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Sterben, Tod und Trauer in einer fortschrittlichen Gesellschaft

AutorBeatrice Bucher
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2007
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783638626248
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis35,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2006 im Fachbereich Soziale Arbeit / Sozialarbeit, Note: 1,3, Fachhochschule Mannheim, Hochschule für Sozialwesen, 135 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Sterben, Tod und Trauer in einer fortschrittlichen und modernen Gesellschaft! Wie modern und fortschrittlich sind wir im Umgang mit Sterben, Tod und Trauer tatsächlich? Diese Frage bildet die Grundlage sich aus verschiedenen Blickwinkeln und Sichtweisen der Thematik zu stellen. Den Blick möchte ich schärfen, Fragen und Impulse geben für die Auseinandersetzung mit dem Thema. Wissenschaftliche Erkenntnisse aus den Bereichen der Thanatologie, soziale anthropologische Theorien, psychologische Betrachtungen werden genauso hinzugezogen wie theologische Sichten und juristischen Vorgaben. Eine große Anzahl der genutzten Literatur ist aus praktischer Erfahrung von Menschen des Gesundheitswesens geschrieben, die aufgrund ihrer Erfahrungen in der Lage sind auf Kritisches wie Hilfreiches hinzuweisen, persönlich geführte Interviews ergänzen dieses Bild. Beginnend mit unserer sozialen Entwicklungsgeschichte, die den Einzelnen wie die gesellschaftlichen Vorgaben prägen, hinterfrage ich den Fortschrittsgedanken der modernen Medizin und unsere eigene Haltung dazu. Inwieweit wirken sich gesellschaftliche, medizinische und institutionelle Vorgaben auf die Menschen aus, die die Sterbenden pflegen und begleiten? Der Umgang mit Trauer, die Funktion von Riten, neue Tendenzen im Bestattungswesen, spiegeln zusätzlich die Vielfalt unserer individuellen wie gesellschaftlichen Prägung wider. Der Mensch ist nicht nur ein Körper der funktionieren muss, zum Menschsein gehört vieles mehr! Gerade wenn wir uns als fortschrittlich bezeichnen wollen. Die Einheit von Körper, Geist und Seele zu verleugnen kann nicht ohne Folgen bleiben. Am Ende meiner Ausführungen gehe ich näher auf die Hospizarbeit ein und finde über die Phänomenologie von Nahtoderfahrungen noch einmal die Brücke zwischen einer mögliche Bedeutung des Todes im Zusammenhang mit unserer eigenen und gesellschaftlichen Lebensgestaltung. Die Frage bleibt; wie fortschrittlich und modern wir nun tatsächlich sein wollen?! Durch das Sterben und den Tod werden wir zurückverwiesen auf die Gestaltung unseres Lebens! Der Mensch hat ein Recht in Würde zu leben und zu sterben! Dies fordert Verantwortlichkeit ein. Und vielleicht weichen wir gerade aus diesem Grund den existenziellen Frage aus, die der Tod für uns aufwirft.

Die Frage des Seins des Menschen beschäftigt mich intensiv. Wie ist das Sein des Menschen in unserer Gesellschaft definiert? Worin besteht der Wert eines Menschen, - in seinem Tun,- in seiner Nützlichkeit für die Gesellschaft? Was passiert - wenn diese Wertigkeit ins Wanken gerät? Was geschieht in ihm selbst wenn Vergänglichkeit und Wandel nicht übersehbar in sein Leben treten? Wie vollziehen sich Reifungsprozesse, wo finden sie ihre Grenzen und was können wir füreinander tun um uns in dieser Welt hilfreich zu begleiten? Inzwischen selbst erkrankt, wenn auch nicht lebensbedrohlich aber möglicherweise lebenslänglich, wurden meine theoretischen Gedanken zu meiner täglichen Praxis. Mich interessiert weiterhin die strukturelle und persönliche Dimension im Umgang mit Menschen die aus vorgegebenen gesellschaftlichen Strukturen fallen. Aktuelle Gedanken, Texte und Lyrik dazu auf meiner Homepage: lebenszeit-cfs.de Das Mysterium Leben, das Ringen um Erkenntnis und Verständnis wie Strukturen geworden sind, wie sie wurden - die Suche nach Öffnung, nach Wegen... ein Lebensweg immer gekoppelt im Kontext der jeweiligen Zeit und Kultur.

