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Terrorismus und Kommunismus

Vollständige Ausgabe

AutorKarl Kautsky
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl202 Seiten
ISBN9783849628970
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Ein Beitrag zur Naturgeschichte der Revolution. Kautsky beschreibt die Unterschiede der Kommune, auf die sich die Gründer der Sozialdemokratie immer wieder beriefen, zu den terroristischen Zuständen im damaligen Bolschewismus. Inhalt: Vorwort 1. Revolution und Terrorismus 2. Paris 3. Die große Revolution 4. Die erste Pariser Kommune 5. Die Tradition der Schreckensherrschaft 6. Die zweite Pariser Kommune 7. Die Milderung der Sitten. 8. Die Kommunisten an der Arbeit.

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Leseprobe

f) Zentralismus und Föderalismus

 

Wir haben von einer ökonomischen Methode der Kommune gesprochen, aber auch schon erkennen lassen, daß eine solche im vollen Sinne des Wortes bei ihr nicht zu finden ist. Von einer bewußten, planmäßig angewandten Methode kann man bei der Kommune nicht reden. Schon deshalb nicht, weil in ihr einander sehr widersprechende Richtungen zusammenarbeiteten. Die Art des Vorgehens der Kommune war das Ergebnis ihres Widerstreits, nicht einer bestimmten Theorie. Die Sozialisten selbst in der Kommune waren theoretisch nicht sehr klar und sie bildeten die Minderheit. Trotzdem beherrschte ihr Geist die ökonomischen Äußerungen des Pariser Gemeinwesens, da die Mehrheit der Ökonomie nur wenig Gewicht beilegte und sich auf diesem Gebiete noch unsicherer fühlte als die Minderheit.

 

Anders als mit der Ökonomie war es mit der Politik der Kommune bestellt. Da waren die Gegensätze weit schroffer, die in der Kommune zutage traten. Sie zerrissen sie fast und beeinträchtigten ihre Arbeitsfähigkeit. Aber die allgemeine Tendenz, die sich dabei durchsetzte, gestaltete sich unter dem Druck der Verhältnisse zu einer Mittellinie, die Marx ebenso akzeptierte, wie die Art des Vorgehens in der Ökonomie.

 

Wir wissen bereits, daß die Mehrheit der Kommune aus Jakobinern und Blanquisten bestand. Wenn sie für die Kommune von Paris eintraten, meinten sie darunter eine nach der Art von 1793, ein Gemeinwesen, das ganz Frankreich beherrschte, ihm seinen Willen aufzwang. Sie waren radikale Republikaner und Freidenker, wollten den ganzen Machtapparat der Monarchie zerstören, Pfaffentum wie Bureaukratie und stehende Armee. Und doch hätten sie die beherrschende Stellung von Paris nur herbeiführen können durch eine Staatsorganisation, die einer in Paris residierenden Zentralstelle die stärksten Gewaltmittel zur Verfügung stellte. Sie vergaßen, daß die Pariser Kommune von 1793 durch die Mittel zentralisierter Gewalt, die sie entwickelte, dem Kaiserreich Bonapartes den Weg bahnte. Alles Heil erwarteten sie von einem Wohlfahrtsausschuß mit diktatorischer Gewalt, ohne zu bedenken, daß eine Diktatur, die sich nicht auf eine straff disziplinierte Armee und Verwaltungsorganisation stützt, eine bloße Schattendiktatur ist.

 

In schroffstem Gegensatz zu den zentralisierenden Jakobinern standen die Proudhonisten, die den Traditionen von 1793 mit scharfer Kritik, ja mit förmlichem Abscheu gegenüberstanden. Sie erkannten die Illusionen, die zur Schreckensherrschaft geführt, das Proletariat genarrt, es zu blutiger Verwilderung gebracht hatten, ohne es seiner Befreiung im geringsten näher zu führen. Nicht minder kritisch aber standen sie der Demokratie gegenüber. Das allgemeine Wahlrecht hatte 1848 die reaktionäre Nationalversammlung produziert, es wurde zur Stütze des Kaiserreichs. In der Tat bot bei der damaligen ökonomischen Zusammensetzung Frankreichs die Staatspolitik, mochte sie diktatorisch oder demokratisch sein, keine Aussicht, daß sie ein Mittel der direkten, sofortigen Befreiung des Proletariats werde. Nach einem solchen Mittel suchten aber damals die Sozialisten. Der Gedanke der Entwicklung überhaupt und damit auch der Bedeutung, die die Demokratie für die Entwicklung der politischen Einsicht und organisatorischen Befähigung des Proletariats und dadurch für seine schließliche Befreiung gewinnen könne – dieser Gedanke lag ihnen noch fern. Für die sofortige Befreiung des Proletariats waren damals weder Diktatur noch Demokratie geeignet. Das verstanden die Proudhonisten sehr gut. Aber nicht gut war die Konsequenz, die sie daraus zogen. Ganz ohne jede Politik, wie sie am liebsten gewollt hätten, konnten sie doch nicht auskommen Nun bot die Kommunalpolitik in einzelnen industriellen Gemeinden dem Proletariat ganz andere Aussichten, als die Staatspolitik in einem überwiegend agrarischen Lande. Die Demokratie in der Gemeinde wurde ihnen ebenso wichtig, wie im Staate gleichgültig. Und die scharfen Kritiker und Verhöhner der staatlichen Parlamente, dieser „Schwatzbuden“, hatten gegen kommunale „Schwatzbuden“ und Parlamente durchaus nichts einzuwenden.

