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E-Book

Therapeutische Empfehlungen für Menschen mit Demenz

Selbsterhaltungstherapie (SET) im Krankenhaus

AutorBarbara Romero, Michael Wenz
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl216 Seiten
ISBN9783170316690
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis31,99 EUR
Dieses Buch stellt das Konzept der Selbsterhaltungstherapie (SET) und seine Anwendung in der Krankenhausbehandlung von Menschen mit Demenz vor. Die Autoren beschreiben praxisnah, wie im Rahmen von stationären und teilstationären Behandlungen die Bedürfnisse von Menschen mit Demenz berücksichtigt werden können. Im Fokus steht dabei die an den Ressourcen der Betroffenen orientierte Vermittlung von Erfahrungen behandelnder Fachteams an Bezugspersonen, die die Erkrankten im Alltag begleiten. Ergänzend zur persönlichen Beratung wurden von diesen Behandlungsteams schriftliche 'Therapeutische Empfehlungen' (TE) für die Bezugspersonen entwickelt, in denen individuell angepasste Hinweise zur Alltagsgestaltung, Kommunikation und Entlastung pflegender Angehöriger zusammengefasst werden. TE leisten einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Versorgung und zur Stabilisierung von Behandlungserfolgen nach dem Krankenhausaufenthalt. Dieses Buch motiviert zur Einbindung von Bezugspersonen in die Krankenhausbehandlung und unterstützt mit zahlreichen Fallbeispielen und Materialien die Gestaltung von Beratungsgesprächen und die Erstellung der TE.

Dr. phil. Barbara Romero, Diplompsychologin und Klinische Neuropsychologin (GNP), war als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität Warschau, am Institut für Medizinische Psychologie, LMU München und an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, TU München tätig. In ihrer wissenschaftlichen, klinischen und didaktischen Arbeit beschäftigt sie sich seit 30 Jahren mit der Situation von Menschen mit Demenz. Sie ist Konzeptgeberin und Gründungsleiterin des Alzheimer Therapiezentrums Bad Aibling, Autorin der Selbsterhaltungstherapie (SET) und eines integrativen Behandlungsprogramms für Demenzkranke und deren betreuenden Angehörigen. Dr. Romero ist derzeit freiberuflich an der Implementierung dieser Konzepte in der stationären und ambulanten Behandlung und in stationären Pflegebereichen tätig. Sie ist Autorin zahlreicher Fachpublikationen und Dozentin. Dr. phil. Michael Wenz, Psychologischer Psychotherapeut, ist seit 1999 im Alzheimer Therapiezentrum der Schön Klinik Bad Aibling tätig, seit 2014 zusätzlich in freier psychotherapeutischer Praxis in München.

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Leseprobe

2          Demenz verändert


 

2.1       Das Demenzsyndrom und Charakteristika der Betroffenen


Zu den diagnostischen Merkmalen eines Demenzsyndroms gehören nach ICD-10 (WHO 2014) zwei Gruppen von Symptomen:

•  Abnahme des Gedächtnisses und anderer kognitiver Fähigkeiten (z. B. Störung der Urteilsfähigkeit, des Denkvermögens, der Sprache oder der Orientierung)

•  Veränderung der Affektkontrolle (z. B. emotionale Labilität oder Reizbarkeit), des Antriebs bzw. der Motivation (z. B. Apathie) und des Sozialverhaltens (Abnahme der sozialen Kompetenz, z. B. Vergröberung).

Diese Symptome treten in verschiedenen Kombinationen und Ausprägungsgraden auf und hängen von der Demenzform, dem Krankheitsstadium wie auch von psychosozialen und anderen individuellen Rahmenbedingungen ab.

Zusätzlich zu den Erscheinungsbildern, die das Demenzsyndrom definieren, treten bei den Kranken zahlreiche andere Störungen auf, die ebenfalls Folge der vorliegenden Gehirnerkrankung sind, vor allem Störungen der Motorik und des Schlafrhythmus. Im Hinblick auf das Alter der meisten Betroffenen liegen zusätzlich zur Demenzerkrankung oft chronische somatische Erkrankungen vor.

