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E-Book

Zwischen Traum(a) und Realität. Möglichkeiten und Herausforderungen der Sozialen Arbeit mit traumatisierten Flüchtlingen

AutorMartin Mensch
VerlagStudylab
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl89 Seiten
ISBN9783668413696
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Nach verschiedenen Studien leiden 40 bis 50 Prozent aller Geflüchteten in Deutschland an einer Posttraumatischen Belastungsstörung (kurz: PTBS). Für viele Menschen in Deutschland ist schwer vorstellbar, wie es auf der Seele und dem Körper lastet, mitzuerleben, wie sich das eigene Land gegen einen stellt, wie Freunde, Familienangehörige und andere Menschen misshandelt, getötet oder zum Töten gezwungen werden. Wie es ist zu hungern, sein Zuhause zu Grunde gerichtet zu sehen, verfolgt zu werden und vor alledem zu fliehen, um schließlich mit einer anderen Kultur, einer anderen Sprache und anderen Werten konfrontiert zu werden. SozialarbeiterInnen versuchen traumatisierte Menschen in dieser Situation zu stabilisieren, indem eine innere und äußere Sicherheit aufgebaut wird. In diesem Buch soll daher die Frage beantwortet werden, ob und wie die Soziale Arbeit im Beratungskontext traumatisierte Flüchtlinge stabilisieren kann. Der Autor legt das Ausmaß der aktuellen Situation mithilfe von offiziellen Statistiken dar, erläutert die Lebensbedingungen von Flüchtlingen unter verschiedenen Gesichtspunkten und zeigt konkrete und praxisnahe Problematiken in der direkten Beratungsarbeit mit traumatisierten Flüchtlingen auf. Dabei wird auch die Frage diskutiert, inwieweit durch das deutsche Flüchtlingsrecht etwaige Traumaprozesse aufrechterhalten oder begünstigt werden. Aus dieser Betrachtung können sich konkrete Aufgaben der Beratung ableiten. Aus dem Inhalt: - Flüchtlinge; - Trauma; - Stabilisierung; - Sozialarbeit; - Beratung; - Posttraumatische Belastungsstörung

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Leseprobe

1 Flüchtlinge und Flüchtlingsschutz


 

1.1 Begriffsdefinition und -geschichte


 

Flucht ist zuallererst eine Form von Zwangsmigration, die sich, anders als bei der freiwilligen Migration, durch eine genötigte Aufgabe des derzeitigen Lebensmittelpunktes auszeichnet[2]. Vor dem Hintergrund der Flüchtlingsbewegungen während und nach dem zweiten Weltkrieg (rund 30 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene in Europa), wurden verschiedene internationale Abkommen getroffen und auf nationaler Ebene Gesetze erlassen, die Schutz auf Asyl gewährleisten[3].

 

Ohne den Begriff des Flüchtlings zu nutzen, wurde 1948 durch die Verabschiedung der Allgemeine Erklärung der Menschenrechte jedem verfolgten Menschen Recht auf Asyl zugesprochen: „Jeder hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen“[4]. Zudem gewährleistet der §16a Abs. 1 des Grundgesetzes (kurz: GG) politisch Verfolgten seit 1949 einen erstmals einklagbaren Rechtsanspruch auf Asyl in der Bundesrepublik Deutschland[5]. Die Genfer-Flüchtings-Konvention (kurz: GFK) definierte erstmals völkerrechtlich verbindlich Flüchtlinge als Menschen, die ihr Herkunftsland „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung“[6] verlassen mussten und Schutz in anderen Ländern suchen. Die GFK wurde im Juli 1951 von Delegierten der Vereinten Nationen verabschiedet und galt vorerst nur für europäische Opfer von Verfolgung vor 1951[7]. Erst 1967 wurden diese zeitlichen und räumlichen Beschränkungen durch das New Yorker Protokoll aufgehoben[8]. Laut dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (kurz: BAMF) sind der GFK bis heute 148 Staaten beigetreten (darunter Deutschland) und konnte seit der Verabschiedung zum Schutz von über 50 Millionen Menschen mitwirken, welches die GFK und das dazugehörige Protokoll zu „zentrale[n] Instrumente[n] für den internationalen Flüchtlingsschutz“[9] werden ließ[10]. Die Definition der GFK findet ihren Niederschlag auch im aktuellen deutschen Asylgesetz (kurz: AsylG), nach welchem einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft im Sinne der GFK zugesprochen werden kann[11]. Ein individueller Schutzanspruch leitet sich aus dem sogenannten Non-Refoulment-Gebot ab, nach dem ein Geflüchteter von keinem der vertragschließenden Staaten in einen Staat ausgewiesen oder zurückgewiesen werden darf, in dem sein Leben oder seine Freiheit aufgrund der oben genannten Merkmale bedroht ist[12]. Dieses Gebot schützt Geflüchtete nicht erst beim Erreichen der Zielländer, sondern auch vor einer Zurückweisung an der Grenze[13].

