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E-Book

Tiere klagen an

AutorAntoine F. Goetschel
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl272 Seiten
ISBN9783104010724
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Tiere müssen die unterschiedlichsten Funktionen in unserer Gesellschaft erfüllen: Sie ersetzen Familienmitglieder, landen auf unserem Speiseplan oder werden für Laborversuche verwendet. Der weltweit führende Tieranwalt Antoine F. Goetschel kämpft seit 30 Jahren für diejenigen, die keine eigene Stimme haben. Wie kein anderer kennt er die interessantesten und auch grausamsten Fälle und deren juristische Fallstricke. Sein Buch ist ein unverzichtbarer Beitrag zu einer neuen Sicht auf das Verhältnis zwischen Mensch und Tier.

Dr.Antoine F. Goetschel hat sich neben seiner Anwaltstätigkeit in Zürich seit 1985 dem Tier in Recht, Ethik und Gesellschaft gewidmet und zahlreiche Bücher und Aufsätze darüber veröffentlicht. Er hat die >Stiftung für das Tier im Recht< mitbegründet und war maßgeblich daran beteiligt, dass die Schweiz, als einziges Land der Welt, die Würde des Tieres in der Bundesverfassung verankert hat. Drei Jahre hat er das weltweit einzigartige Amt des Rechtsanwalts für Tierschutz in Strafsachen des Kantons Zürich (Tieranwalt) ausgeübt. Darüber hinaus ist er Präsident des Global Animal Law Projects und als Lehrbeauftragter an der Zürcher Universität tätig.

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Leseprobe

Kurzer Blick auf die Grundpfeiler: Tierethik und Tierschutzrecht


Ich erlaube mir an dieser Stelle einen Blick auf die beiden Grundpfeiler jeder Überlegungen zum Schutz des Tiers: die Tierethik und das Tierschutzrecht. An sich ist das Verhältnis zwischen diesen beiden Ansätzen klar: Das eine ist die notwendige Grundlage, das andere die Anwendung. Eine stimmige, konsistente Gesetzgebung zum Schutz des Tieres ist auf ethische Grundlagen angewiesen. Diese Grundlagen kann sie aber nicht selbst entwickeln, das müssen Theologen und Philosophen leisten. Wenn die Denker wiederum zu wenig auf die Anwendbarkeit ihrer Erkenntnisse achten, befinden sie sich in einem Elfenbeinturm, was keinem nützt.

 

Also ist eigentlich alles klar und die Arbeitsteilung optimal, oder? Theoretisch schon, in der Realität sieht die Sache anders aus. Wenn es um einen wirksamen Tierschutz geht, liegen die Positionen der Ethiker und der Praktiker oft meilenweit auseinander. Und das, obwohl ja eigentlich alle dasselbe wollen. Die Vertreter der Tierethik mit ihrem hochentwickelten Differenzierungsvermögen erheben gegenüber den Kollegen von der Seite des Tierschutzes gern den Vorwurf, sie seien zu wenig fundiert und zu gefühlsbetont. Die wiederum werfen den Ethikern gern vor, dass sie den Kontakt mit der Praxis scheuen und man auf diese Art niemals zu einer Veränderung, geschweige denn einer Verbesserung der Situation der Tiere im Hier und Jetzt komme.

 

Wie das Fazit eines bekannten jüdischen Witzes über zwei Streithansel lautet: Jeder hat recht. Ich meine, man kommt nur zueinander, wenn man ein drittes Element einführt, nämlich das der Freundschaft. Ich habe lange im Familienrecht praktiziert (ein häufig emotional aufgeladenes und daher schwieriges Gebiet) und daraus gleichsam den Begriff der Freundschaft im öffentlichen Raum entwickelt. Ich verstehe darunter ein Verhältnis von zwei Parteien, die wissen, dass sie unbedingt zusammengehören. Beide erkennen einander an und schätzen sich wechselseitig für ihre Eigenschaften und Fähigkeiten, sie wissen, was sie verbindet und wo sie getrennte Wege gehen. Beiden ist klar, dass es ohne den jeweils anderen nicht geht.

