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Tot in München

Friedhofsgeschichte(n) aus acht Jahrhunderten

AutorMichael Kubitza
VerlagVerlag Friedrich Pustet
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl136 Seiten
ISBN9783791760193
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
'In München möchte man nicht tot überm Zaun hängen?' - Das muss man auch nicht: Die Stadt hat 29 Friedhöfe mit etwa 200 000 'Liegeplätzen' und ähnlich vielen Geschichten. Wussten Sie zum Beispiel, wie der alte Südfriedhof vom Leichenacker für Pestopfer zum Schmetterlingsparadies wurde? Oder wieso der Nordfriedhof Thomas Mann an Venedig denken ließ? Michael Kubitza erzählt die Geschichte der Münchner Friedhöfe von den Anfängen der Stadt bis heute, lädt zum Friedhofsbesuch ein und nähert sich ganz nebenbei dem sehr speziellen Verhältnis der Münchner zum Tod.

Michael Kubitza, geb. 1969 in Landshut, studierte Geschichte und Germanistik. Er arbeitet als Redakteur beim BR, als Dozent und freier Autor.

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Leseprobe

Vom alten zum neuen Tod: Grauen und Schauen im 18. und 19. Jahrhundert


1789: Friedhofsrevolution in München


Lange teilten sich die Lebenden und die Toten den Platz rund um die Kirche. Jetzt haben die einen die anderen aus der Stadt verbannt und ihnen eine eigene Stadt gebaut, die bald auch eine eigene Verfassung erhält. Hatte bisher die Kirche die Deutungshoheit über das Jenseits samt seinen irdischen Präliminarien, so degradiert die neue Zeit Pfarrer und Ordensleute mehr und mehr zu Dienstleistern, gleichsam transzendenzgetriebenen Schwungrädern in einem immer perfekter laufenden Verwaltungsmechanismus.

Eine Vorahnung dieser Akzentverschiebung vom Kult zum Verwaltungsakt, vom Metaphysischen zum Medizinischen hatte sich schon bei den Seuchen der vorangehenden Jahrzehnte gezeigt, als Bittprozessionen und massenhafter Kirchenbesuch von der Stadt nicht mehr wie ehedem empfohlen, sondern streng untersagt wurden. Ein medizinisches Memorandum der Akademie der Wissenschaft konstatiert „in den Totengrüften eingesperrte faule Luft“ und „giftvolle Exhalationen“. Von 1789 an werden außer bei Kirchenangehörigen sämtliche Beerdigungen auf einem einzigen Zentralfriedhof vor dem Sendlinger Stadttor durchgeführt. Zur Jahrhundertwende macht ein heftig umstrittener Erlass des Kurfürsten Karl Theodor die neue Regelung unumkehrbar: Die Kirchhöfe um St. Peter und die Frauenkirche werden ausgehoben, eingeebnet, gekalkt und gepflastert, die sterblichen Überreste in Säcke gepackt und auf den äußeren Friedhof verbracht. Als wäre sie vom großen Umzug der Toten angesteckt worden, wandert auch die Verantwortung für die Friedhöfe ruhelos hin und her: Auf die Säkularisation, also die Aufhebung der Klöster durch die weltliche Macht, folgt die Verstaatlichung des Bestattungswesens mit einem drei Jahrzehnte andauernden Kompetenzgerangel zwischen Staat, Kirche, Stadt und Stiftungen. Am Ende ist – ein halbes Jahrhundert vor den übrigen bayerischen Kommunen – die Stadt München Herrin über die irdische Abwicklung des Todes.

Seelnonnen und Leichenbitter: Das Personal des Todes


Die Beerdigung jenseits der Stadtmauer wirft Probleme auf – psychologische bei den Hinterbliebenen, logistische bei der Verwaltung. Bisher haben die Angehörigen den Verstorbenen bei sich zuhause auf seinem Bett, einem Tisch oder, wo solches Mobiliar knapp war, einer ausgehängten Tür aufgebahrt. Gemeinsam haben Familie, Freunde und Nachbarn drei Tage lang Abschied genommen, um den Verstorbenen dann, unterstützt von Leichenträgern, aus seinem Sterbehaus auf den Friedhof zu tragen. Nun ist dieser schwere letzte Gang oft allzu lang – Leichenwägen müssen her. 1790 verhandelt der Magistrat deshalb mit einem Mietkutscher und Lehensrössler. Der aber ist wenig erbaut von der ihm zugedachten Aufgabe, so dass die Stadt 1798 die Anschaffung von drei eigenen Leichentransportern (1. und 2. Klasse) und einem vierten, kleineren für Kinderleichen in die Wege leitet.

