Mit rund 500.000 Besuchern (Habsburg 2013b) jährlich zählt Schloss Bran zu den meist besuchten Destinationen in Rumänien. Vielfältige Arten und Formen des Tourismus treffen an diesem Ort aufeinander. Um sich einer Definition von Tourismus zu nähern, umfasst dieser der UNWTO zufolge
„die Aktivität von Personen, die an Orte außerhalb ihrer gewohnten Umgebung reisen und sich dort Freizeit-, Geschäfts- oder bestimmten anderen Zwecken nicht länger als ein Jahr ohne Unterbrechung aufhalten.“
(UNWTO 1993 in Statistisches Bundesamt 2007, o. S.)
Als wichtige Elemente der touristischen Aktivität gelten die Raumüberwindung, der vorübergehende Aufenthalt innerhalb des Destinationsraumes sowie die Motivation des Ortswechsels (Schmude und Namberger 2008: 2f.). Zunächst wird im Folgenden die durchaus interessante Liaison der differenzierten Tourismusarten dargestellt, um darauf in Kap. 6.2 während der Analyse der Reiseführer Bezug nehmen zu können. Die Differenzierung nach Tourismusarten und –formen erfolgt entsprechend der Abgrenzung von Bülow (2006: 4) und wird in Tab. 1 dargestellt. Tourismusformen sollen aber in dieser Arbeit keine wesentliche Rolle spielen und werden daher vernachlässigt. Schließlich bietet Kap. 3.2 eine Analyse der spannenden Chronik des Tourismus von Bran Castle, wobei Elemente der Historie Rumäniens von besonderer Relevanz sind.
Tab. 1: Tourismusarten und -formen. Ein kontrastiver Vergleich (Bülow 2006:4)
Es lassen sich zwei übergeordnete Tourismusarten ausmachen, die die Motivationen der Reisenden widerspiegeln, die Schloss Bran besuchen. Einerseits kann die Art des Kulturtourismus, andererseits jene des Dracula-Tourismus genannt werden. Während wissenschaftliche Beiträge sich bisher meist ausschließlich auf den Dracula-Tourismus am Beispiel des Schlosses Bran beschränkt haben (Light 2012), wird hier zudem die zweite touristische Hauptart diskutiert und analysiert. Diese beiden Arten bieten einige Untergruppierungen, die in Abb. 1 dargestellt und im Folgenden ausgeführt werden.
Abb. 1: Tourismusarten der Destination Bran Castle (eigene Darstellung)
Unter dem weiträumig gefassten Begriff Kulturtourismus versteht sich „tourism that focuses on cultural attractions, activities and practices as major motivating factors for travel“ (Smith, MacLeod und Robertson 2010: 30). Kulturtourismus bietet zahlreiche Untergruppierungen, so z.B. Kunst- oder Eventtourismus. Im Vordergrund steht die Nutzung kultureller Monumente und Relikte mit traditionellen Wohn- und Lebensformen (Eder 1993: 165 f.). Gewissermaßen geht es im Kulturtourismus um das Erfahrbarmachen anderer parallel existierender Kulturen; dieses Verständnis lässt sich jedoch auf traditionelle Lebensformen ausweiten, womit die Verbindung zu einer Unterart des Kulturtourismus, nämlich dem Geschichtstourismus, geschaffen ist (Wöhler 1997: 109 ff.).
Der Geschichtstourismus oder Historical Tourism beschränkt sich auf verschwundene Lebensformen und Monumente der Vergangenheit, die von eben diesen traditionellen Lebensstilen zeugen. Die Grenzziehung zum übergeordneten Kulturtourismus stellt dessen Öffnung bezüglich vergangener und aktueller Kulturen dar. In ähnlicher Weise anzusiedeln ist auch der Heritage Tourism, der Stätten des kulturellen Erbes ehemaliger Epochen zum Gegenstand der Betrachtung macht. Speziell werden historische Gebäude, Objekte, sonstige Attraktionen als auch nicht (mehr) greifbare Kulturformen und Traditionen sowie Lebensweisen von Gemeinschaften besucht bzw. thematisiert (Smith, MacLeod und Robertson 2010: 93).
Oft vereinbar mit den Motiven, die Geschichtstouristen mobilisieren, sind jene des Bildungstourismus. Die Repräsentation des Bildungstourismus geschieht durch die Veranstaltungsform der Bildungs- bzw. Studienreise. Eingeführt wurde von Hartmann (1982: 36) der Begriff des „rollenden Seminars“, der das Konzept der Bildungsreise treffend darstellt. Es geht dabei um „den Erwerb und die Erweiterung von Kenntnissen, […] eine gründliche Beschäftigung mit dem Land, den Kulturstätten und den Bewohnern“ (ebd.). Primär ist die Tourismusart des Bildungstourismus in Abb. 1 der Kategorie Kulturtourismus zugeordnet, welche neben dem Dracula-Tourismus eine der beiden Haupttourismusarten der Destination Bran Castle darstellt. Allerdings stellt der Bildungstourismus ebenso eine Verbindung zum Dracula-Tourismus dar, indem Studienreisen ebenso mit geographisch relevanten Hintergründen – wie beispielsweise einer Tourismusforschung, einer Analyse von Raumkonstruktionen oder der Beschäftigung mit Identitäten – gefüllt werden können.
