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E-Book

Typisch untypisch - Berufsbiografien von Asperger-Autisten

Individuelle Wege und vergleichbare Erfahrungen

VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl360 Seiten
ISBN9783170326194
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Wie gestalten erwachsene Asperger-Autisten ihr Erwerbsleben? Welche Berufswege gehen sie, welche Erfahrungen gesellen sich dabei typischerweise hinzu, und gibt es Faktoren, die sich als förderlich oder hemmend für die Biografie erweisen? Antworten auf diese Fragen geben 22 Berufsbiografien von Asperger-Autistinnen und -Autisten. Die Einblicke in individuelle Werdegänge bilden ein weites Spektrum beruflicher Erfahrungen ab, in denen sich dennoch jeweils autismusspezifische Gemeinsamkeiten finden. Ergänzt durch Interviewskizzen und wissenschaftliche Aussagen entsteht ein Werk mit überindividueller Perspektive und bedeutsamer Aussagekraft. Mit dieser strukturierten Selbstbetrachtung gelingt die Herausarbeitung überindividueller Besonderheiten dennoch ganz untypischer Menschen.

Dr. Eleonora Kohl ist Bildungswissenschaftlerin, engagiert sich für gute Wissenschaftskommunikation und ist mit Begeisterung als Sennerin im Südschwarzwald tätig. Dipl.-Math. Hajo Seng ist Autor zahlreicher Bücher und engagiert sich im Autismus-Selbsthilfebereich (aspies e. V., autSocial, autWorker eG, auticon). Tobias Gatti war viele Jahre als freier Übersetzer und Publizist tätig. Heute arbeitet er als Medizinischer Dokumentar an einer süddeutschen Klinik.

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Leseprobe

 

 

 

 

 

Johannes


 

Meine Schulzeit begann ganz normal mit dem Besuch der örtlichen Grundschule. Danach wollte ich auf die sechsstufige Realschule in einem 25 km entfernten Ort wechseln, was damals nur im Rahmen eines Modellversuches möglich war. Ich habe dafür dann eine Aufnahmeprüfung machen müssen, welche ich auch erfolgreich absolvierte. Anschließend wollte ich das Abitur machen, weshalb ich auf ein 35 km entferntes informationstechnisches Gymnasium wechselte. Dort machte ich dann mein Abitur.

Nach dem Abitur studierte ich im Fach Physik. Die Noten im Grundstudium waren gut. Fachlich konnte ich das Wissen teilweise aus den Vorlesungen mitnehmen, den Großteil musste ich mir selber zu Hause beibringen. Kontakte mit Kommilitonen oder Professoren kamen bei mir eigentlich nicht vor. Ich hätte sie sowieso nicht erkannt. Die wenigen Kontakte mit anderen Personen waren, dass ich immer mal wieder eine Mail an das Prüfungssekretariat schreiben musste, weil ich irgendeine Prüfungsanmeldung verpasst hatte und sie mich nachmelden sollten.

In der vorlesungsfreien Zeit habe ich die ersten Jahre für einige Wochen in einer Firma für hochwertige Elektronikbauteile, die hauptsächlich im Verkehrssektor Verwendung finden, Ferienarbeit gemacht. Dabei habe ich mich um meine Aufgaben gekümmert und hatte eigentlich so gut wie keinen Kontakt mit den Arbeitskollegen. Nur hin und wieder habe ich meinem Vorgesetzen, der gerade seinen Techniker gemacht hat, Nachhilfe gegeben.

Im Studium wurden dann ab einem bestimmten Punkt die Probleme für mich größer, da es Laborkurse gab, die in Zweiergruppen bearbeitet werden mussten und jeder Versuch von einem anderen Betreuer betreut wurde. Dies stellte mich vor eine fast unlösbare Aufgabe, wohingegen die ganzen fachlichen Prüfungen für mich problemlos waren. Als die Probleme immer größer wurden, so dass sie das Studium als solches bedroht haben, haben meine Eltern mit mir zusammen das Gespräch mit der Uni gesucht, um herauszufinden, ob ich für das Studium geeignet bin. Die Professoren an der Uni waren dann überrascht, wie gut meine Noten waren, wobei ich die ganzen Vorlesungen und Übungsaufgaben allein bearbeitet hatte und sie sich sicher waren, dass, wenn man es allein versucht, scheitern wird. Dahingegen war an den Praktika bisher noch niemand gescheitert.

Parallel habe ich noch die eigentliche Ursachensuche angestrebt. Ich bin dann erst einmal zur Beratungsstelle der Universität gegangen. Die dortige Psychologin hatte zufälligerweise vorher in einer Spezialambulanz für Autismus gearbeitet und konnte mich dann so an die entsprechenden Fachleute verweisen. So kam ich sehr schnell auf einen Weg, der dann schließlich zur Diagnose Asperger-Syndrom geführt hat.

Die Fachbereichsleitung und einige andere Leute an der Uni unterstützen mich nun. Ich bekam einen Nachteilsausgleich und konnte mein Studium fortsetzen. In den Praktika bekam ich genauere Anweisungen und mir wurde gesagt, was gefordert wird. Nachdem ich die Praktika absolviert hatte, konnte ich meine Bachelorarbeit anfertigen. Dafür habe ich dann zum ersten Mal in einer Forschungsgruppe mitgearbeitet, in der der Professor von meinen Problemen wusste. Die Arbeit lief gut, da ich einen festen Ansprechpartner hatte.

Nach dem Bachelorstudium habe ich mit dem Masterstudium weitergemacht. Während des Masterstudiums habe ich in einer Forschungsgruppe nebenher im Labor als Hilfskraft gearbeitet. Daraus hat sich dann auch das Thema meiner Masterarbeit ergeben. Diese habe ich dann problemlos erledigen können. Somit konnte ich das Studium erfolgreich zu Ende bringen.