So sehe ich auch die Unterschiede zwischen der Ethik und dem Tierschutz. Das eine geht nicht ohne das andere. Ich selbst habe begonnen, mich mit der Tierethik wissenschaftlich zu beschäftigen, um einen Beitrag dazu zu leisten, dass es dem Tier in der Rechtsordnung bessergeht. Über die Jahre hat sich mein Blickwinkel stetig erweitert: Angefangen habe ich mit tierethisch kurz und eingängig formulierten Postulaten, heute bin ich bei einer ausgewogenen rechtlichen Beleuchtung der Beziehung des Menschen zum Tier, die sozial verträglich ist.

 

Vom Naturell her bin ich eher pragmatisch, man kann auch sagen zielorientiert. Und als Anwalt habe ich oft genug erfahren, dass es für den Betroffenen manchmal wichtiger ist, einen Erfolg zu erzielen, mit dem er leben kann, als durch etliche Instanzen noch etwas »mehr Recht zu bekommen«. Vor diesem persönlichen Hintergrund ist für mich die Wirksamkeit das Maß der Wahrheit, deshalb bin ich an langen Debatten über rechtliche bzw. ethische Grundpositionen nicht besonders interessiert.

Aber wie schon gesagt: Klare ethische Begriffe sind die Grundlage der Rechtsordnung. Und die Begründung, warum das Tier im Recht eine bessere Position erhalten soll als bisher, ist im wahrsten Sinne des Wortes fundamental für jeden, der sich damit beschäftigt. Es ist leicht, ganz allgemein dafür zu plädieren, Tiere zu schützen, sie artgerecht zu halten etc. Doch sobald es an die Feinheiten geht, ist eine ethische Fundierung oder zumindest ein Bewusstsein dessen, was gemeint ist und welche Konsequenzen eine Forderung nach sich zieht, unabdingbar. Soll allen Tieren dieser Schutz gewährt werden, das heißt nicht bloß Menschenaffen und Walen, sondern auch Haustieren und gar Wirbellosen? Enthält ein solcher Tierschutz notwendigerweise das Verbot, Tiere zu Nahrungszwecken zu töten? Darf man Tieren die Freiheit nehmen, wenn sie es in ihrem Gefängnis »gut haben«? Diese und viele weitere Fragen lassen sich einigermaßen widerspruchsfrei nur behandeln, wenn man ein paar ethische Grundbegriffe geklärt hat. Deshalb hier ein knapper, wirklich sehr knapper Überblick über einige der wichtigsten Positionen.

 

Gedanken über das Verhältnis von Mensch und Tier und vor allem über das richtige Handeln des Menschen – denn das ist der Gegenstand der Ethik – hat man sich schon immer gemacht, wenn auch nicht mit durchgängiger Intensität. In der jüdisch-christlichen Tradition war der enge Zusammenhang der Schöpfung von Mensch und Tier immer bewusst. In der Paradieserzählung etwa, die in der Genesis an die zweite Schöpfungsgeschichte anschließt, führt Gott dem Menschen alle Tiere vor, damit er jeder Art einen besonderen Namen gebe. Er will, dass der Mensch sie als Mitgeschöpfe anerkennt. »Da bildete Gott der Herr aus Erde alle Tiere des Feldes und alle Vögel des Himmels und brachte sie zum Menschen, um zu sehen, wie er sie nennen würde; und ganz wie der Mensch sie nennen würde, so sollten sie heißen. Und der Mensch gab allem Vieh und allen Vögeln des Himmels und allen Tieren des Feldes Namen.«[2] Gott gibt also dem Menschen den Auftrag, seine Mitgeschöpfe anzuschauen, sie zu erkennen und ihre Unterschiede wahrzunehmen. Sie sind keineswegs etwas Nebensächliches oder ein Beiwerk des Menschen. Dass sie ihren Namen von ihm erhalten, unterstreicht seine Verantwortung für sie.

