Sie sind hier
E-Book

Stellen Sie sich vor, Sie sind …

Das Ein-Personen-Rollenspiel in Beratung, Coaching und Therapie

AutorRoger Schaller
VerlagHogrefe AG
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl265 Seiten
ISBN9783456755939
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis26,99 EUR
Das Rollenspiel ist auch im Einzelsetting ein wirksames Instrument für die Praxis - sei es in der Therapie, in der Beratung oder im Coaching. Ausgehend von aktuellen theoretischen Ansätzen beschreibt dieses Buch die Rahmenbedingungen, Grundregeln, Instrumente und Techniken von Ein-Personen-Rollenspielen. Es wird gezeigt, wie einige zentrale Rollenspiel-Techniken des Psychodramas (z.B. Leerer Stuhl, Rollenwechsel, Spiegeln, Skulptur, Rollenhaushalt) wirksam für Diagnostik, Problemklärung, Ressourcenaktivierung, Problembewältigung, Verhaltenstraining eingesetzt werden können. Wichtig sind vor allem entscheidende Grundregeln und Anleitungen, die aus einem mittelmäßigen Rollenspiel eine nachhaltige Lernerfahrung machen. Daher wird in diesem Buch ein besonderes Gewicht auf die Rahmenbedingungen gelegt: Wie führe ich ein Rollenspiel ein? Wie wird eine Rolle übernommen? Welche Rolle spiele ich als Therapeut? Welches sind die schlimmsten Fehler? Und wie wird ein Rollenspiel in den Beratungsprozess integriert und ausgewertet? In zahlreichen Fallbeispielen werden neben dem eigentlichen Rollenspiel - bei dem eine Person körperlich eine Rolle übernimmt, - auch imaginative - «Schliessen Sie die Augen und stellen Sie sich vor, Sie sind...», - und figurative Techniken - mit Figuren, Zeichnungen, Stühlen, Knöpfen etc. - vorgestellt. Die zweite Auflage wurde überarbeitet und mit diversen Aspekten ergänzt - wie mit einem Text zum Rollenspiel, der Beschreibung der Rollenübernahme oder einer Einführung in die Computerspiele als Bühne der Imagination.

Kaufen Sie hier:

Horizontale Tabs

Leseprobe

B Instrumente und Rahmenbedingungen

Szenisches Denken und Handeln

Wir erleben die Welt glücklicherweise nicht als chaotisches Flimmern und Rauschen, sondern als eine Abfolge von Ereignissen, die aufeinander bezogen werden. Diese Ereignisse fassen wir in Einheiten zusammen, die den Ereignissen einen Sinn geben: «Was geschieht mit einzelnen Ereignissen, die das Gehirn aus einem Meer unzähliger neuronaler Bewegungen mit einem Zeitnetz von etwa 30 ms herausgefischt hat: wie werden die Bausteine des Bewusstseins weiterverarbeitet? Um dieser Frage näherzutreten, muss man von einer ursprünglichen Erfahrung unseres Erlebens ausgehen, die so selbstverständlich ist, dass es fast peinlich ist, darauf hinzuweisen: Elementare Ereignisse werden nicht für sich allein stehend erlebt oder wahrgenommen, sie werden vielmehr aufeinander bezogen, so dass aufeinanderfolgende Ereignisse oder Gedanken jeweils eine Wahrnehmungsgestalt, also eine Einheit, bilden. Dieses Bezugnehmen zwischen dem Aufeinanderfolgenden ist deshalb möglich, weil das Gehirn einen zeitlichen Integrationsmechanismus bereitstellt, der automatisch für einige Sekunden alles, was geschieht, zu einer Einheit zusammenfasst.» (Pöppel 2006, S. 301)

Solche Wahrnehmungseinheiten können wir auch als Situationen bezeichnen. Das Leben ist ein Voranschreiten von Situation zu Situation. Situationen sind die «gerahmten Bilder», sie sind unsere episodischen Erfahrungen. Situationen werden erlebt und hinterlassen mit ihren Bedeutungen, Empfindungen und Gefühlen in unserem Körper irgendwo Spuren oder werden sogar als Erinnerungen aufbewahrt.

Therapie, Beratung und Coaching sind Wiederaufarbeitungen von erlebten oder fantasierten Situationen. Wir versuchen, die Klienten dazu zu bewegen, erlebte Situationen aus anderen Perspektiven zu sehen, ihren Sinn und ihre Bedeutung zu erkennen und neue Erklärungs- und Handlungsmöglichkeiten zu erkunden.

