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Trauma und Bindung. Frühkindliche Traumatisierung und ihre Einflüsse auf die Bindungsfähigkeit

Anforderungen an die Soziale Arbeit

AutorSandra Andrea Hoffmann
VerlagExamicus Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl102 Seiten
ISBN9783869436517
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2008 im Fachbereich Soziale Arbeit / Sozialarbeit, Note: 1.3, Universität Kassel, Sprache: Deutsch, Abstract: 'Am Anfang (aller Gewalt) war Erziehung' (Miller zit. nach Büttner 2000, S.206). Seit etwa zehn Jahren richtet sich das Interesse der Forschungen der Psychotraumatologie zunehmend auf die Theoreme der Bindungstheorie, die 1969 durch den britischen Arzt und Psychoanalytiker John Bowlby begründet wurde. Dieser hatte bereits zum damaligen Zeitpunkt erkannt, dass sich traumatische Erfahrungen in der Kindheit auf die Bindungsfähigkeit auswirken und psychopathologisch manifestieren können. Durch Studien der Entwicklungspsychopathologie konnte dies mittlerweile belegt werden. So kann die Basis einer sicheren Bindung einen Schutzfaktor hinsichtlich etwaiger Traumatisierungen und der Folge psychischer Erkrankungen darstellen, während eine unsichere Bindungsentwicklung den entsprechenden Risikofaktor erhöht. Auch im Bereich der klinischen Bindungsforschung und des Settings in Psychotherapien findet zunehmend eine Übertragung dieser Erkenntnisse statt, indem der Zusammenhang zwischen frühen traumatischen Erfahrungen und einer daraus möglicherweise resultierenden Symptomatik von Bindungsstörungen in den Mittelpunkt vieler Überlegungen und Konzepte rückt, sodass sich beide Forschungsgebiete nunmehr in ihren Arbeiten und Auseinandersetzungen häufig ergänzen und ineinandergreifen. In der vorliegenden Arbeit wird daher der Frage nachgegangen, wie frühkindliche Traumatisierungen sich auf das Bindungsverhalten auswirken bzw. wie sich dementsprechende Störungen der Bindungsfähigkeit in Denken und Handeln auch erwachsener Menschen ausdrücken und manifestieren können. Weiterhin soll geklärt werden, inwieweit die dargelegte Thematik Relevanz für die Soziale Arbeit aufweist und wie diesbezügliche Antworten darauf aussehen können. ...

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Leseprobe

2. TRAUMA - VERLETZUNG DER SEELE


 

„Psychisches Trauma ist das Leid der Ohnmächtigen. Das Trauma entsteht in dem Augenblick, wo das Opfer von einer überwältigenden Macht hilflos gemacht wird“

 

(Herman 1993, S.53).

 

Der Begriff des Traumas ist aus dem Griechischen abgeleitet und bedeutet „Wunde“, „seelische Erschütterung“.

 

Wie bereits durch Herman (1993) dargestellt, handelt es sich um ein einschneidendes und tiefgreifendes Erlebnis. An dieser Stelle wird folgenden Fragen nachgegangen: Was versteht man unter einem Trauma, wie wird „Trauma“ definiert? Was geschieht während und nach der Traumatisierung? Welche Symptome zeigen sich bei Betroffenen und wie sehen diesbezügliche Auswirkungen aus? Unter welchen Bedingungen sind traumatische Ereignisse besonders gut bzw. schlecht zu verarbeiten?

 

Zunächst erfolgt ein kurzer Überblick zur Geschichte des Traumas und der Entstehung der Psychotraumatologie. Des weiteren werden die Begrifflichkeit „Trauma“ und damit einhergehende Phänomene der Reaktion Betroffener vorgestellt und erläutert. Hiernach werden die nachwirkenden und sich chronifizierenden Elemente des Traumas in Zusammenhang mit der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) sowie die Notwendigkeit bestimmter Verhaltensmuster, die das weitere Leben traumatisierter Menschen bestimmen und betreffen, aufgezeigt.

 

Abschließend werden unterschiedliche Faktoren, die das Ausmaß der Vulnerabilität eines Traumas beeinflussen, beschrieben und dargestellt.

 

2.1 ZUR GESCHICHTE DER PSYCHOTRAUMATOLOGIE


 

Seit dem Altertum gibt es vereinzelte Darstellungen des Phänomens „Trauma“, dies vor allem im Hinblick auf die Auswirkungen nach Kriegsgeschehnissen oder auch des Verhaltens von Menschen nach schweren Naturkatastrophen (vgl. Huber 2003a, S.25).

