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E-Book

Sturz ins Leere

Ein Überlebenskampf in den Anden

AutorJoe Simpson
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl304 Seiten
ISBN9783492954464
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Die beiden jungen Bergsteiger Joe Simpson und Simon Yates brechen auf, um den Andengipfel Siula Grande über die bisher unbezwungene Westwand zu besteigen. Bei einem Sturz im Abstieg wird Simpsons Knie zerschmettert. Sein Seilpartner setzt alles daran, das Leben seines Gefährten zu retten, und seilt ihn bei extrem schlechten Wetterbedingungen ohne Selbstsicherung ab. Doch Simpson rutscht ab und hängt mit einem Mal über dem gähnenden Abgrund einer Gletscherspalte. Um nicht selbst mit in die Tiefe gerissen zu werden, muss Yates das Seil kappen, das die beiden verbindet. Wie durch ein Wunder entgeht Simpson dem sicheren Tod. Nun beginnt für ihn der Kampf ums Überleben, während Yates in der Einsamkeit mit seinem Gewissen ringt ...

Geboren 1960 in Kuala Lumpur, wußte schon mit vierzehn Jahren, was einmal sein Leben bestimmen würde: Bergsteigen und Schreiben. Er studierte Englisch und Philosophie, bevor er sich hauptberuflich dem Alpinismus widmete. Seine unglaubliche Überlebensgeschichte »Sturz ins Leere« wurde weltweit zum Bestseller und verfilmt, sie machte ihn zur lebenden Legende. Simpson, nach wie vor eine der interessantesten Figuren der Bergsteigerszene, lebt in der Nähe von Sheffield und in Irland.

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Leseprobe

1   Unter den Bergseen


Ich lag in meinem Schlafsack und starrte hinauf in das Licht, das durch das rot-grüne Gewebe des Kuppelzeltes drang. Simon schnarchte laut und zuckte gelegentlich im Schlaf. Wir hätten überall sein können. Ein Zelt hat immer etwas Anonymes an sich. Sobald man den Reißverschluss zugezogen hat und die Welt um sich herum nicht mehr sieht, verschwindet auch jeglicher Ortssinn. Ob in Schottland, in den französischen Alpen oder im Karakorum – es ist immer dasselbe: Das Geräusch des Regens oder der raschelnden Zeltplanen im Wind, der harte Boden unter der Isomatte, der Gestank nach Socken und Schweiß – all das ist überall gleich und ebenso tröstlich wie die Wärme des Daunenschlafsacks.

Draußen wurde es hell, und die erste Morgensonne berührte wahrscheinlich schon die Gipfel. Vielleicht schraubte sich über dem Zelt sogar ein Kondor hinauf in die Lüfte. Ganz so abwegig war die Vorstellung nicht, denn ich hatte gestern Nachmittag einen über unserem Lagerplatz kreisen sehen. Wir befanden uns mitten in der Cordillera Huayhuash in den peruanischen Anden, fast fünfzig Kilometer Fußmarsch vom nächsten Dorf entfernt, umringt von den spektakulärsten Eisgipfeln, die ich jemals gesehen hatte. Von hier aus, im Zelt, deutete jedoch nichts auf all das hin – außer dem regelmäßigen Donnern der am Cerro Sarapo abgehenden Lawinen.

Ich fühlte mich wohl und geborgen in der Wärme und Sicherheit des Zeltes und schälte mich daher auch nur widerwillig aus meinem Schlafsack, um den Kocher anzuwerfen. In der Nacht hatte es etwas Neuschnee gegeben, und das gefrorene Gras unter meinen Füßen knirschte, als ich zu unserem Küchenfelsen hinübertrottete. In Richards winzigem Einmannzelt, das halb eingedrückt und mit Raureif überzogen war, schien sich noch nichts zu rühren.

Ich kauerte mich in den Windschatten des riesigen überhängenden Felsblocks, den wir zur Kochstelle erklärt hatten, und genoss die Ruhe und Einsamkeit des Augenblicks. Der Kocher, mit dem ich herumhantierte, sträubte sich hartnäckig gegen die widrigen Temperaturen und das rostige Benzin, mit dem ich ihn befüllt hatte. Alles gute Zureden war umsonst, und so blieb mir nichts anderes übrig, als rohe Gewalt anzuwenden und ihn auf einen voll aufgedrehten Propangaskocher zu setzen. Jetzt erwachte er mit einem Mal zum Leben und spie launisch und empört über das verdreckte Benzin mehr als einen halben Meter hohe Flammen.

