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Tatort Stadt

Mediale Topographien eines Fernsehklassikers

VerlagCampus Verlag
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl329 Seiten
ISBN9783593408705
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
Nach fast vierzig Jahren erfolgreicher Sendegeschichte kann der »Tatort« den Anspruch erheben, als populärkulturelles und zeitkritisches Gedächtnis Deutschlands zu wirken. Die Reihe schickt ihre Ermittler in Städte und die Provinz und entwirft so eine mediale Krimi-Landkarte, die regionale Senderlandschaften abbildet. Der Band untersucht, wie Städte in Szene gesetzt, Räume und Orte im Krimi-Format erzählt werden. Mancher Schauplatz wird gerade als »Tatort« zum Brennpunkt; seine Eigenheiten erst im Vergleich mit anderen »Tatorten« zu einem Ort mit eigener Identität verdichtet. Am Sonntagabend werden so deutschlandweit kollektive Vorstellungen von Orten und Räumen geprägt.

Julika Griem ist Professorin für Englische Literaturwissenschaft an der TU Darmstadt. Sebastian Scholz ist dort Stipendiat im Graduiertenkolleg »Topologie der Technik«.

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Leseprobe
Tatort Deutschland – Auf geographischer Spurensuche zwischen Sylt und Konstanz, Aachen und Dresden (S. 31-32)

Björn Bollhöfer

Das Erfolgsrezept der Reihe Tatort beruht neben dem hohen Unterhaltungsaspekt der gezeigten Kriminalfälle vor allem auf der eingeschriebenen Realitätsästhetik. Mit dem selbst definierten Ziel, die Identität unterschiedlicher Landstriche und die regionale Besonderheit des jeweiligen Sendegebiets möglichst authentisch darzustellen, hat die föderalistische Struktur der ARD eine reizvolle Idee hervorgebracht, die landschaftlich wechselnde Schauplätze in ein Reihenkonzept für Regionalkrimis integriert. Im Rahmen dieser »Poetik der Realitätsbezogenheit« (Brück u.a. 2003: 10) erscheint die Thematisierung beziehungsweise Integration konkreter Städte und Regionen als zentrales Phänomen: »Landeskunde als Thriller« (Vogt 2005: 117). Die über 700 Folgen sollen also durchaus als regionale Visitenkarten der unterschiedlichen Sendeanstalten verstanden werden. Sieht man sich aber die Tatort-Städte und ihre sozialen Milieus genauer an, so wird deutlich, dass zwar weitgehend an Originalschauplätzen gearbeitet wird, ihre jeweilige Auflösung in den Drehbüchern und Kamerahandlungen aber allzu oft sehr weit vom spezifisch Alltäglichen und Besonderen wegführt. Die eingeschriebene Realitätsästhetik muss somit auf den Prüfstein gelegt werden, wenn eine Abbildung der Wirklichkeit in Aussicht gestellt wird, die der Konstruktivität des Mediums zu widersprechen scheint.

Die Verteilung der Tatorte suggeriert zunächst ein starkes Stück Deutschland. Mehr als 70 Ermittler(-teams) füllen die Karte mit zahllosen Dienst- und Einsatzorten zwischen Sylt und Konstanz, Aachen und Dresden.

Gleichzeitig durchziehen Querverbindungen und Einsatzwege das Land derart, dass ein dichtes Netz filmischer Orte entsteht. Blickt man jedoch genauer in die Karte, wird deutlich, dass die letzten neuen Ermittlerteams die Tatort-Landschaft nicht erweitert haben. Seit 2002 Kommissarin Blum in Konstanz und das Team Börne/Thiel in Münster ihre Ermittlungen aufgenommen haben, gibt es keine neue ›Heimat‹ mehr. Zudem zeigt ein Blick von der mecklenburgischen Ostseeküste zum Frankenland, dass die Idylle trügt: kein Nordhessen, Thüringen, Sachsen-Anhalt oder Brandenburg. Seit der Wende wurde von den fünf neuen Ländern einzig Sachsen in die Tatort-Landschaft integriert. Die polizeiliche Ermittlungsarbeit ist in dieselben Regionen gegliedert wie die Rundfunkanstalten, wobei sich die Handlungsorte an die Produktionsstätten und kreativen Zentren anlehnen und die Schwerpunkte und »grauen Flecken« der filmischen Topographien durchaus mit der Größe und Bedeutung der Rundfunkanstalten korrelieren (s. auch Bollhöfer/Hanewinkel 2008).