 

Ende des 19. Jahrhunderts rückte das Phänomen der Hysterie mehr und mehr in den Blickpunkt der Forschung der Psychiatrie. Bis dahin galt diese als Erkrankung, die vornehmlich Frauen betraf und deren Ursprung in der Gebärmutter vermutet wurde (abgeleitet vom griech. Wort „hystera“, verwandt mit dem lat. Begriff „uterus“). 1859 stellte der französische Psychiater Pierre Briquet eine Verbindung zwischen den Symptomen der Hysterie und Traumatisierungen in der Kindheit her. Etwa zwanzig Jahre später wurde die schwerwiegende Problematik des sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a. durch den Forensiker Ambroise Tardieu dokumentiert und festgehalten (vgl. van der Kolk et al. 2000, S.73).

 

Um 1850/1860 entwickelte sich in der Pariser Salpêtrière durch die Erkenntnisse des Neurologen und Psychiaters Jean-Martin Charcot die Psychogenese und setzte damit ein zentrales Gegengewicht zur Somatogenese. Nachdem sich herausgestellt hatte, dass eine Verbindung zwischen körperlichen Erkrankungen und einer seelischen Symptomatik besteht, wurde diese Feststellung durch die Untersuchungen Charcots um einen entscheidenden Schritt erweitert. Dieser ging davon aus, dass die Symptombildung der Hysterie durch Traumatisierung entstanden sei und so ihren Ausdruck finde. Einer seiner Schüler, Pierre Janet, führte seine Überlegungen weiter und prägte den Begriff des Unterbewusstseins. Er vertrat die These, dass eine angemessene Integration und Verarbeitung von Erinnerungen unabdingbar sei, um Situationen und Herausforderungen adäquat bewältigen und regulieren zu können (a.a.O., S.76f.). Sei dies nicht gegeben, seien Menschen „unfähig, die traumatischen Erinnerungen zu integrieren, scheinen sie auch die Fähigkeit verloren zu haben, neue Erfahrungen zu assimilieren“ (Janet zit. nach a.a.O., S.77), was dazu führe, dass die traumatische Erinnerung vom Bewusstsein abgespalten, also dissoziiert werden müsse und sich in Form „von Schreckensvorstellungen, zwanghaften Präokkupationen“ (zwanghaftes Grübeln) „und somatischen Wiederholungserfahrungen wie z.B. Angstreaktionen“ (Janet zit. nach a.a.O., S.76) zeige.

 

Ein weiterer Schüler Charcots war Sigmund Freud. Dieser schloss sich in Zusammenarbeit mit dem Arzt und Physiologen Josef Breuer den Überlegungen Janets an. Freud war zunächst fest davon überzeugt, dass die Ursache der Hysterie in den Folgen sexuellen Missbrauchs in der Kindheit zu finden sei. 1896 verwarf er diese Theorie jedoch zugunsten seiner Vorstellung der „Abwehrhysterie“, die davon ausgeht, dass es nicht Erinnerungen an tatsächlich stattgefundene traumatische Ereignisse sind, die bei der Hysterie zum Ausdruck kommen, sondern vielmehr unbewusste Wünsche und Bedürfnisse des Kindes (a.a.O., S.77f.). Spätestens nach Freuds Ausführungen zum „Ödipuskomplex“ schien es keine andere Wahl mehr zu geben: „Der Psychiatrie als Disziplin folgte Freud in seinen Explorationen der Funktionsweise der normalen menschlichen Psyche: Das real existierende Trauma wurde zu Gunsten der Phantasie ignoriert“ (a.a.O., S.79).

 

Parallel dazu wurde durch den deutschen Neurologen Hermann Oppenheim als Vertreter der Somatogenese der Begriff der „traumatischen Neurose“ gebildet, die er als Reaktion auf einschneidende Kriegserlebnisse aber auch in Bezug auf Verkehrs- und Arbeitsunfälle prägte. Oppenheim sah den Körper als Ursprung seelisch auftretender Symptomatik, deren Quelle das zentrale Nervensystem sei (a.a.O., S.72).

