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E-Book

Sternendiebe

Mein Leben in Afrika

AutorNicole Mtawa
VerlagVerlagsgruppe Droemer Knaur
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783426457955
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis4,99 EUR
Mit nichts als der Freiheit im Gepäck erfüllt sich Nicole einen Lebenstraum: Afrika. Dort erfährt die junge Deutsche wahre Gastfreundschaft, genießt die Weite des Indischen Ozeans und begegnet Menschen, deren Schicksale sie zutiefst berühren. Vor allem Juma, der hinter seinem strahlenden Lächeln eine verletzte Seele verbirgt, erobert ihr Herz im Sturm. Zwischen den beiden entwickelt sich eine zarte Liebesgeschichte, doch Juma fällt es schwer, an sein Glück zu glauben. Denn seit seinem siebten Lebensjahr lebt er auf der Straße, hat keine Familie mehr, kein Zuhause. Auch Nicole wehrt sich anfänglich gegen diese scheinbar unmögliche Liebe und erlebt, wie eng Hoffnung und Verzweiflung unter dem Sternenhimmel Afrikas beieinanderliegen.

Nicole Mtawa, geboren 1979, stammt aus Schwäbisch Gmünd. Schon während ihres Studiums der Bekleidungstechnik zog es sie nach Afrika, wo sie fortan Kindern in Not half. Mit ihrem Verein Human Dreams e.V. gründete sie in Indien und Tansania Pflegeheime für schwerstbehinderte Kinder. 2013 kam ihre Tochter Julie in Australien zur Welt. Pünktlich zur Einschulung wollen die beiden von Tansania nach Namibia ziehen, wo Nicole Mtawa bereits das nächste Hilfsprojekt plant.

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Leseprobe

1


Truth ist die reine Wahrheit

Ignorance ist Unwissenheit

Intuition ist das innere Gefühl

Es geschah im Frühjahr 2005. Dies war bereits meine zweite Afrikareise. Vor drei Jahren hatte ich schon einmal ein halbes Jahr in der tansanischen Großstadt Dar es Salaam verbracht, und dieses Mal war ich zurückgekommen, um meine Diplomarbeit über die hiesige Textilindustrie zu schreiben.

Ich war gerade auf dem Weg zu Mr.Mahenge, meinem Prüfer, um mit ihm die letzten Abschnitte meiner Arbeit zu besprechen.

»Hallo, Sister«, grüßte mich da ganz unvermittelt dieser nett lächelnde Kerl, der an eine Hauswand gelehnt die Sonne zu genießen schien. »Hallo«, entgegnete ich freundlich. Ich hatte mich bereits daran gewöhnt, von wildfremden Menschen angesprochen zu werden. Europäer, die schon allein aufgrund ihrer Hautfarbe auffallen, werden von den Einheimischen häufig im Vorbeigehen begrüßt. Ein Hallo, Jambo hier und ein Rafiki, my friend dort. Da die Zurufe so zahlreich sind, hatte ich mir angewöhnt, nicht stehen zu bleiben, sondern einfach zurückzugrüßen.

Von dieser ersten Begegnung an nickten wir uns immer freundlich zu, wenn wir uns auf der Straße begegneten, bis ich irgendwann das Gefühl hatte, wir würden uns schon lange kennen, auch wenn es immer nur eine flüchtige Begrüßung war. Beim nächsten »Hey! Hallo, Sister!«, streckte er mir dann seine Hand entgegen, der erste richtige Kontakt – und ich blieb stehen.

»Wie geht es dir heute? Ich habe dich schon öfter gesehen, aber du bist immer so schnell an mir vorbeigegangen, dass wir uns nie unterhalten konnten«, sagte er und ließ meine Hand dabei nicht los.

»Na, heute hast du es ja geschafft, mich anzuhalten. Wie heißt du denn?«, fragte ich ihn und konnte mir dabei ein Schmunzeln nicht verkneifen. Seine ganze Art, wie er mich so direkt und ohne Scheu angesprochen hatte, erheiterte mich.

»Juma«, antwortete er lächelnd und ließ nun auch meine Hand los. Er sah gut aus in seiner Jeans und dem luftigen, strahlend weißen Hemd. Bestimmt ist er so ein wohlbehütetes Muttersöhnchen, das in den Tag hineinlebt, dachte ich bei mir. Wie weit meine Einschätzung von der Realität entfernt war, konnte ich nicht im Geringsten erahnen.

