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E-Book

Tierschützer. Staatsfeind

In den Fängen von Polizei und Justiz

AutorMartin Balluch
VerlagPromedia Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl272 Seiten
ISBN9783853718032
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Vier Jahre lang ist er von der Polizei observiert worden, seine Telephongespräche wurden abgehört, sein E-Mail-Verkehr überwacht, sein Auto mit einem Peilsender ausgestattet. Dreieinhalb Monate musste er in Untersuchungshaft verbringen. Zwei Jahre lang bespitzelte eine Undercoveragentin der polizeilichen Sonderkommission die Aktionen des 'Vereins gegen Tierfabriken', dem er vorsteht. Angeklagt war er als Chef einer 'kriminellen Organisation' nach § 278a des österreichischen Strafgesetzbuches. Über ein Jahr stand er - mit weiteren zwölf Angeklagten - an insgesamt 100 Prozesstagen vor Gericht, an manchen Tagen von 9 Uhr früh bis 9 Uhr abends. Nun hat Martin Balluch über die Jahre der Verfolgung ein Buch geschrieben.

Martin Balluch, Jahrgang 1964, studierte Astronomie, Mathematik und Physik in Wien und Heidelberg, wo er 1989 promovierte. 2005 erhielt er mit einer Arbeit über Tierethik einen zweiten Doktortitel in Philosophie an der Universität Wien. Er ist Obmann des 'Vereins gegen Tierfabriken'. Im Frühjahr 2010 ist von ihm bei Promedia erschienen: 'Widerstand in der Demokratie. Ziviler Ungehorsam und konfrontative Kampagnen'.

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Leseprobe

1. Die Verhaftung


Rumms. Ein lautes Geräusch schreckt mich aus dem Schlaf. Es ist noch dunkel, ich liege in jenem Zimmer, in dem ich bereits meine gesamte Kindheit und meine Teenagerjahre verbracht habe. Seit mehr als 40 Jahren ist das meine Lebensbasis, mit Unterbrechungen während meiner Studentenzeit und den Jahren als Universitätsassistent im Ausland. Es war die Wohnung meiner Eltern, bis sie sich 1982 scheiden ließen, jetzt wohnen hier neben mir mein Bruder mit seiner Partnerin und deren zehnjährige Tochter. Ich bin noch im Halbschlaf und höre irgendwo Stimmen. Ich kann sie nicht zuordnen, kann aber auch nicht meine Augen öffnen; ich will weiterschlafen, rede mir ein, dass mich das nichts angehe. Doch dann reiße ich mich bewusst aus dem Schlaf. Dieses laute Geräusch kam definitiv aus unserer Wohnung. Irgendetwas muss passiert sein.

Ich steige aus dem Bett. Ich habe nur ein T-Shirt an, sonst bin ich nackt. Plötzlich wird die Tür aufgerissen, und schwarz vermummte Personen stürmen herein. Ich sehe gezogene Schusswaffen und werde mit einem Scheinwerfer angestrahlt. „Umdrehen, Hände an die Wand!“, schreit jemand. Verdattert folge ich dem Befehl. Ich spüre den Lauf einer Pistole im Genick. Im Gang zwischen dem Schlafzimmer der Familie meines Bruders und meinem wird das Licht aufgedreht. Ich schaue hin und sehe durch die Tür auch meinen Bruder an der Wand stehen, mit einer Pistole im Nacken, neben ihm seine Partnerin und seine Tochter.

Um uns herum laufen einige Personen im Kampfanzug hin und her. Sie tragen schwarze Strumpfmasken, nur die Augen sind ausgeschnitten. Ihre Helme sind tief ins Gesicht gezogen, alle halten gezogene Schusswaffen und grelle Taschenlampen in den Händen. Einer der Maskierten packt mich grob an der Schulter und schiebt mich den Gang entlang zur Eingangstür. Ich bin total verwirrt und weiß nicht, was ich von all dem halten soll. Vor der Tür im Stiegenhaus – unsere Wohnung liegt im fünften Stock – stehen zahlreiche Menschen in Zivil, darunter eine kleine Frau, die mit einer, wie mir scheint, überdimensionalen Pistole in der Luft herumfuchtelt, und ein eigenes Filmteam, dessen Kamera mit Stromkabeln verbunden ist, die sich die Stiegen hinunter irgendwo verlieren. Die kleine Frau ist offenbar die Chefin dieses Einsatzes, erst später soll ich ihren Namen erfahren: Chefinspektorin Bettina Bogner. „Polizei“, sagt sie trocken. „Was läuft hier eigentlich?“, bringe ich gerade noch heraus. „Deshalb sind wir hier“, sagt die Frau und zeigt auf mein T-Shirt. Darauf ist Alf im Porträt abgebildet, der katzenfressende außerirdische Cartooncharakter, zusammen mit der Phrase „I support ALF“. ALF wie „Animal Liberation Front“, ein Scherz-T-Shirt, von den Behörden als Begründung für ihre Repression vorgeschoben. In dieser Tonart sollte es weitergehen.

