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E-Book

Südwand

Vom Free-Solo-Kletterer zum Profibergsteiger

AutorHansjörg Auer
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl272 Seiten
ISBN9783492977593
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Free solo an der Marmolata: Als Hansjörg Auer die 1200 Meter lange Route »Weg durch den Fisch« allein und ohne Seilsicherung durchsteigt, steht die Kletterwelt kopf. In seinem Buch beschreibt er die Sehnsucht, die ihn immer wieder zu solchen extremen Aktionen treibt. Freimütig spricht er über den plötzlichen Ruhm und seinen Weg zum professionellen Bergsteiger. Kompromisslos ehrlich schildert er dabei, wie er seine Magersucht überwand, was es bedeutet, einen Freund am Berg zu verlieren und mit seiner Meinung öffentlich anzuecken. Ein kluges Buch über Vernunft und Leidenschaft im Alpinismus und die Kunst der natürlichen Linie.

Hansjörg Auer, 1984 im Ötztal geboren, absolvierte eine Ausbildung zum Lehrer für Mathematik und Sport. Er begann 1996 mit dem Sportklettern und war seit 2009 Profibergsteiger. Ihm gelangen mehrere Erstbegehungen und berühmte Routen, u.a. in den Dolomiten, in Patagonien, im Yosemite Valley, Karakorum und Himalaja. 2018 durchstieg er als Erster, noch dazu im Alleingang, die Westwand des Lupghar Sar West im Norden Pakistans. Zudem sorgte er mit seinen Free-Solo-Touren für Aufsehen. Im April 2019 kam Hansjörg Auer gemeinsam mit seinen Bergpartnern David Lama und Jess Roskelley bei einem Lawinenunglück an der Ostseite des Howse Peak in den kanadischen Rocky Mountains ums Leben.

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Leseprobe

Nilgiri Süd


Damals, als niemand ahnen konnte, was die Zukunft bringen würde, und auch sonst nicht viel los war, sind wir mit dem Fahrrad gekommen. Und zwar zum Klettergarten Engelswand, der am nächsten gelegenen Klettermöglichkeit in unserer Gegend. Froh, die Schulprobleme für die nächsten Stunden hinter mir zu lassen, warf ich den Rucksack zu Boden, zog mir den grauen Klettergurt an und legte das Seil aus. Gerry Fiegl aus Umhausen, einer meiner ersten Kletterpartner und Freund aus der Trainingsgruppe des Alpenvereins, reichte mir die Kletterschuhe, und los ging’s. Meist habe ich mit der ersten Seillänge begonnen. Nicht, weil ich besser klettern konnte, sondern wohl eher, weil ich vier Jahre älter war. Wir sind immer in dieselben Routen eingestiegen. So konnten wir vergleichen, uns gegenseitig pushen und viel mehr voneinander lernen.

Einmal pro Woche waren Gerry und ich beim Klettertraining in der Halle in Tumpen. Und war einmal einer von uns verhindert, so sahen wir uns doch fast jeden Tag in der Früh, wenn wir zusammen mit dem Bus nach Imst zur Schule fuhren. Er ins Unterstufen-Gymnasium und ich zur Handelsakademie. Es gab also immer genug Möglichkeiten, sich zum Klettern zu verabreden. Zwei Jahre später wechselte Gerry dann auf eine weiterführende Schule nach Innsbruck. Unser Kontakt wurde lockerer, er verbrachte die meiste Zeit im Internat. Nur an den Wochenenden kam er wieder ins Ötztal, und auch wenn er inzwischen manche anderen Interessen hatte, war Gerry doch immer wieder dabei, wenn ich zusammen mit anderen Ötztaler Kletterern unterwegs war. Ich erinnere mich noch genau an ein verlängertes Wochenende im Tessin oder an Ausflüge in die Dolomiten.

Deshalb freute es mich auch, dass ich nach meiner Free-Solo-Begehung der Route »Weg durch den Fisch« die Möglichkeit hatte, Gerry als Testimonial bei einer Outdoorfirma unterzubringen. Er wollte nie wirklich Profikletterer werden, dennoch war er froh, dass er neben seinem Studium der Meteorologie in Innsbruck und all den anderen Ausbildungen, die er absolviert hatte, damit die Chance bekam, sich die Ausrüstung leisten und seine Freizeit noch intensiver für den Klettersport nutzen zu können.

