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Sterben und Tod im Familienleben

Beratung und Therapie von Angehörigen von Sterbenskranken

AutorBirgit Möller, Miriam Haagen
VerlagHogrefe Verlag GmbH & Co. KG
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl171 Seiten
ISBN9783840922688
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis21,99 EUR
Wird eine Familie vom bevorstehenden Tod eines ihrer Mitglieder betroffen, so bedeutet dies häufig eine tiefe Erschütterung des familiären Gleichgewichts. Im medizinischen und psychosozialen Bereich werden Angehörige allerdings noch unzureichend beachtet und in die Beratung und Psychotherapie kaum mit einbezogen. Das Buch zeigt Wege auf, Familien in diesen Situationen zu unterstützen, ihre Ressourcen zu stärken und Traumatisierungen vorzubeugen. Einleitend beschreibt der Band Hintergrundwissen zu Trauerreaktionen und Trauer auslösenden Situationen bei Erwachsenen sowie bei Kindern und Jugendlichen. Der Schwerpunkt des Buches liegt auf Familien, in denen ein Mitglied sterbenskrank ist. Ausführlich legen die Autorinnen dar, wie Gesprächssituationen mit den verschiedenen Familienangehörigen gestaltet werden können und veranschaulichen dies anhand zahlreicher Fallbeispiele. Möglichkeiten der Behandlung und Beratung in den Phasen der palliativen Situation, des Abschiednehmens und des Trauerns werden erörtert. Abschließend geht der Band auf Erfahrungen und Reaktionen des Therapeuten ein und gibt Anregungen, mit den oftmals belastenden oder hemmenden eigenen Empfindungen umzugehen.

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Kapitelübersicht
  1. Inhaltsverzeichnis
  2. Vorwort
  3. 1 Einführung
  4. 2 Verlusterfahrungen bei Erwachsenen
  5. 3 Verlusterfahrungen bei Kindern und Jugendlichen
  6. 4 Familienorientiertes Arbeiten am Lebensende
  7. 5 Erfahrungen, Erlebnisse und Empfindungen des Therapeuten im Umgang mit Schwerstkranken und Trauernden
  8. Nachwort
  9. Literatur
  10. Stichwortverzeichnis
Leseprobe
Die beschriebenen Trauerphasenmodelle wurden zunehmend, insbesondere von der Selbsthilfebewegung Trauernder, kritisiert, da die darin erfolgte Zerteilung des Trauerprozesses in voneinander abgrenzbare Phasen eine Generalisierung und Vereinfachung darstellt . Trauerprozesse sind vielmehr von individuellen Variationen und z . T . großer Unterschiedlichkeit geprägt (Lammer, 2004; Wittkowski, 2004; Worden, 1999) . Auch wenn keines der Phasenmodelle in der stark strukturierten Form empirisch nachweisbar ist, können diese Modelle in manchen Situationen hilfreich sein, um Trauerreaktionen zu verstehen und trauernde Menschen psychosozial begleiten zu können .

Traueraufgaben bzw. zielorientierte Modelle

Aus der Kritik an den Phasenmodellen und neueren empirischen Erkenntnissen entstanden Aufgabenmodelle der Trauer, die keinen so starken normativen Charakter haben und die Vielfalt der Prozesse besser abbilden . So hat Spiegel (1973) acht Aufgaben der Trauer formuliert:

1 . Auslösung der Trauer,
2 . Strukturierung,
3 . Anerkennung der Realität,
4 . Entscheidung zum Leben,
5 . Expression unakzeptabler Gefühle und Wünsche, 6 . BewertungdesVerlustes,
7 . Inkorporation desVerstorbenen,
8 . Chance der Neuorientierung .

Der Psychologe William Worden hat sich mit lebensbedrohlicher Erkrankung, Tod und Trauer intensiv beschäftigt und auf der Grundlage der Arbeiten von Spiegel 1987 vier zentrale Aufgaben der Trauer herausgearbeitet, die er 1991 leicht modifiziert hat (vgl . Worden, 1987; Worden, 1991):
– Aufgabe I: Den Verlust als Realität akzeptieren. Nach dem Tod kommt es zunächst zur Leugnung des Verlustes, der damit verbundenen Endgültigkeit und Bedeutung . Den Verlust zu realisieren und zu akzeptieren ist die erste Traueraufgabe .
– Aufgabe II: Den Trauerschmerz erfahren (modifiziert: Den Trauerschmerz erfahren und durcharbeiten) . Die zweite Aufgabe besteht darin, die mit der Trauer verbundenen körperlichen und emotionalen Schmerzen zuzulassen und zu erleben . Dies ist aufgrund der gesellschaftlichen Einstellungen zum Tod und Abwehr heutzutage oftmals eine Herausforderung .
– Aufgabe III: Sich anpassen an seine Umwelt, in der der Verstorbene fehlt (modifiziert: Dem Verstorbenen emotional einen neuen Platz zuweisen und das eigene Leben wieder aufnehmen) . Diese Aufgabe hat zum Ziel, die Rolle und Bedeutung, die der Verstorbene hatte, zu reflektieren und für das eigene Leben notwendige Aspekte zu übernehmen und neue Perspektiven zu entwickeln .
– Aufgabe IV: Emotionale Energie abziehen und in eine andere Beziehung investieren. In der letzten Aufgabe stehen die emotionale Loslösung von dem Verstorbenen und das Wiedererlangen der Fähigkeit, sich auf andere Beziehungen einzulassen, im Zentrum . Für den Trauernden ist es wichtig, die Erfahrung zu machen, dass es möglich ist, das eigene Leben wieder aufzunehmen und neue Beziehungen einzugehen ohne die Erinnerung an den Verstorbenen zu verlieren . Dem Verstorbenen wird hierbei ein neuer Platz zugewiesen.