Ähnliches ist bei der Art des Eventtourismus festzustellen. Dieser „beschreibt zeitlich gezielt auf ein Ereignis hin veranlasste Reisen wie die Teilnahme an Kunst-, Musik-, […] Film-, Theater- und andere Kulturevents“ (Schröder 2003: 104). Auch eine Erlebnisorientierung wohnt dem Eventtourismus inne, die eng mit dem Abenteuer- und Erlebnistourismus verknüpft ist und in einem folgenden Abschnitt unter Betrachtung des Dracula-Tourismus näher thematisiert wird. Einerseits können in Bran Castle kulturelle Events besucht werden, weshalb der Eventtourismus der Kategorie des übergeordneten Kulturtourismus angehört. Beispielsweise findet jährlich ein Jazzevent statt (Habsburg 2013b). Ohne Weiteres kann der Eventtourismus jedoch auch dem Dracula-Tourismus zugeordnet werden. Besonders an Halloween finden zahlreiche Events statt, mit denen Schauriges und Unheimliches assoziiert werden kann (International Tours & Events LLC 2015).
Um nun zum Dracula-Tourismus zu kommen, sei zunächst eine Definition desselben von Light (2007: 751) vorangestellt.
Dracula-Tourismus „is an externally generated phenomenon on which enthusiasts (primarily from Europe and America) have traveled to Romania in search of the literary, historical, and supernatural roots of the Dracula myth.”
Im Gegensatz zum historisch fundierten Kulturtourismus basiert der Dracula-Tourismus auf Fiktion. Hauptsächlich dient dazu die literarische Grundlage des Romans „Dracula“ (Stoker 1897). Jedoch gelten in Anlehnung an diesen Roman auch zahlreiche Verfilmungen wie „Nosferatu“ (1922) als fiktionale Inszenierung des Schlosses Bran. Wie es zur Verbindung zwischen der Romanfigur Dracula und Bran Castle überhaupt kommt, wird in Kap. 3.2 bzw. in Kap. 4.5 thematisiert. Eine Auffälligkeit des Dracula-Tourismus ist die breite Fächerung in unterschiedliche Tourismusgruppierungen, die im Folgenden erläutert werden.
Anlässlich der soeben erwähnten literarischen Grundlage von Bram Stoker, tritt an der Destination Schloss Bran entsprechender Weise Literaturtourismus auf, “[who] describes tourism activity that is motivated by interest in an author, a literary creation or setting, or the literary heritage of a destination” (Smith, MacLeod und Robertson 2010: 108). Touristen, die Schloss Bran bzw. Schloss Dracula besuchen, sehen in diesem das vermeintliche Setting von Stokers (1897) „Dracula“. Sie begeben sich auf die Suche nach Anhaltspunkten des blutsaugenden Grafen mit den scharfen Eckzähnen und hören mit einem Ohr „die Ketten klirren, dann das Kreischen des Schlüssels im Schlüsselloch“ (Stoker: 2008: 70).
Der Art des Literaturtourismus sehr ähnlich ist jene des Filmtourismus. Dabei besuchen Touristen Destinationen, deren Locations sie aus dem Kino oder dem Fernsehen kennen. „This form of tourism also includes visits to places associated with film and television characters or celebrities.” (Smith, MacLeod und Robertson 2010: 71). Entgegen vieler Vermutungen war Bran Castle jedoch bisher kein Drehort nennenswerter Dracula-Verfilmungen (Light 2012: 21). Nicht zwangsläufig handelt es sich bei Literatur- oder Filmtourismus um Arten von Tourismus, die mit einer weiteren Art – dem Dark Tourism – in Verbindung stehen.
Dark Tourism „consists of tourist visits to sites associated with death, disaster, warfare, genocide and human suffering“ (Smith, MacLeod und Robertson 2010: 35). Prägend für die Art des Dark Tourism sind vorrangig die Arbeiten von Lennon und Foley (2000), wobei es allerdings hauptsächlich um die Thematisierung von Kriegsschauplätzen und -denkmälern sowie Stätten des Holocausts geht. Stone (2006) hingegen hat sich in seinen Untersuchungen dahingehend geöffnet, als er zwischen „Sites of Death and Suffering“ und „Sites Associated with Death and Suffering“ (Stone...