert wird die Familie von Mutter Ilse, einer großen, blonden, gutaussehenden Frau. Sie prägt Peer Steinbrück stärker als der Vater. Im Charakter unterscheidet sie sich erheblich von ihrem Ehemann, ist temperamentvoll, extrovertiert und herausfordernd. Wegen ihrer dänischen Mutter verbringt sie als junge Frau in den dreißiger Jahren ein gutes Jahr bei Verwandten in Dänemark und Schweden. Sie lernt dort Schneiderin und Hutmacherin. Für die jugendliche Ilse Schaper sind die Monate in Skandinavien eine außerordentlich wichtige Zeit, sie erlebt dort ein liberales Umfeld, ganz anders als Gleichaltrige in Deutschland. Als sie 1939 im Alter von 20 Jahren nach Deutschland zurückkommt, empfindet sie die Verhältnisse als bedrückend. Sie habe »mehr als nur eine Aversion gegen die Nazis« gehabt, sagt ihr Sohn. Der Bund Deutscher Mädel (BDM), wie die weibliche Hitlerjugend sich nannte, das Verbot von Jazzmusik, die Atmosphäre, in der kritische Worte gegen das Regime verboten sind – das alles findet die junge Ilse befremdend und empörend. Im Freundeskreis bekommt sie schnell mit, dass die Juden in Deutschland verfolgt werden. Einigen ihrer jüdischen Freunde gelingt es, Deutschland rechtzeitig zu verlassen. Später sieht sie die Waggons am Bahnhof in Hamburg, in denen die Juden der Stadt nach Osten in die Konzentrationslager transportiert werden.

Nach dem Krieg empfindet Ilse Steinbrück die Adenauer-Zeit als verlogen und muffig, die Verbrechen der Nazis werden allerorten verdrängt. Sie habe nicht hinnehmen wollen, so sagt Peer Steinbrück, dass viele Deutsche, die von der Judenverfolgung wussten und sie mit eigenen Augen erlebt hatten, nun so taten, als sei das alles gar nicht geschehen. »Diese Verleugnung wollte sie nicht akzeptieren. Diese Haltung hat die Erziehung von mir und meinem Bruder geprägt.«[4] Die Mutter rebelliert gegen diese Selbstgerechtigkeit eines Bürgertums, zu dem sie selbst gehört, sie liebt es auch, den agent provocateur zu spielen.

Ein sozialdemokratisches Elternhaus hat Peer Steinbrück nicht. Sein Vater ist eher konservativ, er schätzt Adenauer, wählt bis 1965 CDU. Erst 1969 entscheidet er sich für die SPD und ihren Kanzlerkandidaten Willy Brandt. So ist es wohl auch bei Mutter Ilse gewesen, wenn auch in der Familie der »Verdacht« besteht, sie könne schon früher als ihr Ehemann SPD gewählt haben. Berichte darüber, dass seine Mutter ihn zur SPD gebracht habe, stimmen für Peer Steinbrück allenfalls in einem übertragenen Sinn. Den Weg ihrer beiden Söhne und ihrer Enkelkinder kann Ilse Steinbrück lange begleiten und beobachten. Sie stirbt am 16. September 2011 in Hamburg, drei Tage nach ihrem 92. Geburtstag.

Neben der Mutter prägt den jungen Peer Steinbrück und seinen Bruder die dänische Großmutter, beide Buben hängen an ihr. Die für Deutschland ungewöhnlichen Vornamen Peer, eine dänische Form für Peter, und Birger gehen auf sie zurück. Die Großmutter stammt aus einer selbstbewussten dänischen Bürgerfamilie in Kopenhagen. Von dort wird die Familie Steinbrück unmittelbar nach dem Krieg mit Paketen versorgt, kann so die schwerste Zeit besser überstehen – ganz gemäß dem Wortspiel »Gut geht es Dänen und denen, denen Dänen nahestehen«. Im Jahre 1913 hatte die dänische Großmutter einen Hamburger Tabakhändler geheiratet, der mehrere Firmen besaß und der, so Peer Steinbrück, im Gegensatz zu seiner Frau »hanseatisch-korrekt« gewesen sei. Dessen Art habe seine Großmutter nur durch ihre Heiterkeit ertragen. Seinen eigenen trockenen Humor führt er maßgeblich auf die Großmutter zurück: »Sie hatte eine größere Leichtigkeit als der etwas schwerblütigere deutsche Teil unserer Familie.«[5] Die Mutter, sein Bruder und er hätten denselben Sinn für Komik und Ironie geerbt, während er dem Vater gefehlt habe, der sich dadurch zu Hause oft ausgegrenzt gefühlt, sich aber damit abgefunden habe.

Eine gewisse Leichtigkeit der Dänen, das Vermögen, über sich selbst lachen zu können, hat in der Familie Steinbrück eine große Rolle gespielt. Als Jungen haben Peer Steinbrück und sein Bruder in den fünfziger Jahren die Sommer oft bei Verwandten auf Jütland verbracht – damals, so erinnert er sich, brauchte man für Reisen...

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