Wenn eine erinnerte oder fantasierte Situation anderen Personen erzählt oder vorgeführt wird, dann sprechen wir von einer Szene (vgl. Osten 2000, S. 78 f.). Die Szene war im griechischen Theater der Schauplatz der dramatischen Handlung. In der Theaterdramaturgie sind Szenen Unterteilungen des Theaterstücks in einzelne Abschnitte. Auch im Film sprechen wir von einer Abfolge von Szenen.

Das Rollenspiel beginnt in Therapie und Beratung immer mit dem Erzählen einer Situation: Der Klient berichtet beispielsweise, dass er letzte Woche ein schwieriges Gespräch mit einem Mitarbeiter geführt hat. Durch diese Erzählung wird die Situation zu einer Szene: Diese ist nicht die Situation, die real stattgefunden hat, sondern ein Bild der Situation, so wie es der Klient erinnert und so wie er es mitteilen will. Auf die Erzählung folgen die Bestimmung eines Spielorts und der Szenenaufbau. Die Szene muss eine Bühne enthalten, sei dies eine eigentliche Theaterbühne oder eine imaginative innere Bühne. Die Bühne ist ein unverzichtbares Instrument des Rollenspiels. Ist der Spielort definiert, kann die Szene aufgebaut werden, mit materiellen Requisiten oder imaginativ («Stellen Sie sich vor, da ist die Türe, hier der Bürotisch …»).

Mit der Bühne und dem Szenenaufbau wird immer implizit eine entscheidende Simulation vorgenommen: «Wir tun so, als ob wir jetzt in Ihrem Büro wären und der Konflikt …» Und dies führt uns automatisch auch zum nächsten Schritt im Rollenspiel: der Übernahme einer Rolle und dem eigentlichen Rollen-Spiel. Nach der Spielphase folgt eine Auswertung mit Feedback aus der Rolle (z.B. «Ich habe mich in dieser Rolle hilflos und bedürftig gefühlt»), Selbstbeurteilung durch den Rollenspieler (z.B. «Es ist mir schwergefallen, mich in diese Rolle hineinzuversetzen») und Rückmeldung durch den Leiter (z .B. «Ich habe Sie in dieser Rolle nicht als erwachsene Person wahrgenommen, vielmehr als kleines Kind»).

In den folgenden Abschnitten werden die zentralen Instrumente des Rollenspiels vorgestellt:

  • Bühne und Szenenaufbau;
  • so tun, als ob;
  • Rollenübernahme;
  • sich in eine Rolle eindenken und einfühlen;
  • Umsetzung der Rollenübernahme in Handlung:
  • Hier-und-jetzt-Rollenspiel;
  • Szenenwechsel;
  • Auswertung;
  • Rolle der Leitung.

Während der eigentlichen Spielphase können verschiedene Techniken eingesetzt werden, um die Wirksamkeit des Rollenspiels zu erhöhen.

Die Bühne

Moreno schreibt: «Das erste Werkzeug ist die Bühne. Sie umgibt den Patienten mit einem überdimensionalen und äußerst beweglichen Lebensraum. Der Lebensraum der Wirklichkeit ist oft eng und beengend. Auf der Bühne kann der Patient sich wiederfinden, sei es durch Befreiung von unerträglichem Druck oder durch die Freiheit für Ausdruck und Erlebnis. Der Bühnenraum ist eine Erweiterung des Lebens über das wirkliche Leben hinaus.» (Moreno 2008, S. 77)

Der Therapieraum an sich ist bereits eine Art «Bühne», die es dem Klienten ermöglicht, außerhalb des alltäglichen Lebens über das Leben zu reflektieren. Wenn der Klient die «Bühne der Therapie», also den Therapieraum, betritt, hat er bereits eine erste Spielrolle übernommen: Er betritt in seiner Rolle als «Kranker» oder «Beratung Suchender» den Raum, und damit wird bereits ein entscheidender Rahmen gesetzt: Hier drinnen wird Therapie oder Beratung durchgeführt.

