Sie sind hier
E-Book

Störungen der Impulsivität bei Trichotillomanie

AutorKlaus Amadeus Böhm
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl124 Seiten
ISBN9783638907453
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis31,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2003 im Fachbereich Psychologie - Klinische u. Gesundheitspsychologie, Psychopathologie, Note: 1,5, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (Psychologie), 109 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Obwohl Wolters schon 1907 die erste Übersichtsarbeit zur Trichotillomanie in Deutschland veröffentlichte, wurde dieses Störungsbild in den Folgejahren kaum beachtet. Arbeiten aus den 50er bis 70er Jahren stammen vornehmlich auf den Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Die Erklärungsansätze waren und sind teilweise sehr unterschiedlich und reichen von psychoanalytischer Ursachenbegründung über zwanghaftes Handeln, schlechter Angewohnheit, narzisstischer Regulation und neurobiologischer Ursachenforschung. Erst Ende der 80er Jahre mit der Aufnahme der Trichotillomanie in das DSM- III- R- der American Psychiatric Association (1987) wurde der ernsthafte Versuch unternommen der Erforschung dieses Störungsbildes eine gewisse Systematik zu verleihen. Nachfolgende Arbeiten der 90er Jahre beschäftigten sich überwiegend mit der Ätiologie, Phänomenologie und Komorbidität der Trichotillomanie. Besonderen Bezug scheint das Krankheitsbild zu den Zwangsstörungen aufzuweisen. Gemeinsamkeiten aber auch Unterschiede zwischen beiden Störungen bzgl. Epidemiologie, Neurobiologie und Pharmakologie wurden untersucht. Heutige Diskussionen um das Störungsbild der Trichotillomanie stehen im Zusammenhang mit der Neuklassifizierung verschiedener psychiatrischer Störungen in das Modell der Zwangsspektrumsstörungen (Obsessive- Compulsive Spectrum Disorders). Hier sollen verschiedene Störungsbilder aufgrund ihrer Affinität zu den Zwangsstörungen integriert werden. Die derzeitige Klassifizierung der Trichotillomanie als Impulskontrollstörung wäre damit hinfällig. Möglicherweise handelte es sich dann eher um eine 'Zwangsspektrumsstörung mit erhöhten impulsiven Anteilen'. Über den Nutzen eines solchen Modells wird nachgedacht.

Kaufen Sie hier:

Horizontale Tabs

Leseprobe

2 Theoretischer Hintergrund


 

2.1 Trichotillomanie (TTM)


 

2.1.1 Historischer Überblick


 

Den Begriff der Trichotillomanie (TTM) prägte 1889 der französische Dermatologe Hallopeau, indem er die griechischen Wörter trich (Haar), tillo (die Bewegung des Herausziehens) und mania (Vorliebe für bestimmte Objekte) zu einem neuen Begriff zusammensetzte. Er beschrieb damit das Verhalten eines jungen Mannes, welcher sich büschelweise Haare an allen behaarten Stellen seines Körpers ausriss (zitiert nach Dielmann, 1969). Auslöser sei dabei ein Juckreiz, der bei diesen Patienten zu einer Psychose mit Zwangsvorstellungen führe, die sie zum Ausreißen zwängen. Zu den von Hallopeau beschriebenen charakteristischen Merkmalen zählten:

 

a) Hautjucken am ganzen Körper,

 

b) eine Art wahnsinniger Druck, der den Patienten dazu bringe sich die Haare mit    dem Zweck der Erleichterung auszureißen,

 

c) kein krankhaftes Erscheinungsbild von Haut und Haaren sowie

 

d) eine Chronifizierung der Erkrankung (zitiert nach Christenson & Mackenzie, 1994a).

