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Syrien

Ein Land im Krieg. Hintergründe, Analysen, Berichte

AutorCarsten Wieland, Karin Kneissl, Karin Leukefeld, Liselotte Abid, Norman Paech, Patric, Stefan Brocza
VerlagPromedia Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783853718087
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Seit 2011 tobt ein Bürgerkrieg in Syrien. Beginnend mit einem Aufstand gegen das Regime von Bashar al-Assad im März dieses Jahres hat sich ein Flächenbrand durch das ganze Land gefressen, dem mindestens 200.000 Menschen zum Opfer gefallen sind und der Millionen zur Flucht gezwungen hat. Die Fronten werden von Monat zu Monat unklarer, und seit der sogenannte 'Islamische Staat' im Süden und Kurdenmilizen im Norden autonome Verwaltungen und Kriegsregime aufgezogen haben, kann von einem einheitlichen syrischen Staat nicht mehr gesprochen werden. Das Land in der Levante ist von der aktuellen Berichterstattung und den politischen Auseinandersetzungen rund um die Neugestaltung des Nahen und Mittleren Ostens nicht mehr wegzudenken. Die Dauer des Konflikts, die unklaren Machtverhältnisse und die Gefahr einer Destabilisierung der gesamten Region machen eine ausführliche Auseinandersetzung wichtiger denn je. Das Buch 'Syrien. Ein Land im Krieg. Hintergründe, Analysen, Berichte' bietet einen Einblick in die vielschichtigen Aspekte der syrischen Geschichte und Gesellschaft sowie in die strukturellen Ursachen des Bürgerkrieges. Einen weiteren Schwerpunkt stellen die fragilen Nachbarschaftsbeziehungen und die oftmals unbeständigen geostrategischen Allianzen dar. Eine ausführliche Zeittafel zur Geschichte des modernen Syrien - vom Zerfall des Osmanischen Reiches bis zu den aktuellen Ereignissen - und ein Literaturüberblick runden den Band ab.

Fritz Edlinger, geboren 1948 in Wien, ist Generalsekretär der 'Gesellschaft für Österreichisch-Arabische Beziehungen' und Herausgeber der Zeitschrift 'International'. Zuletzt veröffentlichte er den Band 'Libyen. Hintergründe, Analysen, Berichte' (Promedia Verlag 2011). Tyma Kraitt wurde 1984 in Bagdad geboren und lebt seit ihrer frühen Kindheit in Österreich. Sie studierte Philosophie an der Universität Wien. Zuletzt erschien von ihr der Titel 'Irak. Ein Staat zerfällt. Hintergründe, Analysen, Berichte' (Promedia Verlag 2015).

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Leseprobe

Eine alawitische Militärdiktatur? Zum Verhältnis von Staat, Militär und Religion in Syrien


Tyma Kraitt


Seit nunmehr fünfzig Jahren wird Syrien durchgehend von der Arabisch-Sozialistischen Baath-Partei regiert. Am 8. März 1963 rissen die Baathisten in einem blutigen Staatsstreich die Macht an sich. Sie etablierten eine Art Einparteiensystem, das die politische Landschaft homogenisierte, indem politische Gegner ausgeschaltet oder einverleibt wurden. Das gleiche System brachte aber unbestrittenermaßen auch Stabilität in ein Land, welches seit seiner Unabhängigkeit im Jahre 1946 als unregierbar galt. Nach fortwährenden internen Fraktionskämpfen setzte sich mit der Machtübernahme von Hafiz al-Assad der militärische Flügel innerhalb der Baath-Partei durch. Assad ist es als erstem Befehlshaber gelungen, die Armee hinter sich zu einen. Sein Erfolg markiert nicht nur das vorläufige Ende der politischen Aspirationen und Unruhen der Post-Unabhängigkeitsära, sondern auch den damaligen Höhepunkt des rasanten Aufstiegs der Alawiten vom Rande der syrischen Gesellschaft an deren Spitze. Unter Hafiz al-Assad wurden die gesellschaftspolitischen Widersprüche aus der französischen Mandatszeit, die der Dominanz der Minderheiten erst den Weg ebneten, im syrischen Staatsgefüge verankert. Dieser Umstand lässt sich auch dahingehend interpretieren, dass der Baathismus – eine sich auf die anti-koloniale Tradition des Panarabismus berufende Ideologie – nicht, wie dem eigenen Selbstverständnis nach, die kolonialen Machtverhältnisse behoben, sondern letztlich fortgesetzt hat.