Nach dem Studium wollte ich weiter in der wissenschaftlichen Forschung bleiben. Dafür habe ich mir eine Promotionsstelle gesucht. Diese habe ich dann an einer anderen Universität gefunden.

Mit Beginn der Promotion war dann alles neu an der neuen Universität. Meinen Autismus zu verstecken hatte keinen Sinn, da ich im Rahmen eines Projektes für behinderte Akademiker promoviere, war es allen Kollegen bekannt. Sie wissen auch, dass ich feste Regeln habe, wann ich gestört werden darf und wann nicht. Wenn die Bürotüre offensteht, darf ich angesprochen werden, wenn sie zu ist, will ich nicht gestört werden. Sie können mir dann eine Mail schreiben und ich komme vorbei, sobald ich Zeit habe. Zusätzlich stellt mir die Unileitung einen Ansprechpartner für nicht fachliche Fragen zur Seite.

Johannes: Interview


Wenn Du Dich in ein neues Arbeits-/Wissensfeld einarbeiten musst, wie lernst Du die Inhalte am liebsten?

Ich bevorzuge den strukturierten Unterricht, da ich mit Texten schlecht lernen kann, weil für mich das Wissen visualisiert vermittelt werden sollte.

 

Asperger sind oft pragmatisch und rational, was die Studien-/Berufswahl angeht. »Träume« werden hintangestellt. Stimmt das auch für Dich? Warum ist das so?

Ich habe mich für das entschieden, von dem ich glaubte, dass es für mich gut zu bewältigen ist.

 

Wo siehst Du Dich beruflich in 5 Jahren?

In einem Forschungszentrum.

 

Was löste berufliche Krisen aus? Wie wären diese im Nachhinein vielleicht verhinderbar gewesen?

Die meisten Probleme bei der Arbeit und auch im Studium kamen wohl daher, dass ich Fragestellungen und Aufgaben nicht so oder als solche erkannt habe. Seit der Diagnose frage ich diesbezüglich auch häufiger mal nach.

 

Welche Strategien hast Du für einen konfliktarmen und vielleicht sogar freundschaftlichen Umgang mit KollegInnen?

Ich habe als Strategie, dass man mich nur dann stören darf, falls meine Bürotüre offen ist. Wenn sie zu ist, brauche ich meine Ruhe.

 

Viele Aspies haben eine Schwäche beim Wiedererkennen von Gesichtern und damit von Menschen. Du auch? Was ist ein guter Umgang mit dieser Schwäche?

Ich habe auch ein Problem damit. Ich erkenne Personen, mit denen ich viel zu tun habe, an ihrer Stimme. Somit müssen sie mich zuerst ansprechen.

 

Viele Aspies haben eine Schwäche beim Erkennen von Intentionen und Gefühlen von KollegInnen. Du auch? Was ist ein guter Umgang mit dieser Schwäche?

Ich tue mich schwer, Gefühle einzuordnen. Eine Lösung habe ich nicht.

 

Hast Du im Beruf Menschen wahrgenommen, die ähnlich »einsam« oder »seltsam« erschienen wie du selbst? Wie würdest Du damit umgehen, Asperger als KollegInnen zu haben?

Solche Menschen habe ich nicht wahrgenommen. Es kann auch daran liegen, dass ich es nicht mitbekommen habe.

 

Hast Du auch das Gefühl, eine Art soziales Theater zu spielen, bei dem Du neurotypisches Verhalten kopierst? Welche Erfahrungen hast Du damit gemacht?

Mache ich auch manchmal, das halte ich aber maximal ein bis zwei Stunden durch, wobei ich noch nicht sonderlich gut bin.

 

Es heißt ja oft, Aspies seien besonders ehrlich, hätten einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Trifft das auf Dich zu?

Ich glaube schon, zumindest wurde es schon öfter zu mir gesagt.

 

Hast Du einen hohen Perfektionsanspruch an Dich in Deinem Job? Bist Du nur zufrieden, wenn Du alles perfekt erledigt hast?

Ja.

 

Was schätzen Deine KollegInnen an Dir?

Mein gigantisches fachliches Wissen. Ich kann vieles einfach so sagen, wo die meisten erst stundenlang in Fachbüchern nachlesen müssen.

 

Kannst Du in einem Satz zusammenfassen, welche Rolle die Familie/der Partner für Dich beim Erfüllen der Berufstätigkeit spielt/e?

Meine Eltern haben mich dorthin gebracht, dass ich heute dort bin, wo ich sein will.

 

Wie meinst Du wirkst Du auf andere Menschen? Eher empathisch oder nicht empathisch? Eher logisch denkend oder intuitiv handelnd? Woran machst Du das fest?

Eher logisch denkend. Ich habe für alles und immer einen Plan und mindestens einen Ausweichplan.

 

Wie gehst Du mit den Unvorhersehbarkeiten im Team um?

Habe noch nicht wirklich in einem Team gearbeitet.

 

Hast Du Schwierigkeiten, dem Arbeitsinhalt Struktur zu geben? Wenn ja, was hilft Dir?

Ich nutze meinen Kalender und trage dort die unterschiedlichen Termine/Tätigkeiten in unterschiedlichen Farben ein, so dass ich an der Farbe sofort sehe, was ich tun will/soll/muss.

 

Was war Auslöser dafür, das Asperger Syndrom diagnostizieren zu lassen? Welche Auswirkungen hatte die Diagnose?

Ich hatte sehr große Probleme im Studium und irgendwie wollte ich das Studium abschließen, sah aber keine Möglichkeit, es zu schaffen.

 

Hast Du an psychologischen, sozialen oder berufsfördernden Angeboten speziell für...

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