«Indem der Patient dem Therapeuten seine Beschwerden berichtet und sie interaktiv reproduziert, wiederholt er sie nicht bloß, sondern zeigt sie vor. Wiederholung im therapeutischen Raum ist also gerade nicht einfach Reproduktion, sondern Exposition einer Störung. Die Handlung gewinnt neuen Sinn: ‹So verhalte ich mich› – und nimmt damit eine Metaebene ein gegenüber dem, was im alltäglichen Sichverhalten lediglich agiert wird. Damit ist eine Lücke geöffnet in der Hermetik des pathologischen Zirkels: Der Patient, der sein Symptom im Modus des Vorzeigens wiederholt, demonstriert ein erstes Moment der Distanzierung.» (Brücher 2005, S. 294) Dieses Vorzeigen der Symptome in der Besprechungssituation ist an sich bereits eine Art spontanes Rollenspiel. Der Therapieraum ist demzufolge bereits eine Art Spielraum. Daher ist es notwendig, den Besprechungsort vom Rollenspielort zu unterscheiden und eine Spielbühne einzurichten. Sie stellt dem Darsteller einen lebendigen Raum für das imaginative, figurative oder körperliche Rollenspiel zur Verfügung. Wichtig ist, dass immer eine räumliche und zeitliche Klammer geschaffen wird, in welcher das Rollenspiel stattfindet.

Die innere Bühne

Im imaginativen Rollenspiel kann die Bühne eine innere Bühne sein: Der Klient lässt in seiner Vorstellung ein inneres Bild auftauchen. Findet die Imagination im Sitzen statt, so lade ich den Klienten ein, seinen Stuhl etwas zu verschieben. Findet die Imagination im Stehen oder liegend statt, ist die räumliche Klammer durch die Körperposition gegeben. Die zeitliche Klammer wird durch die Anleitung bei der Lenkung der Aufmerksamkeit gegeben: «Lenken Sie Ihre Aufmerksamkeit auf die Atmung … Und nun kommen Sie mit der Aufmerksamkeit zurück in diesen Raum.»

Als Beispiel für das Arbeiten auf der imaginativen inneren Bühne sei die Fantasiereise Baum-Imagination dargestellt. Bei dieser zur Ressourcenförderung oft eingesetzten Rollenspiel-Imagination ist sozusagen der eigene Körper die Bühne:

«Stellen Sie sich so hin, dass es gemütlich ist, die Füße in leichter V-Stellung, Knie entspannen, die Wirbelsäule etwas aufspannen, die Schultern nach außen unten fließen lassen, die Arme loslassen, den Kopf hoch. Lenken sie Ihre Aufmerksamkeit auf die Atmung. Spüren Sie, wie die Luft durch die Nase in den Körper kommt, in Brust und Bauch. Und atmen Sie durch den Mund wieder ruhig aus. Stellen Sie sich eine Landschaft vor, die Ihnen gefällt und wo Sie sich wohlfühlen. Das kann eine Landschaft sein, die Sie kennen, oder eine, die Sie nun gerade erschaffen. Stellen Sie sich in dieser Landschaft einen Baum vor, der Ihnen gefällt. Sie können ihn anschauen – wie sieht er aus? Sein Stamm, seine Krone, seine Umgebung. Und wenn Sie wollen, dann können Sie sich vorstellen, dass Sie dieser Baum sind. Und als Baum erleben Sie Ihre Wurzeln, die fest in der Erde vergraben und verzweigt sind. Die Wurzeln, die die Nahrung aus dem Boden aufnehmen. Und der kräftige und flexible Stamm, der eine starke Rinde hat. Und Sie können die Äste fühlen, kräftig verzweigt, immer feiner werdend. Und mit den Blättern oder Nadeln können Sie die Kraft der Sonne aufnehmen. Lassen Sie die Atmung durch den ganzen Baum gehen, von den Blättern zu den Wurzeln und zurück. Und für den Abschluss dieser Baum-Imagination gönnen Sie sich, als Baum, zwischen Himmel und Erde, einfach etwas Ruhe: da stehen wie ein Baum und nichts tun müssen. Bleiben Sie einen Moment einfach so da. Und nun kommen Sie mit der vollen Aufmerksamkeit zurück in den Raum.»

