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E-Book

Südtiroler in der Waffen-SS

Vorbildliche Haltung, fanatische Überzeugung

AutorThomas Casagrande
VerlagEdition Raetia
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl614 Seiten
ISBN9788872835647
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Otto Casagrande starb 1990 auf einem Veteranentreffen der Waffen-SS. Für seinen Sohn Thomas war dies der Auslöser, sich intensiv mit der Vergangenheit des ehemaligen SS-Untersturmführers zu beschäftigen. Nach zwanzig Jahren Recherche legt der Autor nun eine erste Studie über Anzahl, Rekrutierung und Verwendung der vielen Südtiroler SS-Freiwilligen vor. Die Südtiroler Rekrutierungsquote der SS liegt im Vergleich zum Deutschen Reich sowie anderen 'volksdeutschen' Gebieten überproportional hoch. Eingesetzt wurden die ersten Freiwilligen in den damaligen 'Elitedivisionen' der Waffen-SS oder in den Wachmannschaften der Konzentrationslager. Später wurden Rekruten eher den Gebirgsjägern zugeteilt oder ab 1943 den Besatzungstruppen in Italien. In Kurzbiografien und dem ausführlichen Lebenslauf Otto Casagrandes werden Motivation und Einsatz der Südtiroler bei der Waffen-SS anschaulich dargestellt. Daraus ergibt sich eine SS-Geschichte 'von unten', die über die Grenzen Südtirols hinaus einen beispielhaften Blick auf die junge Kriegsgeneration und auf die unteren Dienstränge wirft.

Thomas Casagrande, Dr. phil., Lehrer und Studienrat im Hochschuldienst an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main im Fachbereich Soziologie. Veröffentlichungen: 'Die volksdeutsche SS-Division 'Prinz Eugen'. Die Banater Schwaben und die national-sozialistischen Kriegsverbrechen' (Campus Verlag, 2003); 'Unsere Gegner haben uns als Deutsche kennengelernt', in: Jan Erik Schulte, Peter Lieb, Bernd Wegner (Hrsg.): 'Die Waffen-SS. Neue Forschungen' (Ferdinand Schöningh Verlag, 2014).

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Leseprobe

Einleitung


„Südtiroler in der Waffen-SS“ ist ein Versuch, die unterschiedlichen Herangehensweisen an das Thema Nationalsozialismus und Drittes Reich miteinander zu verbinden. Die Geschichte Südtirols in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde oft erzählt und vielfältig analysiert. Auf die bahnbrechende Arbeit von Karl Stuhlpfarrer zur Option1, wie die erzwungene Volksabstimmung der Südtiroler über den Verbleib in Italien oder die Auswanderung ins Deutsche Reich genannt wurde, folgten viele Publikationen, die die entscheidenden Momente der Südtiroler Geschichte nachzeichneten. Obwohl sich dabei die Aufmerksamkeit jüngst auch auf die Südtiroler Kriegsfreiwilligen gerichtet hat2, fehlt eine genauere wissenschaftliche Erforschung ihrer Verwendung und ihres Kriegseinsatzes. Ebenso wie die Geschichte Südtirols ist die Geschichte der Waffen-SS Gegenstand zahlreicher Untersuchungen. Jüngere Arbeiten haben der Analyse der Rolle der Waffen-SS innerhalb des Deutschen Reichs weitere Aspekte hinzugefügt. So wurde der Blick auf die Zusammensetzung der Waffen-SS verstärkt und dabei die Bedeutung der sogenannten Volksdeutschen und germanischen Freiwilligen bzw. die der „Europäisierung“ der Waffen-SS in den Mittelpunkt gerückt.3 Insofern versucht die vorliegende Arbeit, eine weitere Perspektive zum Verständnis der Waffen-SS im Allgemeinen und ihrer Verbindung mit den Volksdeutschen im Besonderen hinzuzufügen. Dabei zeigt sich, dass eine für die damalige Zeit und den historischen und politischen Kontext bedeutsame Unterscheidung in Reichsdeutsche und Volksdeutsche mit Blick auf Südtirol problematisch ist. Der Begriff „Volksdeutsche“ wurde für Personen verwendet, die ethnisch oder kulturell als Deutsche angesehen wurden, aber außerhalb des Deutschen Reiches lebten und nicht im Besitz der reichsdeutschen Staatsangehörigkeit und somit keine „Reichsdeutschen“ waren. Die aus der Sicht des Deutschen Reichs und anderer Staaten einleuchtende Unterscheidung verschwimmt im Fall Südtirols. Durch die mit der Option verbundene Einbürgerung ins Deutsche Reich wurden die Südtiroler zwar formal „Reichsdeutsche“, in Bezug auf ihre Motivationsstruktur und ihre Situation in ihrer Heimat Südtirol unterschieden sie sich aber wenig von anderen „Volksdeutschen“.4 Es wird also zu sehen sein, inwieweit hinter dem offiziellen Blick auf die nun als „Reichsdeutsche“ gehandelten Südtiroler in der Waffen-SS klassische „volksdeutsche“ Probleme bzw. Aspekte sichtbar werden.

