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Sterben und Tod in der Institution Altenheim - Eine qualitative Untersuchung zum Umgang mit Sterben und Tod bei Heimbewohnern und Pflegepersonal

Eine qualitative Untersuchung zum Umgang mit Sterben und Tod bei Heimbewohnern und Pflegepersonal

AutorMartin Wittenzellner
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2004
Seitenanzahl173 Seiten
ISBN9783638248679
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis39,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2003 im Fachbereich Pädagogik - Pädagogische Soziologie, Note: 1,0, Universität Regensburg (Pädgogik), Sprache: Deutsch, Abstract: Die Tatsache, dass die Versorgung Sterbender in enormem Maße an den Anstrengungen des institutionellen Personals ausgerichtet ist, führt häufig zu Problemen. Nicht nur die unzureichenden Rahmenbedingungen wie Personalknappheit und damit einherschreitender Zeitmangel, sondern auch Unsicherheiten seitens der Angehörigen und der professionellen Helfer erschweren die Situation im Altenheim (vgl. ZWETTLER 2001). So hat sich der Personalschlüssel in den Altenheimen in den letzten Jahren zwar erhöht, ein Optimum wurde dadurch jedoch noch nicht erreicht. In Zeiten leerer Kassen scheint dieses Problem beinahe unlösbar. Vergessen werden sollte aber nicht, dass es nicht nur um die ältere Generation in der Gesellschaft geht, sondern auch um unsere Zukunft. Häufig, so auch die Meinung von Kostrzewa und Kutzner (2002), stehen die professionellen Pfleger, die sich beruflich mit Sterben und Tod auseinandersetzen müssen, nicht nur unter Zeitdruck, sondern sind auch unzureichend vorbereitet. Die Folge sind, wie erwähnt, Unsicherheit und ebenso Angst in Bezug auf die Richtigkeit des eigenen Handelns und Verhaltens, auch im Gespräch mit Sterbenden. Das pädagogische Anliegen dieser Arbeit ist es, diese Ängste und Unsicherheiten des Personals zu beleuchten und Vorschläge zu deren Behebung vorzubringen, damit die Belastungen für Pflegende und Sterbende vermindert werden können. In diesem Zusammenhang soll auch erforscht werden, welche Wünsche die Bewohner eines Altenheims haben und welche Ängste sie vor dem Sterben hegen. Die Arbeit hat keinesfalls das Anliegen, eine ideale Art des Sterbens zu propagieren, allenfalls will sie unterstreichen, dass der Mensch im Sterben ein Recht auf Autonomie und Respekt besitzt. Auch wenn es das eigene Sterben im Sinne einer freien, individuellen Selbstbestimmung freilich nicht geben kann, so kann aber dem Recht des einzelnen nachgekommen werden, sein Sterben so weit wie nur irgend möglich selbst zu gestalten. Dies bietet im Altenheim die Chance, einerseits den Bewohnern eine positive Perspektive und den Sterbenden einen würdevollen Tod zu geben, andrerseits ermöglicht es den Pflegenden eine zufriedenstellende Sterbebetreuung.

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Leseprobe

3. Tod und Sterben


 

3.1 Begriffliche Definitionen


 

Auf den ersten Blick mag es unnötig erscheinen, die Begriffe „Sterben“ und „Tod“ zu definieren. Dennoch wird bei genauerer Betrachtung klar, dass sich der Übergang vom Sterben zum Tod noch keinesfalls abschließend definieren lässt. Eine genauere Definition der Begriffe ist somit unumgänglich. Ähnlich trifft dies auch beim Begriff „Würde“ zu. Das Verständnis dieser Begriffe im Lauf dieser Arbeit wird deshalb im folgenden definiert.

 

3.1.1 Der Tod


 

In heutiger Zeit betrachtet man den Tod als gegeben, wenn die lebenswichtigen Funktionen von Atmung und Herzschlag aussetzen.

 

Der Absolutheitscharakter dieser Anzeichen wurde aber mit den Fortschritten in der Medizin in Frage gestellt, da es durch neuere Techniken immer besser gelang, den Kreislauf und die Atmung mit künstlichen Mitteln aufrechtzuerhalten.

 

In neuerer Zeit hat sich deshalb allgemein die Definition des Hirntodes durchgesetzt. Er wird diagnostiziert, wenn bei zweimaliger Messung der Hirnströme eine „Nulllinie“ auftritt, also keine Ströme messbar sind.