Schnell hatte Gerry sein Können gesteigert, und zusammen sind wir in den folgenden Jahren viele neue Routen geklettert. Ganz besonders erinnere ich mich an die erste freie Begehung der »Colpo di Coda« an der Marmolata oder unsere Erstbegehung »Coco Jambo« gleich rechts von der »Don Quixote«. Aber auch im Ötztal waren wir sehr aktiv, sei es im Eis oder im brüchigen Fels der Kristallwand. Irgendwie hat Gerry sich immer die Zeit genommen, und an Motivation hat es ohnehin nie gefehlt. Und jedes Mal, wenn wir den Tag bei einem Bier, Kaffee oder aber auch einem kurzen Gespräch vor unseren geparkten Autos ausklingen ließen, redeten wir davon, irgendwann zusammen etwas Großes zu unternehmen. Im Herbst 2015 war es dann endlich so weit, und als unser gemeinsamer Freund Alex Blümel, Bergführer und Alpinist aus Mötz in Tirol, auch mit im Boot war, konnte die Expedition zum Nilgiri Süd starten.

Der Berg


Die Zahl der unbestiegenen Gipfel und Wände ist zum Glück nach wie vor beträchtlich größer als die Anzahl der Berge, auf denen bereits Spuren hinterlassen worden sind. Das trifft auch auf den Nilgiri Süd und dessen Südwand zu. Das Massiv des Nilgiri erstreckt sich im Himalaja über knapp fünf Kilometer auf einer Nord-Süd-Achse. Zwischen den Achttausender-Kolossen Dhaulagiri und Annapurna erheben sich der Süd-, der Zentral- und der Nordgipfel satte 4000 Meter über das Kali-Gandaki-Tal, das tiefste Durchbruchstal der Welt – steil, von wilden Schluchten umgeben, formschön die abschließenden Gipfel. Der am häufigsten bestiegene Gipfel ist der nördlichste. Das liegt wohl auch daran, dass er mit 7061 Metern als Einziger die für viele so wichtige 7000er-Grenze überschreitet. Zudem ist er, technisch gesehen, der am einfachsten erreichbare Gipfel. Eine ideale Kombination also. In Richtung Süden blickend, fällt einem der Zentralgipfel kaum auf – eine mehr oder weniger kleine Schneekuppe, bevor ein zackiger und steiler Grat sich zum Südgipfel hinaufschwingt. Gleich danach fällt die fast senkrechte, etwa 1500 Meter hohe Südwand hinunter in die Miristi-Khola-Schlucht.

Wegen seiner Schartenhöhe von mehr als 600 Metern gilt der Südgipfel als ein eigenständiger Berg. Zum ersten Mal wurde er von einer japanischen Expedition unter der Führung von Kazao Mitsui bestiegen. Über die Rückseite haben sie es probiert und nach einigen Versuchen auch geschafft. Eine Ersteigung der Südseite des Berges wurde bereits von fünf Expeditionen versucht. Japaner, Tschechen und Slowenen waren dort, alle jedoch ohne Erfolg.

Thulobugin


Etwas verspätet verlassen wir Kathmandu. Von dem verheerenden Erdbeben vom April 2015 ist Gott sei Dank nicht mehr viel zu erkennen. Es scheint, dass die Einwohner Nepals die Katastrophe einigermaßen verdaut haben, auch wenn die Häuser in den Bergen, wo das Epizentrum des Bebens war, noch lange nicht alle wiederaufgebaut werden konnten.

Mit einem Lastwagen fahren wir bis Lete. Hier ist die Straße zu Ende, und über eine Hängebrücke gelangen wir auf die andere Seite des Mustang Khola. Das Wasser des Flusses ist sehr schwarz durch den hohen Sedimentgehalt, abgeschürft von den Bergflanken des Mustang und des Dhaulagiri. Über Jahrhunderte verlief hier eine der wichtigsten Routen für den Transport von Salz und Reis, bis die Straße immer weiter ausgebaut wurde und Lastwagen für den Weitertransport sorgten. In dem kleinen Dorf Deurali verteilen wir unsere mitgebrachten Kleidungsstücke. Fast bei jeder Expedition versende ich per Air Cargo zumindest ein großes Gepäckstück mit alten, in Europa nicht mehr gebrauchten Dingen. Beinahe ehrfürchtig und mit großem Dank nehmen die Menschen die Sachen entgegen. Dieses ganz spezielle Leuchten der Kinderaugen rufe ich mir immer wieder während einer Expedition in Erinnerung, besonders wenn mich irgendwelche Kleinigkeiten aufregen. Wie Balsam legt es sich dann auf mein erhitztes Gemüt und mahnt mich, dass mein ständiges auf das Klettern fixiertes Tun nicht zum Wichtigsten auf dieser Welt zählt.

