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Tiergestützte Arbeit. Auswirkungen und Nutzen für die Menschen

AutorSigrid Lang
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl106 Seiten
ISBN9783640416899
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2009 im Fachbereich Pädagogik - Wissenschaft, Theorie, Anthropologie, Note: 2, Leopold-Franzens-Universität Innsbruck (Fakultät für Bildungswissenschaften), Sprache: Deutsch, Abstract: Im Jahr 2007 wurden in Deutschland 23,2 Millionen Heimtiere gezählt, in Österreich 2,8 Millionen. Ganz offensichtlich freut es die Menschen, Tiere um sich zu haben. Auf Nachfragen wird immer wieder betont wie schön es ist, freundlich zu Hause begrüßt zu werden und einen treuen Freund zu haben. Aber nicht nur in Privathaushalten, sondern auch in immer mehr Institutionen leben Tiere. Es gibt heute Altenheime, Gefängnisse, Kindergärten, Krankenhäuser und noch viele mehr, wo Tiere zum Alltag gehören. Während in den meisten Privathaushalten ein Tier zum Vergnügen gehalten wird, geht es den meisten Einrichtungen eher um gezielte therapeutische Wirkungen. In den letzten Jahrzehnten hat sich nämlich herauskristallisiert, dass der Kontakt und der Umgang mit Tieren auch viele therapeutische und pädagogische Auswirkungen auf Menschen hat. Um diese Erkenntnisse zu nutzen, haben sich in den letzten Jahrzehnten verschiedene Formen von tiergestützten Interventionen herausgebildet. So gibt es inzwischen Tiergestützte Therapieen, Tiergestützte Aktivitäten und auch Tiergestützte Pädagogik. Diese Arbeit soll einen Überblick über die derzeitigen Erkenntnisse der Auswirkungen von Mensch-Tier-Beziehungen geben und die wichtigsten möglichen Einsatzbereiche für Heim- und Nutztiere aufzeigen. Im ersten Kapitel werden zunächst die derzeit verwendeten Begriffe definiert und die geschichtliche Entwicklung der tiergestützten Arbeit dargestellt. Außerdem gibt es zwei Abschnitte zu den Tieren, die in der tiergestützten Arbeit eine Rolle spielen und die Kommunikation mit ihnen. Im darauffolgenden Kapitel werden die verschiedenen Theorien aufgezeigt, die versuchen die besonderen Wirkungen von Tieren auf den Menschen zu erklären und zu begründen. Das dritte Kapitel ist den allgemeinen Wirkungen von Tieren auf physischer, psychologischer und sozialer Ebene gewidmet. Die nachfolgenden Kapitel setzen sich mit den Auswirkungen von Heimtieren und Nutztieren im Besonderen auseinander. Den Anfang machen die Effekte auf Kinder und Jugendliche, gefolgt von den Wirkungen auf alte Menschen. Danach folgen kurze weitere Wirkungen auf physisch und psychisch kranke Menschen sowie auf Menschen mit Behinderungen. In den letzten Kapiteln werden außerdem auch die Einsatzmöglichkeiten von Tieren in Drogenrehabilitationszentren, Gefängnissen und Vernehmungen aufgezeigt. Das letzte Kapitel betrachtet die derzeitige tiergestützte Arbeit kritisch und zeigt ihre Grenzen auf.

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Leseprobe

2 Die Tier-Mensch-Beziehung - Erklärungsmodelle


 

Obwohl inzwischen hinlänglich bekannt ist, dass Tiere einen positiven Einfluss auf den Menschen haben, so konnte bisher doch nicht eindeutig geklärt werden, warum diese Beziehung so besonders und so hilfreich für Menschen ist. Es gibt mehrere Erklärungsansätze, mit denen Fachleute versuchen diese Beziehung zu verstehen. Am bekanntesten und am verbreitetsten sind wohl die Theorie der Du-Evidenz und die Biophilie-Hypothese, doch auch tiefenpsychologische Erklärungen oder die Bindungstheorie versuchen diese einmalige Beziehung zwischen Menschen und Tieren zu erklären.

 

2.1 Die Du-Evidenz


 

Ethnologen glauben, dass der Mensch nur dann mit seinem Gegenüber Kontakt aufnehmen kann, wenn er ausreichend Gemeinsamkeiten mit sich selbst entdecken kann, sowohl Gefühle wie Angst oder Freude als auch Merkmale des Lebens wie Essen oder Schlafen. Dieses Phänomen umschreiben die Begriffe Animismus und Anthropomorphisierung. (vgl. Hegedusch 2007, S. 43)

 

Animismus geht von der Annahme aus, dass die Natur und die Tierwelt belebt und beseelt sind. Jede Pflanze und jedes Tier hat eine Seele, ähnlich wie der Mensch. Durch eine Seele werden den Erscheinungen der Natur Absichten, Gefühle und Erfahrungen unterstellt. Besonders die Religionen von Naturvölkern enthalten viele solche Vorstellungen. Aber auch Kinder haben meist sehr ausgeprägte animistische Vorstellungen. Und auch Erwachsene zeigen mitunter animistisches Denken, wenn auch weniger deutlich. (ebd.)