Abb. 2:
Auf letzter Fahrt zu Pferde: nach 1789 in München die Regel.

 

Die Leichenträger sehen diese Entwicklung mit gemischten Gefühlen. Wie überhaupt der über Jahrhunderte ziemlich statische Arbeitsmarkt für Berufe, die mit dem Tod zu schaffen haben, einen Strukturwandel durchläuft, der Verlierer und Gewinner produziert. Während die Totengräber der wachsenden Stadt ihrem Beruf mit Optimismus nachgehen können, bläst den Seelnonnen, ihren geistlichen Zuarbeiterinnen, der Wind der neuen Zeit ins Gesicht. Seelnonnen: Seit alter Zeit sind das Ordensschwestern oder auch Frauen der unteren Schichten, die, von den Pfarreien beauftragt, die Toten entkleiden, sie ihres Schmucks entledigen, waschen, wieder ankleiden, herrichten und mit frommen Gebeten zum Grab geleiten. Bisweilen konnte das aus Gründen, denen wir den Mantel des Schweigens lieber nicht abnehmen, ziemlich lukrativ sein – wie ein Bericht über eine an Silvester 1833 erdrosselt aufgefundene Seelnonne zeigt, die ein Vermögen von weit über 5000 Gulden hinterlassen haben soll. Die ersten Angriffe auf ihre Profession wehren die Seelnonnen noch ab: Der größeren Schicklichkeit wegen – berichtet der freisinnige Autor Gotthilf August Maltitz nicht ohne Spott – stellt man Überlegungen an, für Männerleichen künftig „Seelmönche“ zu verpflichten. Eine Instruktion für die Seelnonnen des Landgerichtsbezirkes München aus dem Jahr 1846 enthält aber lediglich die Weisung, „Weiber und Wittwen (seien) ledigen Weibspersonen vorzuziehen“. Die relative Autonomie, mit der die Frauen ihre Tätigkeit lange verrichtet haben, ist freilich passé: „Die unmittelbaren Vorgesetzten der Seelnonne sind: 1. Der einschlägige Herr Pfarrer, 2. der Todtenbeschauer, und 3. der Gemeindevorsteher.“ Eine Prüfung ihres Gewissens und ihrer Gesundheit müssen die Frauen vor ihrem Amtsantritt jetzt auch absolvieren. 1862 werden die Seelnonnen offiziell zu Leichenfrauen im Dienst der Stadt erklärt und verschwinden danach peu à peu aus dem Zentrum des Geschehens. Ähnlich ergeht es dem Leichenbitter, worunter man nicht etwa einen letzten Schnaps am Grab verstand, sondern einen – allerdings durch Trinkgelder wie durch Naturalien entlohnten – Brotberuf, von dem heute nur noch die „Leichenbittermiene“ bekannt ist: Über Jahrhunderte zog der Leichenbitter als Todesbote mit schwarzer Kleidung und angemessen betrübtem Gesichtsausdruck von Tür zu Tür, um Nachbarn und Angehörige vom traurigen Ereignis zu unterrichten. Im 19. Jahrhunderts hat die Leichenbittermiene bald andere Gründe: Die Vertreter dieses Standes erfahren ihr Ende sozusagen durch die Zeitung – nämlich durch die Todesanzeigen, die sich jetzt durchsetzen. Erfreulichere Folgen zeitigt der Wandel im Bestattungswesen für andere Erwerbszweige wie Steinmetze und Blumenhändler – dazu bald mehr.

