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Theorien des Todes zur Einführung

AutorPetra Gehring
VerlagJunius Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl208 Seiten
ISBN9783960600220
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Wir alle werden sterben. Ganz einfach? Eher doch sehr kompliziert. Wovon die Rede ist, wenn jemand das Wort »Tod« verwendet, verrätselt sich, sobald man es näher begreifen will. Was das Faktum der Endlichkeit für den Zusammenhang des eigenen Lebens bedeutet, gehört zu den großen Fragen des abendländischen Denkens. Und welche Disziplin ist wissenschaftlich zuständig? Der Tod gehört überall hin und nirgends. Diese Einführung sichtet die Theoriegeschichte des Todes. Das Augenmerk richtet sich dabei - von der Antike bis heute - auf das philosophische Nachdenken über den Tod. Muss man ihn fürchten? Welche Bedeutung kommt ihm zu? Was ist er überhaupt? Eine Frage, die sich durch alle Kapitel des Buchs zieht, ist diejenige nach den Spuren einer Todespolitik. Nicht nur in der Philosophie der Moderne lassen sich solche Spuren finden.

Petra Gehring ist Professorin für Theoretische Philosophie an der Technischen Universität Darmstadt.

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Leseprobe

2. Von der Sorge um sich zum Schrecken des Jenseits


»Und herniedergestiegen ins Todesreich ist Er, unser Leben selbst, und hat unsern Tod aufgehoben und ihn getötet …«4

Wie finde ich Glück und Ruhe angesichts des Todes? Auch die ausführlichen Spekulationen zum Fortbestand der Seele münden in diese Frage. Platons Sokrates steht nicht nur für unbedingte Wahrheitsorientierung, für den kompromisslosen Habitus von Wissenschaft, von Theorie. Sokrates verkörpert auch einen ethischen Appell: Kümmere Dich um deine Seele. Wenn Sokrates alle Gründe für Todesfurcht wegdiskutiert und das Sterben – um der Wahrheit, der Stadt, der Wirkung des eigenen Werkes willen – demonstrativ leichtnimmt, so erklärt er einerseits zwar sich selbst für unwichtig: Im philosophischen Dialog stehen nicht die Menschen im Vordergrund, allein die Wahrheit der Sachen soll zählen, über die man spricht. Eben das scheint auch Sokrates’ kühle Distanz im Abschied von den Freunden zu vermitteln: Dem Philosophen liegt nichts an der eigenen Existenz. Setzt andererseits aber gerade diese konsequente Haltung nicht eine auf das eigene Leben gerichtete Anstrengung voraus? Um Philosophieren zu können, ist ein konsequent ausgestaltetes Selbstverhältnis gefordert, eine bestimmte »Sorge um sich« – einschließlich der Suche nach den dazugehörigen Lebensregeln.

An diesem Punkt weicht die platonische Todestheorie, für welche die Seele eine gedankliche Sonderrolle spielt, von älteren griechischen Konzepten ab, denen zufolge man beim Sterben die Seele schlicht ins Formlose hinaushaucht. Wenn Sokrates seine Gesprächspartner im Blick auf den möglichen Fortbestand der eigenen Seele zu Erkenntnissen anstachelt, so geschieht dies nicht um der nackten Einsicht willen. Vielmehr bedeutet Philosophieren, andere dazu anzuhalten, ihrem Leben – sorgsam, ethisch gelungen – eine Gestalt zu geben. Und die eigene Endlichkeit bietet für diese Anstrengung ein Maß. Philosophie ist Ethik angesichts lebenslanger Herausforderungen, aber auch angesichts des Todes. Sie wird mit Blick auf den Tod als Haltung gelebt. Die darauf gerichtete »Sorge« bleibt bis zur Spätantike und ins Christentum hinein zentral (Foucault 2001, 25). Vielleicht wirkt Philosophie mit dem Motiv des »Sterben lernens« auf den Philosophierenden sogar wie eine Art Todestherapie: Man wird nicht im physiologischen Sinne vom Tod geheilt, aber man kann aus ihm etwas Stimmiges machen, eine Abrundung der eigenen Lebenshaltung, einen Probierstein der Ruhe. So steht mit Sokrates’ Tod eine mächtige Doppelfrage im Raum. Wie gestalte ich mein Leben gut im Hinblick auf den Tod? Und umgekehrt: Wie mache ich den Tod im Hinblick auf mein Leben zu einem Ansporn für das Gute, wie mache ich ihn moralisch-ethisch produktiv?

