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Sterbebegleitung von Menschen mit geistiger Behinderung

Im stationären Kontext

AutorMartina Woodgate-Bruhin
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl70 Seiten
ISBN9783640854158
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
Bachelorarbeit aus dem Jahr 2010 im Fachbereich Soziale Arbeit / Sozialarbeit, Note: 1.5, Fachhochschule St. Gallen, Sprache: Deutsch, Abstract: Aufgrund einer multifaktoriell bedingten Zunahme älterer Bewohnerinnen und Bewohner sehen sich Organisationen im stationären Kontext von Menschen mit einer geistigen Behinderung zunehmend vor neuen Herausforderungen und Fragen gestellt. Eine Frage stellt sich, wie sie dort lebenden Menschen am Ende ihres Lebens angemessen begleiten können. Eine gesellschaftliche Ausgrenzung und Verdrängung der Themen Sterben und Tod haben Auswirkungen für Betroffene. Damit sich eine Verdrängung nicht zwangsläufig auf die Lebenswelt von Organisationen auswirkt, stellen sich neue Anforderungen, wenn es darum geht, ein würdevolles Sterben zu ermöglichen. Betreffend Menschen mit einer geistigen Behinderung im Sterbeprozess benötigt es spezifische Fachkenntnisse von Menschen mit einer geistigen Behinderung zur Eruierung der spezifischen Bedürfnisse im Zusammenhang des Themas. Organisationen im stationären Kontext sind angehalten sich mit den Themen Sterben und Tod auseinanderzusetzen, um eine Sterbekultur innerhalb der Organisation zu konzeptionieren. Dabei bietet die Sozialpädagogik einen wichtigen Beitrag.

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Leseprobe

2. Geistige Behinderung


 

Der Begriff „geistige Behinderung“ wird erst seit Ende der fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts verwendet. Damit ist lediglich die Einführung eines Begriffes gemeint (vgl. Meyer, 2003, S. 4).

 

Menschen, denen es aufgrund kognitiver und intellektueller Beeinträchtigung nicht möglich ist, ihre Interessen und Bedürfnisse ohne Unterstützung zu artikulieren und durchzusetzen, hat es immer gegeben. Menschen, deren uneingeschränkten Lebensrecht niemals zugestanden worden ist und die von der Gunst und dem Wohlwollen der Mitmenschen abhängig gewesen sind. Noch bis zum Ende des 19. Jahrhunderts wurden Kinder mit einer geistigen Behinderung als bildungsunfähig beurteilt. Diese Entwicklung hatte ihren negativen und traurigen Höhepunkt während des Nationalsozialismus, wo Tausende dieser getötet wurden. Zu jener Zeit wurden Betroffene als lebensunwerte Menschen bezeichnet (vgl. Meyer, 2003, S. 4).

 

Gegenwärtig gibt es keine eindeutige und allgemein akzeptierte Definition für „geistige Behinderung“, da Menschen mit geistiger Behinderung keine einheitliche Gruppe mit fest umschriebenen Eigenschaften bilden. Der Begriff „geistige Behinderung“ dient als eine Art Sammelbezeichnung für vielfältige Erscheinungsformen und Ausprägungsgrade intellektueller Einschränkungen und affektiven Verhaltens. Medizinisch orientierte Definitionen sprechen von einer Minderung oder Herabsetzung der maximal erreichbaren Intelligenz. Auch die internationale Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme bezeichnet dieses Phänomen als Intelligenzminderung. Die WHO hat im Mai 2001 ihr klinisch-psychologisch orientierten Klassifikationskonzept „international classification of functioning disability and health“ (ICF) angenommen. Anhand der ICD- 10 festgestellten Intelligenzminderungen werden in der ICF als Folge auf die Bereiche der Körperfunktionen und Körperstrukturen, der Aktivitäten und der Partizipation (vgl. WHO, 1999, S.13 zit. in Meyer, 2003, S. 17).

 

Anhand derartiger Diagnosen werden zielgerichtete, kompensierende Massnahmen wie beispielsweise besondere Beschulungsmöglichkeiten oder technische Unterstützung benötigt.

