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Streit über Gott

Ein Gespräch unter Gegnern

AutorNorbert Blüm, Peter Henkel
VerlagVerlag Herder GmbH
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl220 Seiten
ISBN9783451346385
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Der Glaube an Gott - tröstlich, aber unredlich? Oder Kaschierung von Machtansprüchen? Und die Kirchenkrise - eine Krise des Gottesglaubens? Was heißt das über haupt: 'Gott'? Was wäre, wenn Er nicht existiert? P. Henkel und N. Blüm streiten in aller Schärfe: ein politischer Journalist, der davon überzeugt ist, der Himmel ist leer. Der andere ist sicher: Der Mensch ist nicht der letzte Maßstab.

Norbert Blüm Norbert Blüm Dr. phil., geb. 1935, Werkzeugmacherlehre, Studium u.a. der Germanistik und Philosophie, von 1972-2002 MdB, 1981-1994 Mitglied des Präsidiums der CDU, 1982-1998 Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung. Mitglied der IG Metall, amnesty international und der Kolpingfamilie. Mehrere Buchveröffentlichungen. Peter Henkel, war über drei Jahrzehnte Korrespondent der Frankfurter Rundschau in Stuttgart. (Zusammen mit Johanna Henkel-Waidhofer) Autor der ersten Kretschmann-Biographie. Autor des Buches 'Ach, der Himmel ist leer' (2009). Lebt in Stuttgart und Bad Ischl.

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Leseprobe

Stuttgart, 15. November 2011


Lieber Norbert Blüm,

das haben Sie nun davon: immer wieder lesen und verdauen müssen, was ich Ihnen zumute, immer wieder selber in die Tasten greifen – und dann auch noch ausgerechnet zu diesem Thema. Als hätte es unsere Gegenwart nicht gründlich verlernt, über IHN zu sprechen. Dabei bleibt Gott doch ein Mega-Thema. Global und auf unabsehbar lange Zeit, und ob man will oder nicht.

Trotzdem: Den einen ist’s beschwerlich und den andern peinlich, auch deswegen, weil es zu intim ist. Für viele andere gibt es da sowieso nichts zu reden – und erst recht nichts zu debattieren. Glaube gilt ja als etwas, was man entweder hat oder eben nicht hat, und darüber streiten deshalb als sinnlos. Folgerichtig bricht regelmäßig das große Schweigen aus, sobald man nur in die Nähe von Gretchens Frage an Faust gerät: „Wie hältst du’s mit der Religion?“ So versucht sie herauszufinden, ob er als braver Mann mitschwimmt im Strom der Konvention. Heutiger Mainstream will, dass es eine gute Sache ist, irgendwie an eine vage umrissene höhere Macht zu glauben – die bei Bedarf aber auch gern der Gott der Christen sein kann.

Und im Übrigen sind Gott und Glaube in der Kommunikation der gewöhnlichen Alltagswelt das, was man ein „no go“ nennt und was früher ein Tabu hieß.

Und nun kommen zwei – obendrein und typischerweise nicht mehr ganz junge – Zeitgenossen daher und wollen öffentlich erörtern, was es mit Gott und Glaube auf sich hat, und das von zwei sehr gegensätzlichen Standpunkten aus.

Um mit der Tür ins Haus zu fallen: Sie glauben an Gott, den Sie obendrein, wie ich weiß, gern „den lieben Gott“ nennen. Ich hingegen bin überzeugt, dass nichts existiert, was sinnvoll mit diesem Namen zu belegen wäre; dass sie alle – Christen, Juden, Muslime und die Hindus sowieso mit ihrer schrillen, bunten Masse-statt-Klasse-Götterwelt – vor nichts anderem knien als einer Projektion aus dem Geiste Feuerbachs. Denn Gott ist und bleibt eben dies: eine Erfindung des Menschen, aber sicherlich eine der folgenreichsten, im Guten wie im Schlechten. Dass der Mensch sich so ein Wesen ausdachte und mit dem Christentum eine spezielle Variante davon entstehen konnte, das hat eine Menge Gründe. Auch der Atheist kann sie allesamt nachvollziehen. Sie liegen in den Bedürfnissen und Interessen des Menschen. Nur: Dass die Menschen es gern hätten, wenn so etwas wie Gott existierte, macht den Glauben an ihn um keinen Deut plausibler. Aus einem Wunsch wächst kein Gott – aber aus Wunschdenken ein trügerischer Glaube.

