Die Neuroästhetik versucht eine Verbindung zwischen Biologie und Ästhetik durch die Integration von Wissen aus verschiedenen Disziplinen herzustellen (Keller, 2013). Sie ist ein junges und aufstrebendes Forschungsfeld mit dem Schwerpunkt auf den biologischen Grundlagen ästhetischen Erlebens und Schaffens von Objekten. Genauer befasst sich die Neuroästhetik mit den neuronalen Grundlagen kognitiver und affektiver Prozesse während der Rezeption von Kunstwerken, aber auch nicht künstlerischen Objekten (Nadal & Pearce, 2011). Die ästhetische Wahrnehmung ist ein Teil unseres alltäglichen Lebens und kann als subjektives Urteil in Folge der Betrachtung von Kunstwerken oder Landschaften, aber auch von Gesichtern gesehen werden (Cattaneo et al., 2013). Auf kognitiver Ebene ist von einer differenzierten Wahrnehmung zwischen Kunstwerken und Alltagsgegenständen auszugehen (Höfel & Jacobsen, 2007). Dieser Überlegung folgt die neuroästhetische Forschung und versucht speziell Gehirnareale ästhetischer Wahrnehmung zu identifizieren (Brown, Gao, Tisdelle, Eickhoff, & Liotti, 2011). Die Ursprünge der Neuroästhetik finden sich in den Disziplinen der Psychologie, der philosophischen Ästhetik, der Evolutionsbiologie und der Neurowissenschaften. Bereits ab der Mitte des 18. Jahrhunderts näherten sich die verschiedenen Disziplinen einander an, um die ästhetische Erfahrung zu untersuchen (Nadal & Pearce, 2011). Der Neologismus Neuroästhetik als Kombination aus Neurologie und Ästhetik wurde 1999 erstmals von Zeki manifestiert (vgl. Silvia, 2009). Die Kombination der verschiedenen Disziplinen zeichnet sich bis heute in einer heterogenen Forschungslandschaft ab. Jede der Disziplinen verfolgt ihre eigenen Fragen und Interessen. Ein empirischer Konsens über die zentralen Fragen und Forschungsansätze steht innerhalb der Neuroästhetik noch zur Diskussion (Nadal & Pearce, 2011). Zum aktuellen Zeitpunkt steht die Disziplin der Neuroästhetik allerdings an einem historischen Wendepunkt, bereit dazu die einstige Randposition hinter sich zu lassen (Chatterjee & Vartanian, 2014). Mit der Entwicklung nicht invasiver, neurophysiologischer Verfahren wie der Elektroenzephalografie (EEG) und bildgebender Verfahren, wie der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT) und der Magnetenzephalographie (MEG), hauptsächlich im Bereich der Neurowissenschaften, war es erstmals möglich das ästhetische Erleben am lebendigen und gesunden Gehirn unter kontrollierten Bedingungen zu studieren (Cinzia & Vittorio, 2009; Nadal, 2013). Im Vorfeld dieser Entwicklung stand die Untersuchung am verletzen Gehirn oder post mortem (Nadal & Pearce, 2011). Als gängige Operationalisierung des ästhetischen Erlebens ist vor allem die Bewertung eines meist visuellen Reizes als schön oder hässlich mittels einer Ratingskala anzuführen (Cinzia & Vittorio, 2009). Die Validität dieser Strategie basiert allerdings auf der Vermutung, dass die ästhetische Erfahrung folgerichtig zerlegt und quantifiziert werden kann (Nadal & Pearce, 2011). Die externe Validität wird auf Grund der mehrheitlich unter kontrollierten Laborbedingungen durchgeführten Experimente von Nadal und Pearce (2011) in Frage gestellt und kritisch diskutiert.
Aktuelle Forschungsergebnisse weisen deutlich auf ein über beide Hemisphären verteiltes neuronales Netzwerk, anstelle eines einzigen ästhetischen Areals, hin (Nadal & Pearce, 2011). Die neuronale Aktivierung von ästhetischer und nicht ästhetischer Wahrnehmung unterscheiden sich (Höfel & Jacobsen, 2007). Als wesentliche Komponenten dieses ästhetischen Netzwerks stellen Nadal und Pearce (2011) in ihrer Rezension über die Copenhagen Neuroaesthetics Conference drei Gehirnregionen heraus. Alle drei Regionen scheinen gleichermaßen bei der ästhetischen Wahrnehmung von Bildender Kunst, Musik und Tanz aktiviert zu sein, beginnend bei einer Aktivitätssteigerung der nieder-kortikalen sensorischen Verarbeitung, über subkortikale Regionen bis hin zu top-down regulierten Prozessen höherer Ordnung (Nadal & Pearce, 2011). Als top-down gesteuerte Prozesse sind die Aufmerksamkeitssteuerung, das Abrufen von Erinnerungen und Erfahrungen sowie die Bewertung des betrachtenden Objekts zu nennen. Diese Prozesse sind mit den präfrontalen, parietalen und temporalen kortikalen Regionen assoziiert (Nadal, 2013; Nadal & Pearce, 2011). Weiterhin ist eine verstärkte Aktivität der Belohnungszentren einschließlich des anterioren-cingulären, orbito-frontalen und ventro-medialen Kortex sowie der präfrontalen und subkortikalen Regionen wie dem Nucleus caudatus, der Substantia nigra und dem Nucleus accumbens zu verzeichnen. Sowohl der Amygdala, dem Thalamus als auch dem Hippocampus werden regulierende Funktionen zugewiesen (siehe Abbildung 2) (Nadal, 2013; Nadal & Pearce, 2011). Die an der ästhetischen Erfahrung beteiligten Gehirnareale scheinen ihren Ursprung in den Hirnarealen für die Auswahl von Lebensmitteln und Geschlechtspartnern zu haben. Es ist anzunehmen, dass diese Areale im Laufe der Evolution für die ästhetische Erfahrung adaptiert wurden (Brown et al., 2011). Obwohl ästhetische Objekte keinerlei dem Überleben dienliche Funktionen, verglichen mit Nahrung oder Geschlechtspartnern einnehmen, sind sie für Menschen von großem Wert (Vessel, Starr, & Rubin, 2012). Brown und Kollegen (2011) weisen an dieser Stelle auf die soziale Komponente von Kunst, im Sinne einer dem Überleben dienlichen Funktion, hin.