Die Frau gibt mir einige Zettel in die Hand und sagt, jetzt gibt es eine Hausdurchsuchung. Mit diesen Worten gehen geschätzte zehn Zivilpersonen in unsere Wohnung und beginnen sie systematisch zu zerlegen und alles zu durchsuchen. Noch immer verdattert schaue ich auf die Schriftstücke in meiner Hand. „Verdacht auf Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation nach § 278a Strafgesetzbuch (StGB)“, steht da drauf. Es ist das erste Mal, dass ich von diesem Paragrafen höre. Ich lese weiter, es folgen 23 Adressen, an denen offenbar jetzt gleichzeitig Hausdurchsuchungen stattfinden, darunter sogar in Graz, in Salzburg und in Innsbruck. Einige Namen der Betroffenen habe ich noch nie gehört. Irgendwie bin ich erleichtert. „Also, wenn das der Vorwurf sein soll, dann kann ich nur lachen“, gewinne ich ein bisschen Selbstsicherheit zurück. „Wetten wir um 5000 Euro, dass ich wegen diesem Blödsinn nie im Leben angeklagt, geschweige denn verurteilt werde!“, fordere ich die Chefinspektorin heraus. „Da würde ich lieber nicht wetten an Ihrer Stelle“, antwortet sie, geht zu meinen Bücherkästen und beginnt, jedes einzelne Buch herauszunehmen und durchzublättern.

Foto 1: Nach der Durchsuchung meiner Wohnung.

„Ich möchte meinen Anwalt anrufen“, sage ich jetzt bestimmt, „und mir eine Hose anziehen.“ Die Polizei ist ein bisschen verwirrt, telefoniert offenbar mit dem Staatsanwalt. Ich dürfe meinen Anwalt verständigen, wird mir verkündet, und eine Hose anziehen auch. Ich schlüpfe in die nächstbeste Hose und gehe zu meinem Handy, das direkt neben dem Bett liegt. Ein maskierter Polizist folgt mir mit grimmigem Blick. In der Tierschutzarbeit brauchen wir oft anwaltliche Hilfe, ein Schulfreund von mir ist Rechtsanwalt und unterstützt uns schon seit über zehn Jahren. Es ist aber offenbar noch zu früh für ihn, er hebt nicht ab, ich spreche ihm auf den Anrufbeantworter. Kaum ist das Gespräch beendet, ruft ein ziviler Beamter, man solle mir das Handy abnehmen. Der maskierte Polizist neben mir, vielleicht zwei Köpfe kleiner als ich, greift danach, doch ich presse es dicht an mich und drehe es ab. Der Zwerg fühlt sich offenbar herausgefordert und beginnt mit der Faust auf mich einzuschlagen. Widerstand gegen die Staatsgewalt wäre ein strafrechtliches Delikt, und so ist man als guter Staatsbürger in so einem Fall gezwungen, sich schlagen zu lassen. Kurz spiele ich mit dem Gedanken, das Handy in den Abfluss der Dachrinne zu werfen, einfach so, aus Protest. Doch dann denke ich, was soll’s, dieser Spuk wird gleich vorbei sein, wenn die Polizei erkennt, dass es bei mir nichts Kriminelles zu finden gibt. Trotz der Schläge des maskierten Polizisten warte ich in aller Ruhe, bis das Handy ausgeschaltet ist, und übergebe es ihm dann. Er ist sichtlich wütend und reißt es mir aus der Hand.

Die maskierten PolizistInnen werden jetzt abgezogen, und zwei Beamte in Uniform stellen sich neben mich, um mich zu bewachen. Das Kamerateam der Polizei bleibt immer in meiner Nähe, filmt mir direkt ins Gesicht und dokumentiert alles. Später erfahre ich, dass unten vor dem Haus der zuständige Staatsanwalt Wolfgang Handler von der Staatsanwaltschaft Wr. Neustadt in einem Auto sitzt und über diese Filmkamera die ganze Aktion live mitverfolgt. Warum auch immer.