Natürlich könnte Gott auch dann existieren, wenn das unserem Wünschen entgegenkäme. Dass ein Schiffbrüchiger Hilfe herbeisehnt, bedeutet ja nicht, dass keine naht. Aus diesem simplen Umstand trachten Theologen und andere Gläubige Kapital zu schlagen, indem sie den Spieß herumzudrehen versuchen und so tun, als läge hier ein Argument für die Existenz Gottes. Aber natürlich ist das grober Unfug.

Dass es so etwas wie Gott tatsächlich gibt, dafür spricht angesichts dieser Welt, seiner vermeintlichen Schöpfung, buchstäblich nichts. Dagegen aber spricht viel zu viel. Auch als Atheist füge ich ein „leider“ hinzu. Wir werden darauf noch zu sprechen kommen.

Um als leidlich gesitteter Zeitgenosse die erwähnte Tür fürs Erste leise wieder zu schließen, quasi von außen, möchte ich zwei wichtige Gemeinsamkeiten zwischen uns hervorheben (andere werden folgen, und manche wird Sie vielleicht erstaunen). Erstens die Prognose, dass Religion in den nächsten Jahrzehnten in vielen Weltregionen eine zentrale Rolle spielen wird. Dabei wird sich wie schon so oft in der Geschichte zeigen – Stichwort Terrorismus und Krieg –, dass Glaube eben nicht allein zum Guten motiviert, sondern in den Köpfen von Menschen auch furchtbares Unheil anzurichten vermag, mit schlimmen Folgen für sie selbst und andere. Und zwar zumal dann, wenn er unhinterfragt ist, wenn keine Zweifel an ihm geäußert werden (dürfen).

In Deutschland herrschen in Sachen Religion hochkomplexe Zustände von verwirrender Vielgestaltigkeit. Da gibt es, beispielsweise, das nach wie vor fromme Oberschwaben und in Thüringen oder gar in Berlin beträchtliche Bevölkerungsteile, denen alles Religiöse mittlerweile fast so fremd und fern ist wie albanische Blutrachebräuche. Das Gesamtbild ist aber ein anderes. Wenn ich mich umsehe in Ihrem und meinem Lande, dann stoße ich allenthalben auf Belege dafür, wie tief religiös geprägt es ist, trotz aller Verweltlichungstendenzen.

Damit will ich hier nur jenen entgegentreten, die für unsere Thematik allenfalls ein Kopfschütteln übrig haben oder ein Schulterzucken. Meist sind das Menschen, die den Glauben für sich persönlich abgehakt haben – als Aberglauben oder als unwichtig, als unangenehme oder sogar schmerzhafte Erinnerung an Kindertage, als mentalen Störfaktor beim Streben nach Erfolg, Zerstreuung oder Bewältigung des Alltags. Oder auch, was sonderbar häufig anzutreffen ist, weil sie die beiden Sphären Kirche und Glaube nicht voneinander zu trennen wissen. Als ob die Frage nach Gott dadurch beantwortet wäre, dass Priester sich sexueller Verfehlungen schuldig machen oder die römische Kirche sich so schwertut mit der überfälligen Überwindung menschenunfreundlicher und verquerer Dogmen und noch immer zu starrer Hierarchien.

Die zweite Gemeinsamkeit liegt darin, dass Sie und ich uns mit unserem Dialog jenem merkwürdigen Konsens verweigern, wonach Glaube nichts ist, was man besprechen, geschweige denn debattieren soll. Für viele steht diese Überzeugung so fest wie kaum eine andere. Es wäre aber falsch, daraus auf ein kollektives Desinteresse zu schließen; man hat nur so gar keine Übung darin und dafür umso mehr Hemmungen.

