„Für a Weibische schiaß ma nit“ – Tirols erste Bürgermeisterin Helga Machne
Von Catharina Oblasser
Helga Machne im Juni 2015 beim Zeitzeugengespräch in Innsbruck
„Geh ja nicht in die Politik“, hatte Helga Machnes Vater sie immer gewarnt. Dass die Tochter, die offensichtlich zur Chefin geboren war, sich nicht daran hielt, bescherte dem Land Tirol eine Premiere. 1994 wurde Helga Machne Lienzer Bürgermeisterin und damit das erste weibliche Gemeindeoberhaupt Tirols. Außerdem konnte sie als erste Frau überhaupt den Bürgermeistersessel einer österreichischen Bezirkshauptstadt erobern. Das hat der Vater nicht mehr erleben dürfen. Dass seine Tochter eine politische Karriere machen sollte, hätte er wohl nicht für möglich gehalten. 2003 trat Machne als Lienzer Bürgermeisterin zurück, war jedoch zu dieser Zeit schon weiter aufgerückt: Sie saß für die ÖVP im Nationalrat.
Die Metzgerstochter
Helga Machne wurde am 30. August 1938 als Helga Glanzl in Dölsach nahe Lienz geboren, als ältestes Kind eines Metzgermeisters. Sie hat drei Brüder. Aufgewachsen ist sie in Lienz. „Mein Vater musste damals nicht einrücken, er hat während des Krieges die Fleischverteilung übernommen“, erzählt sie. Bombenalarme waren während Helgas früher Schulzeit nichts Außergewöhnliches. „Ich war sechs Jahre und ging in die Volksschule im so genannten Klösterle“. Das Klösterle des Ordens der Dominikanerinnen gibt es heute noch. Eine Volksschule ist dort zwar nicht mehr, jedoch eine mittlere bildende Schule für Wirtschaftsberufe. „Uns wurde eingetrichtert, dass wir uns in einem Torbogen verstecken müssen, wenn die Sirene geht.“ Das musste die kleine Helga mehrmals machen. Die Mutter habe sie dann immer abgeholt, erinnert sie sich. Der Unterricht wurde für einige Kinder aus Sicherheitsgründen dann in ein Gebäude außerhalb der Stadt verlegt, in das Schlössl Bad Weiherburg.
Im Krieg haben Bomben auch Lienz getroffen. „In unser Haus am Hauptplatz sind sieben Bomben eingeschlagen“, so Machne. Das Kriegsende erlebten die Glanzl-Kinder in Dölsach, der Heimat der Mutter. Bis das Haus am Lienzer Hauptplatz wieder bewohnbar war, zog die Familie für ein Jahr in eine Baracke am Brennerleweg.
Mehr Bettler als Kunden
Politik sei nie ein großes Thema im Hause Glanzl gewesen, sagt die Alt-Bürgermeisterin. „Obwohl ich meine Eltern später sehr wohl gefragt habe: Wie hat man Hitler denn überhaupt zustimmen können?“ Ihre Mutter habe auf die 1930er-Jahre und die große wirtschaftliche Not damals hingewiesen. „Sie sagte: Damals haben wir im Geschäft mehr Bettler als Kunden gehabt“, erzählt Machne. Vor diesem Hintergrund habe damals vieles anders ausgesehen als heute. Ansonsten sind Kindheit und Jugend unspektakulär verlaufen. „Ich bin immer gerne in die Schule gegangen, ich hätte auch gerne studiert, doch das war damals nicht vorgesehen.“ Nach der Hauptschule absolvierte sie die Handelsschule, erlernte Buchhaltung und besuchte schließlich die Hotelfachschule in Bad Gastein. Dort arbeitete sie später als Rezeptionistin.