Wir wechselten ein paar Worte am Straßenrand, neben uns die vorbeibrausenden und drängelnden Autos des Mittagsverkehrs. Dann gab ich Juma zu verstehen, dass ich es nun aber wirklich eilig hätte und weitermüsse. Das war eine meiner Techniken, um nicht in allzu lange Gespräche mit Fremden auf der Straße verwickelt zu werden. Als Weiße ist man hier eben doch eine Attraktion, und manche Gesprächspartner wird man so schnell nicht wieder los, so sympathisch sie auch sein mögen.

Ein paar Häuserblocks weiter besuchte ich anschließend meine tansanischen Freunde, die auf einem einfachen Holztisch neben dem Gehweg selbstgemachte bunte Perlenketten und afrikanischen Schmuck verkauften. Hier in der Samora Avenue, im Geschäftsviertel von Dar es Salaam, hockt man gerne zusammen, näht, flechtet, bindet, knotet, und redet über Gott und die Welt. Eile ist gemäß dem Sprichwort There is no hurry in Africa ein Fremdwort.

Die Samora Avenue ist besonders für die wenigen Touristen attraktiv, die es nach Dar es Salaam verschlägt. Sie zieht sich durch die ganze Innenstadt, und viele Straßenhändler bieten dort Holzschnitzfiguren, afrikanische Ledersandalen und die verschiedensten Andenken an. Mehr hat Dar es Salaam für einen Touristen aber auch kaum zu bieten, denn trotz der vier Millionen Einwohner wirkt die Stadt recht dörflich. Von westlicher Infrastruktur und Modernität ist kaum etwas zu sehen. Wegen ihrer Lage direkt am Indischen Ozean zieht es viele Touristen meist schon am nächsten Tag mit einem Express-Schiff zu den traumhaften Palmenstränden der Insel Sansibar weiter, oder sie suchen das Abenteuer einer Wildtier-Safari in einem der vielen Nationalparks, wie zum Beispiel der Serengeti, wo man den wilden Löwen direkt in die Augen blicken kann.

Ich setzte mich auf die Decke neben Muba, einem tüchtigen Tansanier, der mit seinen sechsundzwanzig Jahren gleich alt war wie ich, und knüpfte ein farbenfrohes Armband aus Kunststoffkügelchen, so wie er es mir gezeigt hatte. Muba war alles andere als ein Faulenzer und hatte es geschafft, sich Schritt für Schritt hochzuarbeiten. War er als kleiner Junge noch im Stadtverkehr den Autos hinterhergerannt, um mühsam ein paar Zeitungen zu verkaufen, so hatte er inzwischen ein gutgehendes Geschäft mit Ledersandalen, die er von Hand mit bunten Perlen bestickte.

Muba lernte ich schon im Jahr 2002 kennen. Ich war Studentin und betrat zum ersten Mal dieses bezaubernde Land, um mein afrikanisches Patenkind von World Vision in seinem Dorf in der Nähe von Dar es Salaam zu besuchen. Und da ich weder ein Handy noch eine feste Adresse in Tansania besaß, wurde Muba zu meinem persönlichen »Straßenbüro« für alle, die mich aufsuchen oder mir eine Nachricht hinterlassen wollten. Es kam recht häufig vor, dass jemand um meine Unterstützung oder einen Rat bat, denn schon damals bedeutete es mir sehr viel, den Menschen, die mir mit ihren Problemen über den Weg liefen, zu helfen. Es war so erfüllend, zu erfahren, dass selbst in scheinbar aussichtslosen Fällen, bei denen es um Leben oder Tod ging, kleine Wunder geschehen konnten.

Dass man hier auch mit bescheidenen Mitteln viel bewirken kann, merkte ich zum ersten Mal bei Teddy, einem Mädchen aus der Nachbarschaft. Wegen Sauerstoffmangels bei der Geburt hatte sie als Kleinkind nicht einmal die Kraft, ihren Kopf zu heben. Durch die Physiotherapie, zu der ich ihren Eltern geraten und sie darin finanziell unterstützt hatte, ist sie mittlerweile zu einem kräftigen zehnjährigen Mädchen herangewachsen, das fleißig die Schulbank drückt.

