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E-Book

Über das Dasein

Albertus Magnus und die Metaphysik des Idealismus

AutorAndrés Quero-Sánchez
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl812 Seiten
ISBN9783170264342
FormatePUB/PDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis59,99 EUR
Die idealistische Metaphysik definiert die Wahrheit als das Nicht des Zufälligen, welches selbst als das eigentlich Negative - als das Nicht des Absoluten verstanden wird. Das wahrhaft Seiende wird also erst durch die Verneinung der Verneinung freigelegt. Diese Auffassung ist für Heinrich von Gent, Dietrich von Freiberg, Meister Eckhart, aber auch für Schelling und Hegel charakteristisch. Demgegenüber ist die Metaphysik Alberts des Großen als Idealismus-Kritik zu verstehen: Sie fasst das Zufällige nicht als das Nicht des Wirklichen, sondern vielmehr als das am Wirklichen Teilhabende auf. Es geht Albert um kein Wissen über dem Daseienden, sondern um eines über das Daseiende.

PD Dr. Andrés Quero-Sánchez ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Kolleg-Forschergruppe 'Religiöse Individualisierung in historischer Perspektive' am Max-Weber-Kolleg der Universität Erfurt. Er lehrt Philosophie an der Universität Regensburg.

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Leseprobe

Einleitung


Vergessen ist die größte Sünde. Sie ist es jedenfalls für den Philosophen, der als solcher die Weisheit (σοϕία) – und mit ihr die Wahrheit (ἀλήθεια) – liebt (ϕιλεῖ): das ›Nicht-Vergessen‹ (ἀ-λήθη). Der größte Feind der Erinnerung (ἀνάμνησις) oder der Treue als der Wahrheit () ist das ›Ut-nunc‹: die Konjunktur als die Einladung zum Vergessen, zum Wegschauen, zum Verlassen (). Denn die Wahrheit ist allein im Absoluten oder im Schlechthinigen (im Simpliciter) zu finden: in dem durch die Ablehnung der Einladung des ›Ut-nunc‹ zum Vergessen oder zum Verlassen – im Hinschauen – zustande gebrachten Einsehen des Wirklichen.1

A. Quod demonstrandum est


Die grundlegende These vorliegender Untersuchung besagt, dass die eben beschriebene Auffassung von Wahrheit die idealistische Metaphysik definiert, eine Auffassung nämlich, welche für Heinrich von Gent, Dietrich von Freiberg, Meister Eckhart, Schelling und Hegel – zumindest: letztlich – charakteristisch ist. Die Wahrheit des Idealismus ist allein dem Nicht-Vergessenden zugänglich, dem nämlich, den die Konjunktur – sprich: das Da-Sein, die Kreatur, das Akzidentelle, das Zufällige, das Zufallende (das ›Ut-nunc‹) – nicht zum Vergessen bringt, sondern der fest (entschlossen, sicher) im Absoluten oder Schlechthinigen harrt: im Gewissen (esse ratum, esse firmum)2 und damit auch im Ur-Gewissen (synderesis).3 Im Gewissen ist der Idealist absolut – vom bloß Zufallenden abgeschieden – im Absoluten.

1. Was ist Idealismus?


Mit dem Begriff ›Idealismus‹, der für unsere Interpretation grundlegend ist,4 ist nun nicht jeder in der Forschung zufrieden. Kurt Flasch etwa hat ihn neulich kritisiert.

