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Trotzki

Das Janusgesicht der Revolution

AutorDimitri Wolkogonow
VerlagEdition Berolina
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl550 Seiten
ISBN9783958415522
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Der Terror begann nicht mit Stalin. Leo Trotzki, der 'Sänger der Revolution', hat zugleich die Grundlagen der Diktatur gelegt, die sein siegreicher Rivale um die Macht perfektionierte. Diese große Biographie entzaubert den Mythos Trotzki - und eine Idee, die unser Jahrhundert beherrschte.

Dimitri Wolkogonow (1928-1995) war Professor für Philosophie, Historiker und sowjetischer Generaloberst. Seit 1950 Mitglied der KPdSU, lehrte er ab 1970 Philosophie an der Militärakademie 'Lenin'. Danach arbeitet er in der Politischen Hauptverwaltung der sowjetischen Streitkräfte und war Leiter des Instituts für Militärgeschichte des Verteidigungsministeriums der UdSSR. Als solcher hatte er die Möglichkeit, die Geheimarchive der Partei zu studieren.

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Leseprobe

Am Vorabend des neuen Jahrhunderts

»Die Revolution bestätigte noch einmal

die Bitternis des russischen Schicksals.«

N. Berdjajew

Die wichtigsten Führer der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution wurden während der Regierungszeit Alexanders II. geboren. Bereits damals begannen die noch kaum spürbaren Konvulsionen der Selbstherrschaft. Ein charakteristisches Symptom war die Ermordung des Zaren durch Mitglieder der revolutionären Gruppe im Jahre 1881. Das russische Imperium war in seiner Entwicklung weit hinter den europäischen Staaten zurückgeblieben, was die zahlreichen Widersprüche innerhalb des riesigen Landes nur noch verschärfte. Früher als alle anderen wandte sich die nicht sehr große, aber geistig wache Schicht der Intelligenz von der Monarchie ab. Die rückständigen Bauern hegten immer noch die Hoffnung auf einen »guten Zaren« – eine jahrhundertealte russische Illusion1.

I. M. Wasilewski, der Autor des 1929 erschienenen Buches über den letzten russischen Selbstherrscher, schrieb: »Das Volk war schon immer unterdrückt. Das Land wurde schon immer regiert. Die Beamten stahlen, die despotischen Verwalter wüteten nach Gutdünken.« (Wasilewski, Nikolaj II., S. 2.)

Der Vorabend des 20. Jahrhunderts war für das russische Imperium von Verworrenheit und Unbeständigkeit geprägt. Der Glanz früherer Zeiten verblasste, der Adel geriet in eine tiefe Krise. In der Arbeiterklasse wuchs die revolutionäre Unzufriedenheit, selbst unter den Bauern, die von der Ausweglosigkeit ihres Schicksals niedergedrückt wurden, regte sich etwas. Der führende Teil der russischen Intelligenz vertrat ein Freidenkertum mit aufrührerischem Geist. Die Intelligenz bemühte sich, im Namen der Unterdrückten zu sprechen, einmal rief sie zu Reformen auf, dann wieder predigte sie äußersten Radikalismus, oft sogar bis hin zum individuellen Terror. Die Kirche, die Polizei und die Zensur versuchten mit allen Mitteln, den Thron zu stützen. Weitsichtige Menschen spürten jedoch bereits zu jener Zeit die kaum wahrnehmbaren unterirdischen »Stöße« und ahnten, dass die Zeit der großen Veränderungen und Erschütterungen gekommen war. So wie es im Februar kaum merklich nach Frühling riecht, so konnte man in Russland vor der Jahrhundertwende eine Atmosphäre erleben, die der Zeit vor dem Gewitter gleicht.

Wer konnte damals ahnen, dass nach Lenin, Plechanow, Martow ein junger revolutionärer Nachschub folgen würde, der eine besondere Rolle in allen Akten des russischen Revolutionsdramas spielen würde? Zwanzig Jahre waren beide, als das 20. Jahrhundert begann; Nur zwei Monate trennten Lew Bronstein und Josef Dshugaschwili, der später den Namen Stalin annehmen sollte.