Mit der Modifikation trug Worden der in seiner psychotherapeutischen Praxis gemachten Erfahrung Rechnung, dass auch nach erfolgreicher Trauerarbeit eine Resttrauer bleibt, die gekennzeichnet ist durch bei Erinnerung an den Verstorbenen empfundenen Schmerz sowie weiterbestehender Beziehung zu diesem . Er wertet dies nicht als unbewältigte oder nicht abgeschlossene Trauerarbeit, sondern als einen normalen, ein Leben lang bestehenden Trauerprozess . Schon Freud schrieb in einem Brief an seinen Freund Binswanger 1929: „Man weiß, dass die akute Trauer nach einem solchen Verlust ablaufen wird, aber man wird ungetröstet bleiben, nie einen Ersatz finden . Alles, was an die Stelle rückt, und wenn es sie auch ganz ausfüllen sollte, bleibt doch etwas anderes . Und eigentlich ist es recht so . Es ist die einzige Art, die Liebe fortzusetzen, die man ja nicht aufgeben will .“ (S . Freud & Binswanger, 1992, S . 222f .)

Neuere Entwicklungen der Trauerforschung

Neuere Modelle der Trauerforschung versuchen u . a . den in der klinischen Praxis gemachten Beobachtungen von Pendelbewegungen zwischen den unterschiedlichen Bewältigungsaufgaben und -strategien bzw . damit einhergehenden emotionalen Zuständen Rechnung zu tragen . Stroebe, Stroebe und Schut (1999; 2003) entwickelten ein duales Prozessmodell, das die Trauerbewältigung als ein Pendeln zwischen den Polen Trauerarbeit (verlustorientiert) und Orientierung auf neue Lebensziele (anpassungsorientiert) beschreibt . Bezugnehmend auf die Stresstheorien von Lazarus hängen nach den Autoren die Möglichkeiten der Trauerbewältigung von den Bewältigungsstrategien bzw . der kognitiven Situationsbewertung sowie den inneren und äußeren Ressourcen ab .

Andere Autoren (Klass, Silverman & Nickman, 1996; Neimeyer, 2001) legen dar, dass sich die Beziehung zum Verstorbenen im Rahmen der Entwicklungsprozesse ein Leben lang verändert und aufrechterhalten wird . Die Aufgabe des Trauernden ist, dem Verlust eine sich wandelnde Bedeutung zu geben . Einen ähnlichen Ansatz hat Wittkowski (2003) entwickelt, der Bindung und Sinngebung als zentral für den individuellen Verlauf der Trauer herausstellt .

Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Trauer und ihrer Bewältigung im deutschsprachigen Raum noch im Anfangsstadium befindet . Es gibt wenige fundierte klinische Untersuchungen, hingegen eine Vielfalt von Ratgebern für Betroffene, die sich auf einzelne Erfahrungsberichte bzw . eigene Erfahrungen oder spirituelle bzw . religiöse Aspekte beziehen .

2.1.2 Komplizierte bzw. pathologische Trauer

Als komplizierte Trauerreaktion wird eine ungewöhnlich verlängerte oder verzögerte Trauer bezeichnet, die sich von der normalen Trauer, der Depression und der posttraumatischen Belastungsstörung durch spezifische Symptombildungen unterscheidet . Zu diesen gehören u . a . (vgl . Znoj, 2008):
– Traurigkeit als dominierende Emotion,
– Sehnsucht nach der verstorbenen Person,
– vorhandenes Interesse an Erinnerungen im Zusammenhang mit der ver storbenen Person,
– sich sehnen nach einem Kontakt,
– angenehme Träumereien,
– ständiges Beschäftigen mit positiven Gedanken (Idealisieren),
– intrusive Bilder der sterbenden Person (oder der Nachricht des Todes), – Vermeiden von Situationen oder Personen, die an den Verlust erinnern .

Die trauernde Person spürt eine intensive Sehnsucht nach dem Verstorbenen und/oder erlebt wiederholt die Todessituation in Form von Gedanken oder Alpträumen . Gleichzeitig werden Personen, Gespräche, Aktivitäten, die mit dem Verstorbenen in Zusammenhang stehen, vermieden . Ein Verlust an sozialen Aktivitäten, Arbeit und Familie geht mit dieser Symptomatik häufig zusätzlich einher .

In den 90er Jahren wurden Kriterien zur Definition und Diagnose von komplizierter Trauer veröffentlicht (Horowitz et al ., 1997; Jacobs, 1999) . Die Frage, ob es sich dabei tatsächlich um ein eigenständiges Krankheitsbild handelt, wird noch diskutiert (Kersting 2001), auch wenn einige Autoren inzwischen konstatieren, dass sich die Hinweise häufen, dass es sich bei normaler und pathologischer Trauer um unterschiedliche Konstrukte handelt, die sich nicht nur in ihrer Intensität, sondern auch phänomenologisch unterscheiden (Dillen, Fontaine & Verhofstadt-Deneve, 2008) .

Die Unterscheidung zwischen normaler und pathologischer Trauerreaktion wirft Probleme auf, da die Übergänge fließend sind und es große individuelle und diese modellierende gesellschaftliche Unterschiede gibt . Horowitz (1997) hat versucht, normale Trauer und ihre pathologische Verstärkung zu differenzieren (vgl . Tab . 1) .
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis7
Vorwort9
1 Einführung11
2 Verlusterfahrungen bei Erwachsenen17
3 Verlusterfahrungen bei Kindern und Jugendlichen30
4 Familienorientiertes Arbeiten am Lebensende58
5 Erfahrungen, Erlebnisse und Empfindungen des Therapeuten im Umgang mit Schwerstkranken und Trauernden136
Nachwort158
Literatur160
Stichwortverzeichnis170

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