 

Galewsky (1928; zitiert nach Asam & Träger, 1973) beschreibt die Erkrankung als anormalen Trieb anscheinend gesunder Individuen, sich mit Gewalt die Haare ihres Körpers auszureißen. Besonders Kopfhaare, Augenbrauen, Wimpern, Bart und in seltenen Fällen auch Schamhaare, seien davon betroffen. Je nach der pathologischen Einstellung des Patienten erfolge dieses wahllos oder ähnlich wie bei der Alopecia areata fleckenweise. Für den Dermatologen Schwarzkopf (1931) stellt die Trichotillomanie (TTM) ähnlich dem Daumenlutschen eine motorische Entspannungs-reaktion dar, wobei vor allem Impulse im Ermüdungszustand zum Auszupfen der Haare führen (zitiert nach Otto & Rambach, 1964). Homburger (1926) betrachtet das Haareausreißen wie auch das Daumenlutschen als mögliche frühkindliche Normal-erscheinungen. Er ordnet das Verhalten den schlechten Gewohnheiten zu, durch die u.a. starke Affekte abreagiert würden.

 

        Galewsky (1932; zitiert nach Bartsch, 1956) glaubt, dass es sich bei Trichotillomanie (TTM) um eine Art Zwangsvorstellung handelt, welche die Kranken zwinge sich die Haare auszurupfen. Bartsch (1956) betrachtet das Symptom des Haareausreißens als stereotype Verhaltensweise bzw. als einen Leerlaufmechanismus im Sinne einer motorischen Antriebsstörung, wobei er zwischen  dranghaftem Verhal-ten bei cerebral geschädigten Menschen und triebhaftem Verhalten bei Personen mit neurotischen Störungen unterscheidet. 

 

        Dührssen (1976) spricht von einem gestörten Körpergefühl und der Unterdrückung oraler, aggressiver und zärtlichkeitsfordernder Impulse. Dührssen (1976, S. 183): „...hinter dem Haareausreißen steht eine auffällige Koppelung von verdrängten Wutimpulsen oder Aggressionsbereitschaften einerseits und sehr inten-siven Zärtlichkeitsbedürfnissen andererseits. Mit dem Körperempfinden, das sich das Kind beim Haareausreißen selber zufügt, schafft es sich einen kurzen Augenblick der Bestätigung seiner eigenen Existenz“.

 

        Für Stutte (1960; zitiert nach Dielmann, 1969) wird die Trichotillomanie (TTM) durch ein seelisches Trauma ausgelöst. Sie stellt eine Ersatzbefriedigung aggressiver und regressiver Art dar und ist Ausdruck frühkindlicher Frustrationen durch mangelnde Zuwendung und Konflikte im sozialen Umfeld. Harbauer, Lempp, Nissen & Strunck  (1971; zitiert nach Asam & Träger, 1973) verweisen insbesondere auf die depressive Grundstimmung der Kinder mit TTM. Sie sehen in dem Symptom einen Zusammenhang zwischen affektiver Frustration und mangelhaft entwickeltem Körperschema. Asam & Träger (1973) kommen zu der Auffassung, dass als Ursache der TTM eine frühe Störung der Mutter- Kind- Beziehung anzunehmen ist. Kind (1983) betrachtet das Ausreißen der Haare als Symbol sexueller Verführungskräfte mit dem Wunsch in die präödipale, von hetero- sexuell- inzestuösen Wünschen freie Zeit zurückzukehren.

 

        Oranje, Peere- Wynia & De Raeymaker (1986) resümieren, dass eine im Erwachsenenalter auftretende Trichotillomanie von der im Kindesalter bezüglich Schweregrad und Verlauf unterschieden werden müsse. Aussagen über Prävalenzen in beiden zu unterscheidenden Gruppen gibt es bis heute nur sehr wenige.

 

2.1.2 Klassifikation  


 

Mit der Aufnahme der Trichotillomanie in die dritte revidierte Form des „Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders“ (DSM- III- R), wurde diese erstmals offiziell als psychische Störung anerkannt. Zusammen mit der Intermittierenden- Explosiblen Störung, der Kleptomanie, dem Pathologischen Spielen und der Pyromanie wurde die Trichotillomanie der Kategorie „Störungen der Impulskontrolle, nicht andernorts klassifiziert“  zugeordnet. Das Hauptmerkmal von Störungen der Impulskontrolle ist dabei das Versagen dem Impuls, Trieb oder der Versuchung zu widerstehen eine Handlung auszuführen, die für die Person selbst oder für andere schädlich ist. Dabei fühlen die Betroffenen oft eine zunehmende Spannung oder Erregung bevor die Handlung durchgeführt wird. Die Handlung selbst ist mit Vergnügen, Befriedigung oder Entspannung verbunden. Nach der Handlung können Reue, Selbstvorwürfe oder Schuldgefühle auftreten. Die Diagnosekriterien des aktuellen DSM- IV (American Psychiatric Association, 1994) sind in Tabelle 1 aufgeführt.

