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Trauer ist eine lange Reise

Für dich auf dem Jakobsweg

AutorGeorg Koeniger
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783492971379
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Wie schafft man es, wieder ins Leben zurückzufinden, nachdem der Mensch, den man liebt, tot ist? Als Georg Koenigers Frau nach neunmonatigem Leiden an Lungenkrebs stirbt, löst er das Versprechen ein, das er ihr kurz vor ihrem Tod gegeben hat: Er will für sie auf den Jakobsweg, jene Pilgerstraße, die die Menschen seit jeher magisch anzieht. Und so setzt er sich in Würzburg aufs Fahrrad, gelangt nach acht Wochen, 500.000 Radumdrehungen und mehr als 2000 Kilometern nach Santiago de Compostela. Eine Reise mit ungeahnten Hindernissen und vielen glücklichen Zufällen, die Abenteuer, Abschied, Selbstbesinnung und Neuginn ist und - aller Trauer zum Trotz - Koenigers Sinn für Witz und Humor immer wieder aufblitzen lässt.

Georg Koeniger, geboren 1957, ist seit über 25 Jahren Kabarettist, Regisseur und Autor. Radfahren ist neben Klettern Koenigers zweite große Leidenschaft. Bei Piper und Malik erschienen seine Bücher »Cliffhänger«, »Bis dass die Autotür uns scheidet« und »Trauer ist eine lange Reise«.

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Leseprobe

JAKOBSWEG WIDER WILLEN


Schon das Packen ist nicht unproblematisch. Die Gepäcktaschen im Keller sind voll mit Ausrüstungsgegenständen in doppelter Ausführung: zwei Tassen, zwei Messer, zwei Teller, ein Zelt für zwei. Alles nach der letzten Radreise platzsparend verstaut für den nächsten gemeinsamen Trip. Jetzt nehme ich all das auseinander und packe jeweils nur ein Teil ein. Mir ist dabei, als würde ich auseinanderreißen, was eigentlich zusammengehört. Ich meine fast, die zurückgelassene Tasse schreien zu hören: Und was ist mit mir?

Das Zelt aber kommt mit. Es ist zwar über drei Kilo schwer und viel zu groß für mich allein, doch irgendwie gehört es dazu. Es wird mir immer wieder die große Leerstelle in meinem Leben vor Augen führen, die ich seit einem Jahr erlebe.

Die Stimmung am Abend vor der Abreise ist nicht gerade euphorisch. Von Urlaubsvorfreude keine Spur. »Super Show«, schwärmen zwar meine Kabarettkollegen, als wir nach der Vorstellung unsere Requisiten zusammenpacken. Und tatsächlich ist es wie immer ein gutes Gefühl gewesen, vor einem begeisterten Publikum seine Späße auf der Bühne zu machen. Das hat sich auch nach sechsundzwanzig Jahren als Kabarettist nicht geändert. Aber so richtig genießen kann ich es nicht, ich bin nur noch mit halber Kraft dabei, es fällt mir schwer, mich zu konzentrieren. Es ist, als wäre meine Seele schon unterwegs auf dem Jakobsweg, während mein Körper noch routiniert die eingeübten Sketche spielt.

Als ich dann mit gepacktem Requisitenkoffer in dem leeren Zuschauerraum stehe, merke ich, wie die Droge Applaus viel schneller an Wirkung verliert als sonst. Morgen, denke ich, wird niemand von diesen Leuten da sein, um mich bei der Abreise zu beklatschen, niemand, der mir mit weißem Taschentuch nachwinkt, niemand, der ein Abschiedsfoto macht, aber auch niemand, der mich zur Eile antreibt, damit wir endlich loskommen. Es interessiert die ganze Welt einen Dreck, was ich morgen mache. Mein Terminkalender ist im Frühjahr 2014 für einen Monat leer. Ich könnte genauso gut einfach hierbleiben. Keiner würde es bemerken.

Dennoch springe ich am nächsten Morgen aus dem Bett, bevor der Wecker sich auch nur rühren kann, stelle mein Espressokännchen auf den Herd und ziehe meine Funktionsklamotten an. Die letzten zwei Jahre waren eine sehr anstrengende Zeit, sowohl psychisch als auch körperlich. Jetzt nehme ich mir vier Wochen Zeit für mich. Die Reiseroute hätte ich mir selbst so nicht ausgesucht, aber trotzdem: Jetzt wird geradelt.