 

In der (Rechts-) Literatur wird zwischen Asylsuchende, Asylberechtigte, anerkannte Flüchtlinge, geduldete Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigten unterschieden. Da für die Beratung mit traumatisierten Flüchtlingen eine Unterscheidung (meist) nicht notwendig bzw. förderlich ist, wird in der vorliegenden Arbeit weitestgehend auf eine Differenzierung verzichtet und unter den Begriff des ''Flüchtlings'' bzw. ''Geflüchteten'' subsumiert, wenngleich verstärkt auf die besonderen Lebensbedingungen der Asylsuchenden eingegangen wird.

 

1.2 Aktuelle Entwicklung in Deutschland


 

Weltweit hat die Anzahl an Flüchtlingen stark zugenommen, das zeigen uns nicht nur die Medien jeden Tag, sondern auch die offiziellen Zahlen: Nach einer Schätzung der Vereinten Nationen waren im Jahr 2013 weltweit 51,2 Mio. Menschen auf der Flucht. Im Jahr 2015 waren es schon über 60 Mio. Menschen, wobei als neuer Prozess benannt werden kann, dass auch Europa und demnach auch Deutschland als Zielland erreicht werden[14].

 

Laut dem BAMF sind von 1995 bis 2015 rund 3,7 Mio. Asylanträge in Deutschland gestellt worden[15], davon rund 442.000 Asylerstanträge alleine im Jahr 2015[16]. Dieser Wert wurde bereits bis August des Jahres 2016 mit rund 565.000 Asylerstanträgen überschritten. Als Hauptursache wird hierfür der 2011 ausgebrochene Krieg in Syrien ausgemacht, aber auch 15 weitere neue Konflikte weltweit in den letzten fünf Jahren[17]. Die am stärksten vertretenen Herkunftsländer im (bisherigen) Berichtsjahr 2016 sind Syrien (rund 225.000 Erstanträge), Afghanistan (rund 100.000 Erstanträge) und Irak (rund 78.000 Erstanträgen)[18]. Es wurden insgesamt rund 393.000 Entscheidungen über Asylanträge getroffen, wovon 65,6 % positiv ausfielen[19].

 

Die Mehrheit der Asylerstanträge 2015 wurde zu rund 69% von Männern gestellt, welche, abgesehen von der Altersgruppe der „65-jährigen und älteren Asylbewerber“, in allen Altersgruppen deutlich überwiegen. Rund 71% der Asylbewerber waren 2015 jünger als 30 Jahre und rund 31% davon jünger als 18 Jahre[20].

 

1.3 Rechtliche Rahmenbedingungen von Flüchtlingen


 

1.3.1 Asylverfahren


 

Schafft es ein Flüchtling bis zur Grenze Deutschlands, kann er sich dort oder auch im Inland bei einer staatlichen Stelle als Asyl-suchend melden (z.B. bei der Grenzbehörde, Ausländerbehörde oder der Polizei). Nachdem der Flüchtling registriert wurde, erhält er einen Ankunftsnachweis. Der Ankunftsnachweis ist das erste offizielle Dokument, welcher den Aufenthalt in Deutschland berechtigt, samt staatlicher Leistungen wie Unterbringung, medizinischer Grundversorgung und Verpflegung[21]. Das Asylverfahren kann sich aufgrund verschiedener rechtlicher Regelungen, wie zum Beispiel dem Dublin-Abkommen verkomplizieren und bis zu einem Jahr verlängern[22].

