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E-Book

Trumps Amerika

Reise in ein weißes Land

AutorMartin Klingst
VerlagReclam Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl158 Seiten
ISBN9783159614007
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Donald Trump ist seit 2017 das Staatsoberhaupt der Vereinigten Staaten. Aber wie kam es überhaupt dazu, dass seine Unterstützer, meist konservative Weiße aus den ländlichen Regionen, sich gegen die vermeintlich übermächtigen Anhänger der Demokraten durchsetzen konnten? Martin Klingst, langjähriger USA-Korrespondent der ZEIT, hat verschiedene Regionen bereist und sich genauer angeschaut, was die Amerikaner in ihrem Präsidenten sehen.In zahlreichen Gesprächen werden die sozialen und ideologischen Konflikte der USA anschaulich. Eine immer einflussreichere Gruppe stemmt sich dort gegen jegliche Veränderung, gegen herrschende Eliten und deren ?politische Korrektheit?. Martin Klingst nimmt seine Leser mit auf eine aufschlussreiche Expedition durch das ländliche Nordamerika.

Martin Klingst, geb. 1955, ist Politischer Korrespondent der Chefredaktion im Berliner ZEIT-Büro und war von 2007 bis 2014 Korrespondent dieser Zeitung in Washington. Zuletzt erschien bei Reclam sein Band 'Menschenrechte. 100 Seiten'.

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Leseprobe

Besuch bei Miguel Rodriguez und Mona Kilborn


Immer wenn der Name Donald Trump fällt, springt Miguel Rodriguez auf und läuft nervös im Wohnzimmer umher. Der Präsident macht ihm Angst. Schließlich lässt Trump an der Grenze zu Mexiko eine Mauer bauen. Auf seinen Befehl hin führt die Bundespolizei immer öfter Razzien in Amerikas Fabriken durch, um illegalen Einwanderern auf die Spur zu kommen. Trump drängt die Bundesstaaten, auf den Straßen verstärkt Personen zu kontrollieren, bei denen ein Verdacht auf unerlaubten Aufenthalt besteht. Wer sich nicht ausweisen kann, dem drohen Verhaftung und Deportation.

Die Mehrheit der Amerikaner findet das richtig. Trumps unnachgiebige Haltung in Sachen Einwanderung ist ein Grund, warum er zum Präsidenten gewählt wurde. Die meisten Umfragen sagen, es war sogar der wichtigste Grund.

Miguel fürchtet nun, dass die Stadt Marshalltown andere Saiten aufziehen könnte. Denn auch dort, wo er lebt, gibt es immer mehr Leute, die sagen, für Illegale sei kein Platz in Amerika. Zweimal haben die drei Millionen Einwohner von Iowa mehrheitlich für Barack Obama gestimmt – und auch die Leute aus Marshalltown wählten den ersten schwarzen Präsidenten. Doch am 8. November 2016 entschieden sich Iowa wie Marshalltown für Trump.

»Illegal, illegal, was heißt hier eigentlich illegal?«, schimpft der 30-jährige Miguel Rodriguez. Als er elf war, sein Vater war gerade gestorben, da stieg die Mutter mit ihm und seinen Geschwistern an einem warmen Sommertag 1999 in der mexikanischen Stadt Villachuato in einen Bus nach Norden.

Irgendwann in der Nacht nahm sie ein fremder Mann in Empfang und lief mit ihnen zehn Stunden lang bergauf und bergab. Bei Sonnenaufgang erreichten sie eine kleine Steinhütte, und der Mann sagte: »Das ist Amerika!« Die Mutter rief: »Kinder, ab jetzt wird alles besser!« In Phoenix, der Hauptstadt des US-Bundesstaates Arizona, erwartete sie ein Onkel und fuhr mit ihnen 2000 Kilometer weiter in den Nordosten der Vereinigten Staaten, in das von Korn- und Maisfeldern umsäumte Städtchen Marshalltown im Zentrum von Iowa.