 

Im Gegensatz dazu besitzt der biologische Tod den objektiv absolutesten Charakter. Hier lassen sich deutliche körperliche Anzeichen ausmachen. Die sicheren Todeszeichen eines biologischen Todes sind Totenflecken und Leichen- oder Totenstarre.

 

Im eigentlichen Sinne lenken diese Definitionen aber vom Thema ab, da sich diese Arbeit mit subjektiven Realitäten befasst. Es kann also auf die weitere Beschreibung der verschiedenen medizinischen Todesdefinitionen verzichtet werden. Der Tod wird in der Arbeit als das Ende des irdischen Lebens gesehen.

 

3.1.2 Das Sterben


 

Das Sterben als Vorstufe zum Tod wird als Prozess angesehen. Meist wird der Beginn des Sterbens frühzeitig von Ärzten und anderen professionellen Kräften erkannt. Für die Medizin ausschlaggebende Zeichen, die den herannahenden Tod ankündigen, sind nach Köther und Gnamm (2000, S. 808):

 

Rascher, schwacher, unregelmäßiger Puls

 

Erhöhte Temperatur, evtl. hohes Fieber

 

Kalter, klebriger Schweiß

 

Kalte Extremitäten

 

Weißes Nasen-Mund-Dreieck

 

Blasse oder bläulich marmorierte Haut

 

Oberflächliche, unregelmäßige, erschwerte Atmung (Cheyne-Stokes-Atmung, Schnappatmung)

 

Blutdruckabfall

 

Zunehmende Apathie, Somnolenz oder Bewusstlosigkeit oder

 

Motorische Unruhe, Angst, Verwirrtheit

 

Diese Anzeichen treten wenige Stunden bis Tage vor dem Tod auf. Der Beginn des Sterbens kann allerdings auch an anderen Punkten festgemacht werden. So bietet der Soziologe Schmied (1985, in KOSTRZEWA/KUTZNER 2002, S. 14) fünf Definitionen an, wann von Sterben gesprochen werden kann:

 

Das Sterben beginnt zu dem Zeitpunkt, zu dem der Arzt Symptome erkennt, die den Tod in Aussicht stellen. Der Arzt definiert auf Grund seiner Erkenntnis den Betroffenen als Sterbenden, obwohl sich dieser der Tatsache nicht bewusst sein muss.

 

Eine Person wird dann zum Sterbenden, sobald sie sich über die Erkrankung mit den Angehörigen oder Nahestehenden austauscht und sich die „Eingeweihten“ gegenüber dem Betroffenen in einer bestimmten Form verhalten. Bei dieser Definition kommt die soziale Komponente stark zum Tragen.

 

Das Sterben beginnt, sobald sich der Patient der Fakten bewusst wird oder sie akzeptiert.

 

Das Sterben beginnt zu dem Zeitpunkt, zu dem die Medizin den Patienten aufgibt und nichts mehr getan wird, um das Leben zu erhalten.

 

Das Sterben beginnt, wenn der Betroffene beginnt, sich zu verabschieden.

 

Schmieds (1985) Definitionen zeigen die Vielschichtigkeit des Sterbens und zugleich die starke Prägung des Begriffs „Sterben“. Der Beginn des Sterbens ist somit kulturell geprägt und damit einem Wandel unterzogen. Dieser Wandel wird im Punkt 3.2 dieser Arbeit verdeutlicht werden.

 

3.1.3 Würde


 

Häufig wird in dieser Arbeit davon gesprochen, ein würdevolles Sterben zu ermöglichen oder die Würde des Menschen zu wahren. Ebenso findet die Wahrung der Würde auch ihren Ausdruck im Heimgesetz: „Ein Heim darf nur betrieben werden, wenn der Träger und die Leitung die Würde sowie die Interessen und Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner vor Beeinträchtigung schützen“ (05.11.2001, §11,1). Eine tiefergehende Differenzierung des Begriffs „Würde“ findet nicht statt.

 

In dieser Arbeit soll die Objektformel von Dürig (1956) zur Erklärung der Würde dienen. So wird die Würde des Menschen herabgesetzt, sobald er vom Subjekt zum reinen Objekt, zum Mittel wird.