Sehr steil geht es am darauffolgenden Morgen in Richtung Thulobugin-Pass. Nach einer neuerlichen Nacht auf etwa halber Strecke erreichen wir endlich den höchsten Punkt. Total in Nebel gehüllt, sehe ich die ersten Träger kommen. Sie leisten Unglaubliches. Viele sind mit mehr als 30 Kilo auf dem Rücken und mit äußerst schlechtem und desolatem Schuhwerk unterwegs, doch immer haben sie ein Lächeln auf den Lippen. Die Tropfen an den Rändern ihrer Kopfbedeckungen haben sich mittlerweile schon in Eiskristalle verwandelt. Eine kurze Rast auf knapp 4500 Meter Höhe, und bergab sollten wir bald das Nilgiri-Basislager erreichen. Vorsichtshalber setzen Alex und ich uns an die Spitze des Zuges, um einen schönen Platz ausfindig zu machen, bevor alle Träger da sind.

Strategisch gesehen, ist der Ort des Basislagers sehr bedeutsam für den weiteren Verlauf einer Expedition. Es gibt viele Dinge zu berücksichtigen, wie Wind, Wasserversorgung und vor allem die Sichtbarkeit des zu ersteigenden Berges. Bei schwierigen Klettereien an den steilen Wänden der hohen Berge ist es sehr wichtig, dass man die Wand tagtäglich vom Camp aus einsehen kann. Schon früh am Morgen, wenn man aus dem Zelt kriecht, wandert der Blick hinauf und sucht nach den Schneefahnen, frischen Lawinen, abgebrochenen Séracs und frischen Felsausbrüchen. Ein großer Berg ist ständig in Bewegung, er schläft nie. Immer passiert etwas, oder es lässt sich etwas beobachten.

Wir erreichen ein kleines Plateau im steilen Gras- und Felsgelände. Zusammengetragene Steine und abgeschabte Flächen deuten darauf hin, dass es hier sein muss. Ich blicke zu Alex hinüber, schaue an seinem Gesicht vorbei und suche die Südwand des Nilgiri. Ich kann sie nicht sehen. Es braucht keine Worte, wir sind uns einig, dass wir noch etwas höher hinaufmüssen. An den letzten Grasflächen, dort, wo die Moräne des Gletschers beginnt, sollten wir einen Platz suchen. Letztlich können wir nur die Hälfte unserer Träger von unserer Idee überzeugen. Auch für Serku, unseren Guide, ist es unmöglich, alle Träger zum Weitermachen zu bewegen. Wir geben denen, die bei uns bleiben, viel Trinkgeld und sind froh, dass zumindest sie zu uns stehen.

Weitere zwei Tage vergehen, bis wir unser Basislager einigermaßen in Schuss haben. Es kostet viele Stunden, die Plätze für all unsere Zelte aus dem harten Moränengrund herauszugraben. Weitere Transportgänge sind nötig hinunter zu dem kleinen Plateau, wo die Hälfte der Träger unsere Ausrüstung zurückgelassen hat.

Annäherung


Grau, schottrig, wie ein halb aufgeblasener Luftballon und überall schwarze Streifen, welche die normalerweise weiß leuchtenden Firnfelder bedecken. Wir haben in Tatopani, einem der größeren Dörfer im oberen Flusstal des Kali Gandaki, den Berg zum ersten Mal gesehen. Auch als wir nun zu einem ersten Erkundungsgang zum Wandfuß aufsteigen, präsentiert sich die Wand nicht besser. Am unteren Ende der markanten Couloirs haben sich große Blockfelder gebildet. Eines ist uns klar. Diese Expedition ist kein Spaziergang, hier lauern durchaus etliche Gefahren. Für ein paar Stunden sitzen wir auf einem kleinen Felsblock, beobachten, diskutieren und kommen zu dem Schluss, es besser im rechten Teil der Südwand zu probieren, wo eine nach Westen eingelagerte Wandflucht zu erkennen ist. Es gibt aber noch ein weiteres Problem. Unsere Möglichkeiten der Akklimatisierung sind hier sehr...

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