Abbildung 2. Hirnregionen, welche bei der ästhetischen Erfahrung von Kunst beteiligt sind. Prozesse der Evaluation, der Aufmerksamkeitssteuerung sowie Gedächtnisprozesse sind mit diesen Regionen assoziiert. Abbildung adaptiert aus (Nadal, 2013).
Was unterscheidet also die kognitiven Prozesse ästhetischer Präferenz von denen anderer visueller Reize? Die ästhetische Wahrnehmung scheint auf neuronaler Basis über die Grenzen simpler Objekterkennung hinauszugehen (Nadal et al., 2008). Leder und Nadal (2014) sehen den Schlüssel zum Verständnis der neurologischen Grundlagen ästhetischer Erfahrungen im Verständnis der Interaktionsdynamik zwischen allen involvierten Regionen des Netzwerks (Leder & Nadal, 2014; Nadal et al., 2008; Nadal & Pearce, 2011)
Neuroästhetische Forschung mit bildgebenden Verfahren verfolgt das Ziel, die mehrheitlich mit der Entscheidung über Schönheit und Gefallen als operationalisiertes ästhetisches Urteil assoziierten neuronale Aktivitäten zu identifizieren. Der Präfrontalkortex scheint als Produkt der menschlichen Evolution (Leisman, Macahdo, Melillo, & Mualem, 2012), neben dem parietalen Kortex (Cattaneo et al., 2014) und dem primären visuellen Kortex, für die ästhetische Wahrnehmung sowie für objektspezifische Eigenschaften wie Form und Farbe verantwortlich zu sein (Cela-Conde et al., 2004). Noch vor zehn Jahren, in den Anfängen der Forschung mit bildgebenden und neurophysiologischen Verfahren (Leder & Nadal, 2014), konstatierten Cela-Conde et al. (2004) den geringen Wissensstand über die Beziehung zwischen dem Präfrontalkortex und der ästhetischen Wahrnehmung. Ziel ihrer MEG- Studie war es, Gehirnareale, welche während der Wahrnehmung ästhetischer Objekte aktiv sind, zu identifizieren. Sie forderten acht Probanden auf den Finger zu heben, sobald sie einen der präsentierten Bildreize als schön empfanden. Eine deutliche Aktivierung des linken dorsolateralen Präfrontalkortex konnte zwischen 400 und 900 ms nach der Reizpräsentation bei als „schön“ befundenen Reizen festgestellt werden (Cela-Conde et al., 2004). Die Ergebnisse einer weiteren MEG Studie zeigen ebenfalls eine Aktivitätssteigerung zwischen 300 und 400 ms nach der Reizpräsentation bei schönen Bildern (Munar, et al., 2012). Visuelle Schlüsselreize wie Farbe, Symmetrie und Komposition werden ebenso wie die dazugehörigen Kontextinformationen bereits nach 200 bis 300 ms registriert. Besondere Aktivität konnte dabei in den parietalen Regionen verzeichnet werden (Noguchi & Murota, 2013). Die ästhetische Wahrnehmung ist ein Prozess, welcher zu unterschiedlichen Zeitpunkten mehrere kognitive Operationen, in verschiedenen Hirnregionen, nach sich zieht (Nadal et al., 2008). Jacobsen und Höfel (2003) schlagen ein zwei Stufen Modell der zeitlichen Abfolge ästhetischer Verarbeitung vor. Während der ersten Phase beginnend ab 300 ms nach der Reizpräsentation wird der erste Eindruck gebildet (Jacobsen & Höfel, 2003). Ab einer Betrachtungsdauer von 600 ms ist von einer tieferen ästhetischen Verarbeitung des visuellen Reizes auszugehen (Jacobsen & Höfel, 2003). Die kortikalen...