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Stunde Null im deutschen Bildungswesen?

Kontinuität und Neuausrichtung in den Jahren 1945 bis 1955

AutorTim Sonnenwald
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2007
Seitenanzahl103 Seiten
ISBN9783638744713
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
Examensarbeit aus dem Jahr 2007 im Fachbereich Geschichte Europa - and. Länder - Neueste Geschichte, Europäische Einigung, Note: 1,00, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, 91 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Die Arbeit zeichnet wichtige Grundlinien des deutschen Bildungswesens von der Weimarer Republik bis in die frühen 50er Jahre nach. Gefragt wird hierbei nach Kontinuitäten und Diskontinuitäten im Schulwesen (organisatorisch und inhaltlich). Besondere Bedeutung wird auf die Unterschiede in der Entwicklung von BRD und DDR gelegt. Die Arbeit verfolgt darüber hinaus zwei Blickwinkel. Dargestellt wird zum Einen die Entwicklung auf der Makroebene (Schulbücher, Lehrpläne, etc.) und zum Anderen die Mikroebene (Schulalltag, etc.)

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Leseprobe

III. Die Vorstellungen der Alliierten bezüglich des deutschen Schul- und Bildungswesens vor Kriegsende


 


1. Die Vorbereitungen der einzelnen Besatzungsmächte


 


a.) USA


 


Bereits kurz nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurde in den USA das „General Advisory Committee on Post War Foreign Policy“ gebildet. Ihm gehörten Vertreter verschiedener Regierungsbehörden an. Ziel dieses Komitees war die Ausarbeitungen von Vorschlägen über die Kriegsziele der USA. Nachdem sich im Laufe des Krieges immer mehr herausstellte, dass nur die totale Niederlage der Gegner das Ziel des Krieges sein konnte, beschäftigte sich die Kommission mehr und mehr mit der Frage, wie mit den besiegten Gegnern umgegangen werden sollte[95].

 

      Hierbei kristallisierten sich bezüglich Deutschlands zwei Gruppen mit unterschiedlichen Auffassungen innerhalb der amerikanischen Administration heraus. Einig waren sich beide Gruppen lediglich darin, dass Deutschland nie wieder in der Lage sein sollte, einen Krieg zu beginnen. Die Mittel zur Erreichung dieses Zieles waren jedoch umstritten. Während die „Westintegranten“ die enge Einbindung eines demokratisierten Deutschlands in die westliche Welt befürworteten[96], sahen die „Linken“ in der langfristigen Zusammenarbeit mit der Sowjetunion die eigenen Sicherheitsinteressen am ehesten gewährleistet[97].

 

      Bekanntester Vertreter der „Linken“ war der US-Finanzminister Morgenthau. Selbst Jude und tief betroffen vom Schicksal seiner Glaubensgenossen in Europa, trat er für eine harte Linie gegenüber Deutschland ein[98]. Seine Pläne, die als Morgenthau-Plan[99] in die Geschichte eingegangen sind[100], sahen die Dezentralisierung, Entmilitarisierung und Entnazifizierung Deutschlands unter maßgeblicher Beteiligung der europäischen Mächte und der Sowjetunion vor. Alle Deutschen waren für Morgenthau und seinen Kreis an den Nazi-Verbrechen gleichermaßen schuldig[101]. Die Möglichkeit der Demokratisierung Deutschlands wird deshalb als nahezu unmöglich angesehen – gerade weil die „deutschen“ Tugenden des Militarismus und des Totalitarismus tief im Volk verwurzelt seien. Aufgrund dieses Standpunktes fordert die Gruppe um Morgenthau auch keine demokratischen Erziehungsziele für das Schul- und Bildungswesen der Nachkriegszeit[102]. Lediglich die Erziehung im nazistischen Sinne sollte unterbunden werden. Da Deutschland nach dem Krieg ohnehin nur als Agrarstaat existieren sollte und deshalb höhere Qualifikationen nicht erforderlich seien, wird gefordert lediglich die Volksschulen weiter geöffnet zu halten: „All schools and universities will be closed until an Allied Commission of Education has formulated an effective reorganisation program. It is contemplated that it may require a considerable period of time before any institutions of higher education are reopend“[103]. Obwohl der Morgenthau-Plan niemals zu einem offiziellen Regierungsdokument wurde, erlangte er dennoch großen Einfluss in der amerikanischen Administration. Besonders Präsident Roosevelt favorisierte diesen Plan zeitweilig, was dazu führte, dass er zu Ende des Krieges und in der ersten Zeit der Besetzung Deutschlands die US-Nachkriegesplanung stark beeinflusste[104].

 

      Im Gegensatz zum Agrarstaat Morgenthauscher Prägung favorisierten die „Westintegranten“ den Wiederaufbau der gesamten deutschen Wirtschaft unter alliierter Kontrolle. Nur ein starkes Deutschland, so ihre Auffassung, sei in der Lage als Bollwerk gegen die heraufziehende Gefahr des Kommunismus zu fungieren. Gleichzeitig sollte die Demokratisierung der Bevölkerung erreicht werden. Hierzu war die verstärkte Heranziehung zuverlässiger Deutscher für die Übernahme von Aufgaben vorgesehen. Im Mittelpunkt der Demokratisierungsmaßnahmen sollte jedoch die Jugend stehen: „Durch Etablierung demokratischer Prinzipien und Praxis im deutschen Schulwesen und Entnazifizierung des Lehr- und Schulpersonals sollte eine ‚grundlegende Änderung der deutschen Haltung gegenüber Krieg und Ultranationalismus‘ […] erreicht werden“[105]. Die Besatzungsmacht sollte sich hierbei nach und nach zurückziehen und die Ausgestaltung den Deutschen überlassen. Hierdurch sollte die in sich widersprüchliche Situation umgangen werden, dass einem Staat Demokratie oktroyiert wird.