Während ich im Stehen eine Banane esse und meinen Kaffee trinke, fallen mir die Reaktionen meiner Freunde, Kollegen und Verwandten ein, als ich ihnen erzählte, was ich vorhabe. Am besten waren immer ihre Gesichter. Da wurde der Mund aufgerissen, die Luft durch die Zähne eingesogen, da wurden die Augen gerollt, die Backen aufgeblasen. »Was willst du? Von hier nach Santiago de Compostela ... radeln?« Mancher versuchte ein gequältes Lächeln, andere prusteten los, als hätte ich einen Witz gemacht. Dann Stirnrunzeln. »Wie viele Kilometer sind das denn?« Sobald ich »ungefähr zweieinhalbtausend« sagte, erntete ich meist ratloses Kopfschütteln. »Aber du ... äh, machst schon Pausen zwischendurch, oder?«

Die Outdoorfreaks, die es in meinem Freundeskreis gibt, reagierten mit aufmunterndem Nicken, anerkennendem Pfeifen, spöttisch angehobenen Augenbrauen oder offenem Neid. »Du fährst echt viereinhalb Wochen mit dem Rad durch Europa, während ich hier täglich in mein Büro trotte?«, fragte mich ein Bekannter ungläubig in der Kletterhalle. »Du hast es ja so was von gut. Wollen wir tauschen?«

So weit ist es schon wieder, dachte ich verwundert, dass jemand mit mir tauschen möchte. Ein Jahr vorher wäre wohl niemand auf die Idee gekommen.

»Frau Dr. Schröpel?«

Es klang immer ein bisschen seltsam in meinen Ohren, wenn jemand Andrea mit »Doktor« anredete, obwohl sie den Titel schon fast zwanzig Jahre innehatte. Als Neurobiologin wird einem der Namenszusatz nicht nachgeschmissen, die Promotion hatte Andrea vier Jahre harte Arbeit gekostet, und trotzdem hat sie nie viel Wert auf die ausdrückliche Erwähnung des Titels gelegt. Schon gar nicht nachdem sie ihre Karriere als Wissenschaftlerin an den Nagel gehängt und als Heilpraktikerin eine ganz neue Laufbahn eingeschlagen hatte. Wenn ich sie »Frau Doktor« nannte, dann nur um einen Spaß mit ihr zu machen. Aber das hier war nicht lustig.

»Sie können jetzt zum Herrn Professor.«

Wir standen auf und folgten der Sekretärin aus dem Wartezimmer. Mindestens zehn Augenpaare arabischer Herkunft folgten uns. Offensichtlich war eine komplette Familie aus dem Nahen Osten nach Bayern angereist, um eine oder einen Erkrankten zu begleiten. Männer mit großen Bärten, verschleierte Frauen und ein paar Kinder warteten ununterbrochen durcheinanderredend, aber sehr geduldig auf Nachrichten von der Stationsschwester. Auch wenn der Trubel ziemlich anstrengend war, hätten wir dem aufgeregten Geplapper viel lieber noch weiter gelauscht, statt jetzt der Sekretärin durch die freitäglich stillen Gänge ins Chefarztzimmer zu folgen.

»Frau Dr. Schröpel!«, begrüßte der weißhaarige, aber agile Professor sie und sprang aus seinem Stuhl. Er gab erst ihr, dann mir die Hand. Wie die meisten Ärzte behandelte auch er sie betont freundlich, weil er sie offensichtlich für eine Kollegin hielt. Was auch nicht ganz falsch war. »Wie geht es Ihnen?«

Andrea antwortete mit einem unverbindlichen Schnauben. Besonders wenn sie gestresst war oder Angst hatte, konnte sie sehr schroff sein. Und jetzt hatte sie große Angst und war gewaltig im Stress. Keine gute Zeit, um Small Talk zu machen. Sie wollte wissen, was los war.

Monatelang hatte sie unter einem hartnäckigen Husten gelitten, der allem heilpraktischen Bemühen getrotzt und sie immer kurzatmiger hatte werden lassen. Endlich entschloss sie sich, sich in der Asklepios-Klinik in Gauting, im Süden Münchens, von einem Pneumologen untersuchen zu lassen. Der hatte Wasser in der Lunge festgestellt, punktiert und die abgesaugte Flüssigkeit ins Labor geschickt. Es fanden sich maligne Zellen darin.

