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E-Book

The Story of Pop

AutorKarl Bruckmaier
VerlagMurmann Publishers
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl352 Seiten
ISBN9783867743433
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Córdoba im Jahre 822: An diesem Punkt vor über 1000 Jahren beginnt Karl Bruckmaier seine visionäre Zeitreise durch die Geschichte der Popmusik. Folgen Sie ihm per Anhalter durch eine Galaxis aus Klang und Farben - mit vielen unerwarteten Zwischenstationen. Ungewöhnliche Helden, magische Orte und wegweisende Ereignisse der Zeitgeschichte weben eine Erzählung der Story of Pop, wie es noch keine gibt. Zwischen Clash der Kulturen und Streben nach Glück: 'My life was saved by rock 'n' roll!'

Karl Bruckmaier moderiert seit vielen Jahren musikjournalistische Sendungen im Bayerischen Rundfunk (Club 16, Zündfunk, Nachtmix). Seit 1981 schreibt er Pop - Kritiken für die Süddeutsche Zeitung. In einem anderen Leben ist der Autor und Übersetzer auch noch reichlich dekorierter Hörspielregisseur, u. a. ausgezeichnet mit dem Hörspielpreis der Kriegsblinden und dem Deutschen Hörbuchpreis.

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Leseprobe

We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal

13 ZUCHT

Wenn man heute Monticello besucht, Jeffersons Herrenhaus, dann wirkt das alles so putzig, so adrett, so puppenstubensklavenhaltermäßig, dass es einen irgendwie einlullt. Hier die lustige Maschine zum gleichzeitigen Abschreiben mehrerer Bücher, der Polygraph, schab kratz, dort die gar nicht so winzigen Baracken für die Schwarzen, fein in Reih und Glied, hmmm hmmm, vielleicht gar nicht so schlimm, dass er sich die eine oder andere Konkubine von dort in sein Bett geholt hat, lechz lechz, oder war es nicht die Tochter der schwarzen Zofe seiner Frau väterlicherseits, egal, jedenfalls die lässliche Sünde eines ansonsten verdienten Lebemannes?

Aber legen wir doch einmal eine Tonspur auf dieses Abziehbild einer Plantagenidylle: Während im oberen Stockwerk der Polygraph leise knarzt und das Bett ebenfalls, allerdings nicht unter den Geistesblitzen des Gebieters, sondern unter den Stößen der herrschaftlichen, ja präsidialen Lenden, brüllt weiter draußen ein Aufseher die Zwangsarbeiter an, die es gewagt haben, sich über die Tatsache zu beschweren, dass jetzt auf einmal getrockneter Stockfisch verfüttert wird, weil er billiger ist als beef jerky, oder dass man zur Erntezeit 18 Stunden auf dem Feld stehen muss statt der üblichen zwölf und dass selbst der Sonntag gerade noch vier Stunden Freizeit zum Bestellen der eigenen Beete hergibt. Hunde bellen und knurren, dann Peitschenhiebe, lang und fies und spitz. Ein Fenster schlägt zu, der Herr will nicht gestört werden. In etwas abseits aufgestellten Hütten werden empfängnisbereite Sklavinnen ihren schwarzen Besamern zugeführt, ein Stöhnen und Ächzen auch dort. Und leises Weinen. Draußen, neben dem Weg zu den Baumwollfeldern, baumelt der Körper einer jungen Frau am Galgen. Sie hat ihr Kind nach der Geburt erstickt, um ihm das Sklavenschicksal zu ersparen. Am anderen Ende des Besitzes, nahe dem Eingangstor, müssen laut protestierende Mütter gewaltsam weggetrieben werden, da man wie jede Woche, jeden Monat ihre Kinder – von welchem Zuchthengst auch immer – auf Karren verlädt, um sie nach Charlottesville auf den Markt zu bringen, Weinen und Schreie auch hier, laut, hysterisch, untröstlich. Als wäre Schlachttag. Dabei ist Alltag.