Wie an einer anderen Stelle bereits ausgeführt (vergl. Romero 2014, S. 175), prägen folgende Merkmale die Situation von Menschen mit Demenz:

•  Die große Mehrzahl demenzieller Erkrankungen hat einen irreversiblen, chronisch fortschreitenden Charakter.

•  Demenzielle Störungen betreffen mehrere kognitive, affektive und soziale Kompetenzen und führen relativ früh im Verlauf zu zunehmender Hilfsbedürftigkeit.

•  Das Erkrankungsrisiko nimmt mit dem Alter zu. Etwa zwei Drittel der Kranken mit einer senilen Demenz haben ein Alter von 80 Jahren vollendet. Präsenile Erkrankungen haben mit 2 % einen kleinen Anteil an der Gesamtzahl von Demenzerkrankungen (Bickel 2012).

•  Aufgrund der höheren Lebenserwartung bei Frauen sind mehr als 70 % der Kranken weiblich (Bickel 2012).

•  Die meisten Demenzkranken werden – zumindest in den ersten Jahren – zu Hause von Angehörigen betreut. 35–40 % aller Erkrankten leben in Pflegeheimen (Bickel 2012).

•  Rund zwei Drittel aller Demenzkranken leiden an weiteren Erkrankungen (Thyrian et al. 2011).

Die große Mehrheit der von einer Demenz Betroffenen ist also über 80 Jahre alt und multimorbid. Mit fortschreitender Krankheit entwickeln Menschen mit Demenz Symptome, die die psychische und körperliche Gesundheit direkt und indirekt beeinträchtigen und sich gegenseitig verstärken. Darüber hinaus leiden rund zwei Drittel aller Demenzkranken an weiteren Erkrankungen (Thyrian et al. 2011). Der häufige Verlust des Antriebs zum Essen und Trinken führt zu Mangel- oder Unterernährung und folglich zu Muskelschwund und Kraftverlust. So werden Mobilitätsbeeinträchtigungen, die durch die fortschreitende Schädigung des zentralen Nervensystems verursacht sind, verstärkt. Der Bewegungsmangel gepaart mit der Unterernährung führt zur Schwächung der Abwehrkräfte und einer erhöhten Anfälligkeit für Infektionen, wie z. B. für Lungenentzündungen, die eine häufige Todesursache demenzkranker Menschen sind (Wada et al. 2001).

Demenzkranke weisen ein doppelt bis dreifach höheres Sturzrisiko als gesunde ältere Menschen auf (Härlein et al. 2009) und haben dabei ein hohes Risiko für Knochenbrüche. Menschen mit Demenz leiden auch häufiger an Herz- und Gefäßkrankheiten sowie Schlaganfällen (Thyrian et al. 2011).

Multifaktoriell bedingte Einschränkungen der Selbstständigkeit belasten die Lebensqualität und das Selbstwertgefühl der Betroffenen. Barbe und Mitautoren (2017) haben in einer aktuellen Studie eine relativ große Gruppe von 123 Personen mit einer leicht bis mittelgradig ausgeprägten Alzheimer-Krankheit untersucht und festgestellt, dass insbesondere die eingeschränkte Fähigkeit, sich innerhalb der Wohnung zu bewegen und das Telefon zu bedienen, mit der Reduktion des Selbstwertgefühls einherging.