Ein Bad für Heinz Conrads
Sport war Helgas Vater immer ein großes Anliegen. „Er hat schon in den Bombenruinen unseres Lienzer Hauses Reck und Ringe aufgestellt, zum Trainieren.“ Tennis, eine Sportart, die Helga später zu ihrer großen Liebe finden ließ, erlernte sie als junges Mädchen. Auch ein kleines Schwimmbad errichtete Glanzl sen. in der Mühlgasse, wo zwei seiner Kinder heute noch leben. „Ich erinnere mich an eine Anfrage der Lienzer Stadtführung aus dem Jahr 1958. Heinz Conrads war in der Stadt, man suchte eine Schwimmgelegenheit für ihn. Damals gab es das Dolomitenbad noch nicht, nur die wenig ansehnliche Schwimmschule Lienz.“ Conrads hatte Glück und konnte bei den Glanzls privat planschen.
Das Tennisspiel brachte Machne übrigens sogar einen Titel – wie es sich für eine künftige Bürgermeisterin gehört – auf Gemeindeebene. Sie wurde einmal Lienzer Stadtmeisterin. Im Team schaffte sie sogar mehrere Kärntner Landesmeistertitel. Die Leidenschaft für Tennis ist in der Familie geblieben. Machnes erster Enkel Leonhard, Sohn der ältesten Tochter Alice, ist mit seinen elf Jahren heute unter den ersten zehn in der Rangliste seiner Altersklasse.
Die USA rufen
Skifahren gehörte ebenfalls zum sportlichen Repertoire der jungen Lienzerin. Und so dauerte es nicht lange, bis eine Anfrage von Othmar Schneider kam. Der Skipionier aus Lech am Arlberg hatte in Michigan, USA, eine Skischule gegründet. „Österreicher waren damals als Skilehrer sehr gefragt, und man verdiente relativ gut.“ Englisch konnte Helga Machne aus ihrer Schulzeit, die sportlichen Kenntnisse waren ebenfalls vorhanden. „Obwohl ich glaube, die haben uns eher nach dem Aussehen ausgewählt“, meint die Alt-Bürgermeisterin schmunzelnd. Wenn man ein Foto der jungen Helga aus den 1960er-Jahren sieht, so scheint das nicht so weit hergeholt. Schließlich wurde die Lienzerin Teil der 70-köpfigen Skilehrerbrigade von Othmar Schneider in Boyne Mountain. „Das Skiressort war mit heutigen Standards nicht zu vergleichen, was die Pisten betraf. Es liegt ungefähr auf der Höhe von Thurn.“ Zur Information: Die Gemeinde Thurn nördlich von Lienz liegt auf etwa 855 Metern Seehöhe. Damals war das Skifahren für die meisten US-Bürger noch Neuland. „Wir hatten hauptsächlich Anfängergruppen“, erzählt Machne. Technisch zeigten sich die Amerikaner aber schon damals auf neuestem Stand. Die erste Schneekanone der Welt war 1962 in Boyne Mountain im Einsatz. Der jungen Helga oblag das Kinderprogramm, auch nach dem sportlichen Unterricht galt es, sich um die Skischüler zu kümmern. Denn im Gegensatz zu den Lienzer Skigebieten war es in Boyne Mountain damals schon Standard, die Gäste umfassend zu betreuen, mit ihnen rodeln zu gehen und für Unterhaltung zu sorgen. In anderer Hinsicht herrschte dort jedoch noch tiefstes Mittelalter. „Es war Schwarzen nicht erlaubt, das Ressort zu betreten“, erinnert sich Machne.