Vielleicht nicht genau so und vielleicht nicht auf Monticello, aber so ähnlich muss es doch gewesen sein. Denn Nordamerika hat eine eigene, ganz besonders perfide Geschichte der Sklaverei. Man kommt ihr auf die Spur, wenn man einen kalten Blick auf die Zahlen wirft: In die englischen Kolonien und die USA werden in den Jahrhunderten der Sklaverei lediglich fünf oder sechs Prozent der insgesamt gehandelten Sklaven verbracht, das sind grob geschätzt eine halbe Million Menschen. Mitte des 19. Jahrhunderts leben aber vier Millionen Schwarze allein in den Südstaaten der USA und haben in etwa den siebenfachen Buchwert aller im Umlauf befindlichen Zahlungsmittel. Wie ging dieses Wunder vonstatten? Nicht das mit der Sklavenblase, die mit dem amerikanischen Bürgerkrieg platzen wird, sondern das mit der Vermehrung, mit dem »natürlichen Zuwachs«, wie es gedankenloserweise oft heißt? Es sind ja mit Sicherheit nicht die der Gesundheit zuträglichen Lebensbedingungen auf den Plantagen oder beim Eisenbahnbau, welche die Sklaven zu gesteigerter Fortpflanzungstätigkeit anregen, obwohl die Befürworter der Sklaverei nicht müde werden, darauf hinzuweisen, dass es den Arbeitern in Manchester, Berlin oder Wien wesentlich elender ergeht als den geschätzten farbigen Mitarbeitern, die den ganzen Tag an frischer Luft etwas für ihre Gesundheit und Kondition tun können.

Nein, es ist die Obsession der englischstämmigen Herrenschicht mit der Zucht. Und das unverhältnismäßige Geschäft, das sich mit ihr spätestens seit dem Verbot des transatlantischen Sklavenhandels im Jahr 1808 machen lässt. Die ausländische Konkurrenz wird ausgeschlossen, das eigene Produkt konkurrenzlos. Wir finden in den USA hochspezialisierte Sklavenzüchterstaaten, wo Männer, Frauen, Kinder allein für den Verkauf herangezogen werden, »als wären sie Pferde oder Schweine oder Kühe. Sklavenzucht gilt als respektabler Beruf, niemand regt sich auf, der Staat nicht und auch nicht die Kirche. Der Horror geht einfach immer so weiter«, so ein Abolitionist. »In Virginia, wo die meisten Sklaven gezüchtet werden, unternimmt man alles Erdenkliche, um an bestes Zuchtmaterial zu kommen. Kranke und Schwache werden sofort ausgesondert.«

Die heute fast absolute Dominanz schwarzer Sportler beim Sprint oder Weitsprung, im Basketball oder im Boxring mag eine Spätfolge dieser Eugenik sein. »Die Züchter kennen ihre besten Decksklaven und stellen diese bei Landwirtschaftsmessen aus und kaufen und verkaufen sie, wie es daheim in England die Pferdehändler mit ihren Hengsten machen.« Grundlegend ist dabei, dass man als Züchter und Käufer peinlich darauf achtet, dass kein Kind bei der Mutter, kein Vater bei seinen Kindern, keine Frau bei ihrem Mann bleibt, sondern dass jede sich abzeichnende Familienstruktur systematisch zerstört wird. »Meine Mutter bekam ich nur vier oder fünf Mal in meinem Leben zu Gesicht«, berichtet der ehemalige Sklave Frederick Douglas. »Sie lief nachts heimlich die zwölf Meilen von ihrer Plantage zu mir, um mich zu sehen.« Als hätten sie Ethnologie studiert und wüssten, dass ein Afrikaner ohne Familie, ohne Ahnen und Nachkommen sich verloren wähnt in dieser und der nächsten Welt und damit wehrlos wird und gefügig.