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Leseprobe

1.  Sterben, Tod und Trauer in einer fortschrittlichen und

modernen Gesellschaft

 

Der Mensch weiß um seinen Tod und trägt doch den Drang zu leben in sich. Dieser Zustand des Widerspruchs, zwischen Bewusstsein der Sterblichkeit und Drang nach Unsterblichkeit bildet nach Assmann einen „Faktor der Unruhe“ in der menschlichen Welt, der immer neue Lösungen erfordert. Eine Unmenge von Kulturen und Epochen haben so eine Vielfalt an Todesvorstellungen, Riten und Jenseitsvorstellungen hervorgebracht. Die Vielfalt dieser Vorstellungen steht ständig unter der Beeinflussung und Abhängigkeit verschiedener  Menschenbilder, unterschiedlicher Individualisierungsgrade, Gruppengrößen, Zeitbegriffe, Lebensvorstellungen von dauerhafter Wandlung bis hin zu Wunsch nach Kontinuität, verändern und prägen die Vorstellungen

über Tod und Sterben. (Assmann 2002:12)

 

1.1  Ist der Tod in der modernen Gesellschaft ein Tabu?


 

Stimmt es noch immer, was Frau Kübler-Ross vor 30 Jahren schon  bemängelte? Dass der Tod kein Thema ist, dass die Gesellschaft mit „ihrer Verehrung der Jugend und Orientiertheit am Fortschritt“ ihn übergeht? (Vgl. 1988:9)[1]

 

Über ein Tabu wird nicht gesprochen, weder kontrovers noch überhaupt.

Ein Tabu soll verschwiegen und verheimlicht werden, zum vermeintlichen Schutze (von wem?).

 

Ein Tabu soll auch nicht gesehen werden. Schwerlich lässt sich nun der Tod übersehen, wird er nun allenfalls verdrängt? Verdrängt wird was befürchtet wird, was mit Furcht belegt ist, was Angst auslöst weil es unbekannt oder unerwünscht ist. Verdrängtes kann aber wieder zurückgeholt werden, kann betrachtet werden, kann neu gefunden aber auch erneut ignoriert werden.

 

1.1.1  Verdrängungsthese; Für und Wider


 

Wird der Tod nun verdrängt oder nicht? In Anbetracht der vielfältigen Veröffentlichungen, der soziologischen wie psychologischen und medizinischen Interessen an und um den Tod herum lässt sich primär eine reine Verdrängungsthese nicht halten, wichtiger wäre den Fragen auf die Spur zu kommen, durch welche Gruppen oder Individuen bestimmte Todesbereiche tabuisiert, verdrängt, privatisiert oder bagatellisiert werden.

 

Worauf im Folgenden und allen nachfolgenden Kapiteln immer wieder und explizit eingegangen werden wird sind die nachfolgenden Argumentationsstränge, die Feldmann aus seiner soziologischen Sicht zusammengetragen hat.

 

Privatisierung

 

Sterben ist keine öffentliche Angelegenheit mehr, die moderne Privatsphäre umfasst nur noch wenige Menschen.

 

Bürokratisierung und Segregation

 

In der letzten Lebensphase findet  man sich eher in Krankenhäusern und Pflegeheimen wieder als zu Hause.

 

Exklusion der Sterbenden und Toten

 

Die Gesellschaft, vor allem in größeren Ballungszentren, legt keine Pause nach einem Sterbefall mehr ein, der Ablauf geht nahezu reibungslos weiter.

 

Emotionale Ablehnung und Professionalisierung

 

Sterbende und Tote werden eher abgesondert und professionellen Kräften überlassen

 

Verlust an Primärerfahrung

 

Durch die Verlängerung der Lebensdauer sterben Bezugspersonen oft erst im Erwachsenenalter, so entsteht ein Erfahrungsdefizit für den „Ernstfall“. Zudem werden Kinder oft von solchen Erfahrungen ferngehalten.

 

Kommunikationsdefizit

 

Schwerkranken und Sterbenden wird oft nur unter Zuhilfenahme der Sprache der kurativen Medizin begegnet oder ihnen ganz ausgewichen.

 

Entfremdung und Depersonalisation

 

Die Medikalisierung, Technisierung und Bürokratisierung im Umgang mit Sterbenden führt zur Reduktion persönlicher Zuwendung und Selbstgestaltungsmöglichkeiten des Sterbenden.

 

Partikularisierung des Todes

 

Die Illusion nur „andere Menschen sterben“ wie Schwerkranke und alte Menschen

 

Unsterblichkeitsillusionen

 

Der medizinische und technische Fortschritt nährt beständig die Hoffnung auf Heilung und ständige Lebensverlängerung

 

Marginalisierung der Rituale

 

Begräbnisse und Totenkulte sind in einer „modernen Gesellschaft“ eher peripher verankert.