Er fürchtet, dass solche Bezeichnungen dem ›individuellen Denker‹ – er hat dabei primär Meister Eckhart, vielleicht sogar sich selbst, im Sinne – ›Unrecht tun‹, den sie ›in Strömungen ertränken‹.5 Im Laufe seiner Studie kann Flasch selbst allerdings ohne die, wie er sagt, ›Schulbezeichnung‹ ›Idealismus‹ nicht auskommen, die er, wie es heißt, ›vorübergehend‹ – allerdings mehrmals ›vorübergehend‹ – gebrauche.6 Die angebliche ›Schulbezeichnung‹ findet man allerdings, so stellen wir fest, bei einem Autor, der nicht gerade als Scholastiker Karriere gemacht hat: bei Johann Gottlieb Fichte, auf den Flasch sich bekanntlich gerne beruft.7 Zu den von Fichte am liebsten gebrauchten heuristischen Ausdrücken – genauer gesagt: zu den Ausdrücken, durch die er sich selbst stilvoll wie manierlos inder Sache vergißt8 – gehört nämlich das Begriffspaar Idealismus/Realismus, wobei er freilich eher von ›Idealismus‹ versus ›Dogmatismus‹ spricht. Seine eigene Philosophie bezeichnet er selbst als ›Idealismus‹, ohne damit sich selbst wohl als selbständigen Denker in einer Strömung ertränken zu wollen. Die ganze erste Einleitung in seinem ›Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre‹ aus dem Jahre 1797 handelt eben von der genannten Unterscheidung.9 Es seien, so Fichte dort, »zwei HauptGattungen von Menschen«10 zu unterscheiden: die Idealisten und die Realisten oder Dogmatiker. Wir schauen uns zunächst Fichtes Charakterisierung des Idealisten an:

»Wer aber seiner Selbständigkeit und Unabhängigkeit von allem, was außer ihm ist, sich bewußt wird, – und man wird dies nur dadurch, daß man sich unabhängig von allem durch sich selbst zu etwas macht, – der bedarf der Dinge nicht zur Stütze seines Selbst, und kann sie nicht brauchen, weil sie jene Selbständigkeit aufheben, und in leeren Schein verwandeln«.11

Hinsichtlich der Realisten, der Dogmatiker, gelte hingegen, so Fichte weiter: »Alles was sie sind, sind sie wirklich durch die Außen Welt geworden. Wer in der That nur ein Product der Dinge ist, wird sich auch nie anders erblicken«.12 Der Realist ist für Fichte in diesem Sinne nichts als ein ›durch die Situation‹ (ut nunc) Be-dingtes.

Es ist jedoch ein anderer Autor, der für unser Interesse am heuristischen Gebrauch der Begriffe Idealismus/Realismus entscheidend gewesen ist und bleibt: Friedrich Schiller. Am Anfang war nämlich folgender philosophisch ertragreicher Text aus seiner Abhandlung ›Über naive und sentimentalische Dichtung‹:

»Der Realist wird fragen, wozu eine Sache gut sey? und die Dinge nach dem, was sie werth sind, zu taxiren wissen: der Idealist wird fragen, ob sie gut sey? und die Dinge nach dem taxiren, was sie würdig sind. Von dem, was seinen Werth und Zweck in sich selbst hat […] weiß und hält der Realist nicht viel; in Sachen des Geschmacks wird er dem Vergnügen, in Sachen der Moral wird er der Glückseligkeit das Wort reden […]. Was er liebt, wird er zu beglücken, der Idealist wird es zu veredeln suchen. Wenn daher der Realist in seinen politischen Tendenzen den Wohlstand bezweckt, […], so wird der Idealist, selbst auf Gefahr des Wohlstandes, die Freyheit zu seinem Augenmerk machen«.13

›Idealismus‹ bedeutet somit in erster Linie warumlose Liebe zum Warumlosen als zu ›dem, was seinen Wert und Zweck in sich selbst hat‹. Unser Verständnis des Ausdrucks ›Idealismus‹ ist also eindeutig von der neuzeitlichen Bestimmung desselben geprägt, die freilich gerade das Gegenteil dessen bezeichnet, was die Mediävistik, ja die mittelalterlichen Autoren selbst, darunter verstehen, wie Hegel übrigens bei Gelegenheit treffend bemerkt:

»Es war die Hauptfrage <sc. im Mittelalter>, ob dieses Allgemeine realiter existiere oder ob es nur nominell sei, d.h. eine subjektive Vorstellung oder ein Gedankending. Bei uns heute hat der Ausdruck ›Realismus‹ den ganz entgegengesetzten Sinn, nämlich, ob die sinnlichen Dinge, wie sie in ihrer unmittelbaren Existenz sind, etwas Wahrhaftes, Substantielles seien, so daß ihnen eigentliches Sein zugeschrieben werden kann, und der Idealismus steht dem entgegen, abstrakt als die Vorstellung, daß das Sinnliche, wie es sich unmittelbar in seiner Einzelheit den Sinnen zeige, nicht ein Wahrhaftes sei. Im Mittelalter war es aber das Umgekehrte; der scholastische Realismus behauptete, daß das Allgemeine, die Universalien, die Gattungen, das Wesen der Dinge, die Idee ein Selbständiges, Fürsichseiendes, Existierendes sei; wogegen die Nominalisten sagten, es sei nur Vorstellung, subjektive Verallgemeinung«.14

Der Realist behauptet also, dass ›die sinnlichen Dinge, wie sie in ihrer unmittelbaren Existenz sind, etwas Wahrhaftes, Substantielles seien, so dass ihnen eigentliches Sein zugeschrieben werden könne‹ (nach der Formulierung Hegels). Er glaubt, dass die Dinge, ja allein und ausschließlich die Dinge , ›sind‹, allein und ausschließlich das nämlich, was im Hin-Blick auf etwas Anderes als die Sache selbst – somit: durch etwas Anderes be-dingt – ist. Die realistische Frage par excellence lautet nicht zufällig: Was kann man damit anfangen? Wozu – oder wofür () – ist das Ding gut (nach der Formulierung Schillers). Der Realist ›bedarf‹ in diesem Sinne des Be-dingten, somit ›der Dinge zur Stütze seines Selbst‹ (nach der Formulierung Fichtes). Der Idealist hingegen ist davon überzeugt, dass ›das Sinnliche, wie es sich unmittelbar in seiner Einzelheit den Sinnen zeige, nicht ein Wahrhaftes sei‹, sondern allein ›das Allgemeine, die Universalien, die Gattungen, das Wesen der Dinge, die Idee‹. Er hält die Dinge als solche – als das durch Anderes Be-dingte – für nichtseiend und vergisst ständig die Frage: Wozu? Der Idealist wird sich ›seiner Selbständigkeit und Unabhängigkeit von allem, was außer ihm ist, bewußt‹ und macht sich selbst dadurch zum wahrhaft Seienden. Sollte der Mediävist uns aus dem Fach ausschließen – oder uns gar mobben – wollen, weil wir die Ausdrücke – keineswegs jedoch die Sache – anders verstehen als der mittelalterliche Denker selbst, so sind wir – die wir keine Freunde der ›Aus-wendigkeit‹ sind noch sein wollen – dazu bereit, eine solche ›Entlassung‹ in Kauf zu nehmen: der Sache nämlich und mit ihr uns selbst (und nicht umgekehrt!) zuliebe.

Last not least: Die Ausdrücke ›Idealismus‹ und ›idealistisch‹ werden bei vorliegender Untersuchung nicht abwertend gebraucht. Wir sind zwar der Meinung, dass der einseitige Idealismus falsch ist und als solcher – sprich: als einseitiger und somit als das, was der Realität Gewalt antut – zu korrigieren, jedoch nur so, dass man ihn zu einem philosophischen Zustand bringt, in dem er sowohl inoffensiv als auch lebensfähig – somit: real – ist. Wir sind jedenfalls nicht dazu bereit, den Idealismus überhaupt im Bereich des Tragischen anzusiedeln.15 Denn der Idealist ist keineswegs ein sich selbst (weil sich selbst Widersprechendes) Aufhebendes, obwohl der Realist dies gerne hätte und allzu oft sogar im Hintergrund – im Rücken – daraufhin arbeitet.

2. Alberts des Großen Metaphysik als Idealismus-Kritik


Definiert die idealistische Metaphysik die Wahrheit als das Nicht des Zufallenden, welches selbst – das ›Ut-nunc‹ – als das eigentlich Negative – als das Nicht des Absoluten als des allein und ausschließlich Wirklichen – verstanden wird, so lässt sich zeigen – und darin besteht das Ziel unserer Untersuchung –, dass es sich bei der Metaphysik Alberts des Großen genau umgekehrt verhält, bei...

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