 

Das bedeutet, der Mensch verliert seine Würde, wenn er seiner Autonomie beraubt und fremdbestimmt wird. Die freie menschliche Persönlichkeit soll auf der höchsten Stufe der Wertordnung stehen. Auch wenn es in guter Absicht geschieht, darf nicht in die Selbstbestimmtheit eingegriffen werden, solange der Mensch in seinem Vernunftgebrauch nicht eingeschränkt ist. Hier handelt es sich beispielsweise bei Demenzkranken sicherlich um eine Gratwanderung. Dennoch muss die Integrität des Menschen, auch wenn ihm in diesem Fall Schranken auferlegt werden müssen, unbedingt gewahrt bleiben und geachtet werden.

 

„Die Menschenwürde zu achten bedeutet, in jedem Menschen einen Wert in sich selbst anzunehmen, der von äußeren Merkmalen unabhängig ist und unter allen Umständen respektiert sein will. Würde zu haben bedeutet, um seiner selbst, nicht um fremder Zwecke willen in der Welt zu sein, einzigartig, d.h. nicht durch irgendein `Äquivalent` ersetzbar zu sein" (PRAETORIUS/SALADIN 1996, S. 29).

 

3.2 Der Wandel im Umgang mit Sterbenden


 

Der Umgang mit Sterbenden und Toten hat im geschichtlichen Verlauf eine Veränderung erfahren. Das Verhalten in Pflege und Betreuung der moribunden Personen ist somit als „historisch gewachsen“ zu verstehen. Der gesellschaftliche Rahmen, in dem diese Veränderungen stattfanden, werden deshalb im folgenden Abschnitt 3.2 näher beleuchtet.

 

3.2.1 Der Tod im Mittelalter


 

Aries (2002) stellt sehr anschaulich den Umgang mit dem Tod im Mittelalter dar. Er nennt den Tod zu dieser Zeit den „gezähmten Tod“, da er zum Dasein eines jeden Menschen dazugehörte und dem Menschen als Teil seines Lebens bewusst gewesen sei. Das Individuum, so Aries, war sich seiner Sterblichkeit bewusst. Es hatte ein Gespür für den herannahenden Tod. Lediglich der überraschende Tod war angstbesetzt, wohl unter anderem auf Grund der Androhung der Kirche auf das Fegefeuer für jeden, der das Sterbesakrament nicht erhalten hat.

 

Aries skizziert ein Bild, das den Tod im Mittelalter idealisiert: Der Mensch konnte den nahenden Tod fühlen. Er setzte sich damit intensiv auseinander. Ein Sterbender legte sich dann in seiner letzten Stunde nieder. Der Priester wurde gerufen und der Sterbende traf seine letzten Entscheidungen, Verfügungen und tat Abbitte, bat um Vergebung seiner Sünden und empfing die Absolution des Priesters. Nachdem alles für ihn wichtige geschehen war, entschlief er friedlich, in der festen Überzeugung, ein anderes, ewiges Leben erwarte ihn. Bis dahin war er umgeben von Angehörigen, Freunden, aber auch Fremden, die dem Priester auf seinem Weg zum Sterbebett folgten. Der „letzte Akt“ verstand sich somit als öffentliche Zeremonie, an der jeder teilhaben konnte. Der Tod im Mittelalter stellt damit ein Ideal des selbstbestimmten, würdevollen und bewussten Abschieds dar.

 

Ohne Zweifel schwingt bei Aries´ Beschreibung einer für das Mittelalter typischen Sterbesituation nostalgische Verklärung mit. Dennoch hatten die Menschen im Mittelalter eine andere Ausgangssituation als heute. Sie beschäftigten sich notgedrungen mit dem Tod, denn der Tod war nicht nur auf das Alter beschränkt. Hohe Kindersterblichkeit und Kriege hielten den Menschen den Tod und die Endlichkeit des Seins vor Augen. Besonders im 15. und 16. Jahrhundert hielten die Menschen das Sterben für eine Kunst, die es zu erlernen galt. Ausdruck dieses Verständnisses war ein Lehrbüchlein, die „ars moriendi“ – „Die Kunst des Sterbens“.

 

In der Sterbestunde, so der Glaube, wolle der Teufel noch mit aller Macht der Seele habhaft werden. Die „Ars moriendi“ leistete hier Beistand und gleichzeitig Hilfestellung, um den bösen Mächten zu widerstehen. Das gottwohlgefällige Sterben sollte möglichst allen erreichbar gemacht werden. Die Erfindung der Drucktechnik ermöglichte dann die weite Verbreitung der „Ars moriendi“.

 

Da die Mehrheit der Bevölkerung aus Analphabeten bestand, waren die „Ars Moriendi“ bildlich dargestellt. Jeder konnte sie verstehen. Dies war deshalb so wichtig, weil es neben dem oben...

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