Während das Wasser im Topf langsam heiß wurde, ließ ich meinen Blick über das breite, von Felsblöcken übersäte ausgetrocknete Flussbett schweifen. Der einzeln stehende Block, bei dem ich hockte und der unseren Lagerplatz markierte, war außer bei extrem schlechtem Wetter weithin sichtbar. Direkt hinter dem Lager, keine drei Kilometer entfernt, ragte eine gewaltige, fast senkrechte Wand aus Eis und Schnee zum Gipfel des Cerro Sarapo empor. Aus dem Meer von Moränen zu meiner Linken erhoben sich zwei spektakuläre, gigantische Paläste aus Zuckerguss, der Yerupaja und der Rasac. Der majestätische, fast 6400 Meter hohe Siula Grande lag hinter dem Sarapo und war somit von hier aus nicht zu sehen. Er war im Jahr 1936 von zwei wagemutigen Deutschen über den Nordgrat erstbestiegen worden. Seitdem hatte es nur wenige weitere Begehungen gegeben, und seine abschreckende, fast 1400 Meter hohe Westwand hatte sämtlichen bisherigen Versuchen getrotzt.

Ich drehte den Kocher aus und goss das Wasser vorsichtig in drei große Becher. Noch war die Sonne nicht hinter dem gegenüberliegenden Gebirgskamm hervorgekommen, und im Schatten war es empfindlich kalt.

»Ich hätte hier einen heißen Tee für dich – falls du überhaupt noch lebst da drin!«, verkündete ich gut gelaunt.

Ich trat ein paarmal gegen Richards Zelt, um es vom Reif zu befreien. Schließlich kam Richard herausgekrochen. Man sah ihm an, dass er eine unbequeme, eisige Nacht hinter sich hatte. Wortlos und mit einer Rolle Klopapier unter dem Arm stapfte er zum Flussbett hinunter.

»Fühlst du dich immer noch so elend?«, fragte ich ihn, als er zurückkam.

»So ganz auf der Höhe bin ich noch nicht, aber das Schlimmste habe ich hinter mir, glaube ich. Diese Nacht war es verdammt kalt.«

Ich war mir nicht sicher, ob es nicht doch eher die dünne Luft hier oben als der Bohneneintopf war, was ihm so zu schaffen machte. Immerhin hatten wir unsere Zelte auf einer Höhe von mehr als viereinhalbtausend Metern aufgeschlagen, und Richard war kein Bergsteiger.

Simon und ich hatten Richard in einem schäbigen Hotel in Lima kennengelernt, wo er nach der Hälfte seiner sechsmonatigen Südamerika-Tour gerade eine Weile Rast machte. Hinter seiner Drahtgestellbrille, der ordentlichen, zweckmäßigen Kleidung und seiner vogelähnlichen Art verbargen sich ein trockener Humor und ein schier unerschöpfliches Repertoire abenteuerlichster Reiseerlebnisse. Richard hatte sich von Maden und Beeren ernährt, während er mit Pygmäen im Einbaum durch die Regenwälder von Zaire gepaddelt war, hatte mitansehen müssen, wie ein Ladendieb auf einem Markt in Nairobi zu Tode getrampelt wurde, und in Uganda war sein Reisebegleiter nur wegen einer verdächtig wirkenden Übergabe von Tonbandkassetten von schießwütigen Soldaten umgebracht worden.

Zwischen seinen Reisen durch die ganze Welt arbeitete Richard hart, um sich das nötige Geld dafür zusammenzusparen. Meistens war er allein unterwegs und überließ es dem Zufall, wohin ihn seine Begegnungen in fremden Ländern führten. Simon und ich hatten uns überlegt, dass es durchaus vorteilhaft sein könnte, einen so unterhaltsamen Wächter wie Richard im Lager dabeizuhaben. Er konnte auf unsere Ausrüstung aufpassen, während wir unterwegs beim Klettern waren. Vielleicht taten wir den armen Bauern dieser abgeschiedenen Gebirgsregion mit unserer groben Unterstellung Unrecht, aber in den Gässchen von Lima hatten wir gelernt, gegenüber jedem, dem wir begegneten, misstrauisch zu sein. Jedenfalls hatten wir Richard angeboten, uns für ein paar Tage zu begleiten, wenn er die Anden aus nächster Nähe kennenlernen wollte.