Wenden wir uns nun den Wurzeln des Mannes zu, den Lenin im Jahre 1923 einen »herausragenden Führer« nennen sollte.

Die Familie der Bronsteins

Die Bewegungsfreiheit der Juden in Russland war in bedeutendem Maße durch den »Ansiedlungsrayon« eingeschränkt. Nach Gutdünken weiteten Alexander I. und Nikolaj I. die Grenze dieses Rayons aus oder engten sie noch mehr ein. Einige jüdische Familien wollten sich nicht in armseligen »Städtchen« zusammenpferchen lassen und zogen so gen Süden, um dort »Neuland« zu bewirtschaften. Im 19. Jahrhundert förderte die Regierung die Besiedlung des fruchtbaren Landes an den nördlichen Ufern des Schwarzen Meeres. Neben russischen und ukrainischen Bauern, Griechen und Bulgaren gab es hier auch eine geringe Zahl von jüdischen Kolonisten. Dies war eher ungewöhnlich, da die Juden sich sehr selten mit landwirtschaftlicher Arbeit und Viehzucht beschäftigten.

Die Familie der Bronsteins stammte aus einem kleinen jüdischen Städtchen in der Nähe von Poltawa. Dawid Leontjewitsch Bronstein, Trotzkis Vater, der noch die Triumphe seines Sohnes erlebte und 1922 an Typhus starb, war ein zäher und tüchtiger Mann. Er hatte in der Nähe der kleinen Stadt Bubrinez, welche sich im Gouvernement Cherson befindet, ca. 100 Desjatinen (1 Desjatine = 1,09 Hektar) Land von einem Oberst a. D. namens Janowski gekauft und war durch harte Arbeit und große Sparsamkeit allmählich zu Wohlstand gelangt. Er pachtete, kaufte und verkaufte Land und wurde so zu einem Großgrundbesitzer. Während des Bürgerkriegs nach der Oktoberrevolution befand sich Dawid Bronstein in einer durchaus zwiespältigen Lage: Die »Weißen« sahen in ihm den Vater eines Revolutionsführers; die »Roten« betrachteten ihn als Großgrundbesitzer und Ausbeuter. Es sind einige Telegramme aus jener Zeit erhalten geblieben, aus denen klar hervorgeht, dass die Verwandten Trotzkis weder von den Weißen noch von den Roten verschont worden sind. Nachdem die Roten seinem Vater seinen Besitz genommen hatten, schickte dieser dem Sohn folgendes Telegramm:

»Moskau. An den Vorsitzenden des Revolutionären Kriegsrats Trotzki zum Aufenthaltsort. Auf Weisung Denikins sind Onkel Grigori, seine Frau, sein Cousin Lew Abramowitsch Bronstein verhaftet worden und als Geisel nach Noworossijsk gebracht worden. Ihre Lage ist sehr schwierig. Bitte, alles Mögliche zu tun, um ihre Befreiung zu erwirken, und über das, was in Odessa unternommen wird, Mitteilung zu machen. Erbitte Antwort über Sturm 14 Bronstein.« (Zentrales Armeearchiv.)

Nachdem sein Vater sein Vermögen verloren hatte, verhalf Trotzki ihm zu einer Stellung als Verwalter in einer Mühle bei Moskau, die zum Wohle des Volks beschlagnahmt worden war. Bis zu seinem Tod sah Bronstein mit begeisterter Bewunderung zu seinem Sohn auf. Der Analphabet lernte gegen Ende seines Lebens sogar ein wenig Lesen, um die Überschriften der Bücher, Broschüren und Artikel seines jüngsten Sohnes entziffern zu können.

