Kundenorientierung von Unternehmen ist die Voraussetzung für ein erfolgreiches TPM. Sie kennen sicherlich viele publicitywirksame Aussagen dazu, wie z. B.:
1.1.1 Zur Illustration: die Realität anhand von Beispielen
Wir alle, Kunden privater wie gewerblicher Natur, begeben uns täglich auf die Suche nach Informationen, nach Produkten und nach Gefühlen. Und wir machen täglich Erfahrungen, bei denen wir uns fragen, warum sie so schlecht ausfallen müssen.
Zur Illustration dieser Realität haben wir im Folgenden ein typisches Beispiel ausgewählt. Es zeigt kaskadenförmig anfallende Ereignisse innerhalb einer einzigen (wenngleich wochenlangen) Kundenerlebnisreise und demonstriert, wie trotz einiger positiver Erlebnisse in einzelnen Abteilungen ein negativer Gesamteindruck entsteht.
Beispiel
Ein großer national tätiger Baumarkt wirbt mit einem Rundum-Sorglos-Paket. Er bietet an, bei Renovierungen alle Handwerkerleistungen zu organisieren und die Maßnahmen mit ausgesuchten regionalen Handwerksbetrieben auszuführen und zu überwachen. „Super Sache!”, dachte sich ein Kollege, „Dann nehme ich einen Mieterwechsel zum Anlass, um WC und Küche renovieren zu lassen.” Er fuhr zum Baumarkt und wurde dort an den Koordinator der Montagearbeiten verwiesen, traf diesen aber nicht an. Er hinterließ ihm seine Telefonnummer und sein Anliegen – und wartete auf den Rückruf des Koordinators. Leider erfolglos. „Kann passieren”, dachte sich der Kollege, „vielleicht wurde der Zettel verlegt”. Nach drei Wochen (in der Zwischenzeit war Ostern) fuhr er wieder in den Baumarkt, doch auch diesmal war der Koordinator nicht anzutreffen. Er weilte im Urlaub und eine Vertretung existierte nicht. Man versprach, ihn schnell nach seiner Rückkehr zu benachrichtigen. Eigentlich hatte der Kollege zu diesem Zeitpunkt schon keine Lust mehr auf den Kontakt zum Baumarkt, doch leider hatten die in der Zwischenzeit auf eigene Faust kontaktierten Fliesenleger und Sanitärfachkräfte alle Fristen von mehr als drei Monaten bis zum Beginn der Arbeiten kommuniziert. Da erschien der Baumarkt als schnellere Alternative, zumal alle Materialien angeblich sofort geliefert werden konnten.
Tatsächlich meldete sich nach einigen Tagen, in denen der Altmieter ausziehen und der Neumieter sich Fliesen und WC-Ausstattung aussuchen konnte, der Koordinator. Er kam in die Wohnung, nahm alle Maße, berechnete den Umfang der zu liefernden Fliesen, diskutierte Probleme der WC-Anbringung und daraus resultierende Maße der Garnituren. Das alles ging relativ schnell und wirkte professionell. Große Erleichterung!
Leider wurden die von den neuen Mietern ausgesuchten Fliesen entgegen der bei der Ausmessung getroffenen Vereinbarung nicht bestellt – später ließ sich nicht mehr feststellen, ob das entweder vom Koordinator versäumt, oder von der Fliesenabteilung verbummelt wurde. Das Versäumnis stellte sich aber erst heraus, als man den Arbeitsbeginn ankündigte und meinte, es seien noch keine Fliesen bestellt. Die Arbeiten sollten zwei Tage später beginnen. Was aber kein Problem sei, hieß es, man würde die Fliesen am Tag des Arbeitsbeginns zur Baustelle liefern. Der Kollege müsse sich um nichts kümmern, nur die Fliesenbestellung im Baumarkt unterschreiben und am Tag der Anlieferung die Türen öffnen. Klasse, gutes Improvisations- und Fehlerbehebungsmanagement, dachte er erfreut. Die Freude hielt allerdings nur bis zu dem Zeitpunkt an, an dem der Spediteur zwei Paletten vor der Haustür ablud und auf die Frage, wie denn nun die Fliesen und WC-Artikel in den zweiten Stock kämen, nur meinte, das wüsste er nicht, dazu habe er keinen Auftrag. Die Tagesorganisation unseres Kollegen war dahin, denn nun folgten endlose Telefonate. Inzwischen weichten die Pakete im Regen auf, bis endlich zwei Mitarbeiter – offensichtlich die letzten Glieder in der Hierarchie des Baumarktes – erschienen und mit anpackten. Zusammen trug man alle Teile nach oben. Ein Missverständnis, hieß es von Seiten des Baumarkts, offensichtlich gab es unterschiedliche Begriffsinhalte zum Hauptwort „Baustelle”. Für den Kollegen war das seine Wohnung, für den Spediteur wohl nur die Adresse. Die Arbeiten begannen dann auch nicht am angekündigten Tag, sondern erst eine Woche später. Während der Arbeiten gab es des Öfteren Diskussionen über den Umfang der zu fliesenden Wandteile, über die zu erledigenden Zusatzarbeiten etc. – alles Punkte, die im Gespräch mit dem Koordinator in der Wohnung eigentlich bereits geklärt worden waren. Die neuen Mieter konnten die eigenen Renovierungs- und Einzugsmaßnahmen nicht nach Zeitplan umsetzen. Der Kollege musste mehrmals für Diskussionen, Klärungen, Reklamationen und Streitschlichtungen zwischen Mieter und Arbeiter in die Wohnung fahren. Entschuldigungen gab es viele und am Ende einen kleinen Gutschein für die erlittene Unbill.