Im gegenwärtigen politischen und medialen Diskurs wird das syrische Herrschaftssystem – das sogenannte »Regime« – in der Regel als eine von der Minderheit der Alawiten geführte Militärdiktatur präsentiert. Diese Darstellung ist keineswegs falsch, wird der Komplexität des syrischen Systems und seiner Genese aber kaum gerecht. Es stellt sich hier die Frage, wie es einer Minderheit von knapp über zehn Prozent überhaupt gelingen konnte, den Staat zu dominieren. Ist dies ohne jegliche Partizipation der Mehrheitsgesellschaft möglich? Welche Rahmenbedingungen, welche historischen Entwicklungen haben ihren Aufstieg begünstigt? Gerade das hohe Eskalationspotenzial der aktuellen Krise, ein möglicher Staatszerfall, eine Libanisierung bzw. Irakisierung des Konflikts machen eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Machtgefüge im syrischen Staat mehr als notwendig.

Die »Troupes Spéciales du Levant« als Aufstiegsvehikel


Wie bereits angedeutet, adaptierte das Baath-Regime jene gesellschaftspolitischen Widersprüche, die sich zum Teil auf die französische Fremdherrschaft zurückzuführen lassen und auch heute noch die aktuellen Konflikte mitprägen. Dazu zählt u. a. das starke Engagement syrischer Minoritäten in der Armee.

Nachdem die Franzosen 1920 das Mandat über den Libanon und Syrien übernahmen, wurden die levantinischen Spezialtruppen formiert. Diese bestanden aus libanesischen und syrischen Soldaten, die dem Kommando französischer Offiziere unterstanden und als Hilfstruppe zur Niederschlagung innenpolitischer Unruhen eingesetzt wurden. In den Reihen der Troupes Spéciales fanden sich zahlreiche Angehörige benachteiligter ländlicher Bevölkerungsgruppen und Minderheiten. Diese nutzten das Militär als Vehikel zum sozialen Aufstieg. Das galt vor allem für die unter osmanischer Herrschaft marginalisierten Alawiten, Anhänger einer gnostischen Sekte mit starken Bezügen zur Schia. Sie wurden während der Mandatszeit gefördert und gegen die sunnitische Mehrheitsbevölkerung aufgebracht.53

Im Rahmen der Troupes Spéciales ernannten die Franzosen vor allem Mitglieder der drusischen, christlichen oder alawitischen Minderheiten zu Offizieren, um den Offizierskorps dadurch an sich zu binden. Die syrische Legion innerhalb der Troupes Spéciales stellt den Ausgangspunkt für das syrische Militär in seiner heutigen Form dar.54 Schon in den ersten Jahren der Unabhängigkeit bewies das Militär (auch als Folge der arabischen Niederlage gegen Israel) seine Durchschlagskraft und entmachtete in einem vom CIA unterstützten Coup unter dem prowestlichen, kurdischen Oberst Husni az-Zaim 1949 die damalige Zivilregierung von Präsident Shukri al-Quwatli.55 Im selben Jahr kam es insgesamt zu zwei Staatsstreichen des Militärs. Dieser Umstand deutete bereits auf Differenzen innerhalb der Armee hin, da es keinem Befehlshaber gelungen ist, sich auf Dauer zu halten. Meist handelte es sich um konfessionelle, ethnische oder ideologische Differenzen. Letztlich konnte sich Oberst Adib Shishakli durchsetzen und von 1953 bis 1954 halten. Shishakli trieb die Überwindung der alten Strukturen voran, indem er Syrien mit einer modernen Verfassung ausstattete. Er ließ alle politischen Partien, darunter auch die kommunistische Partei, die Baath-Partei sowie die Muslimbruderschaft verbieten. Führende Figuren des Baathismus wie etwa deren Gründer Michel Aflaq und Salah al-Bitar mussten ins libanesische Exil. Gleichzeitig unterdrückte Shishakli jegliche Bestrebungen, die die Einheit des Landes gefährden konnten. So war er auch für die brutale Niederschlagung eines Aufstands der Drusen verantwortlich, da diese Syriens territoriale Integrität infrage stellten. Dies war jedoch ausschlaggebend für seinen Sturz durch rebellierende Offiziere, viele davon Drusen, und Vertreter der kommunistischen Partei sowie der Baath-Partei. Das Bündnis gegen Shishakli wurde von seinem Nachfolger (und einem seiner Vorgänger) Hashim al-Atassi und dem Drusenführer Sultan al-Atrash geführt. Al-Atassi scheiterte erneut und wurde von Shukri al-Quwatli entmachtet. Zwischen 1949 und 1956 hatte der junge Staat 20 Regierungen und vier Verfassungen.56