Darüber hinaus soll die Analyse der Verbindung von Waffen-SS und Volksdeutschen im Allgemeinen und in Südtirol im Besonderen um einen biografischen Blick erweitert werden. Die bisher über die Waffen-SS vorliegenden Biografien konzentrieren sich auf Vertreter der Führungselite.5 Die höheren SS-Führer rekrutierten sich in der überwiegenden Zahl aus den Jahrgängen 1908 und älter.6 Über die jüngeren Waffen-SS-Generationen gibt es nur wenige Arbeiten. Die Biografie Joachim Peipers, Jahrgang 1915 und jüngster SS-Standartenführer, ist hier eine Ausnahme.7 Noch jüngere Jahrgänge spielten lange Zeit in den Untersuchungen nur eine untergeordnete Rolle, obwohl sie für die Mannschaftsdienstränge, das Unterführerkorps und die unteren Offiziersränge von entscheidender Bedeutung waren. So war im Juni 1944 der jüngste Oberstleutnant 25 Jahre alt. Das bedeutet, dass niemand der 1919 und später Geborenen zu diesem Zeitpunkt über diesen Rang hinausgekommen ist.8 Mit René Rohrkamps Buch „Weltanschaulich gefestigte Kämpfer“ liegt eine Arbeit vor, die das Versäumte umfassend aufarbeitet, aber auch nur kleine biografische Ansätze bietet.9 Die Vernachlässigung einer SS-Militärgeschichte von unten ist sicherlich auch auf die traditionelle Konzentration militärischer Forschung auf die an der Spitze der Hierarchie stehenden Entscheidungsträger zurückzuführen.10 Zum anderen muss festgestellt werden, dass der biografische Blick im Sinne einer „Geschichte von unten“ schwierig ist. Bei niedrigeren Diensträngen liegen weniger aussagekräftige Dokumente vor, was mit ihrer geringeren Bedeutung für die militärische Führung und Bürokratie zusammenhängen kann. Zudem sind diese Dokumente, wenn in Archiven vorhanden, weit verstreut und schwierig zu recherchieren. Wichtiges zusätzliches Material in Form von Briefen und Bildern ist meist im Privatbesitz von Familienangehörigen. Außerdem unterliegen personenbezogene Dokumente strengen Datenschutzbestimmungen, die eine wissenschaftliche Auswertung biografischer Hintergründe erschweren.

Den bestehenden Mangel an biografischen Informationen über die jüngeren Jahrgänge mit Hilfe von Interviews zu füllen, ist problematisch.11 Eine Oral History ist nicht aus dem Zusammenhang von Anklage und Verteidigung zu lösen. Aussagen von Mitgliedern der Waffen-SS sind mit Vorbehalt zu lesen, nicht nur wegen einer womöglich erfolgten Verdrängung, sondern auch wegen der mit dem Eingeständnis einer Teilnahme an Kriegsverbrechen verbundenen Gefahr einer moralischen und juristischen Anklage durch Dritte.12

Mit der vorliegenden Arbeit soll der Versuch einer biografischen Fallstudie unternommen werden, die in erster Linie auf Archivmaterial fußt. In der Biografie des SS-Freiwilligen Otto Casagrande soll der Einsatz der Südtiroler in der Waffen-SS exemplarisch und anschaulich dargestellt werden. Wo angebracht, wird auf Nachkriegszeugnisse zurückgegriffen, wobei diese dem gesammelten Archivmaterial gegenübergestellt werden.

