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Stress ohne Grund? Eine kritische Auseinandersetzung mit der Indizierungsentscheidung der BPjM

AutorKarla Knitter, Vanessa Beule
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl64 Seiten
ISBN9783656677567
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Studienarbeit aus dem Jahr 2014 im Fachbereich Medien / Kommunikation - Medienethik, Note: 1,0, Technische Hochschule Köln, ehem. Fachhochschule Köln, Sprache: Deutsch, Abstract: Kunstfreiheit ist in Deutschland ein im Grundgesetz geregeltes Recht und schützt nicht nur die freie künstlerische Betätigung, sondern auch die Verbreitung des Kunstwerkes, den so genannten Wirkungsbereich. Was aber, wenn das Kunstwerk ethisch nicht vertretbare Inhalte darstellt oder für jugendliche Rezipienten sogar als gefährdend eingestuft werden muss? Treten Konflikte zwischen der Kunstfreiheit und dem Jugendschutz auf, ist es Aufgabe der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien den Einzelfall nach der Abwägung beider Verfassungsgüter zu bewerten. Regelmäßig wird der Einsatz der BPjM im Zusammenhang mit der musikalischen Kunstform HipHop erforderlich. Publikationen aus dem HipHop-Genre lösen Diskussionen über eine mögliche Indizierung der Werke dabei oftmals durch ihre gewaltverherrlichenden und -anreizenden Songtexte aus. Dieser Sachverhalt muss aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet und hinterfragt werden. Im ersten Schritt stellt sich die Frage, wann eine Aufnahme auf den Index überhaupt gerechtfertigt ist. Wann können Songtexte als gewaltverherrlichend eingestuft werden? Müsste bei einer Indizierung nicht von Zensur und damit von einem Verstoß gegen die Meinungsfreiheit gesprochen werden? Im zweiten Schritt bleibt zu klären, welche Auswirkungen die Aufnahme auf den Index für den publizierenden Künstler und seine Rezipienten haben kann. Kann die Indizierung nicht als eine Art Härteprädikat ausgelegt werden und damit als Marketingstrategie fungieren? Wie ist der Gegenstandsbereich aus medienethischer Perspektive zu bewerten?

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Leseprobe

3 Praxisbeispiel: “Stress ohne Grund” (Shindy & Bushido)


 

3.1 Der Künstler, der Song und das Genre


 

Der Song, der in diesem Kapitel analysiert wird, ist von Anis Mohamed Youssef Ferchichi (geboren am 28.09.1978 in Bonn) besser bekannt unter dem Pseudonym Bushido und Michael Schindler (geboren am 07.09.1988 in Bietigheim-Bissingen) in der Rap-Szene bekannt als Shindy[42]. Bushido ist ein deutscher Gansta-Rapper aus

 

Berlin[43] der bereits mit fünf goldenen- und zwei Platin-Schallplatten[44] ausgezeichnet

 

wurde.[45] Gleichzeitig ist er als Unternehmer bei seinem eigenen Plattenlabel der “bushidoersguterjunge GmbH”[46] und einer eigenen Immobilienfirma tätig[47]. In den Medien wird regelmäßig über seine Verbindungen zum Abou-Chaker-Clan (eine palästinensisch-libanesische Vereinigung aus Berlin mit Zügen organisierter Kriminalität) berichtet.[48] Die Veröffentlichung seiner “Skandal-Songs” weisen nahezu eine Regelmäßigkeit auf. So wird er nicht selten in der Presse als Rüpel- oder SkanalRapper bezeichnet.[49] Shindy ist ebenfalls ein deutscher Rapper. Bekannt wurde er durch Gastauftritte bei bekannten deutschen Rappernn erlangte bisher aber keine dermaßen große Popularität wie Bushido.[50]

 

Der Song „Stress ohne Grund“, der sich dem Genre HipHop – GanstaRap zuordnen lässt, wurde am 12.07.2013 von Bushido und Shindy veröffentlicht. Am 19.07.2013 wurde er von der BPjM indiziert. Der Songtext wird im Folgenden abgebildet:

 

 

3.2 Ziel und Methodik


 

