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Topographie des Außenseiters

Türkische Generationen und der deutsch-deutsche Wiedervereinigungsprozess

AutorNevim Cil
VerlagVerlag Hans Schiler
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl280 Seiten
ISBN9783899302981
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Ein soziologischer Parforceritt durch die Befindlichkeiten türkischer Generationen im wiedervereinigten Deutschland. Nevim Cil hat als Insider gefragt und zugehört, dann das breite und widersprüchliche Meinungs- und Befindlichkeitsspektrum als Wissenschaftlerin aufbereitet.
Und die Mauer ist gefallen und ein Jahr später ist sie uns auf die Köpfe gefallen. Es hat den Deutschen nicht geschadet, aber den Ausländern. Die Ostdeutschen haben uns die Arbeit genommen, unsere Stundenlöhne gesenkt, uns schlechte Laune bereitet und uns zu Nervenbündeln gemacht, vor allem mich." (Metin E.)
Ich dachte, dass Deutsche Freunde von Türken wären. Aber die Deutschen sind wirklich, und ich sage dies ganz direkt, hinterhältig. Das kannst du gerne schreiben, wirklich sie sind hinterhältige Menschen." (Hüseyin A.)
Der zweite Generation stehen hier die Türen offen, dies ist eine Wahrheit. Wenn man sich bemüht und die Universität besucht, wird man alles erreichen, was man sich vornimmt. Aber, ob man verliert oder gewinnt, das hängt ganz allein von der Person ab." (Metin E.)
Rostock, Hoyerswerda das war ja diese schlimmste Zeit, weil da hat man ja auch gesehen wie die rumstehen und klatschen. Dachte, was mache ich eigentlich in so einem Land, wo so was passiert und die Leute daneben stehen und klatschen." (Ufuk K.)
Viele haben ihre Häuser selbst angesteckt und verurteilen dafür die Deutschen, das haben sie auch rausgefunden, das gibt`s auch. Die Wahrheit geben sie nicht zu." (Iskender B.) Nein, ich liebe Deutschland sehr. Außerdem kennen wir das System hier, wir haben uns daran gewöhnt und so machen wir weiter." (Kiraz G.)

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Leseprobe
2. Theoretischer Rahmen und Methode (S. 28-29)

2.1 Beschreibung eines Verhältnisses: theoretischer Rahmen


Das soziale Gefälle zwischen Mehrheitsgesellschaft und Außenseitergruppe(n) und dessen Auswirkung auf die Generationenbeziehung stellt ein komplexes und eigentümliches Gebilde dar. Das Aufeinandertreffen von Mehrheit und Außenseitern z.B. durch Anwerbung, wie sie bei türkischen Arbeitskräften gegeben war, symbolisiert die Beziehungsgeschichte zwischen Etablierten und Außenseitern.29 Der Begriff des Etablierten und Außenseiters geht auf eine Studie von Norbert Elias zurück, der mit John L. Scotson zusammen zwischen 1958 und 1960 eine Untersuchung in einer englischen Vorortgemeinde, die sie Winston Parva nennen, durchführte.

Die Beziehung zwischen Etablierten und Außenseitern gestaltet sich je nach gesellschaftlicher, politischer, wirtschaftlicher Lage spezifisch. Keine Beziehung gleicht der anderen und doch gibt es allgemeingültige Regelmäßigkeiten zwischen Etablierten und Außenseitern, die allen Beziehungen zugrunde liegen, so Elias und Scotson. Eine Beziehung zwischen Etablierten und Außenseitern setzt indes einen Kontakt voraus, welcher auf bestimmte gesellschaftliche Gebiete wie Arbeitswelt, Schule u.ä. beschränkt sein kann. Beide Gruppierungen müssen also in einer kontextuellen Abhängigkeit - Elias nennt dies Interdependenzkette" - stehen, um von einer Etablierten-Außenseiter-Beziehung ausgehen zu können.

Eine Interdependenz zwischen Gruppen entsteht jedoch nicht innerhalb einer zeitlich sehr begrenzten Dauer. Elias betont sogar, dass in dieser bestimmten Gruppenbeziehung erst einige Generationen gelebt haben müssen, damit überhaupt von einer Abhängigkeit ausgegangen werden kann und somit Eigenschaften einer Etablierten-Außenseiter-Beziehung deutlich werden.31 Ist jedoch zwischen zwei Gruppen eine solch geartete Beziehung erst einmal entwickelt worden, dann wird es schwierig, diese Beziehung wieder aufzulösen oder sie gar in ihr Gegenteil zu verkehren.

Die Charakteristika dieses Verhältnisses gehen auf eine asymmetrische Machtbeziehung zurück. Die Abhängigkeitsstruktur bestimmt jeweils die eigene und die Rolle des Gegenüber also wer in der jeweiligen Beziehung Etablierter ist und wer Außenseiter. In der Studie von Norbert Elias und John L. Scotson führte bereits die Länge der Wohndauer32 zu Etablierten-Außenseiter-Strukturen, die Eingesessenen waren in diesem Fall Etablierte und die später Zugezogenen Außenseiter. So genannte ethnische, religiöse, kulturelle Differenzen können die Konturen einer Etablierten-Außenseiter-Beziehung deutlicher hervorkehren. Interdependenz weist also auf eine spezifische Dynamik innerhalb der Beziehung hin.

Mit der Dauer des Eingebundenseins in diese Interdependenz wachsen Außenseiter und Etablierte in ihre jeweilige Machtposition hinein, so dass die jeweilige Machtrate an die Position innerhalb der Beziehung geknüpft wird. Interdependenz weist also auf die komplementäre Entwicklung der jeweiligen Positionen hin, die die Grundlage für eine Machtbeziehung bereithält. Erst die spezifische Beschaffenheit der Beziehung macht die Machtbalance zwischen Etablierten und Außenseitern deutlich. Die Balance ist nichts Starres, sie kann sich unter bestimmten Voraussetzungen ändern.

Sie ist im steten Wandel begriffen. Die Beziehung - Elias nennt sie Figuration - zwischen diesen beiden Gruppen wird von verschiedenen Ebenen sowohl gesellschaftlicher als auch historischer Art geprägt und zu einem Gesamtkontext verknüpft. Figurationen stellen demnach ein mehrdimensionales Gebilde dar: Das Zusammenwirken der einzelnen Faktoren einer Beziehung (historisch, sozial, politisch u.ä.) macht erst die Spezifität einer Beziehung aus.

Das Gesamtbild einer Beziehung ergibt eine Figur. Ihre Eigentümlichkeit wird durch bestimmte gesamtgesellschaftliche Prozesse bestimmt. Figurationen unterstreichen die Interdependenz von Menschen. Sie "wird immer durch Wissensübertragung von einer Generation zur anderen mitbestimmt, also durch den Eintritt des einzelnen in die spezifische Symbolwelt einer schon vorhandenen Figuration von Menschen."

Die asymmetrische Machtbeziehung, die sich seit der Anwerbung der türkischen Pioniere stetig entwickelt und nun auch in die Beziehung der nachfolgenden Generationen mit der etablierten Welt eingreift, beeinflusst auch die Beziehung zwischen den türkischen Generationen. Diese beiden Ebenen, also die Beziehung zur Außenwelt, wenn man sie denn so trennen kann, und die Beziehung zwischen den Generationen, fügen sich zu einem Gesamtbild zusammen und bestimmen die Dynamik zwischen Jung und Alt. Beide Ebenen müssen also mitgedacht und mitberücksichtigt werden, wenn die Rede von den türkischen Generationen ist."
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