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Studienbuch der geistigen Behinderung

Theoretische und praktische Aspekte der Geistigbehindertenpädagogik

AutorRiccardo Bonfranchi
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl280 Seiten
ISBN9783656560050
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
Fachbuch aus dem Jahr 2013 im Fachbereich Pädagogik - Heilpädagogik, Sonderpädagogik, , Sprache: Deutsch, Abstract: Das Buch setzt sich mit einer Reihe von praktischen Inhalten auseinander, die in einem engen Zusammenhang mit geistiger Behinderung stehen. Es stellt theoretische und praktische Aspekte vor, für lebenslang von Behinderung Betroffene (Eltern) und professionell von Behinderung Betroffene (Heil- und Sozialpädagogen). Aus dem Inhalt: - Schwere und schwerste geistige Behinderung/Basales Arbeiten, - Angehörigen-Arbeit, - Ekel, - Sexuelle Ausbeutung, - Psychotherapie bei geistiger Behinderung, - Therapeutischer Kunstunterricht, - Sport als erziehungstherapeutisches Medium, - Musiktherapie, - Ergotherapie bei geistiger Behinderung, - Der Einsatz des Computers bei geistiger Behinderung, - Freizeitgestaltung bei Menschen mit geistiger Behinderung, - Probleme im Zusammenhang mit der Pränatalen Diagnostik, - Integration von Kindern mit geistiger Behinderung, - Burnout in der Arbeit mit geistig behindertem Klientel, - Mitleid als sozialpädagogisches Element, - Adoption von Kindern mit einer geistigen Behinderung.

Riccardo Bonfranchi (1950*) studierte Sonderpädagogik an der Heilpädagogischen Fakultät der Universität Köln. Dort erlangte er das Doktorat. Von 1984 bis 1990 war er Rektor des Werkjahres Basel-Land. Danach lehrte er Heilpädagogik und Psychologie an der Höheren Fachschule (Lehrer für Geistigbehinderte) in Bern. 2009 schloss er den Master in Adavanced Studies in Applied Ethics an der Universität Zürich ab. Bis Sommer 2010 war er Schulleiter der Heilpädagogischen Schule in Zürich (RGZ-Stiftung). In dieser Eigenschaft gründete er eine Tagesförderstätte für schwer- und mehrfachbehinderte junge Erwachsene. Seit August 2010 ist Riccardo Bonfranchi freiberuflich in den Bereichen Supervision und Schulung von Heilpädagogischen Kräften tätig (www.bonfranchi.info).

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Leseprobe

2 Was ist Heilpädagogik?


 

Bevor wir mit den einzelnen Themenblöcken beginnen, legen wir hier eine kurze, aber stabile Basis. Auf historische Erörterungen [3] [4] verzichte ich hier, denn ich bin mir aber bewusst, dass es nicht ohne Verkürzungen gehen kann, den komplexen Sachverhalt der Heilpädagogik zu erläutern. Dies beginnt schon bei der Namensgebung. Wir kennen ausser dem Begriff der Heilpädagogik im deutschen Sprachraum noch die Begriffe Sonderpädagogik, der vor allem in Deutschland Verwendung findet. Hier findet man auch den Begriff der Behindertenpädagogik, der in der Schweiz eher selten anzutreffen ist. In der Schweiz ist nach wie vor der älteste dieser Begriffe, nämlich der der Heilpädagogik der am häufigsten verwendete und deshalb verwende ich ihn auch. Allerdings ist mir bei diesem Begriff oft nicht sehr wohl, weil ich im Grunde nicht genau weiss, was eigentlich mit dem ‚Heil‘ gemeint ist. Ich verstehe mich denn weniger als Heiler, denn als Pädagoge in besonderen Situationen. Die Bedeutung der Heilpädagogik signalisiert noch die alte Nähe der Behindertenpädagogik zur Medizin, wie es im 19. Jahrhundert noch der Fall gewesen ist, als sich die Heilpädagogik noch nicht als eigen- und selbständige Disziplin verstanden hat.

 

Moderne Fragestellungen der Heilpädagogik sind heute die Folgenden:

 

- Was ist Heilpädagogik? Wogegen grenzt sie sich ab? Wo gehört sie dazu?