 

Der Anthropomorphismus führt diese Vorstellung noch weiter:

 

Beim anthropomorphen Denken werden menschliche Eigenschaften, Emotionen und Verhaltensweisen auf nicht menschliche Subjekte und Objekte übertragen. (ebd.) Wir nehmen an, dass sie die gleichen Gefühle, Denk- und Verhaltensweisen besitzen wie der Mensch. Damit projizieren wir unsere eigenen menschlichen Eigenschaften auf sie und vermenschlichen sie.

 

Anthropomorphismus hängt eng mit dem Animismus zusammen. Er setzt im Grunde den Animismus voraus, denn erst durch eine Seele sind unserem Verständnis nach solche Eigenschaften möglich. Etwas ohne Seele kann auch nicht menschliche Züge und Gefühle haben. In der einzigartigen Verbindung von Mensch und Tier spielen die Animisierung und Anthropomorphisierung mit großer Wahrscheinlichkeit eine wichtige Rolle. Denn sie bilden meiner Meinung nach die Vorraussetzung für ein tiefes Gefühl der Verbundenheit des Menschen mit den Tieren. Nur durch die Annahme, dass Tiere eine Seele und uns ähnliche Eigenschaften haben, ist es möglich,  sie als du-evident zu betrachten.

 

Den Gegenüber als Du evident wahrzunehmen bedeutet, dem Du in ihm emotional gewahr zu werden. Der Gegenüber ist dann nicht mehr anonym, sondern offenbart uns sein tieferes Wesen. Jemanden als gleichwertiges Gegenüber, als Du im Gegensatz zum Ich wahrnehmen zu können, setzt ein bestimmtes Maß an Gleichwertigkeit und Gemeinsamkeit voraus, die durch die Anthropomorphisierung zustande kommt. (vgl. Hegedusch 2007, S. 42) Solche Du-Erfahrungen können auch nur einseitig sein. Das ist dann der Fall, wenn der Gegenüber die Beziehung nicht empfindet, beispielsweise bei Stalkern. (vgl. Greiffenhagen 2007, S. 23)

 

„Mit Du-Evidenz bezeichnet man die Tatsache, dass zwischen Menschen und […] Tieren Beziehungen möglich sind, die denen entsprechen, die Menschen unter sich beziehungsweise Tiere unter sich kennen.“

 

(ebd. S. 22)

 

Die Beziehungen zwischen Menschen und Tieren gehen meist vom Menschen aus. Nur selten sucht sich ein Tier seinen Mensch. Besonders Kinder stehen Tieren sehr nahe. Wahrscheinlich deshalb, weil Kinder das Du noch vor dem Ich kennen. Bevor es sich als Ich begreift, versteht es die Mutter als Du. Die Du-Evidenz mit Tieren äußert sich in verschiedenen Formen, doch sie gehen alle davon aus, dass das Tier ein Genosse, Kamerad und Freund ist, der ähnliche Eigenschaften besitzt wie sein menschliches Gegenüber. Es geht um die subjektive Gewissheit, dass es sich um eine Partnerschaft handelt. (vgl. ebd. S. 23)

 

Ganz deutlich sieht man diese Tendenz bei unseren Heimtieren. Sie werden mit menschlichen Eigenschaften ausgestattet und auch so behandelt.

 

Sie bekommen einen Namen, werden zum Familienmitglied und ihnen werden Bedürfnisse und Rechte eingeräumt, die auch jeder menschliche Kamerad hätte. Ist das Tier dann verstorben, so ist die Familie so stark daran gebunden, dass sie die Überreste nicht einfach wegwerfen kann. Aus dieser Kameradschaft heraus entstanden Tierfriedhöfe. (vgl. ebd.)

 

„Die Du-Evidenz ist die unumgängliche Vorraussetzung dafür, dass Tiere therapeutisch und pädagogisch helfen können.“

 

(ebd. S. 24)

 

Tiere können nach dieser Überzeugung nur dank der Du-Evidenz hilfreiche Vertraute und Gesprächspartner im Alltag und auch in der tiergestützten Therapie werden. Würden die Menschen sie nicht als menschliche Gegenüber sehen, könnten sie sich nicht so sehr von ihnen beeinflussen lassen und hätte tiergestützte Arbeit wenig Erfolg.

 

Allerdings wird an dieser Vermenschlichung auch viel Kritik geübt.

