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E-Book

...überall nur Kusseln und Sand

AutorHorst Albrecht
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl324 Seiten
ISBN9783752865004
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Als kleiner Knirps kam der Autor in eine abgelegene Försterei der Mark Brandenburg. Auf den ersten Blick schien die neue Heimat mit nicht viel mehr gesegnet zu sein, als mit Kusseln und Sand. Doch schon bald offenbarten Land und Leute ihren verborgenen Reiz. Der Heranwachsende suchte sich im täglichen Umgang mit der freien Natur seinen Weg, der mit frühen Pflichten, vielen lustigen Begebenheiten und prägenden Erlebnissen verbunden ist. Die Erinnerungen dieses Buches begleiten ihn durch Freud und Leid bewegter Jahre, bis das vertraute Land am Horizont entschwindet.

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Leseprobe

Schulanfang


Die Sommerferien waren zu Ende. Dieses mal war das etwas ganz Besonderes für uns - wir kamen in die neue Schule.

Trotz des bevorstehenden Umzuges war ich in Adlig Landeck noch eingeschult worden. Sicher hätte es großes Geschrei gegeben, wenn ich nicht mit den anderen gleichaltrigen Freunden in die Schule gedurft hätte. In den paar Wochen meines Schulbesuches dort oben im Pommerschen, haben sich geistige Erleuchtungen bei mir sicher in Grenzen gehalten. Ich kann mir auch gut vorstellen, daß damals weniger mein Wissensdrang, als die bis zum Rand mit Bonbons gefüllte Schultüte der Ansporn für mich gewesen ist.

Die Tüte war inzwischen längst leer gefuttert, die Ferien dagegen mit neuen Eindrücken und Erlebnissen überreich gefüllt, und jetzt sollte es in der neuen Schule richtig losgehen.

Mutti steckte Else und mich in unseren Sonntagsstaat. Die ganze Familie fuhr mit dem Auto ins Dorf Althöfchen.

Papa hielt gleich hinter der Kirche vor einer Treppe. Zwischen dem Schulgebäude auf der einen, und dem angebauten Lehrerhaus auf der anderen Seite, führten die Stufen zu einer Haustür hinauf. Die hatte schon auf den Besuch gewartet. Ohne unser Zutun öffnete sie sich, und die Frau des Hauses begrüßte uns herzlich, alle der Reihe nach bis zum Kleinsten. Der war wieder einmal ich.

Und obwohl ich die Haare frisch geschnitten hatte, und mir ein fast perfekter Diener gelang, hatte die gute Frau bald nur noch Augen für die Großen, und entführte den neuen Herrn Förster und seine Gemahlin in ihre kalte Pracht. Wir Kleinen dagegen wurden weitergereicht an ihren Ehemann. Das war der Herr Lehrer Klemt. Der schleuste Else und mich durch einen Klassenraum mit vielen großen Kindern in einen Flur mit vielen, vielen Knaggen an der Wand und von dort weiter in einen Klassenraum mit vielen kleinen Kindern.

Vorne an der Tafel stand ein junger Lehrer. Auch er bekam einen Diener von mir und einen Knicks von Else, und dann verrieten wir ihm unsere Namen, laut und deutlich. Unser Gegenüber war der Herr Maron. Er zeigte uns die Plätze und wir mußten uns auf die Holzbänke hinter den Schreibpulten einfädeln. Ich auf der Jungensseite ganz vorne, und Else auf der Mädelsseite schon ein paar Reihen weiter hinten. Die anderen Kinder freuten sich über die Störung, verfolgten die Zeremonie mit andächtigem Staunen und hofften, daß sie noch recht lange andauern möge.

Während wir noch ein wenig über uns erzählen mußten, haderte Herr Maron mit dem Klassenbuch, weil die beiden Albrechts das neu geschriebene Alphabet durcheinander brachten. Sein quirliges Publikum ließ er aber wohlweißlich nicht aus den Augen.

"Was ist das, Horst: Auf, ab, auf, Pünktchen drauf?" wollte er von mir wissen. "liih!" kam die Antwort, spontan, laut und lange. Im Geiste sortierte ich sogleich mein geballtes Wissen nach Buchstaben und Zahlen, um meine Umgebung noch etwas daran teilhaben zu lassen.

Leider haben meine Zuhörer auf weitere Proben meines Könnens damals doch verzichten müssen. Die Stunde war auf einmal zu Ende, und wir durften wieder nach Hause. Ich hatte mir das erste Mal in der neuen Schule viel aufregender vorgestellt.

Am nächsten Morgen wurde es aber doch ernst: Früh aufstehen, gründlich waschen, ordentlich anziehen, ausgiebig frühstücken und dann den Tornister geschultert und ab in die frische Morgenluft.

Bei mir baumelten ein roter Schwamm und ein Läppchen aus dem Schulranzen heraus. Die beiden gehörten zur Schiefertafel und waren das Symbol eines jeden ABC-Schützen. Else hatte die niederen Gefilde des Eingravierens von Buchstaben und Zahlen in Schiefertafeln schon längst hinter sich gelassen. Sie ging schon in das zweite Schuljahr und trug auf dem Rücken bereits Hefte und erste Bücher spazieren.

