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Die Welt des luziden Träumens
Die Wunder des luziden Träumens
Mir wurde klar, dass ich träumte. Ich hob meine Arme und begann zu schweben (eigentlich wurde ich angehoben.) Ich stieg in den Himmel auf, dessen Färbung von Schwarz in Nachtblau und dann in Dunkelviolett überging und anschließend in Lavendel verblasste, bis er ganz weiß wurde und sich schließlich in strahlendes Licht verwandelte. Während der ganzen Zeit, in der ich von einer unsichtbaren Kraft in der Luft gehalten wurde, erklang wunderschöne Musik, wie ich sie noch nie gehört hatte. Eigentlich waren es eher Stimmen als Instrumente. Ich kann mit Worten nicht die Freude beschreiben, die ich dabei empfand. Schließlich wurde ich sanft wieder auf die Erde herabgelassen. Ich hatte das Gefühl, ich sei an einem Wendepunkt in meinem Leben angekommen und dass ich den richtigen Weg gewählt hatte. Der Traum und die Freude, die ich empfand, waren eine Art Belohnung – zumindest erschien es mir so. In einem langen, langsamen Gleiten kehrte ich zum Wachzustand zurück, wobei die Musik noch in meinen Ohren widerhallte. Der euphorische Zustand hielt danach mehrere Tage an; die Erinnerung daran ist für immer geblieben. (A. F., Bay City, Michigan)
Ich stand auf einer weiten, offenen Fläche auf einem Feld, als meine Frau auf den Sonnenuntergang deutete. Ich wandte meinen Blick dorthin und dachte: ›Wie merkwürdig, solche Farben habe ich noch nie gesehen.‹ Dann dämmerte es mir: ›Ich muss träumen!‹ Niemals zuvor hatte ich eine derartige Klarheit und gestochen scharfe Wahrnehmung erlebt – die Farben waren wunderschön und das Gefühl der Freiheit so erhebend, dass ich begann, mit weit ausgestreckten Armen durch dieses wunderschöne goldene Weizenfeld zu laufen und aus vollem Hals zu rufen: ›Ich träume, ich träume!‹ Plötzlich begann sich der Traum aufzulösen; es muss die Aufregung gewesen sein. Ich wachte augenblicklich auf. Als mir bewusst wurde, was soeben geschehen war, weckte ich meine Frau und sagte: ›Es ist mir gelungen, es ist mir gelungen!‹ Ich war innerhalb des Traumzustands bei vollem Bewusstsein gewesen und werde nie mehr derselbe sein. Komisch, nicht wahr? Wie eine Kostprobe davon einen beeindrucken kann. Das ist die Freiheit, nehme ich an. Wir erleben, dass wir wirklich Herr über unser eigenes Universum sind. (D. W., Elk River, Minnesota)
Ich studiere Musik (Waldhorn), um Berufsmusiker zu werden, und wünschte mir, ich könnte mein Lampenfieber und meine Angst, vor Publikum aufzutreten, besiegen. Ich habe mich schon mehrmals in einen Zustand der Selbsthypnose beziehungsweise des Wachträumens versetzt, indem ich meinen Körper und meinen Geist vor dem Schlafengehen vollständig entspannte. Dann konzentrierte ich mich auf meinen Wunsch zu träumen, dass ich allein vor einem großen Publikum auftrete, ohne dabei nervös oder in irgendeiner Weise ängstlich zu sein. In der dritten Nacht meines Experiments hatte ich einen luziden Traum, in dem ich in der Konzerthalle von Chicago ganz alleine auf der Bühne stand und ein Solokonzert gab (ich bin dort schon einmal aufgetreten, allerdings mit einem ganzen Orchester). Ich stand frei von jeglichem Lampenfieber vor dem Publikum und mit jeder Note, die ich spielte, wuchs mein Selbstvertrauen. Ich trug mit absoluter Perfektion ein Stück vor, das ich erst einmal zuvor gehört (aber nie zu spielen versucht) hatte, und der Beifall, den ich erhielt, gab meinem Selbstvertrauen weiteren Auftrieb. Als ich aufwachte, schrieb ich den Traum und das Musikstück auf, das ich vorgetragen hatte. Als ich am folgenden Tag meine Übungen machte, spielte ich das Stück vom Blatt, und zwar fast fehlerfrei. Zwei Wochen (und einige luzide Traumaufführungen später) spielte ich die fünfte Symphonie des russischen Komponisten Schostakowitsch mit dem Orchester. Zum ersten Mal kam mir meine Nervosität beim Spielen nicht in die Quere, sodass meine Darbietung außerordentlich gut war. (J. S., Mt. Prospect, Illinois)
In Träumen geschehen regelmäßig merkwürdige, großartige und sogar unmögliche Dinge. Die meisten Menschen erkennen üblicherweise jedoch nicht, dass die Erklärung dafür im Träumen liegt. Üblicherweise heißt nicht immer und es gibt auch eine sehr bedeutsame Ausnahme von dieser Regel. Gelegentlich erkennen die Träumer ganz richtig, was die Erklärung für diese bizarren Ereignisse ist, die ihnen widerfahren, und das Ergebnis sind luzide Träume wie die zuvor geschilderten.
In dem Wissen, dass die Welt, die sie erleben, ein Gebilde ihrer eigenen Vorstellungskraft ist, können luzide Träumer das Ergebnis ihrer Träume bewusst beeinflussen. Sie können Gegenstände, Menschen, Situationen, Welten und sogar sich selbst erschaffen und transformieren. Gemessen an den Begrenzungen der vertrauten Welt unserer physischen und sozialen Wirklichkeit können sie Unmögliches vollbringen.
