Laut EU-Handelskommissar Karel de Gucht, der die Verhandlungen und ebenso jenes diesbezüglich in Bälde zu erwartende Endergebnis nur allzu gerne als fair und überaus transparent preist, ist das Freihandelsabkommen der entscheidende Weg zu mehr wirtschaftlichem Wachstum diesseits und jenseits des Atlantiks. Demnach würden dabei besonders KMU bessere Marktbedingungen erhalten. Vor dem Hintergrund, das vor allem in volkswirtschaftlicher Hinsicht bekannt ist, das mittelständische Unternehmen enorm wichtig für Innovationen und Neugründungen sind, wäre dies ein guter Grund für das TTIP. Mit dem Abkommen könnte eine führende Rolle in der Weltwirtschaft eingenommen werden, wodurch es möglich wird, neue Akzente und Standards sowie Regularien global zu etablieren, die jedem innerhalb der Handelszone zu gute kämen und synchron eine enorme Anzahl neuer Jobs generieren würden. Soviel zur Theorie. Viele europäische KMU haben sich im Laufe der Jahre als Anbieter von Waren und Dienstleistungen aller Art einen Namen auf den Weltmärkten gemacht. Durch Innovationen oder Kombinationsmöglichkeiten im Technikbereich oder anderen Facetten wirtschaftlicher Produktionsverfahren. Die Produkte werden weltweit verkauft, wobei stets andere Handelsabkommen gelten, die nicht außer Acht gelassen werden sollten. So werden Güter nach wie vor wenig bis gar nicht in die USA verkauft, weil dort andere technische oder sicherheitsrelevante Standards zu erfüllen sind. Beispielsweise benötigen Hersteller von Glühlampen in den USA eine UL-Zulassung[21], in Europa eine CI-Kennung. Für KMU sind viele Beschränkungen zudem meist recht problematisch oder kaum umsetzbar. Kein Wunder also, das sie strengere Regeln fordern, um sich gegen Konkurrenten aus dem Ausland durchzusetzen, welche in deutlich geringerer Qualität und somit preiswerter produzieren. Neue Regelungen sollten dabei nicht nur in Europa, sondern weltweit zum Standard werden, sonst wäre eine nach EU-Richtlinien produzierte Ware auf den globalen Märkten schlicht zu teuer und somit gegenüber der Konkurrenz eindeutig im Nachteil. Die Verhandlungen des Freihandelsabkommens implizieren daher die Gefahr, dass sich sowohl EU als auch USA auf eigene Standards versteifen könnten. Beide wollen zudem erreichen, dass dieser oder jener Sektor stärker geschützt oder durch die Verhandlungen eliminiert wird. Ein Abkommen kann bereits aus solchen, meist nur geringfügigen Gründen rasch scheitern.
Ein gutes Beispiel dafür ist die Doha-Runde.[22] Die Doha-Runde oder auch DDA besteht aus den Handels- und Wirtschaftsministern der WTO-Mitgliedsstaaten und verhandelt bereits seit 2001 über eine umfassende Reform des internationalen Handelssystems. Durch dieses sollen niedrigere Handelsbarrieren und überarbeitete Handelsregeln eingeführt werden, um die Handelschancen von Entwicklungsländern in zwanzig wichtigen Handelsbereichen zu verbessern.[23] Dazu zählen beispielsweise ATC und Standardisierungen. Die Verhandlungen konnten bislang wegen Forderungen der USA nicht abgeschlossen werden, da diese verbesserte Zugangsmöglichkeiten in landwirtschaftliche und industrielle Marktbereiche der Schwellenländer fordern. Diese haben sich jedoch bereits 2008 mit den USA über weitreichende Statuten geeinigt und wollen nun ihrerseits ohne weitere Zugeständnisse der Amerikaner keine weiteren Abstriche gelten lassen. Zu diesen Schwellenländern zählen ebenfalls China und Indien, welche sich ihrer globalen und wirtschaftlichen Bedeutung sehr wohl bewusst sind. Doch zurück zum TTIP. Beim transatlantischen Handel zwischen Amerikanern und der Europäischen Union existieren bereits umfangreiche Beziehungen. Waren im Wert von rund zwei Milliarden Euro pendeln täglich hin und her und über fünfzehn Millionen Arbeitsplätze hängen auf beiden Seiten des Atlantiks von diesem Handel ab. Jener Handel leistet einen immensen Beitrag zum Bruttosozialprodukt beider Staatengemeinschaften. In Europa wird beispielsweise ein Großteil dieser Waren im Hafen von Rotterdam verladen, der gleichzeitig das europäische Drehkreuz aller transatlantischen Handelsaktivitäten des Im- und Exports darstellt.[24] Die USA und Europa erwirtschaften annähernd fünfzig Prozent des weltweiten Bruttosozialprodukts mit Hilfe dieses Umschlagsplatzes und sorgen somit für rund ein Drittel des globalen Handelsvolumens. Die Zölle zwischen beiden Handelspartnern liegen meist unter drei Prozent, wobei allerdings noch weitere Handelshemmnisse existieren. Diese betreffen z. B. das Gesundheitswesen sowie Umwelt- oder Sicherheitsaspekte. Themen, bei denen beide bislang keinerlei Kompromisse einzugestehen bereit waren. Deshalb sind Handelsabkommen wichtig, da erst diese zu größeren Stückzahlen und geringeren Produktionskosten führen. Viele Handelsabkommen, die lediglich zwischen einzelnen Ländern abgeschlossen wurden, funktionieren nicht besonders gut, zumal global agierende Unternehmen stets Geschäftsbeziehungen zwischen mehreren Ländern bevorzugen.