Ziel der Inhaltsanalyse ist eine detaillierte Auseinandersetzung des in Kapital 3.1 vorgestellten und in sein Genre eingeordneten Songtextes “Stress ohne Grund” der Rapper Shindy und Bushido. Unter der Fragestellung, ob die Indizierung des Songs durch die BPjM im Juli 2013 gerechtfertigt war, sollen die Inhalte und sprachlichen Äußerungen dabei aus pädagogischer, rechtlicher und ethischer Sicht hinterfragt werden. Zusätzlich ist es aber auch Ziel dieser Arbeit den Argumenten für eine Indizierung auch den Aspekt der künstlerischen Freiheit gegenüber zu stellen und in diesem konkreten Fall zu überprüfen, ob die Einschränkung dieses Grundrechtes als gerechtfertigt eingestuft werden kann. Neben einer kritischen Auseinandersetzung mit der Entscheidung der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien ist es Gegenstandsbereich, die Konsequenzen und Auswirkungen dieser Entscheidung zu thematisieren.

 

Um diese Fragestellungen beantworten zu können, wird der Songtext des HipHopWerkes “Stress ohne Grund” inhaltsanalytisch untersucht. Dabei wird sich,

 

aus forschungsökonomischen Gründe in dieser Ausarbeitung auf den Songtext beschränkt. Musikalische Aspekte, die als mögliche Verstärker der Wirkungsweise identifiziert werden könnten, werden nicht beachtet. Ebenso wird auf eine analytische Auseinandersetzung mit dem zugehörigen Musikvideos des Songs verzichtet. Bei der Inhaltsanalyse des Songtextes wird zum Einen das Werk als Ganzes aus medienethischer und pädagogischer Sicht hinterfragt, zum Anderen werden einzelne sprachliche Äußerungen und Textzeilen exemplarisch fokussiert und bewertet.

 

Im Anschluss an die Auseinandersetzung mit dem Text des HipHop-Werkes und der Entscheidung der BPjM rücken die unmittelbaren Folgen des Bescheides ins Zentrum. Dazu werden Pressemitteilungen unterschiedlicher Medienanbieter gesichtet und exemplarisch vorgestellt. Dieses Vorgehen soll eine Einschätzung über die medialen Wirkungsmechanismen, die durch die Indizierung eines Werkes ausgelöst werden können, ermöglichen.

 

3.3 Ergebnisse


 

Um zu einer Einschätzung darüber zu gelangen, ob der vorliegende Songtext ethische und jugendgefährdende Inhalte enthält, bedarf es einer genauen Betrachtung einzelner Textpassagen.

 

Bereits in der ersten Strophe, die von HipHopper Shindy gerappt wird, wird gezielt eine aus dem Fernsehen bekannte Person, Cindy aus Marzahn, angefeindet:

 

„Ich bin nicht diese Fette da aus Marzahn“ (Strophe 1, Vers 9).

 

Diese Diffamierung bestimmter Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens setzt sich auch in der zweiten Strophe, welche von Rapper Bushido performed wird, fort:

 

„Halt die Fresse, fick die Presse, Kay, du Bastard, bist jetzt vogelfrei“ (S.2, V.1). Diese Äußerung ist als sehr kritisch einzustufen, da Rapper Kay One[51] verbal bedroht wird. Auf der rein sprachlichen Ebene betrachtet, kann mit dem Adjektiv „vogelfrei“ sogar eine Morddrohung konnotiert werden. Aus ethischer Sicht ist diese massive Gewaltandrohung als überaus fragwürdig einzustufen.