2.2       Kognitive Beeinträchtigungen


2.2.1     Hauptsymptome


Leitsymptom der Alzheimer-Krankheit und der meisten anderen Demenzformen ist die Störung des Gedächtnisses. Nicht alle Aspekte dieser komplexen Gehirnfunktion sind im Verlauf der fortschreitenden Verluste gleich betroffen. In frühen Demenzphasen stehen Schwierigkeiten, neue Inhalte im Gedächtnis abzuspeichern, im Vordergrund. Im Lauf des Lebens erlerntes Wissen und biografische Erinnerungen werden dann im weiteren Krankheitsverlauf allmählich vergessen. Die Kompensation der Gedächtnisstörungen z. B. durch Notizen oder spezielle Mnemotechniken ist durch andere, parallel auftretende kognitive Störungen, die u. a. das Schreiben, Lesen und vor allem das planende Denken betreffen, deutlich erschwert. Früh im Verlauf der Alzheimer-Krankheit treten in der Regel auch Störungen der räumlichen und zeitlichen Orientierung auf. Die Orientierung ist zu Beginn häufig nur in fremder Umgebung beeinträchtigt. Im weiteren Verlauf fällt es den Betroffenen dann zunehmend schwer, auch in vertrauter Umgebung Wege zu finden. Die Fähigkeit, Ereignisse auf der Zeitachse zuordnen zu können, ist besonders vulnerabel und häufig früh im Verlauf beeinträchtigt. Daher empfiehlt es sich, in Kontakten mit den Betroffenen auf Fragen wie: »Wann war das?«, »Wie lange wird es noch dauern?«, »War es vorher oder nachher?«, zu verzichten. Mit solchen Fragen können die Betroffenen bereits zu Beginn der Erkrankung überfordert und schmerzhaft mit den eigenen Defiziten konfrontiert werden. Die Kommunikation ist durch Sprachstörungen beeinträchtigt. Zu Beginn treten häufig Schwierigkeiten auf, Wörter zu finden. Beim weiteren Fortschreiten der Erkrankung ist auch das Sprachverständnis betroffen und die verbale Ausdrucksfähigkeit nimmt immer mehr ab.

Besonders schwerwiegende Folgen haben Störungen des Denkens und des Urteilsvermögens, weil sie zunehmend die Entscheidungskompetenz und die Fähigkeit zur Selbstbestimmung der Betroffenen einschränken.

2.2.2     Exkurs: Einwilligungsfähigkeit und Entscheidungen über den Wohnort


Aufgrund der praktischen Relevanz war speziell die Einwilligungsfähigkeit von Menschen mit Demenz in medizinische Maßnahmen Gegenstand wissenschaftlicher Reflexion und Forschung. Dabei haben mehrere Autoren festgestellt, dass eine valide und reliable Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit bis jetzt nicht möglich ist. Vielmehr lagen die Urteile der untersuchenden Ärzte, Juristen und Medizinethiker bezüglich der Einwilligungsfähigkeit von Patienten mit leichter Demenz in medizinische Maßnahmen weit auseinander (Haberstroh und Müller 2016; Marson et al. 1997). Trachsel und Kollegen fordern zur Schließung dieser konzeptuellen und methodischen Lücken auf:

»Aufgrund der starken Betonung der Patientenautonomie und der Tatsache, dass Patientenrechte als unverzichtbarer Bestandteil einer modernen Gesundheitsversorgung angesehen werden, sind transparente, gut begründete und klar definierte Standards für die Feststellung der Urteilsunfähigkeit von Patienten notwendig« (Trachsel et al. 2013, S. 26).

Eine Forschungsgruppe aus dem Forum für Interdisziplinäre Alternsforschung am Frankfurter Universitätsklinikum führt aktuell Projekte durch, die nicht nur die Beurteilung, sondern auch die Förderung der Einwilligungsfähigkeit in medizinische Maßnahmen bei Demenz zum Ziel haben (Haberstroh 2014; http://www.uni-frankfurt.de/62154606/Projekt-EmMa.; http://www.uni-frankfurt.de /62154553/Projekt-ENSURE, Zugriff am 05.03.2018).

Einschränkungen des Urteilsvermögens haben in vielen Lebensbereichen schwerwiegende praktische Folgen. Ein besonders wichtiges Problem stellt dabei die Entscheidung über den Wohnort dar. Von rund 1,6 Millionen Demenzerkrankten in Deutschland leben etwa drei Viertel zu Hause (Grass-Kapanke et al. 2008), in über der Hälfte aller Fälle in einem gemeinsamen Haushalt mit den Angehörigen (Schacke und Zank 2010). Zu Hause zu bleiben, auch bei Pflegebedürftigkeit und im Alter, entspricht dem Wunsch eines überwiegenden Teils unser Gesellschaft (Alber und Köhler 2004). Dieser Wunsch kann bei Menschen mit Demenz nicht immer...

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