Dieses Beispiel gibt Anlass zum Grübeln: Ist das Kundenorientierung? Wer steuert eigentlich die Touchpoints mit dem Kunden? Ist den Unternehmen überhaupt ausreichend deutlich, welche Touchpoints ein Kunde auf seiner „Reise” anläuft? In welchen Unternehmen gibt es einen „Kundenreiseleiter”?4
Wie es anders geht, zeigt folgender Fall mitten aus dem Leben eines Kunden.
Beispiel
Bernhard Keller hatte ein Paket mit 100 CD-Slim-Cases bestellt. Nach der Lieferung stellte sich heraus, dass gut 20 Stück davon defekt waren. Er schickte eine Reklamations-E-Mail an den Versender und bekam innerhalb der nächsten Stunden zur Antwort: „Wir bedauern sehr, dass Sie mit unserem Produkt nicht zufrieden sind und Grund zur Beanstandung haben. Selbstverständlich senden wir Ihnen in Kürze einen kostenlosen Ersatzartikel zu. Eine Rücksendung des defekten Artikels ist nicht notwendig. Bitte entschuldigen Sie die Ihnen entstandenen Unannehmlichkeiten. Wir wünschen Ihnen noch einen schönen Nachmittag und freuen uns auf Ihre nächste Bestellung. Freundliche Grüße, Ihr XXX Customer Care”.
Zwei Tage später brachte ein Paketlieferant den Ersatz. Ohne Diskussion war das Problem gelöst – und Bernhard Keller hat seither die Zuversicht, bei diesem Unternehmen gut aufgehoben zu sein. Er bestellt deswegen dort immer wieder.
1.1.2 Das Geheimnis erfolgreicher Unternehmen
Ist Kundenorientierung entlang der Customer Journey so schwierig? Ist es unrealistisch, in einem Baumarkt die verschiedenen Touchpoints (Sanitär, Fliesen, Koordination, Auslieferung, Gewerke) zu vernetzen und zeit- und bestellungsgenau zu steuern? Offensichtlich, denn der Baumarkt-Fall ist keine Ausnahme und er ist noch nicht einmal komplexer als andere Dienstleistungen. Gleichzeitig zeigen gegensätzliche Erfahrungen, dass Missgeschicke schnell und unbürokratisch geregelt werden können, dass Kunden regelrecht verwöhnt bzw. von Unerwartetem positiv überrascht werden können.
Doch wie geschieht das? Wie gehen diese Unternehmen vor, was machen sie anders? Wie erreichen Unternehmen eine hohe Kundenzufriedenheit, Kundenloyalität und im besten Fall eine hohe Kundenbindung, die möglicherweise sogar gegen den Wettbewerb immunisiert?
Die Schritte dorthin führen heute, wie die nachfolgenden Beiträge unserer Autorinnen und Autoren verdeutlichen, über ein ausgefeiltes Touchpoint Management.5
Dabei müssen neben Customer Centricity, Customer Experience (CX) und optimal gesteuerten Prozessen auch Marketing und Vertrieb in das TPM eingebunden werden – wie die nachfolgenden Kapitel vertiefend darstellen.