 

Dem entgegenzusetzen ist allerdings die Habitualisierung des gegenseitigen Beleidigens („Dissens“) in der HipHop-Szene. Der sogenannte „Beef“, der einen verbalen Streit zwischen Rappern, ihren Crews (Cliquen) und Plattenlabels bezeichnet, ist als fester Bestandteil in die urbane Kultur integriert.[52] Dabei kann die These aufgestellt werden, dass dieser verbale Konflikt ein Ventil bietet um Aggressionen abzubauen und damit gerade physische Gewalt zu vermeiden. Dennoch sind oben genannte

 

Songzeilen als ethisch problematisch einzustufen, rechtfertigen alleinstehend aber noch keinen Eingriff in die künstlerische Freiheit.[53] Nachdem sich die Beleidigungen in den benannten Textzeilen gegen eine Kunstfigur und einem anderen Rapper richteten, spitzt sich die Problematik im weiteren Verlauf der Strophe durch die Denunziation von Politikern zu:

 

du wirst in Berlin in deinen Arsch gefickt wie Wowereit“ (Strophe 2, Vers 2)

 

„und ich will, dass Serkan Tören jetzt ins Gras beißt“ (Strophe 2, Vers 10)

 

„Ich schieß auf Claudia Roth und sie kriegt Löcher wie ein Golfplatz“ (S. 2, V.12). Auch diese Zeilen können als konkrete Befürwortung von Tötungshandlungen gegen namentlich genannte Personen und damit als explizite Bedrohung der Politiker verstanden werden. Eine Rechtfertigung durch das im HipHop-Genre gängige „Dissen“ ist an dieser Stelle nicht mehr möglich.[54] Spätestens an diesem Punkt muss ein negativer Einfluss auf die Entwicklung jugendlicher Rezipienten unterstellt werden. Dieser resultiert nicht ausschließlich aus den gewaltverherrlichenden Tendenzen, sondern auch aus der Konzentration auf das Berufsbild „Politiker“. Dieses wird durch ihre Äußerungen von Shindy und Bushido zum Feindbild deklariert.

 

Zusätzlich zu den an direkte Personen gerichteten Diffamierungen, finden auch verallgemeinerte Beleidigungen Anwendung im Song „Stress ohne Grund“:

 

„ich jage euch, ihr Partyboys“ (Strophe 2, Vers 6).

 

„ich verkloppe blonde Opfer so wie Oli Pocher“ (Strophe 2, Vers 8).

 

„Yeah Yeah, was für Vollmacht, du Schwuchtel wirst gefoltert“ (Strophe 2, Vers 11). In diesen Zeilen werden „[s]chwere Verletzungshandlungen [...] legitimiert und entsprechende Gewaltdelikte bagatellisiert“.[55]Dies kann insbesondere für Jugendliche

 

zu einer sozialethischen Desorientierung führen.[56] Gewalt kann von Heranwachsenden als alltäglich und lösungsorientiert verstanden werden. Die durchgängig positive Konnotation von Gewalt kann diese als erstrebenswert und als Ausdruck von Stärke erscheinen lassen. Aus pädagogischer Sicht ist dies höchst allarmierend.

 

Außerdem werden in dem Songtext vermehrt Homosexuelle diskriminiert:

 

„Männer lutschen keine Schwänze“ (Refrain, Vers 4)

 

du wirst in Berlin in deinen Arsch gefickt wie Wowereit“ (Strophe 2, Vers 2)

 

„Yeah Yeah, was für Vollmacht, du Schwuchtel wirst gefoltert“ (Strophe 2, Vers 11).

 

Insbesondere homosexuelle Männer werden in diesen Versen degradiert und auf respektlose Weise auf ihre sexuelle Orientierung reduziert. Ein gleichgeschlechtliches Sexualleben wird abgewertet. Damit, dass homosexuelle Männer als nicht der gesellschaftlichen Norm entsprechend dargestellt werden, muss das Toleranzprinzip unserer Gesellschaft als gefährdet eingestuft werden.[57] Einer solchen Suggestion kann ein negativer Einfluss auf die moralische Entwicklung junger Heranwachsender unterstellt werden, was eine Indizierung durch die BPjM rechtfertigen würde.

 

Insgesamt ist also eine Häufung von möglichen jugendgefährdenden Beeinflussungen erkennbar, die isoliert betrachtet zu einer eindeutigen Entscheidung für eine Indizierung des Songs führen würde. Jedoch bleibt zu beachten, dass auch die Kunstfreiheit ein im Grundgesetz geregeltes Recht darstellt. Im Abwägungsprozess führen allerdings vor allem die verrohenden Gewaltäußerungen, der...

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