Dort lebt Miguel nun seit 19 Jahren ohne Aufenthaltspapiere, aber unbehelligt, ebenso wie seine Lebenspartnerin Carmen und die vier Kinder. Er ging zur Schule und brach sie mit 17 Jahren ab, weil Carmen schwanger wurde. In einer großen Pizzeria verdingte er sich als Tellerwäscher und brachte es dank seines Talents erst zum Chefkoch, dann zum stellvertretenden Manager. Die Rodriguez bewohnen ein schmuckes weißes Holzhaus in einer adretten kleinen Straße. Vor dem kurzgestutzten Rasen stehen zwei blankpolierte Autos, ein schwarzer Pick-up-Truck und ein grauer Viertürer. Die zwei jüngsten Kinder besuchen die zweisprachige Grundschule.

Miguel lebt den Amerikanischen Traum. Es ist eine Geschichte wie aus dem Bilderbuch der Einwanderung, wäre da nicht dieser kleine Schönheitsfehler. Von Rechts wegen dürfte der Mexikaner nicht in Marshalltown, nicht in Iowa, nicht in den Vereinigten Staaten von Amerika sein. Und Arbeit hat er nur, weil er sich wie so viele Illegale auf dem Schwarzmarkt einen gefälschten Führerschein und eine Sozialversicherungsnummer kaufte – die Eintrittskarte ins Berufsleben!

»Aber was heißt hier illegal?«, sagt er. »Ich arbeite und zahle Steuern, unsere Kinder kamen in Marshalltown zur Welt und sind seit ihrer Geburt Amerikaner. Wir liegen keinem auf der Tasche – ist das nicht genug?«

 

Vier Kilometer von Miguel entfernt, an einer Schotterstraße am Rande von Marshalltown, sitzt Mona Kilborn in ihrem von Bäumen umsäumten Landhaus und sagt: »Das reicht nicht, illegal ist illegal! Wer in unserem Land unerlaubt lebt, hat hier nichts zu suchen. Der muss wieder weg.« Deshalb hat die 69-jährige Krankenschwester Donald Trump gewählt, »denn er hat versprochen, das Recht durchzusetzen und die Einwanderung stark zu begrenzen.«

Mona Kilborn kam in Iowa zur Welt und wuchs dort auf, ganz in der Nähe von Marshalltown. Mit ihrem Mann, der früher bei der Luftwaffe war, zog sie später mehrmals um. Doch 1975 waren die Kilborns das Vagabundenleben satt und wollten dort sesshaft werden, wo sie sich immer am wohlsten gefühlt hatten, im Mittleren Westen, in Iowa. Sie bauten sich in Marshalltown ein Haus, fanden gute Jobs und gründeten eine Familie. »Iowa, das war unser Amerika«, sagt Mona Kilborn.

Doch Marshalltown veränderte sich und wurde ihr immer fremder. Mitte der neunziger Jahre zogen die ersten Latinos in die Stadt, quasi über Nacht. Der Fleischwarenkonzern Swift hatte den örtlichen Schlachthof übernommen und brauchte dringend ein paar Hundert kräftige Männer. Amerikaner waren für diese harte Arbeit nicht zu gewinnen. Schlachten ist ein brutales Geschäft zu einem Hungerlohn. In den Hallen ist es abwechselnd brütend heiß und bitterkalt. Die Verletzungsgefahr ist groß, und es stinkt erbärmlich.

Also wurden Mexikaner angeworben. Einige zogen in die Hütten neben der Fabrik, andere in leerstehende Häuser in der Stadt. An den Wochenenden langweilten sie sich und tranken viel Alkohol. Es gab Ärger. 1996 bekam das FBI einen Hinweis aus der Bevölkerung, dass die Fleischfabrik illegale Einwanderer beschäftige. Die Bundespolizei rückte an, verhaftete Hunderte und deportierte sie in Bussen zurück nach Mexiko. Einige Bürger aus Marshalltown, auch Mona Kilborn, applaudierten.

Doch der Schlachthof brauchte dringend Arbeiter. Schnell kamen neue Mexikaner. Diesmal aber brachten sie Frauen und Kinder mit. Wieder gab es Reibereien, Nachbarn beschwerten sich über Lärm, Unkraut auf dem Rasen und Müll in den Garageneinfahrten. Auf Versammlungen flogen die Fetzen, weiße Eltern beklagten das sinkende Niveau im Englischunterricht und schulten ihre Kinder in Nachbargemeinden ein. Einige wütende Bürger zogen mit Fackeln durch Marshalltown. Swift aber baute den Schlachthof weiter aus, und andere Unternehmen suchten ebenfalls händeringend Arbeitskräfte. Weitere Latinos zogen nach, legal wie illegal.