 

(vgl. Meyer, 2003, S. 16-19) . Meyer kritisiert an den Klassifikationssystemen die mangelnde Sensibilität hinsichtlich der Bedeutung der Diagnose „geistige Behinderung“. Für die Betroffenen sowie deren Angehörigen wird ein Bild von Menschen mit geistiger Behinderung vermittelt, das vielen Betroffenen nicht gerecht wird und diese unnötigen sozialen Diskriminierungen aussetzt (vgl. Meyer, 2003, S. 5).

 

Im Rahmen dieser Arbeit wird der Begriff Menschen mit einer geistigen Behinderung verwendet. Der Begriff Mensch steht bewusst an erster Stelle.

 

2.1 Bezeichnung der Schweregrade geistiger Behinderung


 

Bezeichnend für klinisch-psychologische Klassifikationssysteme (beispielsweise die ICD- Klassifikation der WHO) zur Diagnose der geistigen Behinderung gehen von der Annahme aus, dass diese gekennzeichnet ist durch eine Beeinträchtigung in den Bereichen Intelligenz und soziale Anpassung, sowie eine Diagnose erstmalig im Kindes- oder Jugendalter festgestellt worden ist. Um die Bezeichnungen leichte, mittelgradige, schwere, schwerste Intelligenzverminderung bzw. geistige Behinderungen inhaltlich abgrenzen zu können, werden deren Merkmale anhand des ICD-10 der WHO erklärt. Bei Menschen mit einer leichten Intelligenzminderung bzw. geistiger Behinderung ist die Sprachentwicklung verzögert. Die Sprache ist meist in einem für das tägliche Leben, einem alltäglichen verbalen Austausch, ausreichend ausgebildet. In der Regel besteht eine volle Unabhängigkeit in der Selbstversorgung und in praktischen und häuslichen Tätigkeiten. Betroffene Menschen haben Probleme beim Lesen und Schreiben, sind jedoch fähig angelernte bzw. ungelernte Hausarbeiten auszuführen (vgl. Meyer, 2003, S. 16).

 

Bei Menschen mit einer mittelgradigen Intelligenzminderung bzw. geistige Behinderung besteht eine verlangsamte Entwicklung des Sprachverständnisses und des Sprachgebrauchs. Zudem sind Betroffene in den Bereichen der Selbstversorgung und der Motorik beeinträchtigt. Häufig benötigen sie eine lebenslange Beaufsichtigung. Bei einer schweren Intelligenzminderung bzw. geistigen Behinderung besteht eine deutlich ausgeprägte motorische Schwäche. Allgemein besteht eine schwerere Ausprägung als bei einer mittelgradigen geistigen Behinderung. Menschen mit einer schwersten Intelligenzminderung bzw. geistige Behinderung können Aufforderungen und Anweisung in der Regel nicht verstehen. Zudem haben sie eine stark eingeschränkte Bewegungsfreiheit. Die Kommunikation besteht in einfacher nonverbaler Kommunikation und jene Menschen sind auf ständige Hilfe und Anwesenheit anderer Menschen ohne geistige Behinderung angewiesen (vgl. Meyer, 2003, S. 16).

 

2.2 Besonderheiten der Entwicklung von Menschen mit geistiger Behinderung


 

Wie im vorigen Kapitel erklärt wurde, ist geistige Behinderung mit einer Beeinträchtigung im

 

Bereich der Intelligenz verbunden. In diesem Zusammenhang ergeben sich auch

 

Besonderheiten in der Entwicklung. Folgend wird zunächst auf den Entwicklungsverlauf eingegangen und darauf kurz die kognitive Entwicklung erklärt.

 

Der Begriff „Entwicklung“ wird in der Psychologie unterschiedlich definiert. Übereinstimmungen bestehen jedoch darin, dass „Entwicklung“ Veränderung eines Organismus bedeutet. Hobmayer et al. (1996) definieren folgendermassen: „Entwicklung ist eine gerichtete, zeitlich geordnete Reihe von miteinander zusammenhängenden Veränderungen des Erlebens und Verhaltens“. Die Veränderungen sind auf ein Ziel hingerichtet und können einzelnen Altersstufen zugeordnet werden (vgl. Hobmayer, 1996, S. 196).