 

Der wichtigste Termin während des Asylverfahrens ist die persönliche Anhörung. In der Anhörung soll ein Flüchtling seinen Lebenslauf, seine damaligen Lebensumstände, die individuellen Fluchtgründe und die Fluchtroute darlegen sowie eine Einschätzung der Lebensumstände bei einer Rückkehr in das Herkunftsland von sich geben[23]. Dies wird erfragt, da anders wie im Art. 16a Abs. 1 GG der §3 AsylG nicht von einer sog. Vorverfolgung ausgeht, sondern eine Asylgewährung nur bei einer Verfolgung gewährt wird, die auch bei einer sofortigen Rückkehr weiter stattfinden würde[24].

 

Ziel der Anhörung ist es, neben dem Erfahren des persönlichen Verfolgungsgrundes, Widersprüche zu erkennen bzw. diese aufzuklären. Auf Grundlage der persönlichen Anhörung kommt es zu einer Entscheidung im Asylverfahren[25]. Laut der Beantwortung einer kleinen Anfrage der Partei DIE LINKE an die Bundesregierung dauerte das Asylverfahren im zweiten Quartal 2016 durchschnittlich 7,3 Monate. Dabei ist die Länge der Bearbeitung bis zu einer behördlichen Entscheidung zwischen den unterschiedlichen Herkunftsländern sehr schwankend, so dauerte die Bearbeitung beispielsweise bei Geflüchteten aus Syrien durchschnittlich 3,4 Monaten während diejenigen aus Afghanistan durchschnittlich 12,7 Monate und Geflüchtete aus Somalia durchschnittlich 21,9 Monate bis zu einer behördlichen Entscheidung warten müssen[26].

 

1.3.2 Unterbringung


 

Flüchtlinge werden nach der Ankunftsregistrierung in der nächstgelegenen (Erst‑)Aufnahmeeinrichtung im jeweiligen Bundesland aufgenommen. Die Zuweisung in eine bestimmte Aufnahmeeinrichtung, in welcher die Flüchtlinge nach §47 AsylG bis zu sechs Monaten verweilen, richtet sich nach der sogenannten Herkunftsländerzuständigkeit[27] und nach den jeweiligen Kapazitäten[28]. Diese werden durch das Quotensystem EASY (Erstverteilung von Asylbegehrenden) erfasst: Gerichtet nach dem sogenannten ''Königsteiner Schlüssel'' findet eine Verteilung der Flüchtlinge in die verschiedenen Bundesländer durch eine jährlich von der Bund-Länder-Kommission ermittelten Quote statt. Nach dieser wird bestimmt, wie hoch der Anteil der aufzunehmenden Flüchtlinge für die einzelnen Bundesländer ist[29]. Hierbei haben Flüchtlinge kein Recht auf Mitsprache bei der Verteilung, selbst wenn diese Familie und Freunde in Deutschland haben, die den Flüchtlingen Starthilfe geben und zu einer gelingenderen Integration verhelfen könnten[30]. Nach dem BAMF kann eine Familienzusammenführung aber als Grund gelten, um später einer anderen Unterkunft zugewiesen zu werden[31]. Die Flüchtlinge erhalten in den zuständigen Aufnahmeeinrichtungen existenzsichernde Sachleistungen (z.B. Kleidung, Unterkunft) und einen monatlichen Geldbetrag für persönliche Bedürfnisse im Alltag. Diese Asylbewerberleistungen werden gesetzlich im Asylbewerberleistungsgesetz (kurz:AsylbLG) festgelegt und auch bei Anschlusseinrichtungen wie Gemeinschaftsunterkünften oder einer Wohnung...

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