II. DIE TEXTE
1. DAS BUCH MEINES LEBENS (VIDA)
Aus Kindertagen – 1. Kapitel
Der Besitz tugendhafter und gottesfürchtiger Eltern hätte mir, um gut zu sein, genügen müssen. Mein Vater war ein Liebhaber guter Bücher. Er besaß auch solche in spanischer Sprache, damit seine Kinder darin lesen möchten. Dazu kam die Sorgfalt, welche meine Mutter aufwandte, um uns beten zu lehren und unsere Andacht der lieben Frau und einigen anderen Heiligen zuzuwenden. Damit begann ich, wenn ich mich nicht täusche, im Alter von sechs oder sieben Jahren. Förderlich war mir die Beobachtung, dass ich die Gunst meiner Eltern nur durch Tugend erlangen konnte. Dadurch waren sie ausgezeichnet.
Mein Vater war ein Mann von großer Liebe gegenüber Armen. Sein Mitleid mit Kranken und mit Untergebenen war so groß, dass man es bei ihm nicht durchsetzen konnte, Sklaven zu halten. Als einmal eine Sklavin eines seiner Brüder in unserm Haus war, behandelte er sie wie seine eigenen Kinder. Er war von großer Wahrheitsliebe. Nie hörte ihn jemand fluchen oder anderen Menschen Übles nachreden. Er war in hohem Maße ehrbar. Auch meine Mutter besaß viele Tugenden. Sie hatte in ihrem Leben viele Krankheiten zu bestehen. Ihre Lebensführung war vorbildlich. Obgleich sie außergewöhnlich schön war, erweckte sie nie den Anschein, dass sie darauf besonderen Wert legte. Obwohl sie im Alter von erst 33 Jahren verstarb, kleidete sie sich eher wie eine betagte Frau. Sie war sehr sanftmütig und klug. Groß waren die Belastungen, die sie auf christliche Weise trug …Wir waren drei Schwestern und neun Brüder. Sie glichen außer mir, obwohl mein Vater mich am meisten liebte, dank der Güte Gottes, ihren Eltern an Tugenden …
Wenn ich die Leiden betrachtete, die die Heiligen für Gott erduldeten, so schien es mir, als hätten sie den Eingang zum Genusse Gottes sehr wohl verdient. Mich verlangte sehr, auch so zu sterben, und zwar nicht etwa aus einer Liebe zu Gott, sondern um so auf kurzem Weg zum Genuss der großen Güter zu gelangen, die es, wie ich gelesen hatte, im Himmel gab …
Ich bemühte mich um Einsamkeit, um meine andächtigen Gebete, deren viele waren, besonders den Rosenkranz, zu dem meine Mutter eine große Andacht hatte, zu beten. Es machte mir, wenn ich mit anderen kleinen Mädchen spielte, ein großes Vergnügen, Klöster anzulegen, als wären wir Nonnen. Ich meine, ich hatte auch Verlangen, eine Nonne zu werden, doch weniger stark als nach anderen Dingen.25
Jetzt schmerzt es mich sehr, wenn ich betrachte und bedenke, welches der Grund gewesen ist, dass ich in den heilsamen Wünschen, womit ich begonnen hatte, nicht standhaft war. – Ach Herr, wenn du, wie ich glaube, beschlossen hattest, dass ich gerettet werde, und du mir so viele Gnaden hast erweisen wollen und mir erwiesen hast, tatest du dies meines Vorteils wegen und nicht zu deiner Verherrlichung, sodass die Wohnung, in der du immer weilen solltest, unbeschmutzt blieb.
Anfänge des klösterlichen Lebens – 4. Kapitel
Indem ich das Ordenskleid nahm, gab mir der Herr alsbald zu erkennen, wie er diejenigen begünstigt, welche sich [in Selbstdisziplin] Gewalt antun, um ihm zu dienen. Denn niemand bemerkte diesen Zwang an mir, sondern man erblickte nur die größte Bereitwilligkeit. Sofort kam auch eine so große Freude über mich, dass ich diesen Stand annahm. Diese Freude hat mich bis heute niemals verlassen. Gott wandelte die Dürre meiner Seele in große Herzinnigkeit. Alles, was im Orden vorkam, machte mir Vergnügen; das ist wahr. In der Tat brachte ich mehrmals die Stunden der Hausreinigung zu, die ich einst zu meinem eigenen Putz und zur Bequemlichkeit verwendet hatte. Und wenn ich mich jetzt erinnere, dass ich hiervon frei sei, so bereitete mir das neue Freude, über die ich mich wunderte, ohne dass ich begreifen konnte, woher dieselbe kam. Denke ich daran, so meine ich, dass man mir nichts auch noch so Schweres hätte vorlegen können, das ich nicht ohne Zögern angepackt hätte. Denn ich habe vielfach die Erfahrung gemacht, dass mir der Entschluss, etwas zu tun, förderlich war …
Wenn ich jemandem einen Rat zu erteilen hätte, nie würde ich raten, eine gute Eingebung, wie häufig sie auch geschieht, aus Furcht, sie ins Werk zu setzen, zu unterlassen. Denn wenn man nur um Gottes willen etwas unternimmt, so darf man nicht etwa fürchten, dass es misslingen könnte oder schlecht laufen würde …
Das Lesen [erbaulicher Bücher] gefiel mir sehr. Ich begann, mich zeitweise in die Einsamkeit zurückzuziehen, ausführlich zu beichten und so den Weg einzuschlagen, in dem das Buch26 mich unterwies. Denn ich fand sonst keinen Beichtvater, der mich verstand, obwohl ich einen solchen zwanzig Jahre hindurch gesucht hatte. Das hat mir großen Schaden verursacht, indem ich nicht nur häufig rückfällig wurde, sondern auch in Gefahr geriet, mich völlig zu verlieren … Unter diesen Anfängen begann Gott mir die ganze Zeit hindurch große Gnaden zu erweisen. Ich war indes nicht so von jeder Beleidigung Gottes frei, wie es das Buch verlangt.