 

Senckel (2003) meint, dass sich Menschen mit geistiger Behinderung nach denselben Prinzipien wie Menschen ohne geistige Behinderung entwickeln. Daher gilt auch für Menschen mit einer geistigen Behinderung die biologische Reifung der Funktionen als Grundlage für die psychische Ausdifferenzierung. Ebenso vollzieht sich ihre Entwicklung zum grossen Teil als wechselseitiger Interaktions- und Lernprozess im sozialen Zusammenhang. Dieser ist mithin vom Beziehungsangebot und von konkreten Anregungen abhängig. Gleichermassen folgen die einzelnen Entwicklungsschritte weitgehend einer sachimmanenten Logik. So werden beispielsweise zuerst Grundelemente wie Häuser mit Fenstern und Türen erst konstruiert, bevor Einzelheiten wie Türme gebaut werden. Der Entwicklungsfortschritt geschieht auch bei Menschen mit einer geistigen Behinderung stets in zwei gegenläufige Richtungen. Einerseits verfeinern sich die einzelnen psychischen Funktionen, sie werden voneinander unabhängiger und reichhaltiger strukturiert. So löst sich etwa das Denken zunehmend vom Handlungs- und Wahrnehmungszusammenhang und eine Vielfalt von Gefühlsschattierungen kann sich aus wenigen elementaren Emotionen entwickeln. Anderseits steht diesem Differenzierungsprozess eine Tendenz zur Zentralisation gegenüber. Parallel zu der steigenden Zahl abgegrenzter Einzelleistungen und Erlebnisqualitäten werden übergeordnete, zentrale Steuerungsfunktionen ausgebildet, die nun die ursprünglichen selbstständigen Funktionen koordinieren. Zugleich steht der Erweiterung von Fähigkeiten auch eine Tendenz zur Kanalisierung bei (vgl. Senckel, 2003, S. 81).

 

Allerdings kommt die Entwicklung bei Menschen mit einer geistigen Behinderung auf einem niedrigen Niveau zum Stillstand, wobei sich die einzelnen Funktionsbereiche in den seltenstens Fällen gleichmässig entfalten. Besonders sind diese im Bereich der kognitiven Fähigkeiten (Wahrnehmung, Denken und Sprache) zu verzeichnen (vgl. Senckel, 2003, S. 81).

 

Zudem betont Senckel, dass die Entwicklungsniveaus der verschiedenen Funktionsbereiche auseinanderklaffen und sich somit Menschen mit einer geistigen Behinderung keinem einheitlichen Entwicklungsstand zuordnen lassen. Allgemein kann gesagt werden, dass je leichter eine geistige Behinderung ist, desto ähnlicher ist deren Entwicklung zur Entwicklung eines Menschen ohne geistige Behinderung. Umso schwerer hingegen die Behinderung ist, desto grösser sind die Hemmnisse (vgl. Senckel, 2003, S. 82-83).

 

2.2.1 Folgen der Einschränkungen im kognitiven Bereich


 

Böhm (2005) definiert Kognition folgendermassen: „Kognition (lat.:erkennen) bezeichnet in Abhebung zu voluntativen und emotionalen Abhebung alle Prozesse, durch die ein Individuum Kenntnis von Gegenständen erhält bzw. sich seiner Umwelt bewusst wird, also Wahrnehmung, Erkennen, Vorstellen, Urteilen“ (S. 362). Folgend werden die Folgen der Einschränkung im kognitiven Bereich von Menschen mit einer geistigen Behinderung nach Senckel (2003) beschrieben. Senckel nennt, dass die geistige Behinderung meistens mit einer Schwäche der Reizverarbeitung einhergeht. Damit wird eine erschwerte Verarbeitung der Reize, die aus dem Körperinnern oder der Aussenwelt stammen, gemeint. Zudem fällt es Menschen mit einer geistigen Behinderung schwerer die Reize in sinnvolle...

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