Die platonische Form der Selbstsorge läuft auf schonungslose, präzise Selbstaufklärung hinaus. Zu kopflastig darf man das nicht nehmen. »Sich selbst Erkennen« (gnóthi seautón), der alte griechische Ratspruch, und die »Sorge um sich« (epiméleia héautou) gehören untrennbar zusammen (Foucault 1984, 81; Foucault 2001, 19 ff., 97). Hinsichtlich der Todesangst hatte Sokrates klar argumentiert: Weil kein positiver Beweis dafür existiert, dass es am Tod etwas zu fürchten gäbe, wäre es eben Dummheit und verkehrt, ihn zu fürchten. Der Philosoph ist daher auch gar nicht besonders heroisch, wenn er dem Sterben gelassen entgegenblickt. Er triumphiert nicht über das Grauen. Er hat schlicht, weil er (wie in allem, so auch hier) sich streng an das Prinzip der Begründetheit hält, vor dem Tod keinerlei Furcht. Gleichwohl ist es eine Form des Nichtwissens über den Tod, mit welcher der Philosoph sich konfrontiert. »Zeit, daß wir gehen, ich, um zu sterben, und ihr, um zu leben«, so beendet Sokrates seine große Verteidigungsrede: »Wer aber von beiden zu dem besseren Geschäft hingehe, das ist allen verborgen außer nur [dem] Gott.« (Apologie 42a)

Das eigentliche Thema der Apologie kommt hinzu. Es ist dasjenige der Erpressbarkeit des Individuums durch Todesangst. Hier streicht Platon die Konfliktlage zwischen dem heraus, was die Volksversammlung und die Politiker von Sokrates fordern (nämlich einzulenken), und dem, was eigentlich den Gesetzen gemäß wäre (nämlich konsequent zu bleiben). Wie ein Chor von Stimmen treten die Gesetze und die der Tagespolitik weit übergeordneten Verbindlichkeiten der Stadt im Dialog Kriton dem zweifelnden Philosophen entgegen. Sokrates trifft seine Entscheidung für den Existenzstil des Philosophen und also für die Gesetze wie für den Tod nicht zuletzt als Entscheidung dafür, in Athen zu bleiben, also für den urbanen Raum, zu dem beides gehört. Der Habitus des Philosophen ist nicht völlig von seinem Ort losgebunden, auch dies definiert den Zeitplan, welcher den Tod mit sich bringt. Was aus der Haltung des Sokrates jedoch vor allem spricht, ist das Pathos eines Höchstmaßes an individueller Freiheit, ganz und gar selbst zu entscheiden, wie man sich moralisch-politisch einstellen und seine eigene Handschrift des Entscheidens ausgestalten will. Ein guter und richtiger Tod gehört zu dieser Handschrift dazu.