Ich stehe an die Wand gelehnt im Raum, rechts und links neben mir uniformierte Beamte, die mich bewachen, und beobachte, wie zehn wildfremde Personen meine privaten Sachen durchsuchen, meine Unterwäsche einzeln aus einer Lade nehmen und begutachten, meine Aufzeichnungen lesen und jedes meiner Bücher durchblättern. In der Mitte des Raumes werden Dinge aufeinandergestapelt, die offenbar irgendwie relevant sein sollen. Dazu gehören Tierschutzzeitschriften, Flugblätter, Buttons und verschiedene T-Shirts. In kürzester Zeit versinkt mein Wohnraum in ein komplettes Chaos, weil alles aus den Laden und Kästen einfach herausgerissen und auf den Boden geworfen wird.

Da erscheint eine Assistentin meines Rechtsanwalts in der Tür, weist sich gegenüber der Polizei aus und erzählt mir, dass gerade das Büro des Vereins Gegen Tierfabriken, jenes Tierschutzvereins, dessen Obmann ich bin und der mich seit zehn Jahren als Mitarbeiter anstellt, von der Polizei zerlegt wird. Weil dort niemand sei, werde sie jetzt hinfahren. Tatsächlich, so erfuhr ich später, war die Polizei mit zwei Lkws bei unserem Wiener Büro vorgefahren und hatte zur selben Zeit, in der meine Hausdurchsuchung stattfand, begonnen, alles, was nicht niet- und nagelfest war, aus dem Büro abzutransportieren. Als die Angestellten in der Früh an ihren Arbeitsplatz kamen, war alles leergeräumt. Berge von Akten, alle Computer, alle Videos, Fotos und Kameras, einfach alles war abtransportiert worden. Ein zentraler Teil des Repressionskalküls ist es von Anfang an gewesen, unseren Verein lahmzulegen. Er sollte auch keine Medienarbeit mehr leisten und seine Mitglieder nicht mehr kontaktieren können. Man wollte den VGT zerschlagen, weil man ihn als die zentrale Kraft hinter einer subversiven Tierschutztätigkeit in Österreich sah und mich, als dessen Obmann, in der Rolle des Mafiapaten.

Inzwischen gewinne ich immer mehr meine Selbstsicherheit zurück. Es ist ja nicht das erste Mal, dass ich von der Polizei verhaftet werde, wenn ich auch das erste Mal eine Hausdurchsuchung erlebe. Aber irgendwann hat auch so etwas kommen müssen, das ist mir schon klar. Allerdings habe ich zu diesem Zeitpunkt die volle Überzeugung, dass die Polizei letztendlich unverrichteter Dinge wieder abziehen wird, weil sie nichts finden wird. Am nächsten Tag schon, bin ich mir sicher, werden wir alle bereits über diesen Blödsinn lachen können. Wie sollte ich mich da irren!

Ich lese den Hausdurchsuchungsbefehl genau durch. Dort steht, ich hätte das Recht auf die Anwesenheit einer Vertrauensperson. „Ich möchte“, sage ich jetzt laut, „eine Vertrauensperson beiziehen. Das ist mein gutes Recht. Ich fordere, dass Sie meinen Vater anrufen und ihm sagen, dass er herkommen soll.“ Wieder Verwirrung unter den BeamtInnen. Offenbar sind sie so bestimmt vorgetragene Forderungen ihrer Opfer normalerweise nicht gewohnt. Sie telefonieren wieder mit dem Staatsanwalt. Einmal werde sie meinen Vater anrufen, erklärt die Chefinspektorin, wenn aber keine Verbindung zustande komme, hätte ich Pech gehabt. Kurz darauf trifft mein Vater in der Wohnung ein und beginnt alles zu fotografieren. Auch das löst Verwirrung bei der Polizei aus. Man nimmt ihm mit Gewalt die Kamera weg und löscht einige Bilder. Letztendlich wird ihm erlaubt, Dinge zu fotografieren, die abtransportiert werden, aber keine BeamtInnen. Diese Maßnahme ist nicht gesetzlich gedeckt, es handelte sich wieder nur um Willkür derjenigen, die durch Gewalt das Sagen haben. Die gesamte Hausdurchsuchung war eigentlich gesetzwidrig, weil die BeamtInnen mir anfangs die Möglichkeit...

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