 

Tabelle 1:  Diagnosekriterien  nach  DSM- IV für Trichotillomanie (312.39)  

 

 

Im ICD- 10 (World Health Organization, 1992) wird die Trichotillomanie (F 63.3) in der Gruppe der „Abnormen Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle (F 63.0)“ aufgeführt. Dabei handelt es sich um isoliert auftretende auffällige Verhaltensweisen, die nicht als Symptom einer anderen diagnostizierten psychischen Störung anzusehen sind (z.B. als Symptom einer dissozialen Persönlichkeitsstörung, Zwangsstörung oder manischen Episode). Die Handlungen wiederholen sich dabei ohne vernünftige Motivation. Zur Definition der Trichotillomanie heißt es im ICD- 10 (Tabelle 2):

 

Tabelle 2:  Diagnosekriterien  nach  ICD- 10 (Kap. V)  für Trichotillomanie (F 63.3)

 

 

2.1.3 Beschreibung der Symptomatik


 

Das Haareausreißen geschieht normalerweise nicht im Beisein von anderen, abgesehen von den direkten Angehörigen. Dabei gehen die Betroffenen in ihrem Verhalten systematisch auf die Suche nach besonders grobfasrigen, dicken, langen, krummen oder grauen Haaren. Hauptmotivation ist dabei das Streben nach Symmetrie der Haare (Christenson, Mackenzie & Mitchell, 1991a). Das unterschiedlich schnelle, stufenweise Nachwachsen der Haare ist nicht nur  besonderes Merkmal bei TTM, sondern führt auch dazu, dass sich das Reißverhalten in dem Bestreben nach Symmetrie selbst verstärkt.

 

        Ca. 48% der Betroffenen zeigen nach dem Ausreißen orale Befriedigungsweisen. So wird sich mit dem Haar über die Lippen gestrichen, dieses als Zahnseide benutzt oder aufgegessen (Christenson & Mackenzie, 1994a). Für viele stellt nur die Haarwurzel den eigentlichen Anreiz dar, welche nach dem Ausreißen genussvoll zerbissen wird (Christenson & Mansueto, 1999). In einigen Fällen wird das Haar auch gegessen (Trichophagie) was zu ernsthaften Komplikationen führen kann, wenn sich der unverdauliche Haarball im Magen oder Dickdarm festsetzt (O´Sullivan, Keuthen, Jenike & Gumley, 1996). Zudem wird von den Autoren ein erhöhtes Risiko für die Ausbildung eines Carpaltunnel- Syndroms genannt.  

 

        Die Betroffenen verleugnen und vertuschen den selbstzugefügten Haarausfall. Einige haben den Drang zum Ausreißen von Haaren bei anderen. Es kommt vor, dass Haustieren, Puppen und anderen behaarten Gegenständen Haare ausgerissen werden. Nägelkauen, Kratzen, Nagen und Hautabschürfungen können mit Trichotillomanie einhergehen (American Psychiatric Association, 1994).

 

2.1.4 Laborbefunde


 

Eine Biopsie der betroffenen Körperstellen kann kurze und abgebrochene Haare aufzeigen. Oft ist das Haar wie Flaum sehr dünn und spärlich und in der Pigmentierung verändert.  Bei einer histologischen Untersuchung werden im selben Areal sowohl normale als auch zerstörte Follikel gefunden. Betroffene Follikel können leer sein oder stark pigmentierte Keratinpfropfen enthalten. Das Fehlen von Entzündungen unterscheidet den Haarausfall durch Trichotillomanie von der Alopecia areata (American Psychiatric Association, 1994).

 

2.1.5 Körperliche Untersuchungsbefunde


 

Sichtbare Merkmale sind sowohl Stellen mit totaler Haarlosigkeit, als auch Stellen bei denen die Haardichte deutlich reduziert ist. Häufiger fehlen Augenbrauen und Wimpern...