 

Die Souveränität der Gemeinde wurde das Ideal der Proudhonisten. Dieser Gedanke bezeugt schon den kleinbürgerlichen Stand der Industrie, mit dem sie rechneten. Auch dachten sie nicht daran, den Warenaustausch aufzuheben. Indes gab es doch auch zu ihrer Zeit schon Betriebszweige, deren wirtschaftliche Bedeutung über die einzelne Gemeinde hinausreichte. Um deren Funktionieren zu regeln, sollten sich die einzelnen Gemeinden in freien Vereinbarungen zusammenschließen. So hofften die Proudhonisten auch in dem agrarischen Frankreich das industrielle Proletariat sofort zu befreien. Sie vergaßen nur die Kleinigkeit, daß der Gedanke der Auflösung des Staates in souveräne Kommunen auch ein Staatsgedanke war, dessen Durchführung die Niederwerfung der bestehenden Staatsgewalt voraussetzte, gerade das, was die Proudhonisten umgehen wollten.

 

Die Idee der Kommune im proudhonistischen Sinne war also das gerade Gegenteil dieser Idee im jakobinischen Sinne. Für die Jakobiner war die Kommune von Paris ein Mittel, die Staatsgewalt zur Beherrschung ganz Frankreichs zu gewinnen. Für die Proudhonisten war die Souveränität jeder Kommune ein Mittel, der Staatsgewalt ein Ende zu machen.

 

Arthur Arnould kennzeichnet in seiner Histoire populaire et parlamentaire de la Commune de Paris sehr gut den Gegensatz der beiden Richtungen der „revolutionären Jakobiner“ und der „sozialistischen Föderalisten“:

 

„Die gleichen Worte wurden von den verschiedenen Mitgliedern der Versammlung auf zwei verschiedene Arten aufgefaßt. Für die einen bildete die Kommune von Paris den Ausdruck, die Verkörperung der ersten Anwendung des regierungsfeindlichen Prinzips, den Krieg gegen die alten Auffassungen des zentralistischen despotischen Einheitsstaates. Die Kommune bedeutete für sie den Triumph des Prinzips der Autonomie, der freien Föderation von Gruppen und der möglichst direkten Regierung des Volkes durch das Volk. In ihren Augen bildete die Kommune die erste Etappe einer großen, ebenso sozialen wie politischen Revolution, die mit den alten Prozeduren gründlich aufzuräumen habe. Sie war die absolute Verneinung der Idee der Diktatur; sie war die Ergreifung der Macht durch das Volk selbst, und daher die Vernichtung jeder außerhalb des Volkes oder über ihm stehenden Gewalt. Die Männer, die so fühlten, dachten, wollten, bildeten jene Gruppe, die man später die Sozialisten oder die Minderheit nannte.

 

Für die anderen bildete die Kommune von Paris im Gegenteil die Fortsetzung der alten Kommune von 1793. Sie repräsentierte in ihren Augen die Diktatur im Namen des Volkes, eine ungeheure Konzentration von Macht in den Händen weniger, und die Zerstörung der alten Einrichtungen dadurch, daß man neue Männer an die Spitze dieser Einrichtungen setzte, die man für den Augenblick in Waffen des Krieges im Dienste des Volkes gegen die Feinde des Volkes verwandelte.

 

Unter den Männern dieser autoritativen Gruppe war die Idee des zentralistischen Einheitsstaates keineswegs völlig verschwunden. Wenn sie das Prinzip der Gemeindeautonomie und der freien Föderation der Gruppen akzeptierten und auf ihre Fahnen schrieben, geschah es nur, weil der Wille von Paris sie dazu zwang ... Sie blieben beherrscht vor Denkgewohnheiten, die sie in einem langen Dasein von Kämpfen erworben. Sobald es zum Handeln kam, gerieten sie wieder auf den Weg, dem sie solange gefolgt, und ließen sich, gewiß mit gutem Glauben, dazu verleiten, die alten Methoden auf neue Ideen anzuwenden. Sie begriffen nicht, daß in solchen Fällen die Form fast stets über den Inhalt siegt und daß diejenigen, die die Freiheit durch Mittel der Diktatur oder der Willkür zu begründen suchen, dasjenige töten, was sie retten wollen. Diese Gruppe, die übrigens aus sehr verschiedenartigen Elementen bestand, bildete die Mehrheit und nannte sich ‚revolutionäre Jakobiner’.“

 

Dubreuilh zitiert diese Ausführungen mit dem Bemerken, daß sie nur auf die Extreme der beiden Richtungen völlig zuträfen. Das stimmt. Doch gilt es für alle Richtungen, die man zeichnen will. Man wird bei jeder eine Reihe von Schattierungen entdecken. Aber will man sie klar erkennen, muß man ihren konsequentesten Ausdruck, gewissermaßen ihren klassischen, zur Beobachtung herausheben.

 

Die Gegensätze waren ungeheuer, sie wären vielleicht nicht zu überbrücken gewesen, wenn die Kommune siegte. Aber sie siegte nicht, und schon das zwang den Widerstreitenden eine mittlere Linie auf.

 

Vom 3. April an sah sich die Kommune in die Defensive gedrängt, mußte sie jeden Gedanken daran aufgeben, Frankreich zu erobern und zu beherrschen. Damit war der Realisierung des jakobinischen Gedankens jeder Boden entzogen. Weit entfernt davon, durch die Kommune zu herrschen, mußte man froh sein, wenn es gelang, zu verhindern, daß die Freiheiten von Paris durch das reaktionäre Frankreich erdrückt wurden.

 

Ebensowenig war aber unter diesen Umständen daran zu denken, daß der proudhonistische Traum in Erfüllung ging, der...

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