Daumenhalten um vier Uhr früh
In den USA traf sie den Olympiasieger und Slalomweltmeister von 1964, Pepi Stiegler, ebenfalls ein Lienzer. „Er konnte nicht Englisch, ich habe gedolmetscht. In guter Erinnerung ist mir das Treffen geblieben, weil Pepi sagte, er würde nie in die USA auswandern“, erzählt Machne. Dabei ist Stiegler 1965 in die USA gegangen und hat im Wintersportort Jackson in Wyoming seine eigene Skischule gegründet. Bis 1994 leitete er sie. Stieglers Olympiasieg in Innsbruck war übrigens auch jenseits des großen Teiches eine aufregende Angelegenheit. „Erst hätte er gar nicht starten dürfen, weil er nicht qualifiziert war, doch das hat sich dann regeln lassen“, erinnert sich Machne. Schließlich saßen die Osttiroler fiebernd vor dem Fernsehapparat, als das Rennen übertragen wurde – bedingt durch die Zeitverschiebung um vier Uhr früh. „Es war wie ein Krimi“, weiß Machne noch.
Mehrere Wintersaisonen arbeitete die Bürgermeisterin in spe als Skilehrerin in den USA. Für den Sommer hatte sie gleichlautende Angebote. „Ich hätte im Sommer in Chile in Skigebieten unterrichten können. Aber das wollte ich nicht“, erzählt sie. Erklärung: Heimweh.
Luxus in Hongkong
Andererseits war Machne in jungen Jahren eine richtiggehende Weltenbummlerin. Wenn es Schule und Arbeit zuließen, unternahm sie Reisen nach Paris und Rom und belegte dort auch Sprachkurse – mit entsprechend positiven Auswirkungen auf ihre Fremdsprachenkenntnisse. „Englisch und Italienisch beherrsche ich ziemlich gut, Französisch auch ein bisschen“, erzählt sie. Glanzpunkt der jungen Globetrotterin war eine Weltreise mit ihrer besten Freundin, der Tochter des Glocknerwirts aus Heiligenblut. 1964 waren die beiden zwei Monate rund um den Globus unterwegs, unter anderem auch in Hongkong. Wie das? „Ich führte damals ein Hotel Garni mit 30 Betten am Lienzer Hauptplatz. Stammgäste waren eine Familie, ein Diplomatenehepaar mit einer kleinen Tochter. Die Familie besaß in Hongkong ein Haus und lud uns ein. Unser Aufenthalt dort war der reinste Luxus“, schwärmt Machne noch heute.
Diaabend mit Folgen
Schon bald siegte die Heimatverbundenheit endgültig über das Fernweh. Mit ein Grund war ein gewisser Manfred Machne, ein Architekt aus Dellach im Drautal. Und auch da spielte der Tennissport eine Rolle. Nach der Rückkehr von der Tour um den Globus bat der Tennisclub Lienz die Weitgereiste, einen Diavortrag über ihre Erlebnisse zu veranstalten, Manfred war unter den Zuhörern. „So haben wir uns kennen gelernt“, schmunzelt die Politikerin. „Das war im Mai 1964.“ Ein Jahr später wurde auf Schloss Bruck in Lienz geheiratet. Heute hat das Ehepaar Machne drei Kinder: Alice, die Wirtschaft studierte, Hans-Peter, der als Architekt in die Fußstapfen seines Vaters trat und Rainer, einen Molekularbiologen. Die vier Enkel sind zwischen sieben und elf Jahre alt.
In Innsbruck studiert hat übrigens keines der Machne-Kinder, und das mit Absicht. „Ich habe das bei meinem Vorgänger Hubert Huber erlebt, wie Kinder eines Politikers auf der Uni Vorurteilen ausgesetzt waren“, begründet die Mutter. Teils aufgrund der Partei, die die Eltern vertreten, teils weil Politikerkindern oft unterstellt würde, sie hätten es viel leichter als der Durchschnittsstudent. „Unsere Kinder haben in Wien und Graz studiert, wo kein Mensch sich für ihre Herkunft interessierte.“
Die Sache mit dem Akzent
Was hat es eigentlich mit dem Akzentstrich auf dem letzten Buchstaben des Namens „Machne“ auf sich, der je nach Schreibweise auftauchte oder nicht? „Verwandte meines Mannes in Klagenfurt schreiben...