Weitere E-Books zum Thema: Angewandte Psychologie - Therapie

Lob des sozialen Faulenzens

E-Book Lob des sozialen Faulenzens
Motivation und Leistung beim Lösen komplexer Probleme in sozialen Situationen Format: PDF

Soziales Faulenzen bezeichnet einen Motivationsverlust, der bisher meist als eine negative Folge kollektiven Arbeitens betrachtet wurde. Die vorliegende experimentelle Studie zeigt dagegen, dass im…

Lob des sozialen Faulenzens

E-Book Lob des sozialen Faulenzens
Motivation und Leistung beim Lösen komplexer Probleme in sozialen Situationen Format: PDF

Soziales Faulenzen bezeichnet einen Motivationsverlust, der bisher meist als eine negative Folge kollektiven Arbeitens betrachtet wurde. Die vorliegende experimentelle Studie zeigt dagegen, dass im…

Psychologie 2000

E-Book Psychologie 2000
Format: PDF

Der 42. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Psychologie bedurfte dank der bedeutungsträchtigen Jahreszahl keines besonderen Mottos – es war der Kongreß "Psychologie…

Psychologie 2000

E-Book Psychologie 2000
Format: PDF

Der 42. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Psychologie bedurfte dank der bedeutungsträchtigen Jahreszahl keines besonderen Mottos – es war der Kongreß "Psychologie…

Ernährungspsychologie

E-Book Ernährungspsychologie
Eine Einführung Format: PDF

Essen und Trinken beherrschen unser Leben und unser Denken. Die Ernährungswissenschaft erforscht die nutritiven Lebensgrundlagen des Menschen und weiß inzwischen sehr genau, wie sich der…

Ernährungspsychologie

E-Book Ernährungspsychologie
Eine Einführung Format: PDF

Essen und Trinken beherrschen unser Leben und unser Denken. Die Ernährungswissenschaft erforscht die nutritiven Lebensgrundlagen des Menschen und weiß inzwischen sehr genau, wie sich der…

Weitere Zeitschriften

Archiv und Wirtschaft

Archiv und Wirtschaft

"Archiv und Wirtschaft" ist die viermal jährlich erscheinende Verbandszeitschrift der Vereinigung der Wirtschaftsarchivarinnen und Wirtschaftsarchivare e. V. (VdW), in der seit 1967 rund 2.500 ...

Berufsstart Gehalt

Berufsstart Gehalt

»Berufsstart Gehalt« erscheint jährlich zum Sommersemester im Mai mit einer Auflage von 50.000 Exemplaren und ermöglicht Unternehmen sich bei Studenten und Absolventen mit einer ...

bank und markt

bank und markt

Zeitschrift für Banking - die führende Fachzeitschrift für den Markt und Wettbewerb der Finanzdienstleister, erscheint seit 1972 monatlich. Leitthemen Absatz und Akquise im Multichannel ...

cards Karten cartes

cards Karten cartes

Die führende Zeitschrift für Zahlungsverkehr und Payments – international und branchenübergreifend, erscheint seit 1990 monatlich (viermal als Fachmagazin, achtmal als ...

crescendo

crescendo

Die Zeitschrift für Blas- und Spielleutemusik in NRW - Informationen aus dem Volksmusikerbund NRW - Berichte aus 23 Kreisverbänden mit über 1000 Blasorchestern, Spielmanns- und Fanfarenzügen - ...

Die Versicherungspraxis

Die Versicherungspraxis

Behandlung versicherungsrelevanter Themen. Erfahren Sie mehr über den DVS. Der DVS Deutscher Versicherungs-Schutzverband e.V, Bonn, ist der Interessenvertreter der versicherungsnehmenden Wirtschaft. ...

IT-BUSINESS

IT-BUSINESS

IT-BUSINESS ist seit mehr als 25 Jahren die Fachzeitschrift für den IT-Markt Sie liefert 2-wöchentlich fundiert recherchierte Themen, praxisbezogene Fallstudien, aktuelle Hintergrundberichte aus ...