 

Beide Richtungen - Psychogenese und Somatogenese - hatten ihre Gegner: Simulation und Suggestibilität wurden zum Ausgangspunkt der Betrachtungsweise der Hysterie. Als 1905 die Leitung der Salpêtrière durch Joseph Babinski übernommen wurde, gerieten Charcots Errungenschaften zunehmend in Vergessenheit. Es ging nunmehr um die Überzeugung, die Betroffenen seien „nicht Willens“ („Willenskrankheit“, Fischer-Homberger 1975) und auf eine Täuschung aus, dies vor allem im Hinblick auf die Einführung und Innanspruchnahme der Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung. Besonders schwerwiegend wirkte sich diese Debatte aus, als sie zum Mittel politischer Überlegungen nach dem 1.Weltkrieg wurde, um der Fülle von Entschädigungszahlungen an schwer traumatisierte Soldaten („Kriegszitterer“) nicht nachkommen zu müssen (a.a.O., S.73ff.).

 

1941 entstand unter Abram Kardiner, einem Schüler Freuds, der Begriff der Physioneurose, eine zugleich physisch als auch psychisch geprägte Beeinträchtigung nach Traumatisierung. Einige Jahre später gerieten Untersuchungen an Überlebenden des 2.Weltkrieges, des Vietnamkrieges und Hiroshima in den Fokus der Traumaforschung, die die Ergebnisse, die bereits durch Charcot und Janet beschrieben worden waren, untermauerten und langfristig etablierten (a.a.O., S.81ff.).

 

1980 wurde durch die Psychologin und Feministin Judith Herman sowie durch die Einflüsse der Frauenbewegung die Bezeichnung der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) entwickelt. Zunehmend wurden Diskussionen laut, in denen es nun auch um Gewalt an Frauen und Kindern im interfamiliären Kontext ging (vgl. Huber 2003a, S.30).

 

2.2 TRAUMA - DEFINITION UND KLASSIFIKATION


 

Der ICD-10 (Manual der WHO [World Health Organization] 1994) definiert Traumata als „kurz- oder langanhaltende Ereignisse oder Geschehen von außergewöhnlicher Bedrohung mit katastrophalem Ausmaß, die nahezu bei jedem tiefgreifende Verzweiflung auslösen“ (zit. nach Maercker 2003, S.4).

 

Nach dem DSM-IV (Manual der APA [American Psychiatric Association] 1994) manifestiert sich ein Trauma durch „potentielle oder reale Todesbedrohungen, ernsthafte Verletzung oder eine Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit bei sich oder bei anderen, auf die mit intensiver Furcht, Hilflosigkeit oder Schrecken reagiert wird“ (ebd.).

 

Einer 1997 nach den Kriterien des DSM-IV in den USA durchgeführten Studie zufolge haben 74 Prozent der Frauen und 81 Prozent der Männer ein traumatisches Ereignis in ihrem Leben zu verzeichnen (vgl. Ehlers 1999, S.7).

 

Maercker charakterisiert zwei unterschiedliche Ursachen von Traumata: Zum einen anhand der Dauer „kurz- vs. langfristige Traumen“ und zum anderen hinsichtlich des Auslösers „menschlich verursachte vs. zufällige Traumen“. Traumatische Geschehnisse, die einmalig und plötzlich stattfinden, werden als Typ-I-Traumata (Monotraumata) bezeichnet; hierzu zählen sowohl Gewalterfahrungen des öffentlichen Raums wie Körperverletzung, Geiselnahme oder Vergewaltigung („man made disasters“) als auch Autounfälle oder das Überleben einer Naturkatastrophe. In Abgrenzung dazu werden über einen längeren Zeitraum andauernde und sich wiederholende Traumata als Polytraumata (Typ-II-Traumata) bezeichnet. Folter, Gewalt in der Familie, sexualisierte Gewalt, Kriege („man made disasters“) und auch Erkrankungen wie AIDS und Krebs gehören zu dieser Kategorie (vgl. Maercker 2003, S.5).

 

Ob ein Erlebnis als traumatisch empfunden wird, hängt u.a. von der subjektiven Wahrnehmung der betroffenen Person ab. So kann beispielsweise ein Unfall für den einen eine durchaus traumatische Situation sein, für einen anderen handelt es sich dabei lediglich um ein belastendes Ereignis (vgl. Huber 2003a, S.37f.). Wo liegt demnach der Unterschied?

 

Nach Huber handelt es sich beim Ursprung eines Traumas um real stattfindende Ereignisse, die von außen auf die Psyche eines Menschen einwirken und mit extremem...

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