Während der Sklavenauktionen »machten viele von ihnen einen verzweifelten Eindruck, weil sie eben Mutter oder Kinder oder Freunde für immer verloren haben. Doch wollten sie nicht vorgeben, fröhlich zu sein, und wie befohlen singen, fuhr die Bullenpeitsche zwischen sie. So trieb man sie nach Lexington, wo sie sich in speziellen Gehegen und Pferchen ein paar Wochen erholen sollten und wo sie gepäppelt wurden, bis die Händler aus New Orleans kamen und man sie endgültig verschiffte.« Dabei gibt es Songs über die Zucht von Menschen: Der alte Ben, wir kennen nur seinen Vornamen, hat selbst 18 Jahre als Sklave gedient und erzählt, dass man sich beim Eigentümer seiner Angebeteten vorstellen musste: »Master hat deine Muskeln gefühlt und wenn sie stark waren, hat er gegrinst und gesagt, ja, deinen Saft kann ich brauchen. Komm am Freitag auf eine Stunde vorbei und sag deinem Herrn, ich bezahl’ ihn für die entgangene Arbeit.« Dann singt Ben mit einem »semitischen Heulen«, wie es heißt:

»Marse he raise bes’ horse an’ cow

Marse he raise bes’ nigger an’ sow

Marse he shore know jes’ how

An’ Belinda she cain’ has Joe.«

Joe ist also nicht gut genug als Zuchtmaterial für Masters Belinda.

»Big black nigger Marse gwine buy

Big black nigger wit’ Belinda lie

Big strong nigger’ll open her eye

An’ she forgit ’bout Joe.«

Wie zärtlich, wie zurückhaltend hier »eye« auf »lie« gereimt wird, wo doch auch »thigh« sich anbieten würde, Schenkel, doch Ben scheint dies gar nicht so genau sagen und wissen zu wollen. Das nordamerikanische Sklavensystem, das den immer und immer wieder Verschleppten bereits die Trommel, die Religion, die alte Heimat geraubt hat, raubt ihnen also auch noch die Liebe, die familiäre Identität und den Platz in der Ahnenreihe. Eigentlich hört der Sklave vollends auf zu existieren, nur noch funktionieren kann er. Dysfunktionieren. Es ist sicher nicht falsch, den Zustand vieler afroamerikanischer Familien, Gemeinden und Stadtviertel im Hier und Heute auch unter diesem Aspekt einer historisch durchlebten Totalfragmentierung jeglichen Beziehungsmusters zu sehen, einer emotionalen und körperlichen Zerrüttung ohnegleichen. Selbst 150 Jahre Abstand können diese Wunden noch nicht heilen lassen: »Sometimes it makes me wonder how I keep from going under.«

Für die Weißen war der Zuchtbetrieb ein sicheres Mittel, um den eigenen sozialen Aufstieg zuwege zu bringen, den man mit gewöhnlicher Arbeit fast nicht bewerkstelligen konnte: »Jeder steckt sich in Schulden, um einen Sklaven zu kaufen, denn ohne dies kann er nicht leben. Weil nun alles mit Negres besetzt ist, die sauer Tag und Nacht, ja sogar den Sonntag, welches erschrecklich, bei kümmerlicher Unterhaltung arbeiten müssen, so muss ein Weisser in diesen Ländern, wenn er keinen Sklaven kaufen kann, selbst einen Sklaven abgeben und ihm gleich arbeiten.« Dann lieber sich verschulden, eine nicht allzu gut aussehende Sklavin kaufen, welche billiger ist, sie selbst ein paarmal schwängern, um die Hautfarbe der Nachkommen möglichst aufzuhellen, und in ein paar Jahren dann die Ergebnisse der Züchtung bestmöglich verkaufen, so geht das.

Dass diese Praxis nicht nur den Sklaven gegenüber unwürdig ist, sondern dass die Gewalt ausübenden Herren über Schwanz und Möse selbst zu jenen tumben Ungetümen verrohen, die uns Quentin Tarantino in Django Unchained so genüsslich vorführt, fällt nur wenigen auf. »Es macht ihnen offenbar nichts aus, die eigenen Kinder, die sie mit ihren Sklavinnen haben, zu verkaufen, oder Brüder und Schwestern, wenn das Geschäft schon eine Weile besteht«, äußert 1804 ein bestürzter Besucher Virginias. Dass das sture Festhalten an der Sklavenhaltergesellschaft, als sich die Ära der Sklaverei in Europa und den beiden Amerikas bereits ihrem Ende zuneigt und der Republikaner Abraham Lincoln schließlich einen Krieg unter dem Vorwand führen lässt, seine schwarzen Brüder und Schwestern im Süden vom Joch der Sklaverei zu befreien und damit eine Spaltung der USA zu verhindern, auch mit der...

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