* * *

Wenige Tage später traf ich Juma erneut. Er stand lässig an eine Straßenlaterne gelehnt, einige Meter weiter oben in der Samora Avenue. Juma schien mich noch nicht bemerkt zu haben, denn er schaute angestrengt dem Straßenverkehr entgegen. Einen netten Eindruck hatte er bei mir ja schon hinterlassen, also stupste ich ihn kurzentschlossen an der Schulter an. Doch als er sich umdrehte, merkte ich sofort, dass etwas nicht stimmte. Irgendetwas war anders als beim letzten Mal, denn ich konnte keine Spur von Freude in seinem Gesicht entdecken.

Nach einer matten Begrüßung begann er unvermittelt zu klagen: »Sister nisaidie! Schwester, hilf mir! Sina Baba sina Mama! Ich habe weder Vater noch Mutter!«

Für einen Moment schaute ich ihn verblüfft an. Nicht, weil er mich schon wieder Schwester nannte, denn das ist einfach eine schöne afrikanische Art, um zu sagen, dass wir alle Schwestern und Brüder sind. Aber wieso rief er wie ein kleines Kind nach Mama und Papa? Dann fielen mir seine Augen auf. Sein flehender, hilfloser Blick ging mir dermaßen nahe, dass ich die Situation etwas aufzulockern versuchte: »Una matatizo gani? Was für Probleme hast du denn?«, wollte ich mit übertrieben mütterlicher Geste von ihm wissen.

Müde winkte er daraufhin ab und antwortete: »Zu viele Probleme, das kannst du mir glauben!«

»Ach, komm schon, viele Tansanier haben Probleme!«

Das war zwar das denkbar Unsensibelste, was mir als Antwort hätte einfallen können, aber ich war vorsichtig geworden. Bei vielen war es doch nur eine Masche: über das schwierige Leben jammern, um etwas Geld von einer Mzungu, einer Weißen, zu bekommen. Juma jedenfalls hatte es wohl die Sprache verschlagen, und er blickte schweigend zu Boden. Meine taktlose Reaktion war nun auch mir unangenehm, ich wusste plötzlich nichts mehr zu sagen. »Entschuldigung, ich muss jetzt los!«, verabschiedete ich mich kurzerhand.

Auch mein abrupter Aufbruch brachte ihn nicht dazu, mich zurückzuhalten. Von anderen Leuten war ich es gewohnt, dass sie einen an der Hand festhielten und weiterredeten, wenn sie schon mal einen Europäer ins Gespräch verwickelt hatten. Juma aber tat genau das Gegenteil. Schon wieder halb abgewandt, murmelte er: »Ist schon in Ordnung, das nächste Mal vielleicht. Mach’s gut, tschüss … «, und ließ dabei niedergeschlagen den Kopf hängen.

Ich drehte mich um und ging davon. Doch mein schlechtes Gewissen ließ nicht lange auf sich warten. Juma hatte so traurig ausgesehen. Wie konnte ich ihn einfach so stehenlassen, wo er mich doch nur darum gebeten hatte, mir ein bisschen aus seinem Leben erzählen zu dürfen? Der Blick, mit dem er mich dabei angesehen hatte, ließ mich nicht mehr los. Hätte ich mir nicht wenigstens ein paar Minuten Zeit nehmen können?

Meine Reaktion ließ mich an mir selbst zweifeln. Wollte ich nicht immer auf Menschen zugehen, offen für ihre Probleme sein? Mein Leben war so erfüllt, seit ich beschlossen hatte, mit den einfachen Menschen zusammenzuwohnen und in ihren Alltag einzutauchen, um ihre Sprache und ihre Kultur kennenzulernen. Daraus hatten sich in den letzten Jahren unschätzbare Begegnungen ergeben, die mich unglaublich bereichert haben, und mein Adressbuch ist seitdem voll mit Namen, hinter denen sich die unglaublichsten Lebensgeschichten verbergen.

Und jetzt hörte ich nicht einmal richtig zu, wenn es jemandem ganz offensichtlich schlechtging?

Um in Ruhe darüber nachdenken zu können, änderte ich meine Pläne für heute und fuhr mit dem nächsten Kleinbus direkt nach Hause.

* * *

Mein Zimmer war nicht allzu weit von der Innenstadt entfernt, es befand sich in einem Stadtteil von Dar es Salaam namens Kinondoni. Hier...

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