Der damalige Bürgermeister Gene Beach, ein rundlicher Mann mit dem Temperament eines gemütlichen Ackergauls, sagte: »Ich weiß, wir würden uns Marshalltown lieber anders wünschen, aber wir können das Rad der Geschichte nicht zurückdrehen. Die Latinos werden bleiben, lasst uns das Beste daraus machen!« Und sie blieben tatsächlich.

Das größte Restaurant auf der kurzen Hauptstraße, ein Bekleidungsgeschäft, die Bäckerei um die Ecke, die Kneipen und Lebensmittelgeschäfte rund um das Bürgermeisteramt, die Autowerkstatt hinterm Gericht – sie alle sind fest in mexikanischer Hand. In Marshalltown lassen sich Amerikas dramatische demografische Veränderungen wie in einem Reagenzglas bestaunen.

Mona Kilborn sah das mit wachsendem Unbehagen und steigender Wut. Zudem stellte ein schwerer Unfall vor elf Jahren ihr Leben auf den Kopf und machte aus ihr eine hartbeinige Kämpferin gegen illegale Einwanderung. Am Dienstag, dem 10. Juli 2007, war sie nachmittags auf dem Weg zu Freunden. Ihr Mann steuerte den Minivan, Mona Kilborn saß auf dem Beifahrersitz, auf der Mittelbank hatten ihre Mutter und ihr Stiefvater Platz genommen, ganz hinten saß das 17-jährige Pflegekind. Die Kilborns fuhren auf einer Vorfahrtsstraße und passierten gerade eine Kreuzung, als plötzlich von links mit hoher Geschwindigkeit ein anderes Auto heranrauschte und mit voller Wucht auf die Fahrerseite des Minivans prallte.

Es gab einen gewaltigen Knall, der Minivan überschlug sich und blieb auf der anderen Straßenseite stehen. Für einen kurzen Moment verlor Mona Kilborn das Bewusstsein. Als sie aufwachte, waren ihre Mutter tot, ihr Mann und ihr Stiefvater schwerverletzt.

Die Unfallfahrerin, die unversehrt blieb, hatte zwei Stoppschilder übersehen. Sie war 23 Jahre alt, besaß einen gefälschten Führerschein – und war eine illegale Einwanderin aus Mexiko. Wie Mona Kilborn später erfuhr, war sie bereits vorbestraft, wegen Handels mit der Droge Crystal Meth und der Gefährdung des Kindeswohls. Sie war mit einem Mexikaner verheiratet, mit dem sie vier Kinder hatte. Ende 2007 wurde sie deportiert, kam aber bald illegal wieder, wurde abermals deportiert und kehrte erneut in die USA zurück.

Für Kilborn ist dieses Hin und Her die Folge viel zu laxer Gesetze und nachlässiger Grenzkontrollen. Denn für sie steht fest: Das größte Übel Amerikas sind die illegalen Einwanderer. Wären sie nicht im Land, so Kilborns Schlussfolgerung, wäre ihre Mutter noch am Leben, hätte ihr Mann nicht seinen Rücken gebrochen und wäre ihr Stiefvater nicht Witwer geworden.

Kilborn sagt: »Wir müssen uns schützen. Wir brauchen eine Mauer! Die Illegalen müssen Amerika verlassen.« Das forderte sie im Kongress, bei einer Anhörung zum Thema unerlaubte Einwanderung. Das sagte sie in Radio- und Fernsehinterviews, auch beim ultrarechten Sender Breitbart News. Das schrieb sie in Leserbriefen an die örtliche Zeitung Times-Republican. »Ohne die vielen Einwanderer aus Lateinamerika«, glaubt Kilborn, »wäre unser Land besser dran.«

Andere in Amerika machen eine andere Rechnung auf. Das renommierte Migration Policy Institute (MPI) in Washington weist in seinen Studien darauf hin, dass nicht nur die legalen Einwanderer eine bedeutende Wirtschaftskraft seien, sondern ebenso die etwa elf Millionen illegalen Immigranten, die als Kinderfrauen, Gärtner, Klempner, Anstreicher, Küchenpersonal arbeiten. Ganze Branchen leben von ihnen,...

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