Das Problem eines neuerlichen Abkommens zwischen zwei Staaten wäre zudem, das diesbezügliche Konstellationen bereits auf weit über vierhundert globalen Marktplätzen vorhanden sind. Daneben existieren zahlreiche regionale und bilaterale Übereinkünfte zwischen oder in Staaten, deren Märkte häufig neue Regelungen, Ausnahmen oder Sonderrechte erfahren, die allerdings je nach politischer Konstellation auch ebenso plötzlich wieder wegfallen können. Für KMU sind solche Handelsbeziehungen recht problematisch, insbesondere dann, wenn sie keine entsprechende rechtliche Beratung besitzen.[25] Vereinbarungen zwischen mehreren Ländern bzw. Staatengemeinschaften gelten jedoch für alle und sind somit leichter verständlich. Regelungen können daher bei wirtschaftlicher Zusammenarbeit oder Ansiedlungen von Produktionsstätten inländischer Unternehmen im Ausland und umgekehrt weitaus besser angeglichen werden. Die jeweils geltenden Bestimmungen und Rechte wären dann gleich. Das hat entscheidende Vorteile, allerdings dauert es meist auch lange Zeit, ehe dieses System der gemeinsamen Statuten und Regelungen tatsächlich überall funktioniert. Die sich für ein Freihandelsabkommen entschließenden Staaten müssen deshalb stets sehr kompromissbereit sein. Bei der Kulanz geht es meist um sehr sensible Bereiche und Themen, für die sich nur schwer Möglichkeiten für einen Konsens aushandeln lassen. Beim Punkt des Gesundheitsschutzes von Arbeitnehmern und Konsumenten sind Standardisierungen deshalb oft sehr heikel. Wird beispielsweise südamerikanisches Gemüse per Schiff zum europäischen Kontinent gebracht, sind bestimmte, inländische Reglungen zu beachten.[26] Dazu zählt u. a. wie Gemüse geerntet, wo es gewaschen, verpackt und verschifft wird, welche Löhne gezahlt und wie die Arbeitsbedingungen ausgestaltet werden. Diese Regeln dienen dem Schutz der Märkte des Landes.[27] Jene Regeln werden bei Verhandlungen allerdings meist unnötig in den Vordergrund gerückt und erhöhen so die Gefahr, dass Länder mit weniger Wirtschaftsleistung sich jenes Gemüse nicht mehr leisten können, weil deren eigene Standards sehr viel niedriger angesiedelt sind. Es gibt jedoch Anzeichen dafür, dass sich diese Standards global allmählich anzugleichen beginnen. In Europa wäre allerdings derzeit ein Markt, wie er beispielsweise in Marokkos Straßen tagtäglich stattfindet, definitiv undenkbar. Dort werden traditionell auf offener Straße, inmitten der Käufer und Passanten Hühner geschlachtet, nachdem sich der Käufer das lebende Huhn aus einem Käfig ausgesucht hat. Dieses wird dann in einen lediglich mit Wasser ausgespülten, mehrfach genutzten, geflochtenen Korb gepackt und quer über den Markt nach Hause transportiert.
Ein solcher Handel entspricht gewiss keinem europäischen Gesundheits-, Tierschutz-, Hygiene-, Umwelt oder gar Verbraucherschutzgesetz. Durch ein Handelsabkommen, welches dementsprechend angeglichen würde, gelten dann jedoch in Marokko die gleichen Standards, wie in Europa bzw. wie in Südamerika, wenn Gemüse angebaut, geerntet und auf den Märkten verkauft wird. Die Fortschritte auf Ebene der WTO stellen sich jedoch ebenfalls nur sehr allmählich auf diese neuen Anforderungen ein. Deshalb werden Abkommen, die lediglich zwischen zwei Ländern bestehen, stetig an Bedeutung gewinnen. Das ist deutlich an den internationalen Wachstumsmärkten zu erkennen, vor allem im Technologiesegment. Europäische Unternehmen verlieren dort stetig Marktanteile an die meist billigere Konkurrenz aus den Schwellenländern. Diese stellen jedoch einen entscheidenden Absatzmarkt dar, weshalb sich Konzerne aus der EU auch per se in punkto Leistung, Preis und Qualität als attraktiv für jenen Handel präsentieren müssen. Je nach Konsumentenbedürfnis und Land variieren die dafür vorrangigen Aspekte, weshalb Unternehmen ihre Produktion auch stets anpassen müssen, um im Sinne landeskonformer Regularien wettbewerbsfähige Güter für deren Märkte herstellen und vertreiben zu können. Automobilhersteller wie Opel, VW oder Ford produzieren beispielsweise in Deutschland und müssen dabei Standards und Regularien der deutschen Vorgaben einhalten. Exportieren sie ihre in Deutschland gefertigten Produkte in die USA, müssen Details geändert oder umgerüstet werden. Was würde also passieren, wenn Zölle sowie technische Regularien und Standards im Sinne des Freihandelsabkommens einander angeglichen werden? Dazu ein paar simple Beispiele. In...