„Ein gruseliger Ort“: Die städtische Leichenhalle


Mit der Verbannung des Friedhofs aus der Stadt ist es noch nicht getan. Auch die Aufbahrung des Toten zuhause soll jetzt wegfallen – sieht man in ihr doch eine Hauptursache der Ausbreitung gefährlicher Krankheiten und Seuchen. Ganz verzichten aber kann man nicht auf das Zeremoniell, dient es doch zugleich dazu, zu überwachen, dass der Verstorbene auch wirklich tot und nicht etwa nur in einem todesähnlichen Schlaf gefangen ist. 1818/19 eröffnet die erste Städtische Leichenanstalt Bayerns eine rund um die Uhr von Seelnonnen und den schon länger obligatorischen Totenbeschauern überwachte Leichenhalle – nach Weimar, Berlin und Mainz die vierte solche Einrichtung in Deutschland, wie Philippe Ariès in seinem Standardwerk „Die Geschichte des Todes“ festhält. Das Schauhaus bringt die in Friedhofsdingen bisher unauffällige Stadt München auf die Weltkarte des Schauderhaften – wo sie bald von zwei Literaten aus den USA und Großbritannien entdeckt wird: „Ein gruseliger Ort, dieser weite Raum. In drei langen Reihen auf leicht schräg gestellten Brettern auf dem Rücken ausgestreckt waren dort 36 Leichen von Erwachsenen zu sehen – alle mit wachsbleichem, starrem Gesicht und alle in weiße Leichentücher gehüllt. An den Seitenwänden (…) Alkoven, und in jedem lagen mehrere marmorgesichtige Kinder, ganz unter Hügeln von frischen Blumen versteckt.“ Mark Twain hat die in interessierten Kreisen als fortschrittlich bekannte Institution wohl bei seinem München-Aufenthalt 1878/79 inspiziert. Weniger bekannt ist, dass es auch Jonathan Harker, den Helden aus Bram Stokers Dracula, in die bayerische Hauptstadt verschlagen hat. „Ich verließ München morgens um 8 Uhr 35, am 1. Mai“ – jedenfalls in einer frühen, leider nicht in Druck gegangenen Fassung. Dafür kann man in der 1914 erschienenen Novelle „Draculas Gast“ lesen, wie Harker eine Kutschfahrt durch München unternimmt und sich später vor einem Schneegestöber in ein seltsam lebendiges Mausoleum rettet.

Woher kommt die neue Angst vorm und Lust am Tod, mit der die Dichter so virtuos spielen? Bis in die Frühe Neuzeit hinein ist das Sterben ein selbstverständlicher Teil des Alltags; ein meist trauriger, manchmal schrecklicher – aber kein Grund zur Panik. In der Zeit nach der Glaubensspaltung und mit der beginnenden Aufklärung ändert sich das. Plötzlich gibt es Fragen, die die Kirche nicht mehr, die Wissenschaft noch nicht befriedigend beantworten kann. Um mit Ariès zu sprechen: „Als man begann, ernstlich Angst vor dem Tod zu haben, hat man geschwiegen, zuerst die Geistlichen und auch die Ärzte; es wurde zu ernst.“ Und die Menschen suchen sich eigene Antworten. Das lange und bange Lauschen auf den herannahenden Tod, das Drama der Sterbestunde und die kaum weniger dramatische Aufführung der anschließenden Aufbahrung sind Hochämter des Volksbrauchtums und des „Aberglaubens“. Das Leben in den Mauern der Residenzstadt, die dem Umland doch eigentlich voraus zu sein glaubt, ändert daran wenig.

Zwar werden in München – anders als etwa im Oberland – die Toten nicht auf Totenbrettern zu Grabe getragen, die aus Weichholz geschnitzt sein müssen, weil nur ihr vollständiges Verrotten garantiert, dass die Seele aus dem Fegefeuer springt; es pfeifen hier nicht so viele Nachtigallen, deren Gesang als Zeichen des Todes gilt, und auch Kröten, Unken, Raben und andere Boten aus dem Jenseits stellen sich vorm Fenster seltener ein. Häufiger sind in der Stadt dafür die Uhren, und fast jeder hat in jener Zeit davon erzählen gehört, wie so ein Chronograph pfeilgerad beim Eintreten des Todes von allein stehen geblieben ist. Viele halten die Uhr drum selbst an. Andere öffnen die Fenster, um die Seele hinauszulassen, oder sie verhängen aus Angst vor Wiedergängern die Spiegel. Hilft es? Dem, der daran glaubt. Manches ist auch zweckmäßig. Der Spätaufklärer Lorenz Hübner erwähnt in seiner...

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