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E-Book

Thomas More und sein Utopia

Vollständige Ausgabe

AutorKarl Kautsky
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl280 Seiten
ISBN9783849628963
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Kautskys Abhandlung über Thomas More und dessen Werk 'Utopia' gehört zu den Standardwerken der Philosophie und des utopischen Sozialismus.

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Leseprobe

5. Das Rittertum.

 

Zwischen dem großen Adel und den Bauern stand der niedere Adel, die Ritter, zum großen Teil Nachkommen der alten, gemeinfreien Bauern, die infolge günstiger Umstände ihre Freiheit zu wahren gewußt hatten. Dem Lehndienst an einen Mächtigeren hatten sie sich freilich nicht entziehen können, aber sie waren frei von grundherrlichen Leistungen und Abgaben. (G.L.v. Maurer, Einleitung zur Geschichte der Mark-, Hof-, Dorf- und Stadtverfassung und der öffentlichen Gewalt. München 1854. S. 236 ff.)

 

Der Ritter stand zwischen dem großen Grundherrn und dem Bauern, wie heute der Kleinbürger zwischen dem Kapitalisten und dem Arbeiter steht. Und er spielte auch eine ähnliche schwankende Rolle, ging heute mit den Bauern gegen die Fürsten, um morgen mit den Fürsten gegen die Bauern zu gehen, sobald diese gefährlich wurden. Der Typus dieses Rittertums ist Götz von Berlichingen. Natürlich fehlte es auch nicht an Rittern, die mit vollem Herzen für die Sache der Bauern eintraten: wer hat nicht schon von Florian Geyer gehört? Aber in der Mehrzahl blieben sie unzuverlässig. Selbst Huttens Stellung gegenüber den Bauern war keine entschiedene.

 

Ob das Rittertum für die Sache der Bauern oder der Grundherren eintrat, sein Untergang als selbständige Klasse war nicht aufzuhalten. Entweder gelang es dem Ritter, in die Klasse der großen Grundherren aufzusteigen, seine Güter so sehr zu erweitern, daß er zur Warenproduktion übergehen konnte, oder sein Grundbesitz wurde bedeutungslos, oft die Beute eines mächtigen Nachbarn, stets unzureichend, dem Ritter einen »standesgemäßen« Unterhalt zu gewähren. Dieser war gezwungen, von der Bildfläche als Grundbesitzer zu verschwinden und in den Städten sein Fortkommen zu suchen als Kaufmann oder, was für weniger entwürdigend galt, als Literat im Gefolge eines großen Herrn, namentlich aber als eine Art höherer Lakaien und Leibgardisten des Fürsten. Der Ritter wurde zum Höfling oder zum Landsknecht.

 

In Spanien, England und anderen Ländern eröffnete die Kolonialpolitik dem niederen Adel eine willkommene Gelegenheit, sein Ideal zu erreichen: ohne Arbeit reich zu werden. Das Faustrecht, das man ihm daheim legte, gelangte in den Kolonien und im Seeraub zu hoher Blüte.

 

Neben dem Kaufmann war der niedere Adel eine wichtige Triebkraft der Kolonialpolitik.

 

Natürlich vollzog sich die Anpassung des niederen Adels an die neue Produktionsweise ebensowenig ohne schwere Konvulsionen, als die anderen sozialen Umwandlungen der Reformationszeit. Hartnäckig strebte das Rittertum danach, seine Selbständigkeit aufrecht zu erhalten, was jedoch nur möglich war, wenn die feudale Produktionsweise in ihrer ursprünglichen Form fortbestehen blieb. Dabei nahm aber das Rittertum die Bedürfnisse an, welche die Entwicklung der Warenproduktion in den herrschenden Klassen geweckt: die Ansprüche des Rittertums an das Leben wurden immer größer, die Möglichkeit, ihnen auf dem Boden der feudalen Produktionsweise zu genügen, immer geringer. Wenn andererseits das Rittertum die Lebensweise der Feudalzeit fortsetzen wollte, geriet es immer mehr in Gegensatz zu den tatsächlichen Verhältnissen.

 

Der Kontrast zwischen Wollen und Können beim Rittertum ward immer schärfer, er bildete eine der charakteristischsten Eigentümlichkeiten der Anfänge der Neuzeit. Dieser Kontrast nahm oft eine tragische Gestalt an, aber dem damaligen städtischen Literatentum, das den neuen Geldmächten zujauchzte, erschien er nicht so. Der Ritter war neben dem Mönch und dem Bauern der Vertreter der alten, feudalen Produktionsweise. Jeder dieser drei Stände wurde von der Bevölkerung der großen Städte, in denen sich das geistige Leben konzentrierte, gehaßt und verachtet. Aber das Bürgertum, solange es revolutionär war, hatte nichts von Rührseligkeit und Heuchelei an sich. Moralische Entrüstung war die Waffe, die es am seltensten anwendete. Es bekämpfte seine Gegner durch Spott und Hohn. Der dumme Bauer, der geile Pfaffe, der verkommene bettelstolze Ritter gehören zu den Lieblingsfiguren der Literatur der Renaissance und ihrer Ausläufer.

 

Wir treffen sie zuerst in Italien, wo die neue Produktionsweise sich am frühesten entwickelt, bald aber werden diese Figuren in der Literatur von ganz Europa heimisch. Vom Dekameron (erschien 1352 oder 1353) des Boccaccio bis zum Don Quixote (erschien 1604) des Cervantes zieht sich eine lange Reihe von Dichtungen, in denen bald der eine, bald der andere, bald alle drei genannten Stände dem Gelächter preisgegeben werden.