Die Welt der luziden Träume bietet fast allen vorstellbaren Dingen eine breitere Bühne als das gewöhnliche Leben – von frivolen bis hin zu subtilen Spielarten. Wenn Sie wollen, können Sie wilde Orgien feiern, zu den Sternen aufsteigen oder geheimnisvolle Landschaften bereisen. Sie könnten sich denjenigen anschließen, die luzide Träume als Instrument zur kreativen Problemlösung, zur Selbstheilung und zur persönlichen Weiterentwicklung ausprobieren. Oder Sie könnten erforschen, inwiefern die Lehren altehrwürdiger Traditionen und Berichte moderner Psychologen nahelegen, dass luzide Träume Ihnen dabei helfen können, Ihre Uridentität zu finden – den Kern Ihrer Persönlichkeit.
Luzides Träumen ist seit Jahrhunderten bekannt, galt bis vor Kurzem aber als seltenes und kaum erkundetes Phänomen. Meine eigenen wissenschaftlichen und persönlichen Forschungen, zusammen mit den Erkenntnissen anderer internationaler Traumforscher, fangen gerade erst an, Licht auf diesen ungewöhnlichen Bewusstseinszustand zu werfen. Vor Kurzem hat dieses neue Forschungsgebiet die Aufmerksamkeit eines breiteren Publikums außerhalb der Welt der wissenschaftlichen Traumforschung geweckt, weil Untersuchungen gezeigt haben, dass Menschen mit dem richtigen Training luzides Träumen lernen können.
Aber warum wollen Menschen lernen, bewusst zu träumen? Nach meiner eigenen Erfahrung sowie der Schilderung vieler Tausend luzider Träumer können Klarträume außerordentlich lebendig, intensiv, angenehm und berauschend sein. Oft bezeichnen Menschen ihre luziden Träume als die wunderbarste Erfahrung ihres Lebens.
Wenn es damit nicht mehr auf sich hätte, wären luzide Träume eine angenehme, aber letztlich triviale Unterhaltung. Wie zahlreiche Menschen jedoch bereits entdeckt haben, können Sie luzide Träume dazu nutzen, die Qualität Ihres wachen Lebens zu verbessern. An der Stanford-Universität haben mir viele Tausend Menschen geschrieben und erzählt, wie sie das Wissen und die Erfahrung nutzen, die sie in luziden Träumen erworben haben, um ihr Leben lebenswerter zu gestalten.
Auch wenn sich die Konturen einer praktischen Kunst und Wissenschaft des luziden Träumens gerade erst zu schärfen beginnen und der systematische Einsatz des luziden Träumens als Instrument der psychologischen Selbsterforschung sich noch in den Kinderschuhen befindet, können die meisten Menschen das vorhandene Wissen über luzides Träumen durchaus nutzen, um ihre eigene Erkundungsreise zu beginnen. Wahrscheinlich sind die einzigen Menschen, die nicht mit luziden Träumen experimentieren sollten, diejenigen, die Schwierigkeiten haben, zwischen der Realität des Wachzustands und Schöpfungen ihrer Vorstellungskraft zu unterscheiden. Wenn Sie luzides Träumen erlernen, wird das nicht dazu führen, dass die Grenzen zwischen Traum und Realität verschwimmen. Im Gegenteil, luzides Träumen dient dazu, das Bewusstsein zu schärfen.
Warum dieses neue Buch?
Seit dem Erscheinen meines ersten Buches Lucid Dreaming habe ich das vorhandene Wissen über das Thema luzides Träumen aus alten und modernen Quellen zusammengetragen. Seit dem Erscheinen dieses Werkes haben mir einige Zehntausend Menschen geschrieben und mir ihre Erfahrungen und Entdeckungen geschildert und um weitere praktische Informationen über luzides Träumen gebeten. Als Antwort auf diese Bitte beschloss ich, mit Howard Rheingold an einem neuen Buch zu arbeiten. Howard hat viel über Themen wie Kreativität, Bewusstsein und Traumarbeit geschrieben.
Träume, was du träumen willst ist ein autodidaktisches Werk, eine Schritt-für-Schritt-Anleitung, mit der Sie lernen können, luzide zu träumen und diese Träume zu nutzen. Dabei können Sie das Tempo und die Tiefe, mit der Sie lernen, Ihre luziden Träume zu erforschen und sie zur Bereicherung Ihres Lebens zu nutzen, selbst bestimmen. Es erwarten Sie eine große Vielfalt an Beispielen echter luzider Träume, die Briefen an das Stanford-Programm entnommen sind – so wie die drei eingangs beschriebenen Traumerfahrungen. Zwar kann diese Art »anekdotischer Beweise« in Form von persönlichen Erlebnisschilderungen, die Laien auf dem Gebiet der Traumforschung liefern, das sorgfältig gesteuerte und kontrollierte Experimentieren nicht ersetzen, mit denen wissenschaftliche Theorien getestet werden müssen, dennoch bieten sie eine wertvolle Inspiration zur fortgesetzten Erforschung der Welt des luziden Träumens.
Seit der Entstehung dieses Buches hat mein Forschungsteam an der Universität von Stanford seine Laborarbeit fortgeführt, die Beziehungen zwischen Geist und Körper während...