Otto Casagrande, Vater des Verfassers, wurde am 28. November 1919 in Leifers bei Bozen geboren und verstarb am 24. April 1990 auf einem SS-Treffen der 9. Kompanie des SS-Regiments „Deutschland“ in Ernst bei Cochem an der Mosel. Er durchlebte nicht nur alle im ersten Kapitel des Buches skizzierten Entwicklungen der Südtiroler Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Er durchlief als SS-Freiwilliger des Jahres 1940 auch die zentralen Momente von Ausbildung, Einsatz und Beförderung innerhalb der Waffen-SS. In diesem Sinn kann seine Biografie über die engen Grenzen Südtirols hinaus auch als eine exemplarische SS-Geschichte „von unten“ in Zeiten des Krieges verstanden werden. Darüber hinaus kann an diesem konkreten Beispiel die Bedeutung der SS für deren Mitglieder auch nach dem Krieg bis in die Zeit der Bundesrepublik Deutschland herauf bis zu einem gewissen Grad nachempfunden werden. Grundsätzlich ist der Versuch eines Sohnes, die Biografie seines Vaters zu schreiben, ein schwieriges Unterfangen. Im Falle der Geschichte der SS gilt dies in besonderem Maße. Trotzdem soll der Versuch unternommen werden. Der Leser mag entscheiden, ob er gelungen ist.

Der Aufbau der Arbeit ergibt sich aus den bisher angestellten Überlegungen. In einem ersten Schritt soll schon Bekanntes zusammengefasst und die wichtigsten Ereignisse in Südtirol in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts dargestellt werden. Dieses Kapitel ist als kurzer Überblick gedacht. Er richtet sich vor allem an diejenigen Leser, die nicht aus Südtirol stammen bzw. mit der Geschichte Südtirols wenig vertraut sind, damit sie die später folgende detaillierte biografische Ausführung in einen größeren Rahmen einordnen können. An diesen Überblick schließt sich eine Darstellung des dieser Arbeit zugrunde liegenden Zahlenmaterials und der gewählten Vorgehensweise an. Dieses Kapitel wird vor allen Dingen für die an Recherche und wissenschaftlicher Arbeit interessierten Leser von Bedeutung sein. Für alle anderen ist er aber für das Verständnis der folgenden Ausführungen nicht zwingend und mag deswegen von ihnen auch übersprungen werden. Im Kapitel „Südtiroler in der Waffen-SS“ sollen sowohl die Rekrutierungen, beginnend mit der Option und den ersten Freiwilligen-Meldungen sowie der Werbung für die Waffen-SS, als auch deren Fortsetzung im weiteren Kriegsverlauf dargestellt werden. Gegenstand wird dabei sowohl die Herkunft der Südtiroler Freiwilligen als auch deren Verwendung in den verschiedenen Waffen-SS-Einheiten sein. Der biografische Teil beginnt mit einem Blick auf einen Brief des Leiters der Arbeitsgemeinschaft der Optanten für Deutschland (AdO) an Heinrich Himmler von 1942, in dem er eine Reihe von Südtiroler Aktivisten, die zu diesem Zeitpunkt schon in der Waffen-SS dienten, für die SS-Führerlaufbahn empfahl. Die Auswertung dieses Briefes geschieht in Form einer „Sammelbiografie“, in der die Lebensläufe der 19 Südtiroler miteinander verglichen werden sollen. Auf die Analyse des Briefes folgt die Darstellung der bereits angekündigten Biografie Otto Casagrandes, der einer der dort empfohlenen Führeranwärter war und der ab 1944 als Adjutant Alois Thalers,...

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