2.1 Der Tod als Aufgabe und Übung betrachtet


In der Folgezeit Platons – also in den Jahrhunderten der zunächst griechischsprachigen und dann zunehmend auch Latein schreibenden späteren Antike, denn das römische Imperium verleibt sich Griechenland ein – wird das Thema der persönlichen Lebensführung in der gebildeten Literatur immer wichtiger. Zwar hat man weiterhin ein nüchternes Verhältnis zum Tod: Wenn er näherkommt, zieht sich der Arzt zurück, und für das Alltagsleben bezeugen Grabinschriften, dass man keineswegs ans Jenseits glaubte (van Hooff 2001). Auch verfeinern sich die naturkundlichen Erklärungen. So arbeitet Aristoteles im Anschluss an Hippokrates heraus, dass der natürliche Tod aller Lebewesen letztlich eine Frage des körperlichen Hitzeverlustes ist, ein mehr oder weniger schmerzloses »Verlöschen und Ersticken des Warmen«, wenn das Herz infolge von Altersschwäche diese Wärme nicht mehr produzieren kann oder aber die Lunge zu schwach wird, ihre Kühlfunktion zu erfüllen (Aristoteles ca. 340 v. Chr., 479a f.). Auch der gewaltsame Tod gleicht dem Ersticken einer inneren Flamme, in diesem Fall sind ein Zuviel an Hitze oder an Luft die Ursache (vgl. 469b). Die physische Seite des Sterbens wird durch die griechische Theoriebildung also durchaus objektiv durchdrungen. Dennoch ist die ethische Fragestellung wichtiger. Und mindestens in intellektuellen Kreisen gilt: Die Haltung des eigenen Lebens einschließlich der Art, wie ich den Tod zu nehmen weiß, ist Gegenstand und zugleich Medium (also Realisierungsmittel) der Philosophie.

Von Verboten ist die Todesethik der Antike nicht gezeichnet. Generell geht es der antiken Ethik weniger darum, allen gleichermaßen etwas verpflichtend und womöglich strafbewehrt vorzuschreiben (also um Moral im heutigen Sinne). Eher dreht sich die Frage des richtigen Lebens um das, was wir heute die Kultivierung eines angemessenen Lebensstils nennen würde. Vielleicht sollte man auch »Selbstformung« sagen – denn wer sich philosophisch um sich und seine Seele kümmerte, dem war es nicht um unverbindliche Stilfragen zu tun. Tatsächlich machte man sich zu einem Jemand. Zu jemandem, der auf richtige Weise und also auch »gut« – nicht lediglich angenehm, sondern bewunderungswürdig – lebt. Zu dieser »Kultur seiner selber« (Foucault 1984, 60), von der wir natürlich annehmen müssen, dass sie ein Privileg der Gebildeten war oder jedenfalls derjenigen, die sich Zeit nehmen konnten, gehören nicht nur Verhaltenstechniken – ausgewählt und in Maßen essen, sich regelmäßig Rechenschaft ablegen über die eigenen Gedanken und Empfindungen, prüfen, welche ablenkende Gesellschaft man sucht oder meidet. Es gehören dazu auch Techniken der Bewusstseinsleitung – und im Grunde lag der Sinn auch vieler körperlich-praktischer Übungen darin, sich in der Lenkung der Seele und des Denkens zu schulen.

Einer der wirkungsvollen Autoren in diesem Feld ist Epikur, der 341-270 v. Chr. lebte und in Athen eine philosophische Schule unterhielt – als Ort der gelebten guten Lebenseinstellung und des Erlangens von Glück. Auch die – wenn man so will: konkurrierende – ebenso wirkungsvolle Schule der Stoa, etwa zur selben Zeit begründet durch Zenon von Kitia, befasst sich mit dem richtigen und guten Leben. Die Hinwendung zu sich ähnelt einer Selbstbehandlung, in der stoischen Tradition bekommt sie einen nahezu medizinischen Charakter. Epikur setzt darauf, das Bewusstsein der eigenen Endlichkeit als Quelle für einen glücklichen Ausgleich von Unlust und Lust zu nutzen: »Die unbegrenzte Zeit verschafft die gleiche Lust wie die begrenzte, wenn man die Grenzen der Lust mit der Vernunft abmisst« (Epikur ca. 250 v. Chr, XIX [245]), so lautet einer von vierzig Lehrsätzen der Kyriai doxai, einer Spruchsammlung zum Auswendiglernen, die im Namen Epikurs überliefert ist. Ein anderer besagt: »Wer die Grenzen des Lebens kennt, weiß wie leicht das...

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