Die folgenden Jahre blieben turbulent. Die Zeit nach der Unabhängigkeit Syriens war im Allgemeinen von sozialem Aufruhr gekennzeichnet. Die unterschiedlichen Interessen der im nationalen Befreiungskampf involvierten Akteure kamen zum Vorschein. Während vor allem Bauern für eine gerechtere Aufteilung von Land und Reichtum eintraten sowie für politische Mitsprache kämpften, stellten die Landbesitzer eine politisch konservative Kraft dar. Zwischen diesen Polen wurde die kleine Mittelschicht hin- und hergerissen. Der Radikalisierung der ländlichen Unterschicht stand sie sehr skeptisch gegenüber, zugleich war aber auch ihr Verhältnis zu den privilegierten Landbesitzern konfliktreich. Sie traten beispielsweise für eine Industrialisierung des Landes ein, waren im Großen und Ganzen jedoch zu schwach, um sich zwischen den anderen gesellschaftlichen Akteuren zu behaupten. Im Gegensatz dazu stand die zahlenmäßig kleine aber deutlich selbstbewusstere Arbeiterbewegung, die im Jahre 1946 grundlegende Arbeitsrechte wie das Streikrecht erkämpfte. Auch die ländliche Bevölkerung war in dieser Umbruchphase äußerst engagiert. 1950 kam es zu einem landesweiten Bauernaufstand, ein Jahr später wurde der erste Bauernkongress – der erste im gesamten arabischen Raum – in Aleppo organisiert.57 Mit dem Aufblühen dieser sozialen und politischen Bewegungen gewannen auch nationalistische, sozialistische und kommunistische Parteien an Bedeutung. In den bäuerlichen Bevölkerungsteilen konnte sich beispielsweise die Arabische Sozialistische Partei gut verankern, verlor jedoch nach der späteren Fusionierung mit der Baath-Partei und der damit einhergehenden Verwässerung radikalsozialistischer Forderungen an Glaubwürdigkeit. Auch die Kommunisten konnten sich zu jener Zeit innerhalb der Bevölkerung etablieren. Der Baathismus wiederum war wegen seiner säkular-nationalistischen Ausrichtung nicht nur für Minderheiten sehr attraktiv. Seine Anhänger stammten oftmals aus der städtischen Mittelschicht. Denn die Baathisten einte sowohl eine anti-koloniale Haltung, als auch ein limitierter sozialistischer Anspruch, der von einer Gegnerschaft zu den großen Landbesitzern, aber auch zu den radikalsozialistischen Bestrebungen der unteren Schichten geprägt war.

Trotz der neuen parteilichen Anbindungen ließen sich die sozialen Bewegungen nicht kontrollieren, was mit ein Grund für den kurzlebigen Zusammenschluss mit Nassers Ägypten war, den auch die Baathisten unterstützten. Mit den Reformen der Vereinigten Arabischen Republik (VAR) wurde der Grundstein für jenen sozialen Pakt gelegt, der in den folgenden Dekaden das Fundament der Baath-Herrschaft legte. So kam es zu einer Umverteilung des Landes, der Errichtung eines Wohlfahrtsstaats und zu einer forcierten Industrialisierung. Gleichzeitig versuchte man die Kontrolle über die unterschiedlichen sozialen Bewegungen wie v. a. die Gewerkschaften zu erlangen, wofür auch das in den 1940er Jahren erkämpfte Streikrecht abgeschafft wurde.58 Die Dominanz ägyptischer Funktionsträger in der VAR war für die Syrer auf Dauer nicht mehr tragbar. Nicht nur die ungleiche Machtverteilung zugunsten Ägyptens, auch politische Säuberungsaktionen gegen Kritiker bzw. potentielle Gegner Gamal Abdel Nassers trugen maßgeblich zur Eskalation bei. Der Zusammenschluss wurde bereits 1961 nach nur dreieinhalb Jahren gemeinsamer Staatlichkeit von einem erneuten Staatsstreich unzufriedener syrischer Offiziere beendet.

Von der Märzrevolution zu Assads Korrekturkurs


Eine Folge des VAR-Debakels waren Bruchlinien innerhalb der Baath-Partei. Die alte panarabisch-orientierte Führungsriege entschied sich während des Zusammenschlusses mit Ägypten dafür, die Partei in Syrien selbst aufzulösen und nur mehr auf »nationaler« gesamtarabischer Ebene zu operieren. Vor allem bei den jüngeren, meist radikaleren Baathisten stieß diese Entscheidung auf Unverständnis. Der Unmut über die eigene Führung blieb auch...

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