 

Affektkontrolle

 

Trauer ist privatisiert und wird bei einer gewissen Überschreitung des „Standards“ als krankhaft bezeichnet

 

Strukturelle Verdrängung

 

Eine „öffentliche Sinngebung“ findet nicht statt

 

(Feldmann 2004:67-68)

 

Zu beobachten ist im Gegenzug dafür, der Versuch sich eine gewisse Kontrolle und Selbstgestaltung wieder anzueignen. „Nichtprofessionelle“ nehmen das medizinische System nicht mehr fraglos an, über die öffentliche Auseinandersetzung in Bezug auf Patientenverfügung, Entscheidung zum Suizid oder kontroverse Debatten über verschiedene Formen der Sterbehilfe bleibt das Thema (für den der möchte) nicht ungehört. Die Sinnfrage wird per Erziehung nicht mehr mitgeliefert, zur Eigengestaltung von Leben und Sterben ist individuelles Engagement erforderlich. Andere Kulturen und Religionsformen und ihre Lebens- und Todesvorstellungen können in das eigene Lebenskonzept miteinbezogen werden. Obwohl oder gerade weil die Sterbensrate in unserem persönlichen Umfeld geringer sein dürfte als in anderen Länder mit hoher Armut und Kriegswirren, wäre für uns (theoretisch) die Möglichkeit zu einer bewussten Trauerverarbeitung gegeben.

 

Trotzdem scheint es uns an Umgangsmöglichkeiten zu fehlen. Der Tod zeigt auf, dass Kontrolle, Sicherheit und Planbarkeit letztlich keinen Bestand haben. Der Tod erinnert nach (Kübler-Ross 1975:32) an die Verletzlichkeit des menschlichen Lebens, jedes individuellen Lebens. Er kümmert sich weder um Status noch um Besitz.

 

Bevor ich betrachten möchte was in unserer Gesellschaft an Umgangsweisen bezüglich des Sterbens vorliegt, möchte ich zunächst in diesem Kapitel einen Rückblick machen, wie Generationen vor uns nach Ansicht Ariés, einem französischen Historiker, mit Tod und Sterben umgingen. Welche Möglichkeiten standen ihnen offen, die sich im Laufe der Zeit, in der Hinentwicklung zu unserer aktuellen Gesellschaftsform doch sehr verändert haben.

 

1.2  Todesbilder im Wandel der Zeit


 

Todesbilder sind unterschiedlich, wandeln sich, verändern sich begleiten und prägen eine Gesellschaft.

 

Ariés geht in seinem Buch dem Versuch nach, den historischen Wurzeln des unterschiedlichen Umgangs mit dem Tod nachzuspüren.

 

1.2.1  Der ins Gegenteil verkehrte Tod – der Tod verbirgt sich


 

Ariés beschreibt diesen ins Gegenteil verkehrten Tod als einen sich verbergenden Tod. Er weist eindrücklich darauf hin, dass  im Laufe des 20. Jhd. in einigen der am stärksten industrialisierten, am weitesten urbanisierten und technisierten Bereichen der westliche Welt eine völlig neue Art und Weise des Sterbens hervorgetreten ist – und was zu sehen ist, sind seiner Meinung nach fraglos erst deren Anfänge. „In modernen Großstädten findet der Tod nicht mehr statt; und selbst die schwarz silbernen Leichenwägen wandeln sich zu unscheinbaren grauen Limousinen. Die Gesellschaft legt keine Pause mehr ein. Das Verschwinden eines Einzelnen unterbricht nicht mehr ihren kontinuierlichen Gang. Das Leben der Großstadt wirkt so, als ob niemand mehr stürbe.“ (Vgl. Ariés 1980:716)

 

Dabei sind es kleine Modifikationen, die sich über mehrere Generationen hingezogen haben. Eng verbunden mit der beginnenden Medikalisierung, der Hoffnung auf neue Heilverfahren, in der eher die Hoffnung propagiert wird als die Mitteilung des zu Ende gehenden Lebens. Ariés bezeichnet dies als den „Beginn der Lüge“ (1980:717). Der Versterbende wird in Unkenntnis über seinen bevorstehenden Tod gelassen. Der Wunsch den Tod nicht zu spüren, nimmt gegen das Gefühl, sein Ende nahe zu fühlen, zu. Aus „Liebe“ wird geschwiegen, aus Angst, vielleicht eigener Angst, wird Hoffnung aufrechterhalten. In vielen Fällen auch von Frau Kübler-Ross beschrieben, wussten die Sterbenden wie es um sie stand, hielten sich aber an das allgemeine Schweigegebot oder sprachen es nur bei den Menschen aus, bei denen sie davon ausgingen auch darüber sprechen zu können. Die Medikalisierung aber auch die Verlagerung Sterbender von den Familien in...

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