Wenn man hinter unserem Haus an Laufers kleinem Wald vorbei war, führte unser Schulweg über freies Feld fast geradeaus ins Dorf. Nach der ersten Wegekreuzung wartete ein seichter Hohlweg auf uns. Die Obstbäume und die Telegraphenmasten oben auf den Böschungen schauten aufmunternd zu uns herunter, bis sich hinter der leichten Steigung die Spitzen der Kirchtürme in den Himmel schoben. Auf dem letzten Stück des Weges dehnten sich Kornfelder zu beiden Seiten, so weit das Auge reichte. Der Herr über die endlose Weite hatte hier und da dunkle Vierecke eingesetzt, aus Kartoffelkraut und Rübenblättern. Und dann wuchs langsam das grüne Buschwerk des Dorfteiches vor die roten Dächer, und der Friedhof flüsterte den kleinen Wanderern zu, daß sie es bald geschafft hatten. Im Dorf gab es schnell Gesellschaft, und bald war auch das Kindergeschrei von der Schule zu hören. Weil wir in dem Chor nicht fehlen durften, ging's das letzte Stück im Galopp, und der beschwerliche Weg war schon vergessen.

Wenn wir in dem Gewimmel untergetaucht waren, bewegte sich in den ersten Tagen immer noch die Gardine hinter Klemts Wohnzimmerfenster. Unsere Frau Lehrer hatte doch ein gutes Herz - auch für die Kleinen.

Als ich nach einiger Zeit für die Mutti einmal zu Frau Klemt ins Haus hinein gehen mußte, schämte ich mich beim Sprechen den Mund richtig aufzumachen. Mir fehlten vorne gerade einige Zähne. Die vielen Sahnebonbons von Laufers Mutter hatten ihnen den Rest gegeben.

Frau Lehrer Klemt dachte wohl, ich hätte einen Sprachfehler. Voller Mitleid beugte sie sich zu mir herunter. Ihre Stimme begann schon zu schmelzen, als sie den wahren Grund erkannte. Erleichtert streichelte sie mir über den Kopf und tröstete mich: "Na das ist ja nicht so schlimm, die wachsen schnell wieder nach."

Die Zähne hatten lange gewackelt und wollten und wollten nicht rausfallen. In solchen Fällen halfen wir zu Hause immer genau so wirkungsvoll wie auch fachmännisch nach.

Else hatte das ja schon vor mir durchleiden müssen. Als sie damals ständig mit irgendeinem wackelnden Zahn herumgelaufen war, hatten wir immer wieder versucht, sie mit den Fingern herauszuziehen. Aber die kleinen, verflixten Dinger ließen sich nicht fassen und taten schon weh, bevor man sie richtig berührt hatte. Notgedrungen mußten wir uns etwas einfallen lassen. Und wie sich das in der Zahnmedizin gehört, entwickelten wir unsere ganz spezielle Behandlungsmethode.

Einen stabilen Stuhl brauchte man dazu und einen langen Zwirnsfaden. Aber genau der richtige Zwirn mußte das sein, nicht zu stark und nicht zu schwach.

Zu Beginn der Behandlung schlang sich der Patient das eine Ende des Fadens um den Delinquenten in seinem Mund. Derart präpariert, setze er sich verkehrt herum auf den Stuhl, legte beide Hände und das Kinn oben auf die Lehne und sperrte den Mund weit auf.

Der Operateur indes ergriff das andere Ende des Fadens und wickelte es sich ein paar mal um einen Finger damit es auch fest war und nicht abrutschen konnte. Er war gehalten, in dem Moment am Faden zu ziehen, wenn sein Patient gerade nicht damit rechnete. Dieser Überraschungseffekt war das schmerzlindernde Mittel bei der Behandlung. Aber damit begaben wir uns auch auf das schwierige Feld der Psychologie, denn der Patient starrte natürlich immer auf die Hand mit dem anderen Ende des Fadens wie das Kaninchen auf die Schlange. Es blieb dem guten Willen und den schauspielerischen Fähigkeiten des Operateurs überlassen, in wie weit es ihm gelang den Patienten dennoch abzulenken, bevor er dann die Reißleine zog.

Danach gab es eigentlich nur zwei Möglichkeiten. Entweder begann der Patient laut zu jammern weil der Faden gerissen war, oder der Zahn war raus.

Mit dem Ende des Fadens erlangte der Operateur stets auch die Macht über den Patienten. An langem Zwirn und mit Fantasie konnte er ihn einlullen, ablenken oder auch einfach nur trösten. Aber er konnte ihn auch piesacken, blutige Geschichten erzählen und ihm an kurzem Faden sadistisch vor Augen führen, was gleich geschehen würde. Alles war erlaubt. Nur fragen durfte man den Leidenden mit dem Wackelzahn nichts, denn der mußte in Erwartung des Schrecklichen ja ununterbrochen seinen Mund sperrangelweit aufhalten.

Für welche Variante der psychologischen Vorbereitung sich der Operateur entschied, das hing in hohem Maße davon ab, ob sich der Patient in letzter Zeit auch wohlverhalten hatte. Der um den Finger gewickelte Faden war eine gute Gelegenheit, alte Rechnungen zu begleichen.

Als der ständig hinterherwachsende Bruder, hatte ich seinerzeit keine Gelegenheit ausgelassen, meiner Schwester bei derartiger Behandlung eins auszuwischen. Das brachte die Geschwisterliebe so mit sich.

In der Zwischenzeit hatte sich das Blatt gewendet. Meine Schwester hatte schon schöne, neue Zähne, und ich hing am anderen Ende des Fadens. Aber zu meinem Glück ist Else nicht nachtragend gewesen. Auch der Zwirnsfaden hatte gehalten, und so war ich ohne großes Geschrei zu meinem Sprachfehler gekommen.

In unserer Klasse brauchte ich mich deswegen nicht so zu schämen, wie bei der Frau Lehrer in der Wohnung. Da liefen noch mehr Zahnlücken herum.

Noch in Landeck hatte ich mir zu meinem sechsten Geburtstag sehnlichst ein Schaukelpferd gewünscht. Aber unser Vater dachte vorsorglich schon damals an den langen Schulweg in unserem...

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