»Adenokarzinom«, hatte der Arzt nur gemeint, als er uns vor ein paar Tagen das Ergebnis mitteilte.

»Das heißt ein sehr aggressiver Krebs«, hatte Andrea mich angefahren, als ich Luft holte, um nachzufragen, was das konkret bedeute. Normalerweise hätte ich mir so eine Grobheit nicht gefallen lassen. Aber in ihren Augen stand die nackte Panik. Lungenkrebs. Bei einer lebenslangen Nichtraucherin, die immer sportlich und gesund gelebt hatte. Total unbegreiflich. Es folgten zwei Tage voller Tränen, Telefonanrufe, Besuche, Umarmungen, Mut machender E-Mails. Auch ich versuchte, Zuversicht auszustrahlen.

Und nun waren wir wieder in der Klinik. Es galt, das Stadium der Krankheit zu bestimmen. Der Professor kam gleich zur Sache. »Stadium IV«, sagte er sachlich. »Tut mir leid.«

»Was heißt ...?« Weiter kam ich nicht. Andrea presste meine Hand zusammen, um mir zu bedeuten: Bitte nicht schon wieder eine »dumme« Frage. Auch ohne weitere Erläuterungen konnte ich ihrem Gesicht entnehmen, dass die Neuigkeiten katastrophal waren.

Der Professor führte ungefragt aus: »Wir können keinen konkreten Herd, keinen soliden Tumor feststellen. Da die Krebszellen aber im Wasser in der Pleura gefunden wurden, heißt das, sie haben gestreut. Praktisch von Anfang an. Das bedeutet Stadium IV

»Und ...?«, brachte ich heraus, bevor mir ihre Hand fast die Finger zerquetschte.

»Was schlagen Sie vor?« Andrea klang gefasst, aber ich sah ihr an, wie verzweifelt sie war.

»Wir punktieren jetzt noch einmal die Lunge und ziehen etwas Flüssigkeit ab, damit Sie freier atmen können. Und nächste Woche treffen Sie sich dann mit unserem Onkologen.«

Später kam er aus dem Untersuchungszimmer, vor dem ich gewartet hatte und in dem die Punktion durchgeführt worden war. »Sie können jetzt zu Ihrer Frau.«

Allein mit ihm, nutzte ich dann doch die Gelegenheit, eine meiner »dummen« Fragen zu stellen. »Sie haben eben gemeint, Sie könnten nur palliativ arbeiten. Wenn ich das richtig verstehe, heißt das ...«

»Ja«, unterbrach er mich, »wir können in so einem Fall nur lebensverlängernd arbeiten. Eine Heilung gibt es nicht.« Er gab mir die Hand. »Schönes Wochenende.« Und ging den Krankenhausgang hinunter. Sprachlos schaute ich ihm nach.

Im Behandlungszimmer lag Andrea reglos zusammengekrümmt auf der Liege. Die weiße Papierauflage unter ihrem Kopf war völlig nass geweint. Von nebenan klangen die fröhlichen Stimmen der Krankenpfleger herüber. Pläne fürs Wochenende wurden ausgetauscht.

»Hat es wehgetan?«, fragte ich. Sie schüttelte den Kopf. Meine großartige Frau, die keine Mühe hatte, vor dreihundert Leuten ohne Skript einen Fachvortrag zu halten, die sich vor Hilfe suchenden Menschen nicht retten konnte und als Heilpraktikerin vielen tatsächlich geholfen hatte, meine Frau, deren Mut und unkonventionelle Denkweise ich bewunderte, die immer wusste, wo es langging, diese Frau, die ich liebte, war plötzlich nur noch ein Häufchen Elend.

»Komm, ich fahr dich heim.« Etwas ungeschickt half ich ihr auf. »Da vorne geht’s raus.«

Startklar. Bei bestem Wetter fahre ich aus meiner Heimatstadt Würzburg heraus und nehme zügig die ersten Landstraßenkilometer unter die Räder. Nach einer Stunde strampele ich mich langsam in einen Groove. Die ersten Steigungen, die mich aus dem Maintal hinausführen, sind schnell überwunden. Noch habe ich keine...

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