 

      Die Überlegungen der „Westintegranten“ stützten sich im Bereich der (Um-) Erziehung zur Demokratie vor allem auf den Pädagogen und Philosophen John Dewey[106]. Die Ableitung des deutschen Obrigkeits- und Führerstaates nationalsozialistischer Prägung aus dem deutschen Idealismus[107] war hierbei ebenso populär wie dessen sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen für das deutsche Schulwesen: Dieses „sei nicht nur der Vermittler dieser Philosophie, in seiner Dreigliedrigkeit und seiner hierarchischen Struktur spiegle es zudem den ständischen Aufbau der Gesellschaft wieder und verhindere eine Erziehung zur demokratischen Partizipation“[108]. Aus diesem Grund müsse die Schule an demokratische Lebensformen angepasst werden und dabei auch die Standesschranken fallen. Allein die Einheitsschulen nach amerikanischem Vorbild, so die Auffassung Deweys, könnten dies bewerkstelligen[109].

 

      Am Endpunkt der Diskussionen und Beratungen im „General Advisory Committee on Post War Foreign Policy“ stand im April die Richtlinie JCS[110] 1067, die allgemeine Anweisungen für den Umgang mit Deutschland unmittelbar vor und nach der Kapitulation gab. Das Dokument stellt einen Kompromiss zwischen den „Westintegranten“ und den „Linken“ dar. Im Bereich der Wirtschaftspolitik hatten die Westintegranten sich durchgesetzt, von einer Transformierung Deutschlands zu einem Agrarstaat war in der JCS 1067 keine Rede mehr. Dagegen dominierten die Ideen der „Linken“ vor allem den kulturellen und gesellschaftlichen Raum. Hier wurde dem Gedanken der Rache für die begangenen Verbrechen Rechnung getragen[111]. Den Forderungen Morgenthaus entsprechend waren alle Schulen zu schließen, die NS-Eliteschulen sollten gänzlich aufgelöst werden. Ein Programm zur Entnazifizierung  und ein „affimative program of reorientation“ mit dem Ziel „to encourge the development of democratic ideas“ wurden ebenso angekündigt[112]. Nach der Entnazifizierung des Personals, der Lehrer und der Schulbücher sollten die Volks-, Mittel- und Berufsschulen wieder öffnen, während die höheren Schulen und die Universitäten weiterhin geschlossen gehalten werden sollten. Bekenntnisschulen waren gestattet, soweit diese den Bestimmungen der Alliierten entsprachen[113].

 

      Die Bestimmungen der JCS 1067 waren lediglich dafür gedacht die erste Zeit der Besatzung zu regeln. Deshalb waren die dortigen Bestimmungen meist nur vom Gedanken der Ausschaltung alles Nazistischen geprägt. Die JCS 1067 enthielt kein längerfristiges Konzept und auch keine Perspektiven für mehrere Jahre der Besatzung. Solch ein Konzept wäre aber dringend notwendig gewesen um die Arbeit der Militärregierung zu erleichtern und den Umbau des deutschen Schulwesens in einem demokratischen Sinne zu erleichtern.

 

b. Großbritannien


 


Die Diskussion über die Zukunft Deutschlands nach dessen Niederlage und der Besetzung wurde auch in Großbritannien kontrovers geführt. Ähnlich der Diskussion in den USA bildeten sich auch dort zwei Gruppen: Die „Vansittartisten“[114] und die „Linken“.

 

      Erstere interpretieren den „deutschen Volkscharakter“ als aggressiv und militaristisch. Aus diesem Grund seien auch alle Deutschen an den Verbrechen der Nationalsozialisten schuld. Daher sei ein „complete change of heart, mind and soul“[115] der Deutschen notwendig. Die Mitwirkung von Deutschen an diesem von den Alliierten durchzuführenden Prozess wird dabei ausgeschlossen. Radikalere Anhänger des Vansittartismus plädierten zudem darauf die „deutsche Identität“ durch die Zerstückelung des Landes auszulöschen und somit weitere Kriege zu verhindern[116]. Ablehnung fanden die Vansittartisten vor allem bei der Labour-Partei und der Arbeiterbewegung, den sog. „Linken“. Diese erteilten der Kollektivschuldthese eine Absage, denn sie sahen im deutschen Volk lediglich die Verführten des Nationalsozialismus, das durch geschickte Umschulungsmaßnahmen für die Demokratie zu gewinnen sei[117]. Gleichwohl: Die Diskussion beider Gruppen fand anders als in den USA nicht in einem Regierungsausschuss, sondern in der britischen Presse und im Radio statt, so dass man beide Positionen nur bedingt als wirkliche Pläne für eine Nachkriegsordnung in Deutschland ansehen kann[118].

 

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