 

Denn so sehr wir es auch nicht glauben wollen, die Beziehung zwischen Menschen und Tieren wird immer unterschiedlich bleiben. Tiere sind keine Menschen. Aber auch eine falsche Panikmache vor allzuviel Vermenschlichung ist nicht berechtigt. Denn immer mehr Forscher beweisen, dass Tiere sehr wohl Emotionen und Eigenschaften wie Mitgefühl oder Hilfsbereitschaft kennen. Es ist inzwischen sicher, dass es einen großen Fundus an gemeinsamer Grundstimmung mit gleichen Ausdrucksformen bei Tieren und Menschen gibt. Besonders bei höheren Tieren sind diese Formen deutlich sichtbar. (vgl. Greiffenhagen 2007, S. 22) Deshalb muss immer klar sein, dass ein Tier zwar kein Mensch ist, aber dennoch ein fühlendes Lebewesen, das dem Menschen ähnlich ist.

 

2.2 Die Biophilie-Hypothese


 

Die Biophilie-Hypothese wurde von Edward O. Wilson entwickelt. Seiner Ansicht nach haben sich die Menschen während der gesamten Evolution zusammen mit anderen Lebewesen entwickelt. Während dieser Zeit der Evolution hat sich eine menschliche Affinität zur Natur gebildet, zu der Vielfalt der Lebewesen in unserer Umgebung und auch zu den ökologischen Settings welche die Entwicklung des Lebens ermöglichen. Menschen haben das tiefe Bedürfnis, mit anderen Formen des Lebens zusammen zu sein, mit Lebewesen aber auch mit Landschaften und Ökosystemen, da sie Leben ermöglichen. (vgl. Olbrich 2003, S. 69)

 

„Diese Verbundenheit mag auf Verwandtschaft, auf Neugierde oder auch auf die angstvolle Beachtung anderen Lebens zurückgehen; sie kann auf Ausnutzung der anderen Lebewesen oder auf Gemeinsamkeit im Sinne von Bindung oder von Kumpanei zielen; sie kann die Qualität des Erlebens von Schönheit, des Verspürens von Empathie oder von geistiger Einheit haben.“

 

(Olbrich 2003, S. 70)

 

Laut S. R. Kellert geschieht Biophilie auf physischer, emotionaler und kognitiver Ebene. Die Hinwendung zu Leben und Natur ist für ihn von fundamentaler Bedeutung für die menschliche Entwicklung. Er gab zusammen mit Wilson ein Sammelwerk über die Biophilie heraus, in dem er neun Perspektiven der menschlichen Bezugnahme zur Natur unterscheidet, die alle intensiv erlebt werden und jeweils mit einer spezifischen Bewertung von Natur einhergehen. Außerdem besitzt jede einzelne ihren spezifischen angepassten Wert für den Erhalt des eigenen Lebens und des ökologischen Systems. Meistens treten mehrere Formen der Verbundenheit gleichzeitig auf. (vgl. Olbrich 2003, S. 70)

 

„Damit wird die vielfältige und intensive Verbundenheit von Menschen mit der Natur und anderen Lebewesen, also auch Tieren, deutlich.“

 

(Hegedusch 2007, S. 39)

 

1. Utilitaristische Perspektive: Hier spielt vor allem die Nützlichkeit der Natur in Bezug auf Nahrung durch Natur und Arbeitskraft der Tiere eine Rolle. Diese Sichtweise ist in der heutigen zivilisierten Welt in den Hintergrund getreten, obwohl sie natürlich immer noch fundamental ist. Ohne die Natur wäre unsere Existenz nicht vorstellbar, denn schon allein in unserem eigenen Körper leben Milliarden von Mikroorganismen.

2. Naturalistische Perspektive: Der Kontakt mit der Natur lässt uns ein tiefes zufriedenes Ausgefülltsein, Entspannung und innere Kraft erleben. Wir sind offen für etwas Faszinierendes, dem wir mit Ehrfurcht entgegentreten.

3. Ökologisch-wissenschaftliche Perspektive: Diese modernere Form hat mit aufmerksamer Beobachtung der Natur und mit systemischer Analyse der Vorgänge zu tun. Das Zusammenspiel der Dinge und der Lebewesen wird erforscht. Das Ziel, also der adaptive Wert, ist hier Wissenserwerb, Erklärung und Verstehen der Welt und die Möglichkeit zur Kontrolle.

4. Ästhetische Perspektive: Der Mensch ist begeistert von der Harmonie und Schönheit der Natur. Es ergreift ihn und lässt ihn spüren, dass er etwas Idealem und Vollkommenem begegnet. 

5. Symbolische Perspektive: Unser Denken und Sprechen orientiert sich an der Vielfalt der Vielfalt von Schemata und Kategorien aus der Natur. Genießen, Drohungen,...

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