Zwei ganze Tage waren wir zu Fuß unterwegs gewesen, nachdem uns der Bus nach einer abenteuerlichen, halsbrecherischen, 130 Kilometer langen Fahrt durch die Gebirgstäler endlich abgesetzt hatte. Man hatte 64 Menschen in das klapprige Vehikel gepfercht, obwohl es eigentlich nur für 22 ausgelegt war, und auch der Anblick der zahlreichen Gedenkkreuze, die man am Straßenrand für verunglückte Busfahrer und ihre Passagiere aufgestellt hatte, war alles andere als erbaulich. Der Motor des Busses wurde von Nylonschnüren zusammengehalten und ein platter Reifen mithilfe eines Pickels gewechselt.

Am Ende des zweiten Tages machten sich bei Richard die ersten Auswirkungen der Höhenluft bemerkbar. Als es dämmerte und wir uns dem Talende näherten, drängte er Simon und mich, schon einmal mit den Eseln vorauszugehen, um das Lager noch vor Einbruch der Dunkelheit aufschlagen zu können. Er selbst wollte dann langsam nachkommen. Das letzte Stück ging es ohnehin immer nur geradeaus – er würde sich also bestimmt nicht verlaufen, meinte er.

Langsam wankte er die tückischen Moränenhänge bis zu dem See hinauf, wo sich seiner Meinung nach unser Lagerplatz befinden musste. Erst dort fiel ihm ein, dass auf der Karte noch ein zweiter See eingezeichnet gewesen war. Inzwischen hatte es angefangen zu regnen und war merklich kälter geworden. Richards dünnes Hemd und seine leichte Baumwollhose würden einen nur spärlichen Schutz gegen die kühlen Nächte in den Anden bieten, sodass er erschöpft wieder ins Tal abstieg, um nach einem Unterschlupf zu suchen. Beim Hinweg hatte er einige verfallene Hütten aus Steinen und Wellblech gesehen, die leer zu stehen schienen und für die Nacht zumindest ein halbwegs passables Dach über dem Kopf abgeben würden. Zu seiner Überraschung hausten dort jedoch zwei junge Mädchen mit einer ganzen Horde von Kindern.

Nach einigem Hin und Her durfte Richard schließlich im Schweinestall übernachten. Die Mädchen versorgten ihn mit Pellkartoffeln und Käse und überließen ihm ein Bündel mottendurchlöcherter Schaffelle. Es wurde eine lange, kalte Nacht, und die Hochgebirgsläuse genossen ihr leckerstes Mahl seit Langem.

Simon kam zum Küchenfelsen herüber und erzählte uns von dem lebhaften und ziemlich amüsanten Traum, den er letzte Nacht gehabt hatte. Er war fest davon überzeugt, dass seine wirren Halluzinationen von den Schlaftabletten kamen, die er nahm. Ich beschloss, noch am selben Abend ebenfalls ein paar von den Pillen auszuprobieren.

Während Simon sich daranmachte, das Frühstück zuzubereiten, trank ich den letzten Schluck Kaffee und begann dann in mein Tagebuch zu schreiben:

19. Mai 1985, Basislager. Gestern Nacht eisiger Frost, heute Morgen strahlend blauer Himmel. Ich versuche immer noch, mich an all das hier zu gewöhnen. Es fühlt sich so bedrohlich abgeschieden und zugleich so erhebend an – und tausendmal besser als in den Alpen: keine Horden von Bergsteigern, keine Hubschrauber, keine Hilfe, nur wir und die Berge … Das Leben erscheint einem hier viel einfacher und wirklicher. Es ist so leicht, die Geschehnisse und Gefühle an sich vorüberziehen zu lassen, ohne innezuhalten und sich noch einmal umzusehen …

Ich fragte mich, wie viel von diesen Worten ich wirklich glaubte und was sie mit dem zu tun hatten, was wir hier in den Anden vorhatten. Morgen würden wir am Rosario Norte mit unseren Akklimatisierungstouren anfangen. Wenn wir nach zehn Tagen fit genug wären, würden wir uns an die bislang unbezwungene Westwand des Siula Grande wagen.

Simon...

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