Vom Glück des inneren Gebets – 8. Kapitel
Über dass Glück, das der besitzt, der sich im Gebet übt, haben viele gute und heilige Männer geschrieben. Ich meine das innerliche Gebet. Gott sei dafür verherrlicht! Wäre dies nicht der Fall, so würde ich, wie sehr es mir auch an Demut fehlt, doch nicht so dünkelhaft sein, mich ebenfalls darüber zu äußern. Doch das kann ich aus Überzeugung versichern: Wer einmal dieses Gebet zu üben begonnen hat, der gebe dasselbe nicht wieder auf. Denn es ist das Mittel, durch das ihm wieder Heilung gebracht werden kann, und ohne dasselbe wäre die Heilung weit schwerer … Man glaube, dass Gottes Worte nicht trügen können. Denn wenn wir rechte Reue empfinden und uns entschlossen haben, Gott nicht zu beleidigen, so kehrt er zur alten Freundschaft mit uns zurück.
Wer aber dieses Gebet noch gar nicht angefangen hat, den bitte ich um der Liebe des Herrn willen, ein solches Gut nicht länger entbehren zu wollen. Hier gibt es nichts zu fürchten, sondern nur zu gewinnen. Denn wenn einer nicht vorwärts kommt und nicht solche Anstrengungen macht, vollkommen zu werden, dass er die Freuden und Wonnen verdient, welche Gott solchen Seelen gewährt, so wird er allmählich zur Kenntnis des Wegs gelangen, der zum Himmel führt. Bleibt er hierin beharrlich, so hoffe ich zur Barmherzigkeit Gottes, dass ihn niemand zum Freunde nimmt, dem er es nicht vergilt.
Meiner Ansicht nach ist das innere Gebet nichts anderes als ein freundschaftlicher Umgang mit Gott. Wir wissen: Der, mit dem wir in Verbindung stehen, liebt uns, auch wenn ihr ihn nicht liebt … Ich begreife nicht, was diejenigen fürchten, welche sich vor dem Anfang des inneren Gebetes fürchten. Auch weiß ich nicht, wovor sie Besorgnis hegen. Es ist ein Meisterstück des Teufels, uns dergleichen einzuflößen, um uns richtig ins Unheil zu stürzen …
Nachdem ich angefangen hatte, mich diesem Gebet zu widmen, wurde ich niemals müde, von Gott Zeugnis abzulegen und von ihm zu hören. Brachten mir so die Predigten auf der einen Seite großen Trost, so erregten sie mir andererseits Qual, denn ich vernahm darin, wie ich bei Weitem noch nicht so war, wie ich hätte sein sollen. Ich bat, der Herr möge mir helfen. Doch, wie mir vorkommt, liegt mein Fehler darin, dass ich nicht in allem mein Vertrauen auf seine Majestät setzte. Ich suchte nach Abhilfe, machte Anstrengungen, verstand aber wohl nicht, dass all das wenig nützt, wenn wir unser Vertrauen nicht ganz auf Gott setzen, nachdem wir das Vertrauen auf uns ganz und gar aufgegeben haben.
Ein Gleichnis vom Anfangen – 11. Kapitel
Ich werde jetzt von denen sprechen, welche anfangen, Diener der Gottesliebe zu werden. Meines Erachtens ist es nichts anderes, als demjenigen auf dem Gebetsweg zu folgen, der uns so sehr geliebt hat. Es ist auch eine große Würde, dass mich schon der Gedanke daran mit außerordentlicher Freude erfüllt. Denn die knechtische Furcht weicht alsbald, wenn wir in diesem ersten Abschnitt so vorangehen, wie es uns obliegt. O Herr meiner Seele, du mein Gut! Warum wolltest du nicht, dass eine Seele, die den Entschluss gefasst hat, dich zu lieben, nicht bald zur Freude emporsteigt, diese vollkommene Liebe sich anzueignen? Doch ich hätte klagen und sagen sollen, dass wir es selbst gar nicht wollen. Die Schuld liegt bei uns, wenn wir nicht sogleich in den Genuss einer solch großen Würde gelangen. Denn wenn wir es dahin bringen, die vollkommene wahre Liebe Gottes zu besitzen, so folgt alles Gute daraus. Wir lieben uns ja selbst und sind [deshalb] zu träge, um uns Gott gänzlich auszuliefern.
Ihre Gedanken über den Anfang des geistlichen Lebens fortführend, wendet Teresa ein Gleichnis an, dessen Bilder ihr und ihren spanischen Lesern geläufig sind: die Wichtigkeit und Unverzichtbarkeit des Wassers für einen noch wilden, zu kultivierenden Garten. Auch ist zu...