Ob jemand glaubt oder nicht, das geht dieser Übereinkunft zufolge auf eine Art individueller Willkür zurück: Erlaubt ist, was gefällt. Zwar weiß man, dass bei sehr vielen Gläubigen biographische Prägungen durch Elternhaus und Milieu eine enorme Rolle spielen – Ihrem Lebenslauf, lieber Norbert Blüm, entnehme ich übrigens, dass das auch bei Ihnen so ist. Aber schließlich wird man irgendwann erwachsen und könnte aus solchen Traditionen aussteigen. Die einen machen davon Gebrauch, die anderen nicht. Deshalb bleibt am Ende der religiöse Standort in den Augen einer übergroßen Mehrheit doch eine Angelegenheit des jeweiligen Beliebens: Was – vermeintlich – ganz und gar subjektiv entstanden ist, soll einer auch nur versuchten Objektivierung entzogen sein. Argumente, meint man, hätten auf diesem Felde nichts zu suchen. Ein schwerer und folgenreicher Irrtum.

Während also Gott und Glaube kaum je Gesprächsgegenstand sind, gilt doch vieles als salonfähig, was damit zusammenhängt. Religion als moralische Leitplanke, als sozialer Kitt, als kulturelles Erbe oder spiritueller Fluchtort – das alles wird hierzulande beständig öffentlich erörtert. Ein Ventil, das Druck aus dem Kessel lässt. Es wird so regelmäßig und ausgiebig betätigt, dass schon deshalb die Rede von einer durch und durch säkularen deutschen Gegenwart töricht ist. Man stelle sich beispielsweise vor, die Unionsparteien strichen per Parteitagsbeschluss das C aus ihrem Namen oder das „Wort zum Sonntag“ würde ergänzt durch ein gelegentliches atheistisches „Credo am Montag“: Es gäbe Entrüstungsstürme. Und so würde offenkundig, wie die Religion hierzulande in Wahrheit noch immer weitgehend unantastbar ist und der Gesellschaft tief, sehr tief im Blute steckt.

Die Fraktion der Dialogbereiten unter den Gottesleugnern kann nachvollziehen, warum der Glaube seit Jahrtausenden eine so große Anziehungskraft entfaltet. Oft genug aus eigenem Erleben: Viele Atheisten sind ja frühere Anhänger eines Glaubens, den sie irgendwann vor sich selbst nicht mehr aufrechterhalten konnten. Zu ihnen zähle ich. Viel hätte nicht gefehlt, und ich hätte seinerzeit ein Theologiestudium aufgenommen, Berufsziel Pfarrer. Ich entschied mich anders. Wenige Jahre später war ich heilfroh darüber. Denn immer mehr Zweifel waren mir gekommen, immer öfter entdeckte ich in meiner Religion, die mir in schmerzhaften familiären Situationen Trost und Hilfe gewesen war, Unglaubwürdiges und Märchenhaftes, Dinge, die miteinander unvereinbar erschienen und zugleich als Zumutung für Logik und gesunden Menschenverstand. Als Kind und Heranwachsender hatte ich sie wie selbstverständlich hingenommen, war gar nicht auf die Idee verfallen, sie kritisch und aus einer gewissen Distanz zu betrachten. Je näher ich jetzt aber hinsah, je mehr ich las, je öfter ich gläubige Menschen traf, die sich als gesprächsunfähig erwiesen, umso mehr tauchten Fragen auf, für die es leidlich zufriedenstellende Antworten nicht mehr gab – außer am Ende diese: Abschied.

Man kann einen solchen Abschied für sich behalten, als rein private Angelegenheit behandeln. Diese Forderung habe ich oft genug gehört, direkt oder unüberhörbar zwischen den Zeilen. Sie verbirgt sich beispielsweise in dem beliebten Vorwurf an jene Atheisten, die zuweilen laut und vernehmlich über ihren Unglauben sprechen, sie wollten „missionieren“. Eine abwegige Kritik, die dem einen verwehren will, was sie dem anderen – den Gläubigen und den Kirchen – problemlos zugesteht. Auch sie zeigt, wie schief und verklemmt in unserer Gesellschaft mit dem Thema Glaube umgegangen wird. Denn selbstverständlich muss in einem Land, in dem man auf Schritt und Tritt den unterschiedlichsten Zeugnissen von Religion begegnet, ein Diskurs auch und gerade über ihr Kernthema möglich sein, den Gottesglauben. Mehr noch, ein solcher Diskurs ist zwingend vonnöten. Denn wenn die Debatte immer nur um...

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