 

Der größte Teil dieser Literatur ist heute vergessen. Zwei Figuren unter den vielen, welche die lachende Grabrede des Rittertums bildeten, sind aber heute noch jedermann bekannt, sie sind, für unsere Begriffe, unsterblich geworden: Don Quixote und Falstaff.

 

Die »Lustigen Weiber von Windsor« (geschrieben 1602) erscheinen heute den meisten als ein sehr harmloses Lustspiel, aber es ist ein erbitterter Klassenkampf, der da mit genialem Humor travestiert wird. Ob Shakespeare mit dem Lustspiel eine politische Tendenz verfolgte, wissen wir nicht; aber er zeichnete, was er sah, den Kampf zwischen dem niedergehenden Rittertum, das sich nicht dem bürgerlichen Rahmen anpassen will, und dem aufstrebenden Bürgertum dessen Weiber klüger und tapferer sind, als die Ritter ohne Furcht und Tadel. Die »Lustigen Weiber von Windsor« sind der übermütige Jubelruf der siegreich vordringenden Bourgeoisie.

 

Drittes Kapitel. Die Kirche.


 


1. Die Notwendigkeit und Macht der Kirche im Mittelalter.

 

Die in den vorigen Kapiteln angedeuteten Klassengegensätze nahmen im Laufe der Entwicklung die verschiedensten Gestalten an, sie wechselten von Zeit zu Zeit und von Ort zu Ort und kombinierten sich je nach den äußeren Einflüssen, den historischen Traditionen, dem Stande der Erkenntnis und den augenblicklichen Interessen in der mannigfachsten Art. Aber wie verworren dadurch die Geschichte des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts auch erscheinen mag, ein roter Faden zieht sich klar erkennbar durch sie und gibt dieser Zeit ihre Signatur: der Kampf gegen die päpstliche Kirche. Man verwechsle nicht die Kirche mit der Religion. Von dieser werden wir später handeln.

 

Die Kirche war die vorherrschende Macht der Feudalzeit gewesen: mit dem Feudalismus mußte auch sie zusammenbrechen.

 

Als die Germanen in das römische Weltreich eindrangen, da trat ihnen die Kirche entgegen als Erbe der Cäsaren, als die Organisation, die den Staat zusammenhielt, als der Vertreter der Produktionsweise des Ausgangs der Kaiserzeit. So erbärmlich auch dieser Staat war, so herabgekommen auch die Produktionsweise, beide waren den politischen und ökonomischen Zuständen der barbarischen Germanen weit überlegen. Diese überragten moralisch und physisch das verkommene Römertum, aber es nahm sie gefangen mit seinem Wohlleben, seinen Schätzen. Der Raub ist keine Produktionsweise, wenn auch manche Ökonomen das zu glauben scheinen. Die bloße Plünderung der Römer konnte die Germanen auf die Dauer nicht befriedigen, sie fingen an, nach Art der Römer zu produzieren. Je mehr sie das taten, desto mehr aber gerieten sie unvermerkt in die Abhängigkeit von der Kirche, denn diese war ihre Lehrmeisterin; desto notwendiger wurde eine dieser Produktionsweise entsprechende staatliche Organisation, die wieder keine andere Macht schaffen konnte, als die Kirche.

 

Die Kirche lehrte die Germanen höhere Formen des Landbaus – die Klöster blieben bis spät ins Mittelalter die landwirtschaftlichen Musteranstalten. Geistliche waren es auch, die den Germanen Kunst und ausgebildetes Handwerk brachten; unter dem Schutze der Kirche gedieh nicht nur der Bauer, sie schirmte auch die Mehrzahl der Städte, bis diese stark genug waren, sich selbst zu schützen. Der Handel wurde von ihr besonders begünstigt.

 

Die großen Märkte wurden meist in oder bei Kirchen abgehalten. In jeder Weise sorgte die Kirche dafür, Käufer zu solchen Märkten heranzuziehen. Sie war auch die einzige Macht, die im Mittelalter für die Erhaltung der großen Handelsstraßen sorgte und durch die Gastfreundschaft der Klöster das Reisen erleichterte. Manche derselben, zum Beispiel die Hospitze auf den Alpenpässen, dienten fast ausschließlich der Förderung des Handelsverkehrs. So wichtig erschien dieser der Kirche, daß sie sich zu dessen Belebung mit dem zweiten Faktor verbündete, der neben ihr die Kultur des untergegangenen römischen Reiches in den germanischen Staaten vertrat: dem Judentum. Die Päpste haben dieses lange Zeit hindurch geschützt und gefördert. Überhaupt wurden die Juden zur Zeit, als die Deutschen noch unverfälschte Germanen waren, als Bringer einer höheren Kultur freudig aufgenommen und eifrig herbeigezogen. Erst als die christlich-germanischen Kaufleute selbst das Schachern ebensogut verstanden wie die Juden, wurden sie Judenverfolger.

 

Daß das ganze Wissen des Mittelalters allein in der Kirche zu finden war, daß sie die Baumeister, Ingenieure, Ärzte, Historiker, Diplomaten lieferte, ist allbekannt.

 

Das ganze materielle Leben der Menschen und damit auch ihr geistiges war ein Ausfluß der Kirche: kein Wunder, daß sie auch den ganzen Menschen gefangen nahm, daß sie nicht nur sein Denken und Fühlen bestimmte, sondern auch all sein Tun und Lassen. Nicht nur Geburt, Ehe,...

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