Blattbühne

Der Klient spricht über sein Problem. Der Coach fragt ihn ganz konkret, wann und wo er dieses Problemverhalten in letzter Zeit erlebt habe. Wenn sich der Klient an ein konkretes Erlebnis erinnert, nimmt der Coach ein weißes Blatt Papier und sagt: «Stellen Sie sich vor, dies ist ein Foto dieser Situation. Stellen wir uns vor: Es wurde ein Schnappschuss gemacht, und auch Sie sind auf diesem Bild. Beschreiben Sie mir bitte dieses imaginäre Foto,...

Blick ins Buch

Weitere E-Books zum Thema: Angewandte Psychologie - Therapie

Lob des sozialen Faulenzens

E-Book Lob des sozialen Faulenzens
Motivation und Leistung beim Lösen komplexer Probleme in sozialen Situationen Format: PDF

Soziales Faulenzen bezeichnet einen Motivationsverlust, der bisher meist als eine negative Folge kollektiven Arbeitens betrachtet wurde. Die vorliegende experimentelle Studie zeigt dagegen, dass im…

Lob des sozialen Faulenzens

E-Book Lob des sozialen Faulenzens
Motivation und Leistung beim Lösen komplexer Probleme in sozialen Situationen Format: PDF

Soziales Faulenzen bezeichnet einen Motivationsverlust, der bisher meist als eine negative Folge kollektiven Arbeitens betrachtet wurde. Die vorliegende experimentelle Studie zeigt dagegen, dass im…

Psychologie 2000

E-Book Psychologie 2000
Format: PDF

Der 42. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Psychologie bedurfte dank der bedeutungsträchtigen Jahreszahl keines besonderen Mottos – es war der Kongreß "Psychologie…

Psychologie 2000

E-Book Psychologie 2000
Format: PDF

Der 42. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Psychologie bedurfte dank der bedeutungsträchtigen Jahreszahl keines besonderen Mottos – es war der Kongreß "Psychologie…

Ernährungspsychologie

E-Book Ernährungspsychologie
Eine Einführung Format: PDF

Essen und Trinken beherrschen unser Leben und unser Denken. Die Ernährungswissenschaft erforscht die nutritiven Lebensgrundlagen des Menschen und weiß inzwischen sehr genau, wie sich der…

Ernährungspsychologie

E-Book Ernährungspsychologie
Eine Einführung Format: PDF

Essen und Trinken beherrschen unser Leben und unser Denken. Die Ernährungswissenschaft erforscht die nutritiven Lebensgrundlagen des Menschen und weiß inzwischen sehr genau, wie sich der…

Weitere Zeitschriften

Archiv und Wirtschaft

Archiv und Wirtschaft

"Archiv und Wirtschaft" ist die viermal jährlich erscheinende Verbandszeitschrift der Vereinigung der Wirtschaftsarchivarinnen und Wirtschaftsarchivare e. V. (VdW), in der seit 1967 rund 2.500 ...

aufstieg

aufstieg

Zeitschrift der NaturFreunde in Württemberg Die Natur ist unser Lebensraum: Ort für Erholung und Bewegung, zum Erleben und Forschen; sie ist ein schützenswertes Gut. Wir sind aktiv in der Natur ...

FREIE WERKSTATT

FREIE WERKSTATT

Die Fachzeitschrift FREIE WERKSTATT berichtet seit der ersten Ausgaben 1994 über die Entwicklungen des Independent Aftermarkets (IAM). Hauptzielgruppe sind Inhaberinnen und Inhaber, Kfz-Meisterinnen ...

BIELEFELD GEHT AUS

BIELEFELD GEHT AUS

Freizeit- und Gastronomieführer mit umfangreichem Serviceteil, mehr als 700 Tipps und Adressen für Tag- und Nachtschwärmer Bielefeld genießen Westfälisch und weltoffen – das zeichnet nicht ...

Card Forum International

Card Forum International

Card Forum International, Magazine for Card Technologies and Applications, is a leading source for information in the field of card-based payment systems, related technologies, and required reading ...

dental:spiegel

dental:spiegel

dental:spiegel - Das Magazin für das erfolgreiche Praxisteam. Der dental:spiegel gehört zu den Top 5 der reichweitenstärksten Fachzeitschriften für Zahnärzte in Deutschland (laut LA-DENT 2011 ...

elektrobörse handel

elektrobörse handel

elektrobörse handel gibt einen facettenreichen Überblick über den Elektrogerätemarkt: Produktneuheiten und -trends, Branchennachrichten, Interviews, Messeberichte uvm.. In den monatlichen ...