Verknüpft man diese Beobachtungen mit ökonomischen Faktoren der Medienwirtschaft und deren Einfluss auf die räumliche Verteilung der Tatorte, fällt zunächst auf, dass die vier großen Sender WDR, SWR, NDR und BR mit Abstand die meisten Tatorte produzieren. Allein der WDR hat 125 Folgen zu verantworten, knapp gefolgt vom SWR, der aber die Produktionen des SDR und des SWF beinhaltet. Danach folgt mit 112 Tatorten der NDR und mit großem Abstand der BR, der jedoch mit dem Team Batic/Leitmayr die meisten Einsätze zu verbuchen hat. Die zunehmende Tendenz zu festen Ermittlerteams mit langem Ermittlungszeitraum begann mit Schimanski/Thanner, die als erste über einen Zeitraum von zehn Jahren tätig waren. Am längsten dabei ist die noch aktive Lena Odenthal, die 2009 ihr zwanzigjähriges Dienstjubiläum feiern konnte. Ein Effekt der längeren Dienstzeiten ist sicherlich, dass eine immer größere Anzahl von Tatort-Städten auch werbewirksam in Szene gesetzt wird.
Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Inhalt6
Beweisaufnahme: Zur medialen Topographie des Tatort – Julika Griem, Sebastian Scholz10
Ermittlungen: Raumverhältnisse30
Tatort Deutschland – Auf geographischer Spurensuche zwischen Sylt und Konstanz, Aachen und Dresden – Björn Bollhöfer32
Neues Team auf alter Bühne: Zum Verhältnis von Raum und Figuren am Beispiel der neu besetzten Tatorte in Stuttgart, Leipzig und Hamburg – Julika Griem52
Die Nicht-Stadt im Tatort – Oliver Fahle70
Tatort 110 – Fahnder und Fährten des deutsch-deutschen Fernsehfunks – Martin Schlesinger82
Täter-Profile: Identitätsräume102
Hinter den Fassaden der Integration: Räumlichkeit, Gender und die Inszenierungvon Blickgrenzen in einem Türken-Tatort – Markus Schmitz104
Eigendynamiken und An-Eignung städtischer Räume im Migranten-Tatort – Margret Fetzer122
Klischee und Klandestines: Verdecktes Ermitteln und mehrfache Identitäten im postkolonialen Raum – Michael Andreas146
»Wir sind doch hier nicht in Hannover«: Stadt, Land, Gender – Hanna Surma162
Spurensicherung: Ortslogiken178
»Unsere kleine Stadt«: München im Tatort – Claudia Stockinger, Stefan Scherer180
Strukturwandel in stehenden Kulissen: Schimanskis Blicke auf das Ruhrgebiet – Sebastian Scholz200
Tatort Beethovenstraße: Topographie eines Samuel Fuller Films – Isabell Otto228
Stadt im Fluss: Liquidierung des Tatorts in zwei Episoden – Daniela Wentz246
Tat-Orte und Schau-Plätze: Fluchtpunkte266
Thanatourismus – Ortstermin mit Alfred Hitchcock – Vinzenz Hediger268
Zwischen Kansas und Oz: Tatorte und Fluchtpunkte der Unterhaltung – Herbert Schwaab288
Vom Tatort zum Schauplatz – ein deutsch-amerikanischer Krimivergleich – Christine Hanke304
Der »markante Ort«: Zur Gestaltung von Räumen im Tatort – Klaus-Peter Platten320
Autorinnen und Autoren328

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