 

Die unzertrennliche Gemeinschaft von Mensch, Tier und Gott wird bestätigt in der Erzählung von der Rettung der Lebewesen in der Arche Noah: »Und wenn der Bogen in den Wolken steht, will ich ihn ansehen, um des ewigen Bundes zu gedenken zwischen Gott und allen lebenden Wesen, die auf Erden sind. Und Gott sprach zu Noah: Dies ist das Zeichen des Bundes, den ich aufrichte zwischen mir und allem Fleische, das auf Erden ist.«[3] Mensch und Tier, alles Fleisch, das auf Erden ist, steht in derselben Beziehung zu Gott. Es wird kein Unterschied zwischen dem Menschen und den Tieren gemacht, es geht um die ganze Schöpfung des Lebens.

 

Auch das Buch Hiob, dessen Thema die Gerechtigkeit Gottes ist, beschäftigt sich eindrücklich mit der Natur und ihrer Bedeutung für die Welt als Ganzes. Gott selbst spricht zu Hiob und erläutert ihm die Wunder der Natur, die er geschaffen hat. In Worten starker poetischer Kraft und überaus eindringlich zählt er eine lange Reihe seiner Werke auf, das Eis, den Schnee, den Regen, die Wälder, das fruchtbare Land – und die Tiere. Was wird da alles erwähnt: der Vogel Strauß, der Wildesel, das Pferd, der Löwe, das Krokodil in allen Einzelheiten … Die Tiere werden mit ihren Eigenschaften illustriert, die Individualität ihrer Art wird detailliert beschrieben, ihr Aussehen, ihre Vitalität – geradezu ein Feuerwerk des Lebens und der Lebensfreude. Es ist sein Werk, daran lässt Gott keinen Zweifel, jedes Tier ist ebenso von ihm erschaffen wie der Mensch, das reibt er Hiob deutlich unter die Nase: »Bestimmst du die Zeit, da die Steinziegen gebären? … Siehe doch das Flusspferd, das ich schuf wie dich …« Und Hiob versteht: »Ich habe erkannt, dass du alles vermagst … Darum habe ich geredet in Unverstand, Dinge, die zu wunderbar für mich, die ich nicht begriff.«[4]

 

An vielen weiteren Stellen der Bibel wird über die Beziehung zwischen Mensch und Tier gesprochen, worauf wir hier nicht eingehen können, weil es den Rahmen dieses Buchs sprengen würde. Auch die erschöpfende Behandlung aller Denker, die sich in den folgenden Jahrtausenden damit beschäftigten und zur Durchdringung des Themas beitrugen, füllt Bände. Ebenso die Erklärungsversuche, aus welchen Gründen es, trotz der eindeutigen Botschaft der Schöpfungsgeschichte, zu der Entartung des Mensch-Tier-Verhältnisses kam, die wir heute feststellen müssen. Kurzum: Ich muss mich hier auf eine sehr skizzenhafte Darstellung beschränken und lasse die vielen Philosophen und Wissenschaftler unerwähnt, die eine Würdigung verdient hätten. Mir geht es in den folgenden Abschnitten vor allem darum, mit wenigen Strichen nachzuzeichnen, welche philosophischen Standpunkte sich in den letzten rund zweihundert Jahren entwickelten und wie sie die Grundpositionen des ethisch fundierten Tierschutzes geprägt haben.

 

Bestimmendes Thema, so muss man leider sagen, war die Behandlung von Tieren in der neuzeitlichen europäischen Philosophie nicht. Wenn man sich mit dem Tier beschäftigte, dann oft deshalb, um die Stellung des Menschen deutlicher herauszuarbeiten, auch seine vermeintliche Überlegenheit. Albert Schweitzer, der später selbst wesentlich zur ethischen Debatte über das Mensch-Tier-Verhältnis beitrug, regte sich über diesen Mangel an Interesse bzw. die über die Abneigung gegenüber diesem Thema in deutlichen Worten auf: »Wie die Hausfrau, die die Stube gescheuert hat, Sorge trägt, dass die Türe zu ist, damit ja der Hund nicht hereinkomme und das getane Werk durch die Spuren seiner Pfoten entstelle, also wachen die europäischen Denker darüber, dass ihnen keine Tiere in der Ethik herumlaufen. Was sie sich an Torheiten leisten, um die überlieferte...

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