Anna, die Mutter Trotzkis, war eine typische jüdische Kleinbürgerin aus der Umgebung von Odessa, wo sie eine nicht sehr umfangreiche Schulbildung erhalten hatte. Trotzkis Vater war ein schöner Mann, und so hatte sie sich entschlossen, den An­alphabeten Dawid Bronstein zu heiraten und Bäuerin zu werden, was für eine echte Städterin nicht einfach ist. Es ist ihr jedoch gelungen, einige fürs Dorf untypische Elemente geistiger Kultur in die Familie einzubringen. Anna Bronstein las gerne und ließ sich manchmal Bücher per Post schicken. Außerdem engagierte sie sich sehr für die Bildung ihrer Kinder.

Von den acht Kindern, die aus der Ehe hervorgingen, überlebten Trotzki, zwei Schwestern und ein Bruder.

Lew Bronstein wurde am 25. Oktober (7. November nach der neuen Zeitrechnung) 1879 geboren – 38 Jahre vor der großen Revolution.

In seiner kurzen Autobiographie, die 1919 veröffentlicht wird, schreibt Trotzki: »Ich wurde im Dorf Janowka, im Gouvernement Cherson, Kreis Jelisawetgrad, auf dem kleinen Besitz meines Vaters, eines Bauern, geboren.« (Zentrales Parteiarchiv.) Hier ist Trotzki ungenau: Seine Familie hatte bereits zu jener Zeit mehr als 100 Desjatinen und mehr als 200 Desjatinen Pachtland (und später viel mehr), die Familie besaß eine Dampfmühle und einiges Vieh. Auf dem Gut der Bronsteins arbeiteten Dutzende von Tagelöhnern.

Über seine frühen Jahre schreibt Trotzki außerordentlich knapp: »Meine Kindheit war nicht von Hunger und Kälte begleitet. Zurzeit meiner Geburt kannte die Familie meiner Eltern bereits den Wohlstand. Jedoch war es der hart errungene Wohlstand von Menschen, die sich aus der Not emporgearbeitet haben und nicht auf halbem Wege stehen bleiben wollten. Alle Muskeln waren angespannt, alle Gedanken kreisten um die Arbeit und um Sparsamkeit. In diesem Alltag blieb für die Kinder ein bescheidener Platz. Wir kannten zwar keine Not, doch kannten wir auch nicht die Großzügigkeit des Lebens, seine Liebkosungen. Meine Kindheit stellt für mich keine sonnige Lichtung dar wie bei einer kleinen Minderheit, aber auch keine finstere Hölle des Hungers, der Gewalt und der Verletzungen wie die Kindheit vieler, wie die Kindheit der Mehrheit. Es war eine graue Kindheit in einer kleinbürgerlichen Familie, im Dorf, in einer abgelegenen Ecke, wo die Natur wundervoll, doch die Neigungen, Sichtweisen, Interessen dürftig und begrenzt waren.« (Trotzki, Moja shisn I, S. 17.)

Ich denke, dass die Kinderjahre, die so bedeutend für die Entwicklung eines Menschen sind, sehr wohl ihren Stempel im Bewusstsein des kleinen Jungen hinterlassen haben. Vor allen Dingen war der jüngste Sohn Bronsteins von Kindheit an mit Menschen konfrontiert, die schwere körperliche Arbeit verrichteten.

Auf Wunsch des Vaters musste Trotzki die Geldsummen, die der Verkauf von Weizen einbrachte, auflisten, er musste die Pud (1 Pud = 16,38 kg) Getreide, die die Bauern zum Mahlen brachten, sowie die Tageslöhne der Landarbeiter eintragen. Bei dieser Aufgabe hatte der jüngste Bronstein durchaus Gelegenheit, sich mit den harten Realitäten des Lebens vertraut zu machen.

Die andere Seite der Kindheit war eng mit der Mutter verbunden, die unentwegt bemüht war, ihren Kindern den Wunsch nach Wissen nahe zu bringen. »Die langen Winter«, erinnerte sich Trotzki, »wenn der Steppenschnee Janowka von allen Seiten zuschüttete, sich Schneewehen auftürmten, die höher als die Fenster waren, dann las Mutter gerne vor … Sie machte häufig Fehler beim Lesen und blieb oft bei schwierigem Satzbau stecken. Manchmal...

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