 

- Wo befindet sich die Heilpädagogik? Wo ist ihr Platz innerhalb der Sozialwissenschaften, innerhalb der Gesellschaft?

 

- Wann zeigt sich Heilpädagogik? Ist sie in heutigen Diskussionen, wenn es um Behinderung geht, präsent? Erhebt sie ihre Stimme? Hat sie überhaupt eine?

 

- Wodurch begründet sich die Heilpädagogik? Auf welchem Fundament steht sie? Wovon oder wodurch leitet sie sich und ihre Legitimation ab?

 

- Wohin soll sich die Heilpädagogik ausrichten? Was sind ihre Visionen? Wie sehen ihre Leitbilder aus? Welches sind überhaupt ihre Leitbilder?

 

- Wie setzt sich die Heilpädagogik um? Wo findet man sie? Nach welchen Kriterien arbeitet sie? Wie geht sie vor? Was sind ihre Handlungspläne?

 

- Wer übt Heilpädagogik aus? Welche Berufe verstecken sich hinter dem Vorhang der Heilpädagogik? Wer bildet wie aus? Welche Voraussetzungen muss man erfüllen, um eine gute Heilpädagogin, ein guter Heilpädagoge zu sein? Wer setzt die Standards?

 

Dieses Buch versucht einige dieser Fragen zu beantworten. Entscheiden Sie selber, inwieweit dies gelungen ist oder wo sie Defizite in der Beantwortung feststellen können.

 

Kehren wir zur Ausgangsfrage zurück, die heisst: Was ist Heilpädagogik? Beginnen wir klassisch, d.h. mit einer Definition der WHO. Diese formulierte 1980 in der ICIDH-1 (international classification of impairments, disabilities and handicaps) folgendes:

 

Impairment = Schaden

 

Ein Schaden ist ein Verlust oder eine Abnormität der Körperstruktur oder einer physischen oder psychischen Funktion.

 

Disability = Fähigkeitsstörung

 

Sie spiegelt die Folgen der Schädigung für die funktionellen Fähigkeiten und Aktivitäten der Person wider. Sie stellt Störungen auf der Ebene der Person dar.

 

Handicap = Beeinträchtigung

 

Sie betreffen Beeinträchtigungen, die seitens der Person im Gefolge von Schädigungen und Fähigkeitsstörungen erfahren werden. Beeinträchtigungen spiegeln daher die Wechselwirkung mit der Umgebung des Individuums und die Adaption an diese wider.

 

1999 wurden diese Klassifikationen leicht verändert und lauten nun so:

 

Schädigung

 

Eine Schädigung ist eine Beeinträchtigung einer Körperfunktion oder –struktur im Sinne einer wesentlichen Abweichung oder eines Verlusts.

 

Aktivität

 

Eine Aktivität ist die Art und das Ausmass einer zielgerichteten Tätigkeit einer Person als autonom handelndes Subjekt. Eine Aktivität kann in Art und Dauer und Qualität gestört sein.

 

Partizipation

 

Die Partizipation ist die Art und das Ausmass der Teilhabe oder des Einbezogenseins einer Person an bzw. in Lebensbereichen im Hinblick auf Schädigungen, Aktivitäten, gesundheitlicher Situationen und Kontextfaktoren. Die Partizipation kann in Art, Dauer und Qualität eingeschränkt sein.

 

Heute orientieren wir uns auch in der Heilpädagogik zunehmend an der ICF, d.h. an der Interantionalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit. [5] „Der Begriff der Funktionsfähigkeit eines Menschen umfasst alle Aspekte der funktionalen Gesundheit. Eine Person ist funktional gesund, wenn – vor dem Hintergrund ihrer Kontextfaktoren –

 

1. Ihre körperlichen Funktionen (einschliesslich des mentalen Bereichs) und Körperstrukturen denen eines gesunden Menschen entsprechen (Konzepte der Körperfunktionen und –strukturen).

2. Sie all das tut oder tun kann, was von einem Menschen ohne Gesundheitsprobleme (ICD) erwartet wird (Konzept der Aktivitäten).

3. Sie ihr Dasein in allen Lebensbereichen, die ihr wichtig sind, in der Weise und dem Umfang entfalten kann, wie es von einem Menschen ohne gesundheitsbedingte Beeinträchtigung der Körperfunktionen oder –strukturen oder der Aktivitäten erwartet wird (Konzepte der Partizipation (Teilhabe) an Lebensbereichen).

 

Der Behinderungsbegriff der ICF ist der Oberbegriff zu jeder Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit eines Menschen.“ [6] Diese o.e. Definition, die vom nicht-behinderten Menschen ausgeht, ist mir sehr sympathisch, weil sie nicht das definiert, was nicht vorhanden ist, sondern von einem funktionsfähigen und damit auch partizipativen Menschen ausgeht. Dass ein Mensch mit geistiger Behinderung darin eingeschränkt ist, ist klar. Aber es ist immer eine relative Eingeschränktheit, eine relative Beeinträchtigung, die es immer wieder erneut zu definieren gilt. Ein Mensch ist nicht nur behindert, er ist zu einer bestimmten Zeit, in bezug auf bestimmte Tätigkeiten behindert. Dies gilt auch für schwer und mehrfachbehinderte Menschen, wo ev. vor lauter Behinderung kaum noch der Mensch gesehen werden kann. Dies darf aber nicht sein, weil es ethisch nicht vertretbar ist, dass ein Merkmal für einen Menschen wesensbestimmend sein soll.

 

2.1 Raster für Bestandesaufnahme mit der ICF


 

[7]

Die ICF wird in zwei Teile unterteilt, die je zwei Komponenten haben. Teil 1 beschreibt die Funktionsfähigkeit und Behinderung eines Menschen und beinhaltet die Komponenten Körperfunktion und Körperstruktur sowie Aktivität und Partizipation.

 

Teil 2 beschreibt der Kontext in dem eine Person lebt und beinhaltet die beiden Komponenten Umweltfaktoren und Personbezogene Faktoren (vgl. unten Kontextfaktoren). [8]

 

Kontextfaktoren

 

Kontextfaktoren sind alle Gegebenheiten des Lebenshintergrundes einer Person. Sie sind in Umweltfaktoren und personenbezogene Faktoren gegliedert. Diese können einen positiven (Förderfaktor) oder negativen Einfluss (Barriere) auf die Person mit einem bestimmten Gesundheitszustand haben.

 

Komponenten

 

Sind die Teile der ICF. Es sind dies: Körperfunktionen und Körperstrukturen, Aktivität und Partizipation, Umweltfaktoren und Personbezogene Faktoren. Kapitel, resp. Items und Subitems von Komponenten können sowohl positiv (Ressourcenorientierung) wie negativ (Defizitorientierung) beschrieben werden.

 

Körperfunktionen und Körperstrukturen

 

Körperfunktionen sind die physiologischen Funktionen von Körpersystemen (einschließlich psychologischer Funktionen).

 

Körperstrukturen sind anatomische Teile des Körpers wie Organe, Gliedmaßen und ihre Bestandteile.

 

Eine Schädigung ist eine Beeinträchtigung einer Körperfunktion oder –struktur, wie z.B. eine wesentliche Abweichung von einem Standard oder ein Verlust. [9] Sie werden umgangssprachlich als Defizite bezeichnet.

 

Wirkt sich eine Körperfunktion oder –struktur positiv auf den Gesundheitszustand einer Person aus, wird dies als Ressource bezeichnet.

 

Aktivität

 

Eine Aktivität ist die Durchführung einer Aufgabe oder einer Handlung (Aktion) durch eine Person.

 

Beeinträchtigungen der Aktivität sind Schwierigkeiten, die ein Mensch haben kann, die Aktivität durchzuführen. Sie werden umgangssprachlich als Defizite bezeichnet.

 

Wirkt sich eine Aktivität positiv auf den Gesundheitszustand einer Person aus, wird dies als Ressource bezeichnet.

 

Partizipation/Teilhabe

 

Partizipation/Teilhabe wird als das Einbezogensein einer Person in eine Lebenssituation definiert. Partizipation bedeutet konkret:

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